»Was haltet Ihr davon?« fragte Gauthier.
»Daß Ihr recht habt, mein Junge! Der Herr ist nicht tot! Das ist nicht möglich!«
»Wie hätte er dann entkommen können?« fragte Cathérine.
»Ich weiß es nicht! Aber einen Geist hast du nicht gesehen. Geister tragen keine Masken, ich kenne sie!«
»Ich will dir gern glauben«, seufzte Cathérine. »Aber nun sag, was ich tun soll?«
»Ein paar Tage abwarten, wie Gauthier sagte, um Fortunat Zeit zur Rückkehr zu geben. Wenn er nicht kommt …«
»Wenn er nicht kommt?«
»Reiten wir mit Saturnin und ein paar kräftigen Männern nach Calves zurück. Wir werden die Trümmer durchwühlen, bis wir Gewißheit haben. Aber was mich betrifft, habe ich diese Gewißheit bereits: Es gibt keine Leiche in Calves … zumindest nicht die, an die du denkst …«
Diesmal kehrte ein wenig Hoffnung in Cathérines Herz zurück. So innig waren die Bande, die sie mit Sara vereinten, daß sie, durch mancherlei Erfahrungen bestärkt, in ihr wenn nicht ein Orakel, so doch einen klaren Verstand sah, der sich selten täuschte und sich zuweilen sogar zu Momenten seltsamen Scharfblicks aufschwingen konnte … Sie antwortete nicht, sondern nahm die Hand ihrer alten Freundin und hob sie demütig an ihre Wange wie ein Kind, das um Verzeihung bittet.
Saras Augen waren voll Zärtlichkeit, als sie auf den blonden, ihr zugeneigten Kopf hinabsah. Im einbrechenden Abend läutete die Klosterglocke zum Gebet.
»Die Mönche gehen jetzt in die Kapelle«, sagte Sara. »Du solltest auch beten gehen …«
Cathérine schüttelte den Kopf.
»Ich habe keine Wünsche mehr, Sara! Was nützt es zu beten? Gott erinnert sich meiner nur, um mich zu züchtigen.«
»Du bist ungerecht! Er hat dir die bitteren Früchte der Rache und die süßeren des Triumphs geschenkt. Du hast Montsalvy das Recht auf seine Existenz zurückgegeben.«
»Aber um welchen Preis?«
»Um einen Preis, den du noch nicht kennst … es sei denn, du bedauerst den, den du in Chinon zurückgelassen hast«, fügte sie absichtsvoll hinzu. Sie wollte sehen, wie Cathérine auf die Erinnerung an den Mann reagieren würde, dessentwegen sie beide sich entzweit hatten … Aber sie wurde in dieser Hinsicht sofort beruhigt. Cathérine hob ungeduldig die Schultern.
»Was soll ich bedauern, solange ich nicht weiß, was Amaud zugestoßen ist?«
Dem gab es nichts hinzuzufügen.
Das Fieber, das Isabelle verzehrte, schien nachzulassen. Die alte Dame delirierte nicht mehr, sie hustete weniger, aber sie wurde mählich schwächer wie eine heruntergebrannte Öllampe.
»Wir werden sie nicht retten!« sagte Sara, die Cathérine am Krankenbett ablöste, um Donatienne zu erlauben, ein wenig auszuruhen und sich um Saturnin zu kümmern, den sie seit Beginn der Krankheit sehr vernachlässigt hatte.
»Man möchte meinen«, bemerkte Cathérine darauf, »daß sie keine Lebenskraft mehr hat.«
Alle Arzneien des Klosters, das ganze medizinische Wissen des Baders von Aurillac, der sie wieder am Krankenlager besucht hatte, waren machtlos, den Lebensfluß in diesem erschöpften Körper zu erhalten. Ganz sanft verlosch Isabelle.
Sie blieb jetzt stundenlang auf dem Bett ausgestreckt, die Hände um ihren Rosenkranz oder um ein Gebetbuch gefaltet, in dem sie nicht las, schweigend und reglos. Nur ihre Lippen, die sich leise bewegten, deuteten an, daß sie betete.
