Als sie am Parktor von Schloß Plessis-Bellière vorbeiritten, beugte sich Angélique gespannt vor und versuchte, am Ende der Kastanienallee die weiße Vision des bezaubernden Gebäudes zu entdecken, das sich in seinem Teich wie eine Traumwolke spiegelte. Alles war still, und der prachtvolle Bau im Renaissancestil, den seine Besitzer im Stich ließen, um am Hof zu leben, schien im Mysterium seines Parks und seiner Gärten zu schlafen. Die Hirschkühe des Forsts von Nieul, an den der Besitz grenzte, ergingen sich in den verödeten Alleen ...

Die Wohnung des Verwalters Molines befand sich zwei Kilometer weiter an einem der Parkeingänge. Es war ein hübsches Häuschen aus rotem Backstein mit schiefergedecktem Dachstock, das in seiner bürgerlichen Einfachheit wie der umsichtige Wächter jenes zierlichen Bauwerks wirkte, dessen italienische Grazie die an die mittelalterlichen Schlösser gewöhnten Leute der Umgegend noch immer verwunderte.

Der Verwalter war ganz das Abbild seines Hauses. Streng und würdevoll, seiner Rechte und seiner Rolle bewußt, wirkte er, als sei er der Herr dieses riesigen Besitzes, dessen Eigentümer dauernd abwesend war. Alle zwei Jahre vielleicht, im Herbst zur Jagd oder im Frühling, um Maiglöckchen zu pflücken, ließ sich ein Schwarm von Herren und Damen mit Wagen, Pferden, Hetzhunden und Musikanten in Plessis nieder, und ein paar Tage lang folgte ein Fest dem andern, zum gelinden Schrecken der Krautjunker der Nachbarschaft, die man nur einlud, um sich über sie lustig zu machen. Dann kehrte die ganze Gesellschaft nach Paris zurück, und das Schloß versank wieder in Schweigen.

Vom Geräusch der Pferdehufe angelockt, trat Molines in den Hof seines Hauses und verbeugte sich mehrmals, was ihn keine Überwindung kostete, da es zu seinem Amt gehörte. Baron Armand war offensichtlich angenehm davon berührt, aber Angélique, die wußte, wie hart und arrogant der Mann sein konnte, machte sich nichts aus so übertriebener Höflichkeit.

Wenn sie Molines auch unangenehm fand, brachte sie ihm doch eine gewisse Achtung entgegen, vermutlich des gepflegten Aussehens seiner Person und seines Hauses wegen. Seine stets dunkle Kleidung war aus gutem Stoff angefertigt und schien verschenkt oder eher verkauft zu werden, bevor sie auch nur die geringsten Spuren von Abnutzung aufwies. Er trug nach der neuen Mode Schnallenschuhe mit sehr hohen Absätzen.

Überdies aß man vortrefflich bei ihm. Angéliques Näschen schnupperte, als sie den mit Fliesen ausgelegten und vor Sauberkeit strahlenden Raum betraten, der an die Küche grenzte. Madame Molines versank bei ihrem tiefen Knicks fast in ihren Röcken und kehrte danach zu ihren Kuchen zurück.

Der Verwalter führte seine Gäste in ein kleines Arbeitszimmer, in das er frisches Wasser und eine Flasche Wein bringen ließ.

»Ich bin überaus beglückt, Herr Baron«, begann er, »daß Ihr persönlich meiner Aufforderung Folge geleistet habt. Für mich ist das ein Zeichen, daß wir uns über die Angelegenheit, an die ich denke, einigen werden.«

»Ihr unterwerft mich also einer Art Prüfung?« fragte Armand.

