Ludwig XIV. war samt den Höflingen hinter ihm stehengeblieben. Lauzun, der Angélique erkannt hatte, biß sich auf die Lippen und verbarg sich frohlockend hinter den anderen. Man würde einer ungewöhnlichen Szene beiwohnen!

Überaus höflich nahm der König seinen mit feuerroten Federn geschmückten Hut ab. Da er für weibliche Schönheit sehr empfänglich war, verdroß ihn die verhaltene Beherztheit nicht, mit der diese da ihn aus ihren smaragdgrünen Augen anstarrte, sondern sie bezauberte ihn. Wer war sie? Wieso hatte er sie nicht schon früher bemerkt?

Indessen gehorchte Angélique einer plötzlichen Eingebung und versank in eine tiefe Reverenz. Halb kniend, wünschte sie sich, nie wieder aufstehen zu müssen, erhob sich aber dennoch von neuem, während sie, ohne sich dessen bewußt zu sein, den König herausfordernd ansah.

Der König wunderte sich. Es lag etwas Ungewöhnliches in der Haltung dieser Unbekannten, im Schweigen und in der Überraschung der Höflinge. Er blickte umher und runzelte leicht die Stirn, während Angéliques Hände zu zittern begannen. Sie war kraftlos, war wie erstorben.

Da griff eine Hand nach der ihren und preßte sie, daß sie fast aufgeschrien hätte, während Philippes Stimme ganz ruhig sagte:

»Sire, Eure Majestät möge mir verstatten, Ihr meine Frau, die Marquise du Plessis-Bellière, vorzustellen.«

»Eure Frau, Marquis?« sagte der König überrascht. »Die Mitteilung kommt recht unvermittelt. Ich hatte wohl etwas Euch Betreffendes sagen hören, jedoch erwartet, Ihr würdet mich persönlich in Kenntnis setzen .«

»Sire, es schien mir nicht nötig, Eure Majestät über eine solche Bagatelle in Kenntnis zu setzen.«

»Bagatelle? Eine Heirat! Seht Euch vor, Marquis, daß Monsieur Bossuet Euch nicht hört! Und diese Damen desgleichen! Beim heiligen Ludwig, seitdem ich Euch kenne, frage ich mich immer wieder von neuem, aus welchem Stoff Ihr geschaffen seid. Seid Ihr Euch bewußt, daß Eure Verschwiegenheit mir gegenüber geradezu eine Unverschämtheit bedeutet?«

»Sire, ich bin bestürzt, daß Eure Majestät mein Schweigen auf solche Weise auslegt. Die Sache schien so unwesentlich!«

»Schweigt, Monsieur, Eure Gewissenlosigkeit übersteigt jedes Maß, und ich dulde es nicht, daß Ihr in Gegenwart dieser reizenden Person, Eurer Frau, solche häßlichen Reden führt. Auf mein Wort, Ihr seid ein gefühlloser Mensch. Madame, was haltet Ihr von Eurem Gatten?«

»Ich will versuchen, mich an ihn zu gewöhnen, Sire«, antwortete Angélique, die wieder ein wenig Farbe bekommen hatte.

Der König lächelte. »Ihr seid eine vernünftige Frau. Und außerdem sehr schön. Beides findet man selten vereint! Marquis, ich verzeihe Euch um Eures guten Geschmacks . und ihrer schönen Augen willen. Grüne Augen? Eine seltene Farbe, die zu bewundern ich noch nicht oft Gelegenheit hatte. Frauen mit grünen Augen sind .«

Er hielt inne und versank einen Augenblick in Nachdenken, während sein Blick forschend auf Angéliques Gesicht ruhte. Sein Lächeln erlosch, und die Gestalt des Monarchen schien wie vom Blitz getroffen zu erstarren. Vor den Augen der zunächst verblüfften, dann erschrockenen Höflinge erblaßte er. Der Vorgang konnte niemandem entgehen, denn der König hatte die kräftige Hautfarbe der Sanguiniker, und sein Chirurg mußte ihn häufig zur Ader lassen.

