Ihre reich vergoldete, innen und außen mit grünem Samt und goldenen Fransen verzierte Kutsche wurde von zwei kräftigen Apfelschimmeln gezogen. Sie selbst trug ein Kleid aus graugrünem Brokat mit silbernem Blumenmuster. Als Schmuck eine mehrmals um den Hals geschlungene, prachtvolle Perlenkette, die ihr der Fürst Condé geschenkt hatte.

Ihr von Binet geputztes Haar war gleichfalls mit Perlen sowie mit zwei seidig-leichten, makellos weißen Federn geschmückt, die wie ein Schmuck aus Schneegespinst wirkten. Ihr sorgfältig, aber diskret geschminktes Gesicht wies keine Spuren der Gewalttätigkeiten mehr auf, deren Opfer sie einige Tage zuvor gewesen war. Nur an der Schläfe war ein blaues Mal zurückgeblieben, das Ninon durch ein herzförmiges Schönheitspflästerchen verdeckt hatte.

Sie streifte ihre Handschuhe über, schlug ihren handgemalten Fächer auf und beugte sich aus dem Wagenfenster. »Nach Versailles, Kutscher!«

Ihre Spannung und ihre Freude machten sie so nervös, daß sie Javotte mitgenommen hatte, um während der Fahrt mit jemandem plaudern zu können.

»Wir fahren nach Versailles, Javotte«, sagte sie zu der Kleinen, die in Musselinhaube und bestickter Schürze vor ihr saß.

»Oh, da bin ich schon einmal gewesen, Madame! Mit dem Schiff, an einem Sonntag ... um den König speisen zu sehen.«

»Das ist nicht dasselbe, Javotte, aber das kannst du nicht verstehen.«

Die Fahrt kam ihr endlos vor. Die Straße war schlecht, ausgehöhlt von den zweitausend Karren, die täglich von Paris nach Versailles und wieder zurück fuhren, um Steine und Gips für den Bau des Schlosses sowie Bleiröhren und Statuen für die Gärten heranzuschaffen.

Alle Augenblicke steckte Angélique ungeduldig den Kopf durch das Wagenfenster, auf die Gefahr hin, Binets kunstvollen Aufbau zu zerstören und mit Straßenkot bespritzt zu werden.

»Beeil dich, Kutscher, potztausend! Deine Pferde sind die reinen Schnecken!«

Aber schon sah sie am Horizont einen hohen, rosigen, glitzernden Felsen aufragen, der ein blendendes Licht in den Frühlingsmorgen auszustrahlen schien. »Was ist das, Kutscher? Das dort drüben?«

»Madame, das ist Versailles.«

Eine Reihe frisch gepflanzter Bäume beschattete dürftig die letzten Meter der Allee. Kurz vor dem ersten Tor mußte Angéliques Kutsche halten, um eine Equipage vorbeizulassen, die sich in gestrecktem Galopp aus der Richtung von Saint-Cloud her näherte. Das rote, von sechs Pferden gezogene Fahrzeug wurde von Berittenen eskortiert. Man sagte, es sei Monsieur. Madames Kutsche folgte, mit sechs Schimmeln bespannt.

Angélique befahl dem Kutscher, sich den beiden anzuschließen. Sie glaubte nicht mehr an unglückverheißende Befürchtungen, an Behexung. Eine Gewißheit, die stärker war als alle Befürchtungen, sagte ihr, daß die Stunde ihres Triumphs gekommen sei. Sie hatte sie teuer genug bezahlt.

Indessen wartete sie eine Weile, bis sich der durch die Ankunft der hohen Herrschaften verursachte Trubel gelegt hatte, dann verließ sie den Wagen und stieg die Stufen hinauf, die zum Marmorhof führten. Flipot, in die blaugelbe Livree der du Plessis gesteckt, hielt die Schleppe ihres Mantels.

