Während meine Großmutter weiter vor sich hinmurmelte, sah ich wieder zu Colin, der plötzlich zu Tode erschöpft aussah.»Mein Vater trug diesen Ring«, sagte er so leise, daß nur ich ihn hörte.»Ich fand ihn in einer Blutlache und glaubte, mein Vater hätte die Morde begangen. Ach, Leyla.«
Ich neigte mich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Am liebsten hätte ich geweint.»Du wolltest ihn schützen«, flüsterte ich.»Verdammt!«kreischte meine Großmutter plötzlich mit schriller Stimme. Nichts war geblieben von der Tyrannin, die in diesem Haus mit harter Hand geherrscht hatte. Meine Großmutter war nur noch eine vom Tod gezeichnete alte Frau.»Ich habe kommende Generationen vor Schmerz und Leid bewahrt, indem ich die Familie der Pembertons auslöschte. Ich habe Gutes getan. «Sie wälzte den Kopf auf dem Kissen hin und her.»Jetzt sind sie alle tot. Auch Leyla wird bald tot sein. Und Martha. «Ihre Stimme klang blechern.»Martha brauche ich nicht zu vergiften. Sie wird niemals heiraten. Sie ist über das Alter hinaus. Sie findet keinen Mann mehr. Da ist nichts zu fürchten. Martha kann ruhig hier weiterleben, zusammen mit Colin, und — und — «
«Du widerwärtiges altes Frauenzimmer«, schrie Martha plötzlich außer sich.»Du hast mein Leben auf dem Gewissen. Ich wollte lieben, heiraten und Kinder bekommen. Aber du, du egoistische alte Frau, du hast es mir nicht erlaubt. Ich war dumm! Dumm! Ich hätte längst fortgehen sollen, als ich noch jung war und — «
«Aber die Krankheit!«
«Ich pfeife auf die Krankheit. Wenn ich daran sterben soll, dann werde ich eben daran sterben. Aber vorher wollte ich leben! Aber du, du Hexe, du hast mich zur Verzweiflung getrieben, du hast mich zum Diebstahl gezwungen — «Martha brach ab und sah plötzlich mich an.»Ja, zum Diebstahl!«schrie sie mich an.»Glaubst du vielleicht, es hat mir Spaß gemacht, wie eine Nonne zu leben, Leyla? Ich bin zweiunddreißig Jahre alt. Ich bin eine alte Jungfer. Und Großmutter hätte mir keinen Penny gegeben, wenn ich dieses Haus verlassen hätte. Darum mußte ich stehlen, um genug Geld für eine Flucht zusammenzubringen. Was hätte ich denn sonst tun können? Ich bin eine alleinstehende Frau. Ich habe keinen Mann, der mich beschützt und für mich sorgt. Was meinst du wohl, wie weit ich ohne Geld gekommen wäre? Darum habe ich gestohlen. Ja, ich habe meine eigene Familie bestohlen.«
Mit diesen Worten packte sie den Pompadour, der zu ihren Füßen stand und schleuderte ihn aufs Bett. Er öffnete sich, und Garn und Wolle, lange und kurze Nadeln fielen heraus, aber auch der falsche Boden, unter dem die Schätze verborgen waren, die sie gehortet hatte.»Da habt ihr alles«, rief sie laut und heftig.»Das Geld und den Schmuck. Es hätte mir fast gereicht, um mich in London als Frau von Stand niederzulassen, und dann wäre ich endlich frei gewesen und — «
«Martha!«flüsterte unsere Großmutter mit schwacher Stimme.»Die Krankheit — «
«Es ist mir gleich, ob es die Krankheit gibt oder nicht«, schrie Martha, der jetzt die Tränen aus den Augen strömten.»Glaubst du denn, ich bin freiwillig wie eine Gefangene in diesem Haus geblieben? Ich habe nur auf den rechten Augenblick gewartet, Großmutter. Ich gehe weg von hier!«
«Aber Martha — «
Ihren geheimen Schatz an Schmuck und Geld, der ihr die Tür zu einem freundlicheren Leben hätte öffnen sollen, zurücklassend, stürzte Martha aus dem Zimmer.
Wir anderen waren alle noch viel zu bestürzt über die Enthüllungen der letzten Stunde, um sprechen zu können.
Meine Großmutter hatte mich also hierher gelockt, um mich zu töten. Sie hatte mir Thomas Willis’ Buch ins Zimmer gelegt. Zwanzig Jahre lang hatte in Pemberton Hurst eine Wahnsinnige und eine Mörderin geherrscht.
«Ich habe es für die Pembertons getan«, murmelte sie kaum vernehmbar aus der Tiefe der Kissen.»Ich habe es getan, weil ich Pemberton Hurst liebe. Ich liebe es mehr als mein eigenes
Leben, und ich wollte nicht, daß es im Verfall endet. Aber ich mußte es reinigen, vom Fluch befreien, und es dann Colin zu treuen Händen übergeben, damit unser Name erhalten bliebe. Ich habe dies alles für Colin getan.«
Martha übersiedelte nach London, wo sie mit der großzügigen Unterstützung ihres Bruders in einer der vornehmen Gegenden einen Putzmachersalon eröffnete. Theo kehrte nach Manchester zurück, nachdem er alle geschäftlichen Fragen mit Colin geregelt hatte, und widmete sich dort der Erweiterung der Firma und dem Bau einer neuen Baumwollspinnerei. Anna, seit der Todesnacht ihres Mannes eine zerstörte Frau, lebte weiterhin bei uns, still und zurückgezogen, ohne an dem Leben um sie herum Anteil zu nehmen.
Dr. Young wurde uns ein guter und geschätzter Freund und war bei der Geburt unseres ersten Sohnes zugegen, den wir nach meinem Vater Robert tauften.
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