Ich schüttelte seine Hand ab. »Dann beeilt Euch in Gottes Namen. Ich muss noch etwas erledigen.«
Er starrte mich entgeistert an. »Nein. Ich weiß, woran Ihr denkt, aber das ist heller Wahnsinn. Sie ist keine Gefangene. Sie kann sich frei bewegen und könnte jedem verraten, dass Ihr am Leben und guter Dinge seid.«
»Das wird sie nicht. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, ihren kostbaren Sohn zu retten. Außerdem hat es nie Beweise gegeben. Alice ist tot. Ich stelle keine Bedrohung mehr für sie dar, wenn ich überhaupt jemals eine war.«
»Sei es, wie es wolle«, entgegnete er, und zum ersten Mal merkte ich ihm aufrichtige Besorgnis an. »Möchtet Ihr wirklich Euer Leben in ihre Hände legen? Denkt vorher noch einmal genau nach. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn Euch etwas zustößt.«
»Das habe ich auch nicht von Euch erwartet. Ich habe Peregrine gebeten, auf den Feldern vor dem Stadttor mit unseren Pferden zu warten. Wenn ich bis zum Anbruch der Nacht nicht dort bin, soll Peregrine nach Hatfield reiten. Ihr könnt ihn dort treffen und dann weiter zu Eurer Familie reiten. Ich aber muss zurückbleiben. Sie hat etwas, das ich brauche.«
Cecils Kinn spannte sich unter dem Bart an. Einen langen Moment blieb er schweigend vor mir stehen, dann zog er seinen Umhang um sich und verstärkte den Griff um seine Tasche. »Hoffentlich findet Ihr, was Ihr sucht«, sagte er unwirsch. Ohne sich noch einmal umzusehen, lief er die Treppe hinunter.
Ich widerstand der Angst, die mir schier den Magen zuschnürte. Entschlossen stellte ich mich den neugierigen Blicken der Wächter. »Könnte mir einer von Euch den Weg zu Lord Guilfords Gemach zeigen?«
»Ich führe Euch zu ihm«, versprach der königliche Leibgardist Tom.
30
Hinter Tom erklomm ich ausgetretene Steinstufen bis zum obersten Stockwerk. Obwohl ich mich nach außen tapfer und kühl gab, graute mir vor dem bevorstehenden Moment.
Wir erreichten eine schmale Tür. Während Tom mit den davor postierten Wächtern redete, wäre ich fast davongerannt. Noch konnte ich Cecil einholen. Dieser war auf seine Weise gewiss auch ein Ungeheuer, aber eines, mit dem mir der Umgang bei Weitem nicht so schwerfiel. Ich konnte Peregrine immer noch auf dem Feld vor der Stadtmauer treffen und würde in der Nacht zusammen mit Kate und Elizabeth in der Sicherheit des Landguts der Prinzessin sein. Den Rest meines Daseins könnte ich dann in seliger Unwissenheit verbringen und würde es höchstwahrscheinlich viel besser haben. Was immer hinter der Tür auf mich wartete, würde mir nur noch mehr Leiden bringen.
Doch noch während ich diesen Gedanken nachhing, tasteten meine Finger in der Innentasche des Umhangs nach jenem fast schon mystischen Gegenstand, den ich dort verborgen hatte. Ihn zu berühren stärkte meine Entschlossenheit. Ich musste das tun – allein schon für Mistress Alice.
»Fünf Minuten.« Tom reichte mir seine Pistole. »Seid vorsichtig! Sie ist so gefährlich wie ein tollwütiger Köter.«
Er schob den Riegel zurück und stieß die Tür auf. Ich steckte die Pistole unter den Gürtel und trat in das Gemach.
In der Mitte des Raumes stand eine große Ledertruhe, in der sich Kleider türmten. Der Boden war übersät mit Stößen von Dokumenten und Büchern. In einer Ecke mühten sich zwei Gestalten damit ab, eine massive Holzkiste von der Wand wegzuzerren. Ihre sich vermengenden feuchten Haare in beinahe identischen Blondschattierungen und die schlanken Körper in schweißnassen Kleidern zeugten vom selben Fleisch und Blut.
