Ich kauerte mich hinter einen Weißdornbusch, der natürlich nur wenig Deckung bot. Zum Glück war es eine mondlose Nacht. Und vielleicht waren die Reiter zu sehr auf ihr eigenes Entkommen bedacht, um auf mich zu achten. Ich legte mich so flach wie möglich auf die Erde und hielt die Luft an, als zwei Männer auftauchten. Soweit ich das erkennen konnte, trug jeder von ihnen Kappe und Umhang. Ausgerechnet auf meiner Höhe hielten sie an. Ich verfluchte mein Pech.

»Das wurde aber auch Zeit«, sagte eine vertraute Stimme.

Mit einem erschöpften Lächeln richtete ich mich auf.

Cecil musterte mich von oben bis unten. Er ritt auf Deacon. An seiner Seite saß Peregrine auf Cinnabar. »Na endlich!«, rief der Junge. »Wir suchen dich seit einer Stunde und haben schon gerätselt, welche Suppe du dir diesmal eingebrockt hast.« Er lachte auf. »Sieht ganz nach einem neuerlichen Bad im Fluss aus. Bist du sicher, dass du nicht etwas von einem Fisch in dir hast?«

Ich starrte ihn verdrießlich an.

»Habt Ihr gefunden, was Ihr suchtet?«, fragte Cecil leise.

»Beinahe.« Ich band meinen halb verschnürten Umhang am Sattel fest und saß vor Peregrine auf. »Es war jedenfalls keine erfreuliche Erfahrung.«

»Das hatte ich auch nicht angenommen.« Cecils Augen folgten meinem Blick zur Silhouette des Towers. »Das Gesindel ist wild geworden«, murmelte er. »In den Straßen fordern sie jetzt Northumberlands Kopf. Lasst uns dafür beten, dass Königin Mary sich ihres Amtes als würdig erweist.« Er richtete den Blick wieder auf mich. Ich erwiderte ihn in stillschweigendem Einverständnis. Wir hätten Feinde werden und auf Dauer bleiben müssen. Doch die Zeiten verlangten mehr von uns.

»Dann auf nach Hatfield«, sagte Cecil.

Wir trennten uns Stunden später, als die Morgenröte ihr Licht über den Horizont ergoss. Cecils Landhaus lag nur wenige Meilen entfernt. Ausführlich beschrieb er mir den weiteren Weg nach Hatfield. Ein Moment der Verlegenheit entstand, als ich meine Dankbarkeit dafür ausdrückte, dass er zurückgeblieben war, um Peregrine zu helfen. »Obwohl ich dem Bengel ausdrücklich verboten habe, auf mich zu warten«, rügte ich.

Cecil neigte das Haupt. »Es war mir eine Freude, Euch gefällig zu sein. Und es freut mich zu hören, dass ein Teil von mir doch noch erlöst werden kann. Bitte richtet Ihrer Hoheit und natürlich auch Mistress Stafford meine ergebenen Grüße aus.« Bevor er davonritt, fing ich noch ein wissendes Funkeln in seinen kühlen Augen auf, das mich erschreckte.

Ich blickte ihm nach. Es stand zu viel zwischen uns, als dass sich je eine Freundschaft entwickeln konnte, aber wenn Elizabeth einen Mitstreiter benötigte, der bereit war, jegliche Moral über Bord zu werfen, würde sie keinen besseren als William Cecil finden.

Hinter mir sackte Peregrine übermüdet in sich zusammen. »Klammer dich an mir fest«, riet ich ihm. »Wir halten erst wieder an, wenn wir da sind.«

Ich gab dem Pferd die Sporen, und wir sprengten über Sommerwiesen und durch Buchenwälder, bis wir ein von mächtigen Eichen geschütztes rotes Ziegelschloss erreichten, von dem der süße Duft frisch gebackenen Brotes warm in die Morgenluft emporstieg.

