Und dann, eines Nachts, wurde der Wind zum Sturm und entblätterte die Bäume. Noch eine Nacht, und der Schnee bedeckte das Land. Die Wolken hingen so niedrig, daß sie sich mit der Erde zu vereinen schienen, und die eisigen Frühnebel brauchten lange, um sich aufzulösen. Es war Winter, und Montsalvy legte sich schlafen. Die Arbeit auf der Baustelle des Schlosses ruhte, jedermann schloß sich in die Wärme seines Hauses ein. Cathérine und Sara machten es wie die anderen. Das von der Klosterglocke geregelte Leben verlief in einer hoffnungslosen Monotonie, in der Cathérines Schmerz trotz allem einschlief. Die Tage folgten einander, einer wie der andere. Man saß in der Kaminecke und sah Michel beim Spielen auf einer Decke zu. Das Land war unwandelbar weiß geworden, und Cathérine begann zu zweifeln, ob es in Zukunft noch andere Tage geben würde. Ob der Frühling überhaupt je wiederkäme?

Trotzdem zwang sich die junge Frau, jeden Tag auszugehen. Sie zog sich Überschuhe an, hüllte sich in einen großen Mantel mit Kapuze und verließ das Kloster zu einem Spaziergang, immer dem gleichen … Sie ging bis hinter das Südtor, wenn auch nicht zu dem Zwecke, die Baustelle ihres künftigen Wohnsitzes unter dem Schnee zu betrachten. Sie setzte sich auf einen alten Grenzstein, wo sie lange blieb, unempfindlich gegen Windstöße und den wirbelnden Schnee, und die aus dem Tal des Lot heraufführende Straße beobachtete, mit zäher Hoffnung darauf wartend, endlich eine bekannte Silhouette auftauchen zu sehen. Es war so lange her, daß Gauthier aufgebrochen war! … Weihnachten würden es drei Monate sein! Und niemand war bislang mit der geringsten Nachricht gekommen. Es war, als ob er sich in dieser grenzenlosen Weite aufgelöst hätte … Wenn der Tag sich seinem Ende neigte – die Wintertage sind so kurz! –, kehrte Cathérine langsam nach Hause zurück, das Herz ein wenig schwerer und bekümmerter, ein wenig ärmer an Hoffnung.

Weihnachten ging vorüber, ohne ihr Frieden zu bringen. Ihr Geist schweifte unaufhörlich den Abwesenden nach. Zuerst und vor allem Arnaud! Ohne Zweifel hatte er das Land Galicia erreicht. Aber war ihm vom Himmel die erbetene Heilung zuteil geworden? Und Gauthier? Hatte er den Flüchtigen einholen können? Waren sie in dieser Minute zusammen, in der ihr Geist sie vereint sah? So viele Fragen, die, da sie unbeantwortet bleiben mußten, quälend wurden.

»Wenn der Frühling kommt«, nahm Cathérine sich vor, »und ich bis dahin keine Nachricht erhalten habe, breche ich auch auf … Ich werde sie suchen gehen.«

»Wenn sie zurückkehren, dann im Frühling, nicht früher!« entgegnete Sara eines Tages, als die junge Frau aus Versehen laut gedacht hatte. »Wer würde es sich einfallen lassen, über die Berge zu ziehen, wenn der Schnee die Wege unpassierbar gemacht hat? Der Winter richtet unübersteigbare Schranken auf, die selbst der festeste Wille, selbst die zäheste Liebe nicht überwinden können! Du mußt abwarten!«

»Abwarten! Abwarten! … Immer abwarten! Ich habe es satt, dieses Warten ohne Ende!« hatte Cathérine darauf gerufen. »Bin ich denn verdammt, mein Leben in einer Erwartung ohne Ende verrinnen zu sehen?«