»Wisch dir nicht die Nase an deinem Ärmel ab«, sagte sie zu ihm. »Denk daran, daß wir in Versailles sind.«

»Jawohl, Madame«, seufzte der ehemalige Küchenjunge der »Roten Maske«, der vor Verwunderung über das, was es da ringsum zu sehen gab, den Mund nicht zubekam.

Versailles präsentierte sich noch nicht in der erdrük-kenden Großartigkeit, die ihm die beiden weißen, von Mansart gegen Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. hinzugefügten Flügel verleihen sollten. Es war ein Märchenpalast, der sich da auf dem schmalen, kleinen Erdhügel erhob, mit seiner heiteren, rosa- und mohnfarbenen Architektur, seinen schmiedeeisernen Balkons, seinen hohen, hellen Kaminen. Die Zinnen waren vergoldet und funkelten wie der Juwelenbesatz eines kostbaren Kästchens.

Lebhaftes Treiben herrschte in der Umgebung des Schlosses, und die bunten Livreen der Diener und Lakaien mischten sich mit den dunklen Kitteln der Arbeiter, die mit ihren Schubkarren und ihrem Handwerkszeug kamen und gingen. Das singende Geräusch der den Stein bearbeitenden Meißel antwortete den Schellentrommeln und Querpfeifen einer Kompanie Musketiere, die in der Mitte des großen Hofs paradierte.

Angélique sah sich um, begegnete aber keinem bekannten Gesicht. Schließlich betrat sie das Schloß durch eine Tür des linken Flügels, durch die viele Leute aus und ein gingen. Eine breite Treppe aus farbigem Marmor führte in einen Salon, in dem sich eine Menge einfach gekleideter Menschen drängte, die sie verwundert betrachteten. Sie erkundigte sich. Man sagte ihr, sie befinde sich im Saal der Wache, wohin jeden Montag die Bittsteller kämen, um ihre Gesuche abzugeben oder sich die Antworten auf ihre letzten Anträge abzuholen. Im Hintergrund des Raums vertrat ein vergoldeter Behälter in Form eines Kirchenschiffs die Person des Königs, aber man hoffte, Seine Majestät werde persönlich erscheinen, wie er es zuweilen tat.

Angélique kam sich mit ihren Federn und ihrem Pagen zwischen den ausgedienten Soldaten, Witwen und Waisen recht deplaciert vor und wollte sich eben zurückziehen, als sie Madame Scarron entdeckte. Sie fiel ihr um den Hals, froh, endlich jemand Bekannten zu begegnen.

»Ich suche die Hofgesellschaft«, sagte sie zu ihr. »Mein Gatte muß wohl beim Lever des Königs sein, und ich möchte zu ihm.«

Madame Scarron, ärmlicher und bescheidener denn je, schien wenig geeignet, ihr über das Tun und Lassen der Höflinge Auskunft zu geben. Aber seitdem sie danach trachtete, eine Rente zu bekommen, und zu diesem Zweck regelmäßig die königlichen Vorzimmer aufsuchte, war sie über das Programm des Hofs genauer im Bilde als der Neuigkeitskrämer Loret, der mit seiner Protokollierung beauftragt war.

Zuvorkommend zog sie Angélique zu einer anderen Tür, die zu einer Art breitem Balkon führte, hinter dem man die Gärten erblickte.

»Ich glaube, das Lever des Königs ist zu Ende«, sagte sie. »Er ist soeben in sein Kabinett gegangen, wo er sich eine Weile mit den Damen königlichen Geblüts unterhalten wird. Dann geht er in den Park hinunter, so er nicht hierher kommt. Jedenfalls tut Ihr am besten, wenn Ihr dieser offenen Galerie folgt. Ganz am Ende, zu Eurer Rechten, werdet Ihr das Vorzimmer finden, das zum Kabinett des Königs führt. Jedermann begibt sich zu dieser Stunde dorthin. Ihr werdet mühelos Euren Gatten finden.«

Angélique warf einen Blick auf den Balkon, der, abgesehen von einigen Wachen, nahezu verlassen war.

