Er nahm das Glas auf, trank einen kräftigen Schluck, kaute den Wein ein wenig, wie es Kenner bei einem guten Tropfen lieben, und lehnte sich dann wieder zurück.
«Die Literatur hat mir den Krieg angesagt. Meine Dramen >Schwur und Rache<, >Hans Kohlhaas< — nach der Kleistschen Geschichte — und >Oliver Cromwell< möchte man am liebsten von der Liste streichen, weil der Atem der Revolution in ihnen weht. Die >Pfefferkörner< und die humoristischen Raupen< liegen den Herren wie ein Stein im Magen! Als ich in Berlin einmal bei der Aufführung von >Schwur und Rache< trotz des königlichen Verbotes die vom Zensor gestrichenen Stellen doch spielen ließ, wurde ich des Landes verwiesen und mußte nach Dresden ziehen!«Er legte die Pfeife auf den Tisch und faltete die Hände über der Jacke.»In Deutschland einen Zensor! Das ist die royale Freiheit! Die Polizei auf der Bühne, der Knüppel des Gesetzes in der Literatur! Ist nicht die Kunst, ganz gleich, in welchen Formen sie auch auftritt, frei und darf gestalten, was das Individuum ergreift?! Wenn der Staat nicht stark genug ist, sich gegen eine Kritik zu schützen, wenn ein Staat nichts anderes kann, als mittels eines Dogmas die Opposition auszuschalten, ein solcher Staat ist reif, daß er zusammenbricht. Das wahre Glück der Völker beginnt bei dem Recht der freien Wahrheit. Nur der ist ein guter Herrscher, der die Wünsche und Klagen der Masse erhört und aus ihnen lernt. Wir alle sind ja nur Lehrlinge auf dieser Erde, Unfertige, die nie fertig werden, denn es ist das Schicksal des Menschen, stets an der Schwelle der Erfüllung zu sterben. Gibt es aber einmal einen Menschen, der von sich sagen kann: Seht, ich bin so weit, daß ich mir Erde, Himmel und selbst Gott unterordnen kann — so wird er an der eigenen Größe ersticken und wie der Turm zu Babel durch das eigene Gewicht zusammenstürzen!«
Er schwieg und blickte sinnend in das halbgeleerte Glas.
«Ich habe das in alle Lande laut hinausgerufen. Glauben Sie, lieber Kummer, die Menschen haben mich verstanden? Sie sehen nur die gefüllte Speisekammer und schreien Hurra und Vivat, wenn die goldene Staatskalesche durch die Straßen rattert. Mich nennen sie«-er lächelte schwach —»einen Dilettanten! Das ist die bequemste Art, einen Menschen zu ignorieren. Dilettantismus ist etwas Schreckliches! Wenn Sie nur einmal einen dramatischen Verein oder eine Dichterlesung der Literaturfreunde miterlebt haben, wünschen Sie sich Dantes Inferno in diesem Kreise der Aftertalente. - In diese Gruppe hat mich die moderne Literatur kategorisiert. Sie glaubt mich damit totzuschweigen. Aber die Pfefferkörner sind in ihren monarchensüßen Teig gestreut, und Pfeffer neben Zucker ist kein gutes Konglomerat.«
Otto Heinrich Kummer hatte bisher, ohne Maltitz zu unterbrechen, mit fiebernden Augen zugehört. Jetzt, in der kleinen Atempause, rief er laut:
«Und ist keiner da, der zu Ihnen steht, Herr von Maltitz?!«
«Wenige, lieber Kummer. Man scheut sich, mit mir in den Bann zu treten. Man achtet die gesellschaftliche Hohlheit höher als die Freiheit des Geistes von morgen!«
«So lassen Sie mich einer Ihrer Freunde sein«, rief der junge Apotheker mit leuchtendem Blick.»Ich habe nichts zu verlieren, nur zu gewinnen! Ich spüre es, daß Sie genauso einsam sind wie ich. Daß Sie allein stehen, weil Sie sich nicht beugen können vor dem, was Ihr Geist nicht anerkennt. - Nehmen Sie meine Hand«- er streckte ihm die Rechte hin —,»Sie sollen in mir einen Genossen haben, dessen glühende Liebe zur Freiheit und Kunst nie erlischt.«
Die schwärmerische Rede des Jünglings entlockte dem Dichter ein gütiges Lächeln. Aber mit einer freudigen Bewegung schlug er in die dargebotene Hand ein und drückte sie in aller Herzlichkeit.