»Nichts für ungut, Herr Baron. Ich bin kein Mann von großer Bildung und habe nur einen bescheidenen Dorfschulunterricht genossen. Aber ich will Euch gestehen, daß mir der Dünkel gewisser Edelleute nie als ein Beweis von Intelligenz erschienen ist. Nun, man bedarf ihrer, wenn man über Geschäfte spricht, und seien diese noch so bescheiden.«

Der Landedelmann lehnte sich in seinen Polstersessel zurück und betrachtete den Verwalter gespannt. Er hatte ein wenig Angst vor dem, was dieser Nachbar, dessen Ruf nicht der beste war, ihm darlegen würde.

Molines galt für sehr reich. Anfangs war er mit den Bauern hart umgegangen, aber in den letzten Jahren hatte er sich bemüht, freundlicher zu sein, selbst den Ärmsten gegenüber. Über die Gründe dieses Umschwungs wußte man nicht viel zu sagen. Die Bauern mißtrauten ihm, doch da Molines jetzt hinsichtlich der Abgaben, die dem König und dem Marquis zustanden, mit sich reden ließ, behandelte man ihn mit Respekt.

Die Böswilligen unterstellten ihm, er handle so, um seinen ewig abwesenden Herrn in Schulden zu verstricken. Was die Marquise und Philippe, den Sohn, anbetraf, so interessierten sie sich nicht mehr für den Besitz als der Marquis selbst.

»Wenn es wahr ist, was man erzählt, habt Ihr alle Aussichten, den gesamten Besitz der du Plessis auf eigene Rechnung zu übernehmen«, sagte Armand de Sancé etwas grob.

»Pure Verleumdung, Herr Baron. Ich lege nicht nur Wert darauf, ein loyaler Diener des Herrn Marquis zu bleiben, sondern sehe auch keinerlei Vorteil in einem solchen Erwerb. Um Eure Bedenken zu zerstreuen, will ich Euch anvertrauen - obwohl ich damit kein Geheimnis verrate -, daß dieser Besitz mit Hypotheken überbelastet ist!«

»Kommt mir nicht mit dem Vorschlag, ihn zu kaufen. Ich habe nicht die Mittel .«

»Ein solcher Gedanke liegt mir fern, Herr Baron. Aber nehmt Ihr nicht noch ein Glas Wein?«

Angélique, die dieses Gespräch nicht interessierte, schlich hinaus und betrat die große Stube, in der Madame Molines damit beschäftigt war, den Teig für eine riesige Torte auszurollen. Sie lächelte dem Mädchen zu und reichte ihm eine Dose, der ein köstlicher Duft entströmte.

»Kommt, nehmt Euch davon, Herzchen. Das ist kandiertes Angelika oder Engelwurz, wie man auch sagt. Ihr tragt seinen Namen. Ich mache es selbst mit schönem, weißem Zucker. Es ist besser als das der Patres von der Abtei, die nur Kandiszucker verwenden.«

Während Angélique ihr zuhörte, biß sie mit Lust in die klebrigen grünen Stiele. Das also wurde nach dem Pflücken aus den großen, kräftigen Pflanzen der Moore, deren Duft im Naturzustand bitterer war.

Sie schaute sich bewundernd um. Die Möbel glänzten. In einer Ecke stand eine Uhr, jene Erfindung, die Großvater teuflisch nannte. Um sie genauer besehen und ihr Ticken vernehmen zu können, näherte sie sich dem Arbeitszimmer, in dem die beiden Herren sich unterhielten. Sie hörte ihren Vater sagen: »Heiliger Dionysius, Ihr macht mich ganz wirr, Molines. Man erzählt ja eine ganze Menge über Euch, aber im Grunde ist sich alle Welt einig, daß Ihr eine Persönlichkeit seid und einen bemerkenswerten Spürsinn habt. Nun, Eure eigenen Worte sagen mir freilich, daß Ihr in Wirklichkeit die schlimmsten Utopien hegt.«

»Was findet Ihr denn bei dem, was ich Euch dargelegt habe, so unvernünftig, Herr Baron?«

