Seine Zerknirschung und sein Bedauern waren echt. Und Cathérine konnte gegen jemand, der seine Fehler so freimütig eingestand, keinen Groll hegen. Plötzlich lächelte sie und streckte dem jungen Mann beide Hände entgegen.
»Ich täuschte mich auch. Vergessen wir das alles, Bernard … und kommt nach Montsalvy, wenn Ihr nach Lectoure zurückkehrt! Ihr werdet immer willkommen sein! Später werde ich Euch Michel anvertrauen, wenn die Zeit gekommen sein wird, einen Pagen aus ihm zu machen. Ich glaube, Ihr werdet das aus ihm zu machen verstehen, was Arnaud erwartet hätte. Und jetzt sagt mir auf Wiedersehen!«
»Verlaßt Euch auf mich! Auf Wiedersehen, schöne Cathérine!«
Ehe sie sich's versah, packte er sie an den Schultern und versetzte ihr auf beide Wangen einen schallenden Kuß. Dann ließ er sie los.
»Ich werde Xaintrailles und La Hire erzählen, was für eine tapfere Kameradin Ihr seid! Ich wollte Euch eine Eskorte auf den Heimweg mitgeben, aber anscheinend hat der König da schon vorgesorgt.«
»Gott sei Dank«, sagte Cathérine lachend. »Ich möchte auch lieber etwas Friedfertigeres um mich haben als Eure Teufel aus der Gascogne. Um die im Zaum zu halten, muß man eine Führernatur sein, und ich bin nicht Arnaud de Montsalvy!«
Schon im Begriff, sich zu entfernen, blieb Bernard stehen, machte kehrt und sah Cathérine einen Augenblick prüfend an. Dann, ernst:
»Ich glaube doch!« sagte er.
Die Morgenröte ließ die Dächer von Chinon und das ruhige Wasser der Vienne aufglühen, als Cathérine in der Frühe des folgenden Tages unter dem Fallgatter des Uhrenturms hindurchritt. Alle Glocken der Stadt läuteten zum Morgengebet, und ihr Klang stieg in die reine Luft bis zu der kleinen Reitergruppe hinauf, die das Schloß verließ. Die Eskorte, die der König zu Cathérines Verfügung gestellt hatte, bestand aus Bretonen, wie die mit Hermelinschwänzen gesprenkelten Wappenröcke der Soldaten bezeugten. Tristan l'Hermite befehligte sie, und als er am Abend zuvor zu Cathérine gekommen war, um ihr zu sagen, daß er sie nach Montsalvy begleiten würde, bevor er zum Konnetabel de Richemont nach Parthenay gehe, hatte sie große Freude darüber empfunden. Der König hätte keine bessere Maßnahme zu ihrem Schutze treffen können, als ihr diesen schweigsamen Flamen mitzugeben, dessen Tapferkeit sie schätzengelernt hatte. Er besaß gelassene Schlauheit, ruhigen Mut und eine Begabung für Verwaltung und Regierungsgeschäfte. Sie hatte zu ihm gesagt:
»Ihr werdet es weit bringen, Freund Tristan. Ihr habt alle Eigenschaften eines Staatsmannes.«
Worauf er lachte.
»Das hat man mir auch schon gesagt … sogar erst gestern! Wißt Ihr, Dame Cathérine, daß unser zehnjähriger Dauphin sich für meine Person interessieren will? Er hat mir versprochen, mein Glück zu machen, wenn er einmal König sein wird. Offenbar haben ihn unsere Taten gegen La Trémoille beeindruckt. Wohlverstanden, ich werde dieser Art Versprechungen nicht allzuviel Glauben schenken. Die Fürsten, besonders, wenn sie so jung sind, haben ein schlechtes Gedächtnis.«
Aber Cathérine hatte den Kopf geschüttelt. Sie erinnerte sich an den forschenden, bis zur Unerträglichkeit scharfen Blick des Dauphins Louis. Ein Blick, der bestimmt nicht vergessen würde.
»Ich glaube, er wird sich erinnern!« sagte sie nur.