Eines Abends, drei Tage nach dem Ritt Cathérines und Gauthiers nach Calves, hob die alte Dame die Lider und sah Cathérine an, die auf einem Schemel neben ihr saß.
»Ich bete für Euch, mein Kind«, sagte sie leise, »für Michel … und für ihn, meinen Sohn! Laßt ihn in seinem Elend nicht allein, Cathérine. Da ich nicht mehr lange dasein werde, wacht aus der Ferne über ihn! Es ist ein so schreckliches Unglück, das ihn befallen hat!«
Cathérine preßte die Hände zusammen, dann räusperte sie sich, um zu verhindern, daß ihre Stimme zitterte. Isabelle wußte nichts von dem Drama in Calves, das man ihr sorgfältig verheimlicht hatte; aber wie schwer war es, die Komödie weiterzuspielen, eine beschwichtigende, notwendige Heiterkeit vorzutäuschen, da ihre Seele von Bangigkeit erfüllt war! Jede Minute der drei verflossenen Tage war für Cathérine eine Minute der Qual gewesen. Im Vertrauen darauf, was Sara ihr versichert hatte, wartete sie auf die Rückkehr Fortunáis, und diese Rückkehr stand noch immer aus … Aber es gelang ihr, der alten Frau zärtlich zuzulächeln.
»Seid ohne Furcht, Mutter! Ich werde mich nie von ihm lösen. Ich möchte für ihn einen Wohnsitz bauen, nicht weit von hier, wo er abseits der anderen leben kann, aber besser, mehr seinem Geschmack, seinem Rang entsprechend … Ich habe immer davon geträumt, ihn diesem entsetzlichen Hospital zu entreißen!«
Die Augen der Kranken strahlten vor Freude. Ihre magere Hand streckte sich aus, um die Cathérines zu drücken.
»O ja! Tut das! … Holt ihn aus diesem Ort des Schreckens heraus! Da wir jetzt wieder reich sind …«
»Sehr reich, Mutter!« lächelte Cathérine, die Tränen zurückhaltend. »Montsalvy wird wiedererstehen, schöner, mächtiger als zuvor … Bruder Sebastian, der Architekt des Klosters, hat die Pläne für das neue Schloß schon entworfen, während Saturnin, von Bruder Placide angeleitet, sich darauf vorbereitet, nahe der Truyère einen Steinbruch anzuschlagen. Das ganze Dorf wird Arbeit haben, sobald die Feldbestellung beendet ist. Bald werdet Ihr wieder einen Eurer würdigen Wohnsitz haben!«
Isabelle schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. Ihr Blick glitt zu Cathérines Hand, an der der Smaragd der Königin Yolande grün funkelte. Seit sie ihn empfangen hatte, hatte Cathérine diesen Ring nicht abgestreift. Als sie sah, daß die alte Dame ihn betrachtete, nahm sie ihn vom Finger, legte ihn in die abgemagerte, doch noch schöne Hand auf dem Laken, eine Hand, deren fast männliche Form an die Arnauds erinnerte.
»Er ist das Unterpfand der Freundschaft Yolandes von Anjou für unsere Familie. Seht ihr Wappen, in den Stein eingraviert. Behaltet ihn, Mutter, er steht Euch so gut!«
Isabelle betrachtete das Juwel mit einem entzückten Lächeln, einer fast kindlichen Freude, und warf Cathérine einen liebevollen Blick zu.
»Ich nehme ihn nur als Leihgabe. Bald … meine Tochter, werde ich ihn Euch zurückgeben. Doch, doch … keine Einwände! Ich weiß es und bin darauf vorbereitet. Der Tod schreckt mich nicht, im Gegenteil … Er wird mich bald zu denen führen, die ich mein Leben lang beweint habe … zu meinem teuren Gatten, meinem kleinen Michel, den Ihr einst habt retten wollen! Und so ist es gut!«
Einen Augenblick blieb sie still, den Smaragd bewundernd, der auf ihre Hand den grünen Schimmer tiefen Wassers warf. Dann fragte sie:
»Und der fabelhafte schwarze Diamant? Was ist aus ihm geworden?«
Cathérines Gesicht verriet flüchtig Mißbehagen.