»Stammt Ihr nicht aus dem Süden, Madame?« fragte er schließlich in brüskem Ton. »Aus Toulouse .?«

»Nein, Sire, meine Frau stammt aus dem Poitou«, fiel Philippe sofort ein. »Ihr Vater ist der Baron de Sancé de Monteloup, dessen Besitzungen in der Gegend von Niort liegen.«

»O Sire! Wie könnt Ihr eine Bewohnerin des Poitou mit einer Dame aus dem Süden verwechseln!« sagte Athénaïs de Montespan und brach in ihr hübsches Lachen aus.

Der tapfere Einwurf der jungen Frau, die sich dank der erwachenden Gunst des Königs dergleichen Keckheiten erlauben konnte, löste die allgemeine Verlegenheit. Die Farbe kehrte in das Gesicht des Monarchen zurück. Er zwinkerte Athénaïs belustigt zu.

»Freilich vereinigen die Frauen des Poitou alle Reize des Nordens und des Südens in sich«, seufzte er. »Aber nehmt Euch in acht, Madame, daß Monsieur de Montespan nicht genötigt ist, sich mit allen Gaskognern der Nachbarschaft einzulassen, die die ihren Damen zugefügte Beleidigung rächen möchten.«

»Habe ich sie beleidigt, Sire? Das lag nicht in meiner Absicht. Ich wollte nur sagen, daß man, sind auch die Reize beider Rassen gleich attraktiv, sie dennoch nicht miteinander vergleichen kann. Eure Majestät möge mir meine harmlose Bemerkung verzeihen.«

Das Lächeln der großen, blauen Augen war nichts weniger als zerknirscht, aber zweifellos unwiderstehlich.

»Ich kenne Madame du Plessis seit vielen Jahren«, fuhr Madame de Montespan fort. »Wir sind zusammen aufgewachsen. Ihre Familie ist mit der meinen verwandt .«

In ihrem ganzen Leben würde Angélique nie vergessen, was sie Athénaïs de Montespan verdankte. Was für Berechnungen ihrem Vermitteln auch zugrunde liegen mochten - sie hatte ihre Freundin gerettet.

Der König verneigte sich abermals mit einem besänftigten Lächeln vor Angélique du Plessis.

»Nun denn! Versailles ist beglückt, Euch begrüßen zu dürfen, Madame. Seid willkommen!«

Etwas leiser setzte er hinzu: »Wir sind erfreut, Euch wiederzusehen.«

Aus diesem letzten Wort ersah sie, daß er sie erkannt hatte, daß er sie aber trotzdem aufnahm und das Vergangene auslöschen wollte.

Ein letztes Mal zuckte die Flamme eines Scheiterhaufens zwischen ihnen auf.

In eine tiefe Reverenz versunken, fühlte Angélique eine Flut von Tränen in ihre Augen steigen.

Der König hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Sie konnte sich erheben und flüchtig ihre Augen trocknen. Dann warf sie Philippe einen ein wenig verlegenen Blick zu.

»Wie soll ich Euch danken, Philippe?«

»Mir danken?« stieß er unwirsch hervor. »Ich mußte meinen Namen vor der Lächerlichkeit bewahren! Ihr seid meine Frau, zum Teufel! Ich bitte Euch, in Zukunft daran zu denken. Einfach so nach Versailles zu kommen ...! Ohne eingeladen, ohne eingeführt zu sein! Und mit welcher Unverfrorenheit Ihr den König angeschaut habt ...! Kann man Euch denn wirklich Euren teuflischen Trotz nicht austreiben?«

Es schwang beinahe etwas wie Achtung in seiner Stimme.

»Oh, bitte, Philippe«, sagte sie, mit ihrem Fächer spielend, »verderbt mir nicht diesen schönen Tag!«

Sie sah lächelnd zu ihm auf. Die Tränen hatten in ihren Augen einen irisierenden Glanz zurückgelassen. Eine winzige, kaum wahrnehmbare Spur von Spott glitzerte in ihnen, aber noch etwas anderes ruhte in den flimmernden Tiefen ihrer blaugrünen Unergründlichkeit, etwas, das Philippe, sosehr er auch widerstrebte, auf eine ihm unbegreifliche Weise berührte. Es war etwas, das zwischen ihnen Gemeinsames schaffte, sie auf eine Art verband, die er nicht wollte und die er sich auf jeden Fall nicht erklären konnte. Einen flüchtigen Moment lang dachte er an das kleine Mädchen, das ihn vor langer Zeit im Dämmer des Treppenhauses von Monteloup mit zornsprühenden Augen angestarrt hatte. Wenn nichts sonst, war dieses Geschöpf doch von einem beachtlichen Stolz gewesen.