»Überlegt doch einmal. Ihr wißt, daß ich mich für Maulesel interessiere, daß ich durch Kreuzung eine recht schöne Rasse herausgezüchtet habe, und Ihr ermutigt mich, diese Zucht zu intensivieren, deren Produkte abzusetzen Ihr Euch anheischig macht. So weit gut. Ich vermag Euch aber nicht zu folgen, wenn Ihr von einem langfristigen Ausfuhrkontrakt nach - Spanien redet. Wir befinden uns im Krieg mit Spanien, mein Freund.«

»Der Krieg wird nicht ewig dauern, Herr Baron.«

»Wir hoffen es. Aber man kann auf solcherlei Hoffnung keinen soliden Handel gründen.«

Der Verwalter verzog sein Gesicht zu einem herablassenden Lächeln, das dem verarmten Edelmann entging. Dieser fuhr in heftigerem Tone fort:

»Wie wollt Ihr mit einer Nation Handel treiben, die uns bekriegt? Erstens einmal ist es verboten, und das ist recht so, denn Spanien ist der Feind. Überdies sind die Grenzen geschlossen und die Verbindungswege und Brücken überwacht. Allerdings will ich gerne zugeben, daß das Liefern von Mauleseln an einen Feind nicht so schlimm ist wie das Liefern von Waffen, zumal die Feindseligkeiten sich nicht mehr hier abspielen, sondern auf fremdem Boden. Schließlich habe ich zuwenig Tiere, als daß sich ein Handel irgendwelcher Art lohnen würde. Das würde mich viel Geld und Jahre der Vorbereitung kosten. Meine finanziellen Mittel erlauben mir ein solches Experiment nicht.« Sein Stolz verbot ihm hinzuzufügen, daß er sogar daran dachte, sein Gestüt aufzugeben.

»Herr Baron, wollt Ihr gütigst bedenken, daß Ihr bereits vier hervorragende Hengste besitzt und daß es Euch leichter fallen dürfte als mir, sich noch viele weitere bei den Edelleuten der Umgebung zu verschaffen. Was die Eselinnen betrifft, so findet man deren zu Hunderten für zehn oder zwanzig Livres das Stück. Durch weitere Trockenlegung der Moore lassen sich die Weiden verbessern, Eure Maultiere sind im übrigen ja sehr robust. Ich meine, mit zwanzigtausend Livres müßte es zu machen sein, so daß die Sache nach drei oder vier Jahren in Gang käme.«

Der arme Baron schien vom Schwindel erfaßt zu werden.

»Mein Gott, Ihr habt es ja gut vor! Zwanzigtausend Livres! Für so wertvoll haltet Ihr meine armseligen Maultiere, über die sich hierzulande alle Welt lustig macht? Zwanzigtausend Livres! Ihr jedenfalls werdet sie mir gewiß nicht vorstrecken, diese zwanzigtausend Livres.«

»Und warum nicht?« sagte Molines gelassen.

Der Edelmann starrte ihn einigermaßen verblüfft an.

»Das wäre höchst töricht von Euch, Molines! Ich darf Euch darauf aufmerksam machen, daß ich keinen Bürgen stellen kann.«

»Ich würde mich mit einem einfachen Gesellschaftsvertrag zu hälftigen Anteilen und einer Hypothek auf diese Zucht begnügen. Wir könnten den Vertrag privat und insgeheim in Paris abschließen.«

»Damit Ihr es wißt, ich fürchte, ich habe auf absehbare Zeit nicht die Mittel, in die Hauptstadt zu reisen. Und außerdem erscheint mir Euer Vorschlag so beunruhigend und gewagt, daß ich zunächst einige Freunde befragen möchte ...«

»Dann, Herr Baron, wollen wir es lieber gleich dabei bewenden lassen. Denn der Schlüssel zu unserm Erfolg liegt in der vollständigen Geheimhaltung. An-dernfalls hat es keinen Zweck.«

»Aber ich kann mich nicht so ohne weiteres in ein Geschäft stürzen, das mir obendrein gegen die Interessen meines eigenen Landes zu verstoßen scheint.«