»Ich komme um vor Angst. Wollt Ihr mich nicht begleiten?«

»O meine Liebe, wie könnte ich das?« sagte Françoise bestürzt und warf einen verlegenen Blick auf ihr dürftiges Kleid.

Angélique wurde sich jetzt erst des Kontrastes ihrer Kleidung bewußt.

»Warum seid Ihr hier als Bittstellerin? Habt Ihr immer noch Geldsorgen?«

»Ach, mehr denn je! Der Tod der Königin-Mutter hat die Streichung meiner Rente zur Folge gehabt. Ich komme in der Hoffnung, daß man sie mir aufs neue gewährt. Monsieur d’Albert hat mir seine Fürsprache zugesagt.«

»Ich wünsche Euch, daß Ihr Erfolg haben mögt. Ich bin untröstlich ...« Madame Scarron lächelte freundlich und streichelte ihr die Wange.

»Das sollt Ihr nicht sein. Es wäre schade. Ihr wirkt so wunderbar glücklich, und Ihr verdient Euer Glück, Liebste. Ich freue mich, daß Ihr so hübsch ausseht. Der König ist sehr empfänglich für Schönheit. Ich zweifle nicht, daß er von Euch bezaubert sein wird.«

»Aber ich fange an, daran zu zweifeln«, dachte Angélique, deren Herz unruhig klopfte. Die Pracht von Versailles brachte ihr die Verwegenheit ihres Beginnens zum Bewußtsein. Wirklich, sie war nicht bei Sinnen. Aber was tat es schon! Sie würde es nicht dem Läufer gleichtun, der kurz vor dem Ziel zusammenbrach .

Nachdem sie Madame Scarron zaghaft zugelächelt hatte, machte sie sich auf den Weg über die Galerie, und in ihrer Erregung strebte sie so rasch voran, daß Flipot hinter ihr außer Atem geriet. Vom anderen Ende her schien ihr eine Gruppe entgegenzukommen, in deren Mitte Angélique selbst auf diese Entfernung unschwer die von Höflingen umgebene majestätische Gestalt des Königs erkannte.

Auf einen Stock aus Elfenbein mit goldenem Knauf gestützt, näherte er sich geschmeidigen Schritts, während er muntere Worte mit den beiden Prinzessinnen wechselte, die sich an seiner Seite befanden: seiner Schwägerin Henriette von England und der jungen Herzogin von Enghien. Heute nahm die offizielle Favoritin, Louise de La Vallière, am Spaziergang nicht teil. Seine Majestät war nicht böse darüber. Das arme Mädchen wurde immer weniger dekorativ. In der Intimität genossen, bot sie zwar noch einige Reize, aber an diesen schönen Vormittagen, an denen sich der ganze Glanz von Versailles entfaltete, fielen ihre Blässe und Magerkeit besonders auf. Besser, sie blieb in ihrer Abgeschiedenheit, wo er sie später aufsuchen und sich nach ihrem Befinden erkundigen würde.

Der Morgen war wirklich köstlich und Versailles wunderbar. Aber war es nicht die Frühlingsgöttin selbst, die in der Gestalt dieser unbekannten Frau auf ihn zukam ...? Die Sonne umgab sie wie mit einem Heiligenschein, und ihre Juwelen rieselten wie Tauperlen bis zu ihrer Taille hernieder .

Angélique hatte sofort eingesehen, daß sie sich durch plötzliches Umkehren lächerlich machen mußte. Sie setzte daher ihren Weg fort, verlangsamte aber ihren Schritt in jenem seltsamen Gefühl von Machtlosigkeit und Fatalismus, das man zuweilen im Traum empfindet. In dem Nebel, der sie umgab, erkannte sie nur noch den König, und sie fixierte ihn wie von einem Magnet angezogen. Sie hätte die Augen senken mögen, wenn sie es nur gekonnt hätte. So nah war sie ihm jetzt wie damals in jenem dunklen Raum des Louvre, in dem sie ihm Trotz geboten hatte, und alles erlosch in ihr außer dieser schrecklichen Erinnerung.