Ich drosselte Cinnabar zu einem gemütlichen Passgang. Beim Näherkommen sah ich, dass Hatfield ein Gut war, wo Landwirtschaft betrieben wurde. Es gab eine Weide für Nutztiere, Obstbäume, Gärten, eine Molkerei und eine Reihe von Scheunen. Ohne sie besichtigt zu haben, wusste ich bereits, dass die Gärten wunderschön, wenn auch etwas wild sein würden – so wie ihre Besitzerin.

Trost stahl sich in meine Seele. Dieses Fleckchen sah ganz so aus, als könnte ich dort Heilung finden.

Als ich ihre Gestalt mit dem goldbraunen Haar vom Haus zur Straße laufen sah, hob ich in freudiger Erleichterung die Hand und winkte.

Zu guter Letzt war ich endlich zu Hause.

HATFIELD 

31

Es war kein Traum.

Beim Erwachen in dem Gemach, in das mich Kate in meinem vor Erschöpfung apathischen und willenlosen Zustand gebracht hatte, blieb ich einfach unter dem zerknitterten Leinentuch liegen. Genüsslich sog ich den Duft von Lavendel ein, der von einem an der Wand aufgehängten Kranz herüberströmte und sich mit dem Geruch der Leinölpolitur mischte.

Ich streckte meine zerschrammten und schmerzenden Glieder und stand auf. Vorbei an einem Zinnkrug und einer Waschschüssel trat ich ans Butzenfenster und schaute auf die Parklandschaft rund um das kleine Landschloss hinaus. Wie lange ich geschlafen hatte, konnte ich nicht sagen, aber ich fühlte mich erfrischt und fast wieder ganz der Alte. Dann begab ich mich auf die Suche nach meinen Kleidern. Wie ich mich zu erinnern glaubte, hatte Kate sie mir vom Leib geschält, nachdem ich mehr tot als lebendig aufs Bett gefallen war.

Ohne dass es so etwas wie ein Klopfen gegeben hätte, flog mit einem Mal die Tür auf.

Geschäftig kam Mistress Ashley mit einem Tablett herein. »Frühstück«, verkündete sie, »auch wenn es jetzt eigentlich Abendbrot geben müsste. Ihr habt fast den ganzen Tag verschlafen. Euer schmutziger Freund ebenso. Er ist jetzt in der Küche und verschlingt ein Lamm.«

Ich schnappte nach Luft. Meine Hände flogen nach unten, um meine Blöße zu bedecken.

Sie schmunzelte. »Ach, lasst Euch von mir nicht stören. Ich weiß, wie ein Mann in seiner Haut aussieht. Ich mag Euch vielleicht nicht mehr ganz taufrisch erscheinen, aber Ihr sollt wissen, dass ich verheiratet bin.«

»Meine Kleider?«, stotterte ich. Als ich Mistress Ashley zuletzt gesehen hatte, hatten ihre Augen mich schier durchbohrt. Jetzt erkannte ich das gedrungene Schlachtschiff von damals angesichts der fröhlichen Stimme und der aufgeräumten Art kaum wieder.

»Eure Kleider werden gerade gewaschen.« Schwungvoll zog sie das Tuch vom Tablett und enthüllte einen Teller voll mit frischem Brot, Käse, Obst und gepökeltem Fleisch. »Im Schrank liegen ein frisches Hemd, ein Wams und eine Hose für Euch bereit. Sie stammen von einem unserer Stallknechte, dessen Statur der Euren ähnelt. Nichts Modisches, aber fürs Erste seid Ihr versorgt, bis wir Euch später richtig ausgestattet haben.«

Sie warf mir einen nüchternen Blick zu. »Ihr braucht Euch um nichts zu grämen. Mistress Stafford hat Eure Sachen im Futter des Wamses entdeckt und sicher verwahrt. Sie sammelt gerade Kräuter im Garten. Die Treppe hinunter, durch den Saal und hinter der Tür links. Ihr trefft sie dort auch dann noch an, wenn Ihr gegessen und Euch gewaschen habt.« Sie zögerte. »Ihr seid zu schmal für einen Bart. Im Zuber ist Wasser, und in der Schüssel liegt Laugenseife. Wir machen die Seife selbst. Sie braucht den Vergleich mit gekaufter nicht zu scheuen, vor allem nicht mit dem albernen parfümierten Zeug aus Frankreich, für das sie in London horrende Preise verlangen.«