Als sie die Tür aufgehen hörte, fuhr die Frau zu dem Störenfried herum. Der neben ihr arbeitende Guilford blickte auf – und erstarrte.
»Es wird ja auch allmählich Zeit, dass …«, begann sie und verstummte abrupt. »Wer seid Ihr?«, bellte sie dann. »Wie könnt Ihr es wagen, bei uns einzudringen?« Sie bemühte sich um einen Befehlston, doch ihre Stimme war belegt, ihre Erscheinung weit entfernt von der makellosen, unerbittlichen Matrone, als die ich sie gekannt hatte. Ich stand da und brachte kein Wort hervor.
Dann fiel es mir wieder ein: Ich hatte jetzt einen Bart. Und ich trug eine Kappe.
Ich nahm die Kopfbedeckung ab. »Ich hätte gedacht, Ihr würdet mich sofort erkennen, Mylady.«
Guilford schnappte nach Luft. Den Atem zischend durch die gefletschten Zähne ausstoßend, näherte sich Lady Dudley. Ihr offenes Haar wies erste silberne Strähnen auf, das eingefallene Gesicht darunter war wutverzerrt.
»Du! Warum bist du nicht tot?!«
Ich blickte ihr in die leeren Augen. Jetzt erkannte ich, dass sie krank war. Seit Jahren war sie es schon gewesen, und zwar körperlich wie seelisch. Sie hatte es hinter ihrer eisigen Fassade verborgen, durch die anscheinend nichts hatte dringen können. Doch ihre Krankheit hatte sie von innen zerfressen, und die Untreue ihres Mannes hatte nach Jahren der ehelichen Pflichterfüllung das verzweifelte, wilde Tier bloßgelegt, zu dem sie geworden war. Davon bedroht, nach lebenslanger Selbstaufopferung verlassen zu werden, hatte sie mit aller Tücke, die ihr zu Gebote stand, zugeschlagen. So tödlich sie war, letztlich war unerträglicher Kummer ihr Antrieb gewesen. Und Kummer wiederum war etwas, wovon ich etwas verstand, auch wenn mir meine Erkenntnis keinen Trost brachte.
»Es freut mich, Euch enttäuschen zu müssen«, erklärte ich.
Ihre Lippen zuckten. »Es hat dir ja schon immer Genuss bereitet, ein Ärgernis für deine Umgebung zu sein.« Sie wischte sich eine Strähne aus der Stirn. »Wie lästig! Ich hatte gedacht, ich wäre dich endlich los.«
»Ach, den Gefallen werde ich Euch schon noch tun – sobald Ihr meine Fragen beantwortet habt.«
Sie wartete. Hinter ihr platzte Guilford plötzlich heraus: »Du … du … halte dich bloß von uns fern!«
»Sei still.« Sie wandte den Blick nicht von mir. »Lass ihn fragen, was immer er will. Es kostet uns ja nichts zu hören, wie er seinen Atem vergeudet.«
Ich schlug meinen Umhang zurück und offenbarte Toms Pistole. »Ich bin vielleicht nicht der beste Schütze«, meinte ich, »aber in einem so winzigen Raum wie diesem muss ich zwangsläufig irgendetwas treffen. Oder irgendjemanden.«
Sie baute sich vor mir auf. »Lass meinen Sohn in Frieden. Er weiß nichts. Stell deine elenden Fragen, und verschwinde dann. Ich habe Dringenderes zu erledigen.«
Dieses eine Mal wenigstens sagte sie die Wahrheit. Als die Glocken begonnen hatten zu läuten, waren sie mitten im Packen ihrer Wertsachen gewesen. Wie Jane wusste sie um die Bedeutung dieser Glocken. Sie hatte begriffen, dass ihr Ende nahte. Deswegen hatten sie und Guilford sich darangemacht, die Tür mit der Kiste zu blockieren, um Zeit zu gewinnen, ehe sie offiziell zu Gefangenen erklärt wurden. Genutzt hätte ihnen das freilich nichts. Sie wusste, dass der Kronrat ihn bald des Hochverrats schuldig sprechen würde – ausgerechnet Guilford, ihren Liebling, das einzige ihrer Kinder, an dem ihr Herz hing. Ihrer unersättlichen Rachgier glich nur die animalische Hingabe zu diesem einen Wesen, das sie ganz nach ihren Vorstellungen geformt hatte.
