»Du irrst dich!« rief Klaudine angstvoll und streckte abwehrend ihre Hand gegen die Herzogin aus. »Du irrst dich, Seine Hoheit liebt mich nicht mehr, es ist ein Wahn von dir! Du darfst nicht über solche Hirngespinste grübeln, du durftest deshalb nicht kommen.«

»O, glaubst du, Dina, daß man die Liebe auszieht wie ein Kleid?« fragte die Herzogin bitter, »daß man sich vornehmen kann, etwa als wolle man einen Spaziergang machen: von heute ab wird nicht mehr geliebt – Punktum? So ist das Herz nicht beschaffen.«

Klaudine schwieg. »Ich werde mich nie verheiraten«, sagte sie dann leise und bestimmt, »wenn nicht beider Herzen sich einander zuneigen, nie! Verzeihe, Elisabeth, ich darf dir keine trügerischen Versprechungen machen. Verfüge über alles, alles! Über mein Leben, wenn es sein muß, nur verlange das nicht!«

Die Herzogin blickte mit weinenden Augen an Klaudine vorüber. Ein Weilchen blieb es ganz still im Gemach.

»Armer Mann! Ich hatte es mir so schön gedacht für dich«, sagte sie dann mehr zu sich selbst. »Es soll nicht sein!« Und etwas lauter: »Welche Verwirrung – du liebst Lothar, und er – arme kleine Prinzessin!«

»Elisabeth!« schrie Klaudine auf und ihre erblaßten Lippen zitterten. »Ich will ja sein Glück nicht hindern – was denkst du von mir? Nie! Nie! Erweise mir eine Liebe«, fuhr sie hastig fort, »gib ihm in meinem Namen seine Freiheit zurück. Ich weiß, du sprichst mit ihm über diesen Punkt.«

»Morgen«, sagte die Herzogin.

»So gib ihm das!« Sie zog heftig den Brautring von ihrem Finger. »Hier ist das Glück der Prinzessin, nimm es und laß mich meine eigenen Wege gehen, allein, fern von allem, was mich an ihn erinnert!«

Sie sprang empor und ging zur Tür hinüber.

»Klaudine«, bat die Herzogin mit ihrer schwachen Stimme, und ihre kranken Hände umschlossen den Ring, »Dina, geh nicht so von mir! Wer ist die Ärmere von uns beiden? Hilf mir lieber, daß noch etwas Segen aus all dem werde.«

Klaudine kam zurück. »Was soll ich noch tun?« fragte sie geduldig.

Die Herzogin bat um Wasser. Dann hieß sie Klaudine ein Kästchen bringen, öffnete dieses und reichte dem Mädchen ein Stück Papier.

»Es ist ein Verzeichnis der kleinen Andenken, die ich nach meinem Tode verteilt wissen will. Bewahre es, es ist eine Abschrift, das Original hat der Herzog.«

»Du sollst dich nicht so aufregen, Elisabeth.«

»O, ich werde ruhiger sein, wenn alles geordnet ist, Dina. Lies noch einmal laut, ob ich auch nichts versäumte. Es soll niemand sagen: Sie vergaß mich!«

Mit bebender Stimme las Klaudine. Zuweilen machte ein Tränenflor ihren Augen die Schrift unleserlich, es war alles so zart ausgewählt, es zeugte jedes einzelne von einem so innigen tiefen Gemüt.

»Meiner lieben Klaudine gehöre der Schleier aus Brüsseler Spitzen, den ich als Braut getragen –«

Eine flammende Röte schlug über des Mädchens vergrämtes Gesicht. Sie wußte, was die Herzogin gemeint hatte.

»Nimm es zurück, nimm es zurück!« schluchzte sie und kniete am Bette nieder.

»O wie schlimm! O wie schlimm!« sagte die Herzogin, »du und er – unglücklich. Ihr, meine beiden liebsten Menschen!«

Klaudine küßte die heißen Hände der Kranken und eilte hinaus. Der Schmerz tobte zu heftig in ihr. Im Wintergarten unter den Magnolien und Palmen weinte sie sich aus. Nach einigen Minuten war sie so weit gefaßt, daß sie ruhig »Gute Nacht!« wünschen konnte. Als sie durch die seidenen Vorhänge hinüberspähte zu dem Bette, lag die Kranke anscheinend im Schlummer, einen gramvollen Zug um den Mund.

