»Aber du wirst dem Wunsche der Sterbenden nicht widersprechen?« bat er demütig.

»Ich werde nicht widersprechen.«

»Und wir fahren heim in unser stilles Neuhaus, Klaudine?«

»Nein«, erwiderte sie bestimmt, »o nein! Ich gehe nicht von ihr, die so schwer um mich gelitten, hat, solange sie am Leben ist. Ich fürchte mich nicht mehr, denn ich weiß jetzt, daß du und ich zusammengehören für immer, daß du mir vertraust und an mich glaubst, immer, ohne Wanken. Und du, du reisest indes. Noch einmal gebe ich dir Urlaub, und dann, wenn du zurückkehrst, wenn mein Herz sich wieder freuen kann, wenn ich glaube, das Recht zu haben, glücklich zu sein, dann komme ich zu dir.«

28.

In den Gemächern der Herzogin hatte gegen Abend eine Trauung stattgefunden. Sie wußten es alle im Schloß, von der Leinenschließerin in der netten Mansardenwohnung bis zum Küchenjungen im Erdgeschoß, man wußte, daß der junge Ehemann gleich nach der Trauung abgereist war und daß Frau Klaudine von Gerold ihren Platz am Krankenbett der Herzogin eingenommen hatte.

Die hohe Frau befand sich sehr schwach heute abend. Bei der Feier war sie zugegen gewesen, sie selbst hatte mit zitternden Händen den Brautschleier über das schöne, blonde Haupt des Mädchens gelegt. Seine Hoheit, die Herzoginmutter und Frau von Katzenstein waren die anderen Trauzeugen gewesen. Noch im Beisein der Herrschaften hatte das junge Paar Abschied voneinander genommen.

Und nun saß neben Klaudine am Fußende des Himmelbettes eine kleine, zierliche Gestalt, und beide hatten verweinte Augen. Die Herzogin war nach der Trauungsfeierlichkeit ohnmächtig geworden, und der Medizinalrat hatte sich zum Herzog begeben und ihn flüsternd auf das Unabweisliche vorbereitet.

Da draußen waren die Schneewolken zerrissen, und die Sterne blitzten herab auf die winterliche Erde. In den Zimmern der Prinzen schien die Ampel auf schlummernde, blonde Köpfchen. Sie ahnten nichts. Sonst wachte alles in dieser Nacht. Die Lichter des Schlosses flimmerten hinaus in die Schneelandschaft, und dort unten in den Häusern der Stadt betete man für die allzeit hilfsbereite Herrin, die auf ihrem Sterbebette lag.

Im Vorzimmer ging der Herzog auf und ab. Zuweilen warf er einen Blick in das Schlafgemach seiner Gemahlin. Dann hörte er eine leise Stimme: »Adalbert, ist Klaudine fort?« – Und die junge Frau rückte geräuschlos an die Seite des Bettes. »Du bist noch da?« fragte die Kranke.

»Laß mich bei dir bleiben, Elisabeth,« bat Klaudine, »Gerold hat noch verschiedenes zu ordnen, bevor ich nach Neuhaus kommen kann.«

Die Herzogin lächelte schwach.

»Du verstehst ja nicht zu lügen, Klaudine, ich weiß, weshalb du bleibst! Armes Kind, welch traurige Hochzeit! – Ruf Adalbert!« stieß sie dann hervor. »Ist Helene da?«

Die Prinzeß kam. Dicht nebeneinander standen Klaudine und sie.

»Gebt euch die Hand«, bat die Herzogin.

Prinzeß Helene faßte die Hand der jungen Frau. »Vergeben Sie mir!« sagte sie leise weinend.

»Und nun ruft Adalbert!« forderte die Kranke.

Er kam, setzte sich auf den Rand ihres Bettes, und sie drückte ihm stumm die Hände.