Sie marschierte zur Tür. Dort blieb sie abrupt stehen, als hätte sie etwas vergessen, und drehte sich zu mir um. Hektisch riss ich das zerknitterte Laken vom Bett und schlang es mir um die Hüften. Elizabeths Gouvernante schien das nicht wahrzunehmen. »Wir schulden Euch Dank«, ließ sie mich wissen. »Mistress Stafford hat uns erzählt, dass Ihr Ihrer Hoheit geholfen habt, Seine Majestät, ihren Bruder, zu besuchen, Gott sei seiner Seele gnädig. Und Euch hat sie es zu verdanken, dass sie danach den Klauen des Herzogs entronnen ist. Wärt Ihr nicht gewesen, wer weiß, was dann aus ihr geworden wäre. Northumberland hat ihr seit jeher nichts als Schaden zufügen wollen. Ich habe sie davor gewarnt, dieses Gut zu verlassen, aber sie hat einfach nicht auf mich gehört. Sie hört ja nie auf mich oder sonst wen. Sie hält sich für unbesiegbar. Das wird eines Tages ihr Untergang sein. Merkt Euch meine Worte.«

Sie redete wie ein Wasserfall! Wer hätte das geahnt?

Ich senkte den Kopf. »Es war mir eine Ehre, zu Diensten sein zu können.«

»Ja, gut«, schnaubte sie. »Ihr zu dienen hat nichts Zauberhaftes – das werdet Ihr schon noch zu spüren bekommen. Und ich muss es wissen, denn ich bin bei ihr, seit sie ein Dreikäsehoch war. Streitsüchtig wie keine andere auf der Welt. Seit jeher war es immer sie, die ihren Kopf durchsetzen musste. Und trotzdem liebt ihr ganzer Hofstaat sie über alles. Sie hat eine ganz besondere Art, sich einem ins Herz zu stehlen. Dagegen kommt man einfach nicht an. Bevor du weißt, wie dir geschieht, hat sie dich um ihren hübschen Finger gewickelt.« Sie drohte mir schelmisch mit dem Zeigefinger. »Und gerade dann ist höchste Vorsicht angebracht. Sie kann gerissen sein wie eine Katze, wenn ihr danach ist.« Sie lächelte mich an. »Na gut, ich muss weiter. Im Moment werdet Ihr von allen beiden erwartet, und es fällt mir schwer zu entscheiden, welche von ihnen weniger hohe Ansprüche stellt. Wascht Euch gründlich. Ihre Hoheit hat eine Nase wie ein Bluthund. Es gibt nichts, was sie mehr hasst als Schweißgeruch oder zu viel Parfum.«

Die Tür fiel zu. Mit Heißhunger machte ich mich über die Mahlzeit her. Nachdem ich mich satt gegessen hatte, wusch ich mich von oben bis unten und holte mir die frischen Kleider aus dem Schrank. Zu meiner Erleichterung befand sich dort auch meine Satteltasche. Vorsichtig zog ich das in Leder gebundene Buch heraus, dem die letzten Tage arg zugesetzt hatten. Sofort schlug ich die erste Seite auf, wo die mit blauer Tinte handgeschriebene Widmung stand, auch wenn sie mittlerweile verblasst war.

Votre amie, Marie.

Ich streichelte die geneigten Buchstaben, verfasst von einer geliebten Hand, die ich nie hatte spüren dürfen. Wehmütig legte ich den Band auf das Nachtkästchen. Später wollte ich Mistress Alice’ Lieblingspsalm lesen. Und in Erinnerungen schwelgen. In diesen Erinnerungen würde meine geliebte Alice immer eine Mistress sein, obwohl sie aufgrund ihrer Geburt Angehörige eines höheren Standes war und die Anrede »Dame Alice« angemessen gewesen wäre.