Sie war also auch ein Mensch. Sie konnte lieben. Und hassen.
»Ihr könnt ihn nicht retten«, hielt ich ihr vor. »Die Glocken draußen läuten für Königin Mary. Ihr habt verloren. Guilford Dudley wird nie eine Krone tragen. Wenn er Glück hat, darf er seinen Kopf behalten.«
»Ich zerfetze dich in tausend Stücke, du elender Köter!«, knurrte Guilford.
Lady Dudley ließ ein Lachen erklingen – eine Klinge, die mir tief in die Haut schnitt. »Du bist nicht annähernd so schlau, wie du glaubst! Ich wollte nie eine Krone für ihn! Mein Mann ist derjenige, dem sie deswegen den Kopf abschlagen werden, nicht Guilford. Ich werde ihn retten, selbst wenn ich auf Knien um sein Leben betteln muss. Mary ist eine Frau; sie weiß, was Verlust bedeutet. Sie wird verstehen, dass kein Kind für die Verbrechen seines Vaters büßen sollte.«
Sie trat einen Schritt näher; ihr fauliger Atem schlug mir entgegen. »Aber du – du hast alles verloren! Mistress Alice ist tot, und von mir wirst du nie etwas bekommen. Du existierst nicht. Dich hat es nie gegeben!«
Ich maß sie mit einem abschätzigen Blick. »Ich weiß über Master Shelton Bescheid.«
Sie verharrte regungslos.
»Archibald Shelton«, fuhr ich fort, »Euer ergebener Haushofmeister. Ich weiß, dass er es war, der in der bewussten Nacht in Greenwich auf mich geschossen hat. Damals dachte ich, für einen Mann, der sich in den schottischen Kriegen als treffsicherer Schütze erwiesen hat, hätte er wirklich schlecht gezielt. Jetzt aber weiß ich, dass er gar nicht wirklich versucht hat, mich zu töten. Er hat versucht, mich zu verschonen, und in die Mauer geschossen. Die Kugel ist nur unglücklich abgeprallt.«
»Narr!«, spuckte sie. »Shelton hat die Pistole ergriffen, richtig, aber es war dunkel. Er konnte nichts sehen. Wäre das Licht besser gewesen, hätte er dich getötet. Er verachtet dich für alles, was du getan hast.«
»Ach, das glaube ich nicht«, entgegnete ich – und dann verstummte ich abrupt. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, was bis dahin im Dunkeln geblieben war. »Aber Ihr wart ahnungslos, nicht wahr? Und er hat es Euch bestimmt nicht verraten. Ihr wusstet nicht, dass er derjenige war, den Mistress Alice ins Vertrauen gezogen hatte. Ihr wusstet nur, dass noch jemand anders im Bilde war, jemand, der meine Identität offenbaren konnte, wenn Ihr mir oder ihr je ein Leid zufügtet. Und am Ende habt Ihr das tatsächlich getan und Mistress Alice ermordet. Master Shelton dachte immer, sie wäre vor Jahren auf dem Weg zum Jahrmarkt gestorben. Wie ich glaubte auch er die Lüge, die Ihr uns aufgetischt habt, aber als er dann in jener Nacht ins Gemach des Königs trat, hat er sie plötzlich gesehen. Und da begriff er, wie weit Ihr gegangen wart. Ihr dachtet, er wäre Euer Diener und würde alles für Euch tun, aber letztlich sah er seine größte Aufgabe darin, mich zu schützen – den Sohn seines vormaligen Herrn, Charles von Suffolk.«
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