»Wenn ich leben könnte, dich zu trösten, mein armer Freund!« flüsterte sie. »Es ist so schwer, entsagen zu müssen, ich weiß es. Aber – sie liebten sich nun einmal, und du, du gehst so leer aus, so leer! Ach, wenn es in meiner Macht gestanden hätte, wie glücklich solltest du werden!«

»Sprich nicht so«, sagte er. »Ich werde nur unglücklich, mein Liesel, wenn du mich verläßt!«

»Sag noch einmal ›mein Liesel‹«, bat sie und sah ihn an, und die fast erloschenen Augen flammten noch einmal in dem alten innigen Liebesschein.

»Mein Liesel!« flüsterte er mit versagender Stimme.

Sie drückte seine Hand.

»Nun geh, Adalbert, ich will schlafen, ich bin so müde – küsse die Kinder – geh!« drängte sie.

Und sie schlief.

Die junge Frau saß treu wachend an ihrem Lager. Nur einmal war es, als lege sich minutenlang eine zwingende Müdigkeit auf ihre Augen. Kaum eine Minute mochte es gewährt haben, da raffte sie sich auf, von einem Schauer erweckt. Die Herzogin lag so seltsam ruhig da, ein Lächeln auf den Lippen, die Hände gefaltet.

Klaudine faßte ihre Hand. »Elisabeth!« sagte sie angstvoll.

Sie hörte es nicht mehr.

Auch die Prinzessin trat näher und sank schluchzend vor dem Bette nieder. Der Herzog kam und der Arzt, die alte Hofdame –

Es war so still, so beängstigend still in dem hellen, prächtigen Raum.

Dann gingen sie alle, nur der Herzog und Kiaudine blieben zurück. Sie saßen am Bette der Toten, und durch die geöffneten Fenster des Nebenzimmers schollen die tiefen Klänge der Kirchenglocken herein, die an diesem kalten, dunklen Wintermorgen dem Lande verkündeten, daß seine Fürstin schlafe, den langen, ewigen Schlaf.

So hielten sie Totenwache, die beiden, die ihr die liebsten Menschen gewesen.

29.

Im Garten des Eulenhauses blühten Leberblümchen, und gelbe, blaue und weiße Krokusse lugten aus der schwarzen Frühlingserde hervor. Der alte Heinemann schaffte emsig an seinen Rosenstöcken, nahm ihnen die Winterhülle und band sie an die frisch gestrichenen Pfähle. Die Sonne hatte über Mittag schon heiß auf die alten Grabsteine geschienen, und die jungen Blättchen regten und dehnten sich, sie sehnten sich nach Luft und Licht.

Hinter den blitzblanken Fensterscheiben tauchte Fräulein Lindenmeyers freundliches Gesicht auf. Zuweilen wandte sie redend den Kopf in das Zimmer zurück, dort stand die kleine, runde Ida und legte Wäsche. Die Ida war wieder hier, auf Verlangen der jungen Frau von Gerold, weil diese doch über kurz oder lang nach Neuhaus übersiedeln wollte. Wann? Ja, das wußte niemand. Der Herr Baron war noch immer auf Reisen, und seine junge Gattin trug noch tiefe Trauer um die Herzogin.

Merkwürdig, was heute die schmalen Frauenfüße für eine Unrast entwickelten. Die gnädige Frau war im ganzen Hause umhergestiegen mit dem klappernden Schlüsselbund, hatte in alle Schränke und Spinde geschaut, des Herrn Wäscheschrank nachgesehen und die Kleider des Kindes, sie hatte das Wirtschaftsbuch nachgerechnet und die kleine Haushaltungskasse. Nun schüttelte sie über sich selbst und ihre Unruhe den Kopf, sie begriff sich heute nicht. Sie hatte weder die nötige Sammlung, zu schreiben, noch konnte sie sich heute entschließen, ihr Feierstündchen am Klavier zu halten, worauf sie sich sonst den ganzen Tag schon freute. Sie meinte endlich, es sei am besten, wenn sie einen Spaziergang mache. Da sie ohnehin seit mehreren Tagen Beate und die Kleine in Neuhaus nicht gesehen hatte, beschloß sie, dorthin zu wandern. Vielleicht wußte Beate auch näheres über Lothars Reisepläne. Seine letzten Nachrichten hatte sie aus Mailand empfangen.