Im Vorzimmer traf Klaudine den alten Medizinalrat, der sie freundlich begrüßte.

»Ist es denn wirklich so nahe, das Ende?« fragte das erschütterte Mädchen.

Er reichte ihr zutraulich die Hand. »Solange noch Atem ist, gnädiges Fräulein, ist auch Hoffnung. Aber nach menschlichem Ermessen – Hoheit wird auslöschen wie ein Licht, wird eines Tages vor Erschöpfung einschlafen.«

Klaudine deutete unwillkürlich nach ihrem Arme. »Herr Rat?«

»Ach, gnädiges Fräulein«, sagte der alte Mann gerührt, »das hilft nicht mehr. Hier ist es vorbei, hier!« Und er deutete auf die Brust. »Ich will noch zum Herzog, um von dem Befinden Ihrer Hoheit Nachricht zu bringen«, sprach er leise, indem er neben der jungen Dame den Flur entlang ging. »Seine Hoheit hat übrigens gleich eine sehr unerfreuliche Überraschung hier vorgefunden. Sie wissen doch schon? Palmer ist verschwunden und hat eine große Unordnung hinterlassen.«

»Er fuhr die vergangene Nacht nach Frankfurt«, sagte Klaudine betroffen, »er wollte vermutlich den Herrschaften entgegenreisen. Ich sah ihn auf dem Bahnhof in Wehrburg.«

»Dieser Schuft«, murmelte der alte Herr, »er ist längst jenseits der Grenze. Entgegengefahren? Wer hat Ihnen das vorgefabelt, gnädiges Fräulein?«

»Ich hörte, wie er zu Frau von Berg davon sprach.« Klaudine stand still, das ganze merkwürdige Erlebnis wurde ihr plötzlich klar.

»Die passen füreinander«, lachte der Arzt, »ich will es aber doch beiläufig Seiner Hoheit erzählen. Da werden wir morgen die Nachricht erhalten, daß auch die Gnädige verreist ist, mit Hinterlassung von allerhand merkwürdigen Sachen. Man soll nicht schadenfroh sein, aber Ihrer Durchlaucht gönnte ich es. Sie hat auf eine wunderbare Art die Dame beschützt. Gute Nacht, gnädiges Fräulein!«

Es war so. Am anderen Morgen erfuhr man im Schlosse, daß Frau von Berg plötzlich verschwunden sei. Sie hatte nichts weiter hinterlassen als ein Päckchen Briefe, an die Herzogin gerichtet, und einen Brief an Seine Hoheit. Aber der Schutzengel, der an der Schwelle des Krankenzimmers in Gestalt der Frau von Katzenstein Wache hielt, ahnte sofort, daß der Inhalt des Päckchens nicht geeignet sei für Ihre Hoheit, sie übergab es daher sogleich dem Herzog. Die alte Dame kam in dem Augenblick, als Seine Hoheit mit der Zornader auf der Stirn einen Haufen Papiere durchstöberte. Der Polizeidirektor war ebenfalls anwesend.

Der Herzog mochte glauben, Frau von Katzenstein bringe ihm Nachrichten von Ihrer Hoheit. Statt dessen reichte ihm die alte Dame nun ernsthaft ein mit himmelblauem Seidenbande umwundenes Päckchen Briefe hin, dessen oberster, unverkennbar von der Handschrift Seiner Hoheit, die Adresse der Frau von Berg trug.

Der Herzog ward blaß.

»Und das sollte man Ihrer Hoheit übergeben?« fragte er und sah schier fassungslos die Zeugen einer lustigen Junggesellenzeit an, von damals, wo man so gern abends bei Herrn und Frau von Berg saß und in dem blauen, koketten Gemach der schönen Frau Whist spielte. Dieses Weib, das niemals in einem Raume mit der Frau, deren Lebenszeit nur noch Tage zählte, hätte atmen dürfen, dieses Weib wagte es, noch an den Frieden des Sterbebettes zu rühren?