Tristan hatte sich damit begnügt, zweifelnd den Kopf zu schütteln. Und nun ritt er ruhig an ihrer Seite, lässig im Sattel hängend wie jemand, den man über die Eintönigkeit langer Ritte nicht mehr zu belehren braucht und der es sich angewöhnt hatte, im Sattel zu schlafen. Seine Kappe hatte er auf die Augen heruntergezogen, um sie gegen die Strahlen der aufgehenden Sonne zu schützen, und überließ sich dem ausgewogenen Gang des Pferdes.
Cathérine war wieder in das Jünglingskostüm geschlüpft, das sie beim Verlassen Angers' getragen hatte. Sie liebte es, sich als Mann anzuziehen, der größeren Bewegungsfreiheit wegen und weil es sie mit einer Art von Verwegenheit erfüllte. Gut in ihre Steigbügel gestützt, betrachtete sie die Stadt, als sähe sie sie zum erstenmal. In ihr hatte sie den Sieg davongetragen, den sie sich wünschte, und dazu noch einen weiteren, unerwarteten, über sich selbst. In dem Augenblick, in dem sie Chinon verließ, wurde es ihr plötzlich teuer.
Die guten Leute begannen ihren Tag. Überall knarrten die Fensterläden, die Boutiquen wurden geöffnet, und die Hausierer mit Blumen und Gemüse setzten sich in Bewegung. Ein starker Regen hatte abends zuvor die kleinen, runden Pflastersteine frisch gewaschen. Als sie zum Grand Carroi kamen, sah Cathérine neben dem Brunnen ein junges Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, das, auf dem Brunnenrand sitzend, Rosensträuße band. Sie waren so frisch, diese Rosen, und sie erinnerten Cathérine an einen anderen Strauß, den man ihr eines Abends durchs Fenster von Meister Agnelets Herberge geworfen hatte. Sie hielt ihr Pferd neben dem Blumenmädchen an.
»Deine Rosen sind hübsch!« sagte sie. »Verkauf mir einen Strauß!«
Die Kleine reichte ihr sofort das schönste ihrer duftenden Gebilde.
»Das macht einen Sou, edler Herr!« sagte sie lächelnd und knicksend. Aber gleich wurde sie rot wie eine Kirsche und rief freudig: »Oh, danke, edler Herr!«, als sie von Cathérine ein Goldstück für den Strauß bekam.
Cathérine setzte ihr Pferd wieder in Bewegung und ritt auf die befestigte Brücke zu, die über die Vienne führte. Sie hatte ihr Gesicht in den Blumen vergraben und roch mit geschlossenen Augen den köstlichen Duft. Tristan begann zu lachen:
»Das sind zweifellos die letzten Rosen, die wir lange Zeit zu sehen bekommen werden. In Eurer armen Auvergne gedeihen sie nicht. Hier sind sie zu Hause. Die Touraine ist ihre Domäne!«
»Aus diesem Grund habe ich sie auch gekauft. Sie repräsentieren für mich dieses schöne Land der Loire und einige Erinnerungen … Spuren, die vielleicht verwehen, wenn sie verwelkt sind.«
Der Bewaffnetentrupp ritt über die Brücke, von den Soldaten der Wache gegrüßt, die das Wappen des Konnetabels erkannten. Nachdem man den Fluß hinter sich hatte, setzte man die Pferde in Galopp. Cathérine und ihre Eskorte verschwanden in einer Staubwolke.
Dritter Teil
Die Straße nach Compostela
Vierzehntes Kapitel
Es war nach zehn Uhr abends und dunkle Nacht, als Cathérine, Tristan l'Hermite und ihre Eskorte am Ende einer ermüdenden Reise vor Montsalvy ankamen. Das freundliche Sommerwetter hatte den Schlamm der Straßen ausgetrocknet, ihn aber auch in ebensoviel Staub verwandelt. Glücklicherweise hatte es den Reisenden auch ermöglicht, die Nächte unter freiem Himmel zu verbringen und täglich lange Wegstrecken zurückzulegen. Man hatte reichlich Verpflegung mitgeführt, und die Aufenthalte in Herbergen waren selten gewesen. Die meisten von ihnen hatten ohnehin nicht viel zu bieten.