Sie hatten sich nicht geschrieben, Klaudine und er, die junge Frau wollte es nicht. »Wir können uns ja mündlich alles erzählen«, hatte sie gebeten, »es ist das so viel schöner. Ich erfahre ja von Beate, ob du gesund bist und wo du weilst.«

Sie band sich den Mantel um, schlug das Spitzentuch über den Kopf und ging hinauf, um sich von Joachim zu verabschieden.

»Wo willst du hin?« fragte er.

»Zu Beate, Joachim.«

Er war aufgestanden und sah sie liebevoll an. »Wie bald wird die Zeit kommen, wo du ganz fortgehst!« sagte er.

»Ich komme mir bei dem Gedanken, daß ich dich eines Tages verlassen werde, schon ganz treulos vor.«

»O mein Liebling, du ahnst nicht, wie froh ich bin, dich glücklich zu wissen!« Und er begleitete sie hinunter bis zur Gartenpforte.

Es senkte sich schon die Dämmerung über die Bäume, die Wolken zogen rasch dort oben am Himmel, aber der Wind, der sie trieb, war lind und weich, und er wehte den Schleier zurück von der weißen Stirn der jungen Frau und beugte die knospenden Äste zueinander, er fuhr über das junge Gras am Wegesrand und erzählte von kommender Herrlichkeit, von Blütenpracht und Sonnenglanz. Mit eiligen Schritten kam sie daher, so schwebend und leicht, als habe sie Flügel. Sie sah bald in die Wellen des Baches, der ihr zur Seite rauschte, das letzte Schneewasser von den Bergen führend, bald in die Wolken hinauf, und Lächeln und Ernst gingen in beständigem Wechsel über ihr Gesicht. Es war ihr so eigen zumute, und einmal sagte sie halblaut: »Wenn er schon da wäre?«

Am Eingang des Neuhäuser Parkes blieb sie stehen. In der Lindenallee rauschte der Wind durch die Äste und das Schloß lag so still und so dunkel. Einen Augenblick wollte mädchenhafte Scheu ihre Füße lähmen, herzklopfend und erglühend lehnte sie an dem Sandsteinpfeiler und wagte nicht, den Fuß in den Garten zu setzen. Wieder kam es wie Ahnung über sie: »Wenn er schon hier wäre?« Noch hatte niemand sie gesehen, das war gut! Sie meinte plötzlich, sie müsse umkehren.

Dann drückte sie sich ängstlich zur Seite, die Allee entlang kam ein Reiter in raschem Trabe. Sie erkannte ihn trotz der tiefen Dämmerung, sie wußte, wohin er reiten würde, und ein unaussprechliches Glücksgefühl bemächtigte sich ihrer. Aber er durfte sie nicht sehen. Dann schrie sie leicht auf, der Jagdhund, der in tollen Sprüngen das Pferd umkreiste, hatte sie erkannt und stürmte auf sie zu. Im nämlichen Augenblick stand das Pferd, sein Reiter warf sich aus dem Sattel und hielt die junge Frau umfaßt.

»Endlich!« sagte er. »Und du bist hier – hab Dank!«

Sie konnte nicht antworten, sie weinte nur. Und als sie langsam dem Hause zuschritten, da sagte sie endlich: »Ich habe gefühlt, daß du hier bist. Wann kamst du, Lothar?«

»Vor einer Viertelstunde, mein Lieb.«

»Wo wolltest du eben hin?« fragte sie, und ein schelmisches Lächeln, das dem ernsten Antlitz wunderbar gut stand, flog um ihren Mund.

»Zu dir, Klaudine«, erwiderte er einfach.