Auf diese Fragen zog Sara es vor, nicht zu antworten. Es war besser, die Unterhaltung abzubrechen oder von anderen Dingen zu sprechen, denn wenn man versuchte, mit Cathérine zu rechten, führte es nur dazu, daß sie sich noch mehr in ihrem Kummer vergrub. Die Zigeunerin glaubte nicht an die Möglichkeit einer Heilung Arnauds. Sie hatte noch nie davon gehört, daß die Lepra, wenn sie jemanden einmal befallen hatte, ihn je wieder losließ. Es war sogar erstaunlich, daß Saint-Méen de Jaleyrac, der heilige Spezialist der furchtbaren Krankheit, immer noch Patienten hatte. Offensichtlich war der Ruf San Jagos von Compostela groß, aber Saras Christentum war noch zu stark vom Heidentum gefärbt, als daß sie großes Vertrauen darin hätte. Im Gegenteil, sie war überzeugt, daß man, wenn nicht ein verhängnisvoller Zufall eintrat, früher oder später Nachricht von Gauthier bekommen würde. Das hinderte sie nicht zu seufzen, wenn sie Cathérines kleine, schwarze und zerbrechliche Silhouette in den Schnee hinausgehen sah, um zu lauern, ob er nicht auf der Talstraße auftauchte.

Eines Abends im Februar, nachdem die junge Frau ihren Beobachtungsposten eingenommen hatte, nach einer durch den Frost erzwungenen beschwerlichen Zeit des Klosterlebens, schien es ihr plötzlich, als könnte sie einen dunklen Punkt auf dem weißen Weg erkennen, einen Punkt, der unter den hohen schwarzen Tannen langsam größer wurde. Sofort stand sie auf, mit klopfendem Herzen und keuchendem Atem … Es war bestimmt ein Mann, der aus dem Tal herauskam … Sie konnte einen Streifen des großen Mantels, der ihn einhüllte, im Wind flattern sehen. Er ging mühselig zu Fuß, den Rücken unter dem Nordwind gebeugt … Unwillkürlich machte sie ein paar Schritte ihm entgegen, aber als sie am Rand der Bäume angekommen war, blieb sie enttäuscht stehen. Das war nicht Gauthier … noch viel weniger Arnaud. Der Mann, den sie jetzt leicht ausmachen konnte, war von kleinem Wuchs, offenbar schmal und sehr braun. Einen Augenblick glaubte sie, es sei Fortunat, aber diese Hoffnung zerrann sofort. Der Reisende war ihr vollkommen unbekannt!

Er trug einen grünen Hut, dessen vorn heruntergeklappter Rand hinten hochgeschlagen war und eine Feder trug, die fast nur noch aus dem Kiel bestand, aber das braune Gesicht darunter hatte lebhafte und fröhliche Augen, und der große, geschwungene Mund lächelte, als er die weibliche Silhouette am Wegrand entdeckte. Cathérine konnte sehen, daß sein Rücken unter dem Mantel durch einen ovalen Gegenstand, den er auf der Schulter tragen mußte, entstellt war.

»Ein Hausierer«, dachte Cathérine, »oder ein Minnesänger …«

Sie entschied sich für den Minnesänger, als er ganz nahe herangekommen war. Unter dem schwarzen Mantel war seine Kleidung grün und rot, lebhaft und lustig, wenn auch strapaziert. Der Mann zog den verblaßten Hut, um sie zu grüßen.

»Frau«, sagte er mit einem fremden Akzent, »was für eine Burg ist das, bitte?«

»Montsalvy! Wollt Ihr dahin, Sire Minnesänger?«

»Dahin will ich noch heute abend! Ma, per la Madona! Wenn alle Bäuerinnen so schön sind wie Ihr, dann ist dies das Paradiso, dieses Montsalvy!«

»O nein, das ist nicht das Paradies«, erwiderte Cathérine, durch den Akzent des Jungen belustigt. »Und wenn Ihr den Anblick eines Schlosses erwartet, Sire Minnesänger, dann habt Ihr Euch getäuscht. Das Schloß Montsalvy existiert nicht mehr. Ihr werdet nur eine alte Abtei, wo man sehr wenig Liebeslieder singt, vorfinden.«