Je mehr sie sich ihrem Ziel näherte, desto mehr schien Cathérines Ungeduld zu wachsen, und gleichzeitig verdüsterte sich ihre Stimmung. Sie wurde immer einsilbiger und ritt ganze Stunden lang, ohne ein Wort zu sprechen, die Augen auf den Weg vor ihr gerichtet, von fiebriger Eile besessen. Tristan beobachtete sie insgeheim, ohne freilich zu wagen, ihr Fragen zu stellen. Sie forcierte das Tempo soweit wie möglich und zeigte sich ärgerlich, wenn eine Rast eingelegt werden mußte. Aber die Pferde brauchten nun einmal Atempausen.
Indes, als man Aurillac passiert hatte, ließ die große Hast unversehens nach. Cathérine ließ das Tempo mehr und mehr verlangsamen, als fürchtete sie, sich den Bergen zu nähern, in denen Arnaud immer noch lebte. Und als die Wälle und Türme von Montsalvy auf der Hochebene auftauchten wie eine dunkle, der Nacht aufgesetzte Krone, zügelte die junge Frau ihr Pferd und hielt einen Augenblick an, mit schwerem Herzen diese Landschaft betrachtend, die kennenzulernen sie allzuwenig Zeit gehabt hatte. Tristan lenkte beunruhigt sein Pferd neben sie.
»Dame Cathérine, was habt Ihr?«
»Ich weiß nicht … Freund Tristan, mir scheint, ich habe plötzlich Angst.«
»Wovor?«
»Ich weiß nicht!« wiederholte sie mit müder Stimme. »Es ist wie … eine Vorahnung.«
Niemals hatte sie etwas Ähnliches wie diese erstickende Furcht vor dem empfunden, was sie hinter diesen stummen Mauern erwartete. Sie versuchte, vernünftig zu sein. Da drüben waren Michel, Sara, ohne Zweifel auch Gauthier. Aber selbst das Bild ihres kleinen Sohns vermochte das bedrückende Gefühl in ihrer Brust nicht zu lösen. Sie warf Tristan einen tränenfeuchten Blick zu.
»Reiten wir weiter«, sagte sie schließlich. »Die Männer sind müde!«
»Und Ihr auch!« brummte der Flame. »Vorwärts, Leute!«
Die Stadttore waren zu dieser späten Stunde geschlossen, aber Tristan setzte das Horn, das an seinem Gürtel hing, an den Mund und stieß dreimal hinein. Nach einem Weilchen beugte sich ein Mann mit einer Laterne über die Zinne.
»Wer ist da?«
»Öffnet!« rief Tristan. »Es ist die edle Dame Cathérine de Montsalvy, die vom Hofe zurückkehrt, öffnet! Im Namen des Königs!«
Der Wächter stieß einen unartikulierten Schrei aus. Das Licht verschwand, aber einige Augenblicke später öffnete sich knarrend das Tor der kleinen befestigten Stadt. Der Mann mit der Laterne erschien wieder, die Kappe in der Hand, und trat bis unter die Köpfe der Pferde heran, seine Laterne hebend.
»Wahrhaftig, es ist unsere Dame!« rief er freudig. »Gott segne sie, daß sie zu so gelegener Zeit ankommt. Man hat nach dem Amtmann geschickt, um sie würdig zu empfangen.«
In der Tat kam auf der einzigen schmalen Gasse eine schwankende Gestalt eilends angelaufen. Cathérine, plötzlich erleichtert, erkannte den alten Saturnin. Er kam mit der ganzen Schnelligkeit, die seine alten Beine ihm erlaubten, und rief:
"Cathérine de Montsalvy" отзывы
Отзывы читателей о книге "Cathérine de Montsalvy". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Cathérine de Montsalvy" друзьям в соцсетях.