»Ich danke Ihnen, gnädige Frau!« sagte der Herzog erschüttert. Und er nahm die Briefe und warf sie in den Kamin, und jene anderen Papiere warf er ebenfalls nach. Unwillkürlich wischte er sich hinterher die Finger an dem Batisttuch. »Lassen Sie den Schuft laufen, Herr von Schmidt«, sagte er dann verächtlich und machte eine liebenswürdig verabschiedende Bewegung zu dem Polizeidirektor.

Der Herzog ging, nachdem jener sich entfernt hatte, sehr erregt im Zimmer auf und ab. Einer der Briefe, ein kleines Kärtchen, war da vor dem Kamin liegen geblieben. Der Herzog bemerkte es erst nach einer Weile und hob es auf. Es war Herrn von Palmers wohlbekannte Handschrift.

»Gestern abend«, las er, »habe ich der schönen Klaudine ein Briefchen des Herzogs überreichen müssen. Ich stahl es ihr, als ich ihr beim Einsteigen half. Anbei übergebe ich Ihrem großartigen erfinderischen Sinn das wertvolle Blättchen zu beliebiger Verwendung. Nun, mein Schätzchen wird die Mine so geschickt zu legen wissen, daß die kluge, uns beiden so freundlich gesinnte Dame in die Luft fliegt –«

»Also Palmer auch hierin schuldig!« Er lächelte bitter und dachte an das heißblütige, dunkeläugige Geschöpfchen, dem man die Zündschnur zu dieser Mine in die Hand gab. Die Mine war explodiert, das erste Opfer lag da drüben, und die Verbrecher waren entkommen.

Dieser schlaue Mensch hatte sich wenigstens vorgesehen, hatte es verstanden mit lächelnder Natürlichkeit zu betrügen. Es war kein Bediensteter unter dem gesamten Personal des Hofhaltes, der nicht rückständigen Lohn zu fordern hatte, kein Hoflieferant, welcher Art es sei, der seit zwei Jahren einen Pfennig bekommen hätte. Im herzoglichen Rentamt drängten sich die Leute mit Forderungen, nachdem die Flucht Palmers bekannt geworden war.

Die in Geldsachen sehr peinliche Herzoginmutter war darüber empört, einen Landauer zum zweiten Male bezahlen zu müssen, und ertrug dennoch nur mit Mühe den Gedanken, daß sie in eben diesem Wagen ganz ruhig an dem Hause des Fabrikanten vorübergefahren sei, der so oft untertänige Mahnbriefe an Palmer geschickt hatte.

Klaudine erfuhr dies alles durch die Zofe, es erregte kaum flüchtig ihr Interesse. Sie dachte nur an das, was das Heute ihr bringen würde, an die Entscheidung ihres Schicksals. Die Nachrichten über das Befinden der Herzogin lauteten nicht schlechter, sie hatte einige Stunden geschlafen, aber noch nicht die Gegenwart der Freundin gewünscht.

Klaudine stand am Fenster und sah hinaus in den grauen Novemberhimmel. Es schneite noch immer, so düster lag die Welt vor ihren Blicken, so tot. Eine dunkle Röte überzog plötzlich ihr Antlitz – ein Wagen rollte in den Hof und hielt vor dem Tor des Flügels, den die Herzogin bewohnte. Da ihr Zimmer in dem Mittelbau lag, in dem die Prachträume sich befanden, konnte sie deutlich sehen, wer dem Wagen entstieg und das Schloß betrat. Er war es. Eben verschwand Lothars hohe Gestalt hinter den spiegelnden Glasscheiben der inneren Tür. Er kam, Ihrer Hoheit die Antwort zu bringen!

Sie mußte sich fest aufstützen, so stürmte es auf ihre Seele ein. Was wollte der törichte Hoffnungsstrahl noch immer in ihrer gequälten Seele? Er liebte sie nicht, nein, nein! Einmal, einmal hatte ihr Herz töricht in Wonne geklopft, das war in jener dunklen Sommernacht, als er dahergeritten kam, um nach ihrem Fenster zu lauschen – einen Augenblick, einen einzigen süßen, herzverwirrenden Augenblick. Aber die Ernüchterung folgte auf dem Fuße.