«Mein lieber Kummer«, sagte er dann,»es sind nicht die schlechtesten Bünde, die zwischen Überschwang und Bedacht geschlossen werden. Lassen Sie uns das kleine Fest feiern und unter der Burg eines der Tyrannen mit kräftiger Lunge unseren neuen Kommers singen!«
Mit einem Schwung schob er die Karaffe zur Seite, klopfte mit dem Pfeifenkopf auf die Tischplatte und rief:
«He — Bedienung!«Und als sich der Kopf der Kellnerin hinter der Theke zeigte, lachte er.»Holdes Wesen — fahrt Wein und guten Brand auf!Laßt Euch nicht lumpen mit Eurem Keller — heran, wir sind durstig und haben einen sonnigen Tag zu feiern!«
Nachdem der Wein in verstaubten Flaschen aus dem Keller auf den Tisch getragen war, begann eine lustige Becherei, die Maltitz mit schnurrigen Versen und Erzählungen zu würzen verstand. Der Abend war unterdessen hereingebrochen, und der Ratskeller füllte sich mit den biederen Augustusburger Bürgern, denen die lustige Gruppe in der Ecke auffiel und ein wenig Neid erweckte beim An-blick der bestaubten Flaschen.
So füllte sich der Raum mehr und mehr, dichter Tabaksqualm nebelte bald die weite Sicht ein, bis es schier unmöglich war, die Theke aus der Ecke noch zu erkennen, während die Stimmen lauter und die Bewegungen schwerer wurden, denn der Ratswirt zapfte einen guten, gegorenen Tropfen und einen höllischen Brand.
«Die Bürger von Augustusburg mögen leben!«rief Herr von Maltitz plötzlich laut in den Raum hinein. Und als sich alle Köpfe wie an einem Zugband zu ihm umwandten, hob er sein Glas und prostete ihnen zu.
«Beim guten Wein läßt sich's gut leben!«rief eine Stimme aus der Menge, und helles Gelächter flatterte auf.
«Der Wein ist für jeden!«rief Maltitz zurück.»Wer mein Freund ist, komme heran und trinke mit uns! Wer aber ein blöder Spießer ist, der verlasse den Keller!«
Ein Bürger will nie ein Spießer genannt werden, wie es ja überhaupt wenige Leute gibt, die ihren richtigen Namen zu schätzen wissen. So kamen denn auch etliche Ehrenmänner an die Ecke heran, schoben ihren Stuhl an den Tisch der beiden und griffen ungeniert zum Weine. Selbst der Bürgermeister von Augustusburg, der sonst streng auf die Wahrung der Distanz sah, ließ sich die Chance nicht entgehen, einen sonst nur im Traum erahnten Tropfen aus der Flasche zu genießen, und rückte keck neben den Herrn von Maltitz, der sich, der Ehre nicht bewußt, bezecht an ihn lehnte.
«Meine Freunde!«hob er zu sprechen an.»Wir sind zwei fahrende Gesellen. Scholaren der Politik, Magister des Wortes und Famuli bei den Künsten der Musen!«Er zeigte auf Otto Heinrich Kummer und klopfte dem leicht Schwankenden auf die Schulter.»Mein junger Freund hier ist ein Dichter. Vor einer Stunde hat er mir's gestanden! Wohlan, Kollege — eine Probe wollen diese Herren hören!«Und als sich Kummer sträubte, hieb Maltitz die Faust auf den Tisch und schrie:»Ist keiner unter euch, der diesen Dichter bittet, uns zu erfrischen?!«
Während die Freunde noch miteinander verhandelten, wer zuerst auf den Tisch steigen solle und seine Verse vortrage, trug der Ratswirt Krug um Krug in die nun weite Runde und trug mit ihnen eine dicke Trunkenheit in die Gehirne der vergnügten Zecher.