»Ich weiß!« sagte der Minnesänger. »Aber wenn es kein Schloß gibt, dann gibt es immer noch die Schloßfrau. Kennt ihr die Dame de Montsalvy? Es ist die schönste Dame des Erdkreises, nach allem, was man mir gesagt hat … aber ich glaube, sie wird Euch schwerlich übertreffen!«

»Ihr werdet trotzdem enttäuscht sein«, erwiderte Cathérine. »Ich bin die Dame de Montsalvy.«

Das Lächeln schwand aus dem fröhlichen Gesicht des Reisenden. Erneut hob er seinen grünen Filzhut und kniete im Schnee nieder.

»Hochedle und gnädigste Dame, verzeiht dem Unwissenden seine Vertraulichkeit …«

»Ihr konntet das nicht wissen. Die Schloßfrauen eilen selten in einem solchen Wetter auf die Straßen, besonders nicht allein!«

Wie um ihr recht zu geben, fegte ein plötzlicher Windstoß den Hut des Minnesängers davon und zwang Cathérine, sich an einen Baumstamm zu klammern.

»Bleiben wir nicht hier«, sagte sie, »es ist ein abscheuliches Wetter, und die Nacht bricht an. Das Schloß ist zerstört, aber das Gästehaus des Klosters, in dem ich wohne, kann Euch aufnehmen. Wie kommt es, daß Ihr mich kennt?«

Der Minnesänger hatte sich erhoben und klopfte sich mechanisch seine mageren Knie ab. Eine sorgenvolle Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet, und sein Mund fand das fröhliche Lächeln von vorhin nicht wieder.

»Ein Mann, den ich in den Hochbergen des Südens getroffen habe, hat mir von Euch gesprochen, edle Dame … Er war sehr groß und stark! Ein wahrer Riese! Er hat mir gesagt, er heiße Gauthier Malencontre …«

Cathérine stieß einen Freudenschrei aus und packte, ohne sich um das Zeremoniell zu kümmern, den Minnesänger am Arm, um ihn schnell mitzuziehen.

»Gauthier schickt Euch? Oh, seid gesegnet, wer immer ihr seid! Wie geht es ihm? Wo war er, als Ihr ihm begegnet seid?«

Eiligst stieg sie, den Minnesänger hinter sich herziehend, der plötzlich sehr unruhig zu werden schien, zum Dorf hinauf, ging durchs Tor und traf dabei auf Saturnin, der einen Fensterladen seines Hauses ausbesserte:

»Dieser Mann hat Gauthier gesehen. Er hat Nachrichten!«

Mit einem freudigen Ausruf schloß der alte Amtmann sich ihnen an.

Der Minnesänger betrachtete sie mit einer Art Entsetzen.

»Verzeihung, edle Dame«, ächzte er, »Ihr habt mir ja noch nicht einmal Zeit gelassen, Euch meinen Namen zu nennen und …«

»Dann nennt ihn mir«, erwiderte Cathérine fröhlich. »Aber für mich heißt Ihr Gauthier …«

Der Mann schüttelte mißbilligend und überwältigt den Kopf.

»Ich heiße Guido Cigala … Ich stamme aus Florenz, der schönen Stadt, aber zur Vergebung meiner zahlreichen Sünden wollte ich in Galicia an der Gruft des Apostels beten …

Dame!« bat er flehentlich, »freut Euch nicht zu sehr, und bereitet mir keinen so schönen Empfang. Die Nachrichten, die ich bringe, sind nicht gut!«

Cathérine und Saturnin blieben wie festgewurzelt mitten auf der Straße stehen. Das freudige Rot, das Cathérine ins Gesicht gestiegen war, machte einer tragischen Blässe Platz.

»Ach?« sagte sie nur. Ihr Blick ging vom Minnesänger zu Saturnin, unruhig, fast flehend. Aber dann fing sie sich wieder, straffte sich.