»Nun, ich habe Euch etwas gefragt«, ließ er sich verärgert vernehmen.

Sie nahm seinen Arm und lenkte ihn langsam an der Estrade entlang den anderen nach. Über ihrer hochgetürmten Frisur wehten die seidig-weißen Federn wie fröhliche Wimpel der Zuversicht.

»Ich meinte«, sagte sie, »daß das, was da aus sehr berufenem Munde so hübsch über Euch gesagt wurde, auch auf mich zutreffen könnte. Ihr kennt mich kaum, Philippe, aber ich wünschte von Herzen, daß Ihr mich besser kennenlerntet.«

Sie sah von neuem zu ihm auf, und diesmal war ihr Blick klar und ernst, und nichts war in ihm, das ihn an das Berechnende, Habgierige, Listig-Verschlagene des Weibes gemahnte, das er zu hassen gelernt hatte.

Für einen kurzen überraschenden Augenblick legte sie ihre Stirn an die steife, kühle Seide seiner Brust, und wie in ihrer seltsamen Hochzeitsnacht weckte der zarte, gebeugte Nacken, der da schlank aus der Pracht des grünsilbrigen Brokats herauswuchs, jenes mysteriöse, fast zärtliche Gefühl, das er niemals zuvor gekannt hatte.

»Eure Haltung, Madame«, murmelte er mahnend, und diesmal lag keine Härte in seiner Stimme.

Gleich darauf schritten sie weiter, und während sie sich von ihm der Treppe zuführen ließ, war ihr Herz voller Hoffnung. Sie würde nicht mehr zurückblik-ken. Was gewesen war, war gewesen, so vernichtend sie jener Schlag auch getroffen hatte. Aber darauf kam es nicht an. Es kam darauf an, daß man überwand, daß man nicht liegenblieb, wenn einen das Schicksal zu Boden schleuderte, sondern alle Kräfte zusammenraffte, Schritt für Schritt sich wieder erhob, die Verzweiflung bezwang und das Herz bereit für das Kommende machte. Es würde gewiß nie wieder so sein, wie es einstmals gewesen war, aber auch mit dem dunklen Ballast des Leides würde man leben und froh sein können.

Sie verhielt zögernd den Schritt. Vor ihnen sank die breite Marmorkaskade der Treppe über Terrassen und Absätze in den Park hinab.

Sie hatten sich der Hofgesellschaft wieder angeschlossen und waren im Park angelangt. Das blaue Rieseln des Himmels, das sich mit dem der Wasserspiele mischte, die Sonnenstrahlen, die sich glitzernd auf der glatten Oberfläche der beiden großen Bassins der ersten Terrasse brachen, versetzten Angélique in sprachloses Staunen. Sie glaubte durch ein Paradies zu wandern, in dem sich jede Einzelheit wie in den elysäischen Gefilden der Antike auf geheimnisvolle Weise harmonisch ineinanderfügte.

Von der Terrasse aus konnte sie das herrliche Muster der schachbrettartig angeordneten Baumreihen sehen, die vom Reigen der weißen Marmorstatuen längs der kiesbestreuten Alleen begleitet wurden. Blumenrabatten breiteten sich buntschillernd wie Teppiche bis zum Horizont.

Angélique blieb regungslos stehen und hob in kindlichem Entzücken die Hände zum Mund. Ein sanfter Wind wehte ihr die weißen Federn ihres Kopfputzes ins Gesicht.

Am Fuß der Treppe fuhr die Kalesche des Königs vor. Schon im Begriff, einzusteigen, besann er sich eines andern und stieg noch einmal die Stufen hinauf. Angélique sah ihn plötzlich allein neben sich, denn durch eine kaum wahrnehmbare Geste hatte er die andern zum Zurückbleiben veranlaßt. »Ihr bewundert Versailles, Madame?« erkundigte er sich.

Angélique machte eine Reverenz und erwiderte anmutig:

»Sire, ich danke Eurer Majestät, daß Sie Ihren Untertanen soviel Schönheit vor Augen führt. Die Geschichte wird Ihr dafür dankbar sein.«

Ludwig XIV. schwieg eine Weile. Nicht etwa, weil das Lob, an das er gewöhnt war, ihn verwirrt hätte, sondern weil es ihm schwerfiel, das auszudrücken, was er sagen wollte.

»Seid Ihr glücklich?« fragte er schließlich.

Angélique blickte zur Seite, und in Sonne und Wind wirkte sie plötzlich jünger, fast kindlich, wie ein junges Mädchen, das weder Sorge noch Schmerz kennt.

»Muß man in Versailles nicht glücklich sein?«

»Dann weint nicht mehr«, sagte der König, »und macht mir heute die Freude, zu mir in die Kalesche zu steigen. Ich möchte Euch den Park zeigen.«

Angélique legte ihre Hand in die Ludwigs XIV. Mit ihm zusammen schritt sie langsam die Stufen hinab. Die Höflinge verneigten sich, als sie an ihnen vorüberkamen.

Während sie neben Athénaïs de Montespan Platz nahm, den beiden Prinzessinnen und Seiner Majestät gegenüber, gewahrte sie flüchtig Philippes Gesicht, und es war ihr, als lächle er ihr zu. Ja, er lächelte, sie war dessen gewiß.

Sie hätte sich in die Lüfte schwingen mögen, so leicht fühlte sie sich. Die Zukunft erschien ihr blauer noch als der Horizont. Nun war Wirklichkeit geworden, was Sinn und Absicht ihres Strebens gewesen war: Ihre Söhne würden nie mehr in Armut leben. Sie würden auf der Akademie von Mont-Parnasse zu Edelleuten erzogen werden. Sie selbst würde eine der gefeiertsten Frauen des Hofes sein.

Und da der König es ausdrücklich gewünscht hatte, wollte sie versuchen, die Bitterkeit aus ihrem Herzen zu vertreiben. Im Grunde wußte sie genau, daß das Feuer der Liebe, das sie verzehrt hatte, das furchtbare Feuer, das ihre Liebe verzehrt hatte, nie erlöschen würde.

Doch das Schicksal, das nicht ungerecht ist, wollte, daß Angélique für eine Weile auf dem verwunschenen Hügel haltmachte, um aus dem Rausch der Erfüllung und dem Triumph ihrer Schönheit neue Kräfte zu schöpfen.

Danach würde sie ihren abenteuerlichen Lebensweg weitergehen. Aber heute fürchtete sie nichts mehr. Sie hatte Philippe bezwungen, sie hatte den König gewonnen. Sie war in Versailles!