«Zuerst der Junge!«rief der Bürgermeister.
«Siehst du«, sagte Herr von Maltitz.»Der Bürgermeister sagt es auch!«
«Was soll ich denn deklamieren!«rief der junge Kummer.»Ich habe doch nur ernste Lieder!«
«Was, ernst?!«Ein dicker Mann — es war der Schmied — donnerte seine Stimme durch den Qualm.»Ein Trinklied, Bürschchen, oder ich hole den Amboß und schlage so lange den Takt, bis dir ein Ver-schen kommt!«
«Ein Trinklied!«johlte die Menge.»Ein Trinklied!«
Und Maltitz stand schwankend auf, zerrte Kummer mit sich empor und schrie:»Ein Trinklied! Ein Trinklied!«
Ehe es sich der Jüngling versah, stand er schon auf dem Tisch, umringt von einer johlenden, rauschenden, trunkenen Menge, von dicken, glänzenden Gesichtern, wässerigen Augen und blauen Nasen, fleischigen Händen und dröhnenden Stimmen. Und während er sich noch besann, sammelten sich die Stimmen zu einem grölenden Chor und brüllten:
«Ein Trinklied! Hussei! Ein Trinklied! Ein Trinkliiiied!«
Da hob Kummer die Hand. Von irgendwoher warf man ihm eine Laute in den Arm, er preßte sie an seine Brust, schlug die Saiten laut zu einem Akkord und begann dann, so, wie ihm die Verse wie ein Kobold in den Mund sprangen, zu singen:
«Freunde, laßt uns heut vergessen, was im Herz uns schmerzhaft rührt, laßt im Punsche uns vermessen suchen, was die Freude spürt!
Greift mit kühner Hand zum Becher, dieser Griff sei euch erlaubt,
selbst der ält'ste Herzensbrecher wird im Rebensaft entstaubt!
Hoch die Gläser, hohl die Kehlen, trinkt, o trinkt, eh es zu spät, jeder Tropfen wird euch fehlen, wenn's juchhei zur Hölle geht.
Hoch die Gläser, hohl die Kehlen, schüttet, Freunde, haltet Schritt — ich versprecht' euch: wenn ich sterbe, nehm' ich meinen Becher mit!«
«Das nenne ich ein Trinklied!«schrie Maltitz, als Kummer die Laute in die klatschende Menge warf und mit einem großen Sprung vom Tisch setzte.»Das nenne ich Feuer im Blut. Trinklied, beim Punsche zu singen — Otto Heinrich, Freund, Bruder auf den Wegen der Verachtung — das ist der rechte Geist: vom Scherze singen, während Tränen in der Kehle drücken. «Er riß den Jüngling in seine Arme, drückte ihn an seine breite Brust und streichelte ihm über das blonde Haar, während die betrunkenen Bürger lärmend und lachend umherstanden und das Sichfinden zweier Seelen mit einem plumpen Scherz verwechselten.
«Noch ein Lied!«grölten sie und trommelten mit den Fäusten den Takt auf die Tische.
«Noch ein Lied!«brüllte der Schmied.»Zur Hölle geht's ja allemal! Da hat er recht! — Ein Lied!«
Doch Kummer schüttelte den Kopf und sah Maltitz flehend an.
Maltitz verstand, warf einen Säckel mit Geld auf die Theke, schob den Apotheker zur Tür, riß sie auf, daß die kühle Luft der Herbstnacht in den Qualm und Weindunst der Wirtschaft schoß und die blauweißen Schwaden zu brodeln und kreiseln begannen, und wandte sich dann an die nachdrängenden, protestierenden Bürger:
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