»Ich hatte ihn verloren und habe ihn wiedergefunden. Aber er hat noch viel Unheil angerichtet. Ich habe geschworen, daß er keins mehr anrichten soll!«
»Wie das?«
»Bald, in einigen Tagen, werde ich den verfluchten Diamanten der einzigen anbieten, die von seiner teuflischen Macht nichts zu fürchten hat.«
»Ist er wirklich so verderbenbringend?«
Cathérine stand auf, ihr Blick irrte durch das kleine Zimmer. Wie in jener ersten Nacht sah sie visionär die Feuersbrunst vor sich, die Calves verwüstet hatte … Sie biß sich auf die Zähne, um nicht vor Schmerz zu schreien, und murmelte dann mit einem unüberhörbaren Ausdruck von Haß und Entsetzen:
»Mehr, als Ihr glaubt! Das Böse … er hat nie aufgehört, es zu bewirken! Er tut es immer noch, fast jeden Tag, den Gott erschafft, aber ich weiß genau, wie ich ihm seine Macht entreißen kann! Ich werde Satan der zu Füßen legen, die einstmals die Schlange unter ihren nackten Sohlen zermalmte. Am Mantel der Schwarzen Jungfrau vom Berge wird der schwarze Diamant machtlos werden!«
Tränen glitzerten nun in den Augen Isabelles, aber ein Licht funkelte in ihnen.
»Ihr wart uns vom Schicksal bestimmt, Cathérine! Instinktiv findet Ihr die alte Tradition der Burgfrauen von Montsalvy wieder, die in Zeiten des Krieges und der Gefahr sich zum Berge von Le Poy aufmachen, um göttliche Hilfe bitten und ihre schönsten Kleinode auf den Altar legen! Geht, meine Tochter, Ihr denkt wie eine echte Montsalvy!«
Cathérine antwortete nicht. Zwischen Isabelle und ihr bedurfte es keiner Worte mehr! Schweigsamkeit genügte ihnen, sie konnten sich in Zukunft aufeinander verlassen, sie verstanden sich, übrigens trat in diesem Augenblick der Abt Bernard ins Zimmer, um, wie er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, die Kranke abends zu besuchen. Cathérine zog sich zurück, nachdem sie seinen Hirtenring geküßt hatte, und ließ die beiden allein. Sie wollte zu Sara gehen, die in der Küche Michel badete, doch als sie den Gemeinschaftsraum durchschritt, sah sie den Bruder Pförtner herbeieilen.
»Dame Cathérine«, sagte er, »der alte Saturnin bittet Euch, sich gütigst zu ihm zu bemühen. Er sagt, es handle sich um etwas Wichtiges!«
In seiner Eigenschaft als Amtmann von Montsalvy war Saturnin beauftragt, die Arbeiter für den Wiederaufbau des Schlosses anzuwerben. In der Annahme, es handle sich um Probleme der Anwerbung oder der Bezahlung, hielt Cathérine es für unnötig, Sara von ihrer Abwesenheit zu unterrichten.
»Es ist gut, ich komme!« erwiderte sie. »Danke, Bruder Eusebius!«
Nachdem sie sich mit einem schnellen Blick in den Spiegel ihres Zimmers vergewissert hatte, daß ihr blaues Barchentkleid proper und ihre hohe Linnenhaube makellos weiß waren, verließ Cathérine das Kloster und wandte sich zu dem Hause Saturnins, das sich, nur wenige Schritte entfernt, in der Hauptstraße befand. Die Bauern kehrten eben nach ihrer Tagesarbeit vom Felde zurück, denn man war mitten in der Ernte. Zum erstenmal seit Jahren hatte es keine Katastrophe gegeben, die Weizen und Hafer am Wachsen hätte hindern können. Die Leute beeilten sich, die Ernte zu bündeln und einzufahren …
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