Er straffte die Schultern, wie um die ungewohnten Empfindungen abzuschütteln, und wandte sich zum Gehen.

»Kommt, Madame«, sagte er kühl. »Unser Zurückbleiben fällt auf. Ich habe kein Verlangen, dem Hof das absurde Bild eines jungen Ehemannes zu bieten, der das Bedürfnis verspürt, mit seiner Frau allein zu sein.«

Mit einem leisen Druck ihres Fächers hielt Angélique ihn zurück.

»Und es wäre doch nur das Natürlichste von der Welt«, murmelte sie, »und würde überdies gewiß die Lästerzungen zum Schweigen bringen, die sich schon anschicken, weidlich über uns herzuziehen.«

»Über Euch!«

»Die Eure Gattin ist«, sagte Angélique heiter. »Muß ich Euch daran erinnern, daß ich ebenfalls Euren Namen trage, den Ihr so sehr vor Lächerlichkeit zu bewahren wünscht.«

Philippe griff hart nach ihrem Arm, und für eine Sekunde sah sie jähzornige Funken in seinen hellen Augen aufspringen. Doch schon in der nächsten lok-kerte sich sein Griff. »Ihr seid wahrhaftig unbezahlbar, Madame«, sagte er halblaut. »Mich an die Wahrung meines guten Namens zu erinnern, den nur Ihr in Gefahr gebracht habt.«

Er trat einen halben Schritt zurück, deutete spöttisch eine Verbeugung an und fuhr fort: »Ich könnte fast Eure Haltung bewundern.«

Angélique übersah seinen Spott. Mit schräg geneigtem Kopf blickte sie ihn über die leicht und regelmäßig hin und her wehende Spitzenkante ihres Fächers an.

»Wißt Ihr«, sagte sie nachdenklich, »was mir eine gute Freundin einst über Euch verriet? Ihr wäret viel weniger nett, als Ihr ausseht, wenn man Euch kenne, aber viel netter, als Ihr ausseht, wenn man Euch erst besser kennenlernte.«

Philippe hatte einen ungeduldigen Blick zum Ende der Galerie geworfen, wo die bunte Höflingsschar um den König eben geräuschvoll über die Treppe in den Park hinunter verschwand. Nun starrte er sie argwöhnisch an.

»Was Ihr nicht sagt! Und was soll dieser Orakelspruch Eurer Freundin bedeuten?«

Sie ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie spürte die Unsicherheit, die in ihm war und die auch sein barsches Benehmen nicht verbarg. Er war ein anderer, das fühlte sie genau, als der, der in ihrem Traumschloß Plessis-Bellière in blinder Wut Rache an ihr genommen hatte. Er hatte geglaubt, sie mit seiner Brutalität und Verachtung besiegt, sie ein für allemal in ihre Schranken und aus dem Vordergrund seines Daseins verwiesen, ihr unmißverständlich gezeigt zu haben, welche jämmerliche Rolle sie fürderhin in seinem Schatten spielen würde. Und nun hatte sie ihn durch ihren Auftritt bei Hofe gezwungen, sich in aller Öffentlichkeit, ja sogar vor dem König zu ihr zu bekennen. »Eure Majestät möge mir verstatten, Ihr meine Frau, die Marquise du Plessis-Bellière, vorzustellen ...« Angélique lächelte der Erinnerung zu. Wenn Philippe überhaupt Achtung vor Menschen empfand, dann vor solchen, deren Stolz es nicht zuließ, daß sie sich beugten. Und Achtung war etwas, worauf sich eine Ehe schon aufbauen ließ.