Am nächsten Morgen verabschiedete sie sich vom König, nachdem sie nicht ohne Mühe von der Königin Maria die Erlaubnis zum Aufbruch erhalten hatte, da diese ihre Eile, den Hof zu verlassen, nicht begriff.

»Ihr seid eben erst angekommen, meine Teure!« sagte sie zu ihr. »Seid Ihr unserer schon überdrüssig?«

»Nein, Madame … aber ich sehne mich nach meinem Sohn, und ich gehöre nach Montsalvy.«

»Gut, dann geht! Aber kommt zurück, sobald es Euch mit dem Kind möglich sein wird. Ihr gehört zu meinen Ehrendamen, und der Dauphin wird bald Pagen brauchen.«

Karl VII. sagte ungefähr dasselbe zu der jungen Frau, fügte aber hinzu:

»So hübsche Frauen wie Ihr sind selten, und jetzt wollt Ihr abreisen? Was gibt es denn so Anziehendes in dieser Auvergne, daß Ihr den sehnlichen Wunsch habt, dorthin zurückzukehren?«

»Es ist ein bewundernswertes Land, Sire, und Ihr würdet es lieben. Und was die Frage betrifft, was mich dahin zieht, so bitte ich Euer Majestät um Verzeihung, wenn ich sage, daß es vor allem mein Sohn und sodann die Ruinen sind …!«

Eine Falte furchte die Stirn des Königs, aber er glättete sie sofort mit einem Lächeln.

»Und Ihr fühlt die Seele eines Baumeisters in Euch? Ausgezeichnet, Dame Cathérine! Ich sehe es gern, wenn eine Frau Entschlossenheit und Energie mit soviel Schönheit verbindet. Aber … was wird bei alldem aus meinem Freund Pierre de Brézé? Plant Ihr, ihn mitzunehmen? Ich muß Euch nämlich sagen, daß ich ihn hier sehr brauche.«

Cathérine wurde steif, senkte jedoch die Augen, um die Erregung, die sich ihrer bemächtigte, zu verbergen. Sie war ja kaum von dem für einen Augenblick geträumten Traum geheilt. Der Name Pierres verursachte ihr noch immer Schmerz.

»Ich nehme ihn nicht mit, Sire! Der Seigneur de Brézé hat sich mir als ein treuer Freund erwiesen, als echter Ritter. Aber er lebt sein Leben, wie ich das meine lebe. Der Kampf ruft ihn, und ich muß mein Haus wiederaufbauen …«

Karl VII. mangelte es nicht an Scharfsinn. Dem leisen Tremolo, das in der Stimme der jungen Frau schwang, entnahm er, daß etwas geschehen sein müsse, und bestand plötzlich nicht mehr darauf, sie noch weiter zurückzuhalten.

»Die Zeit heilt vieles, schöne Dame … Ich habe einen Augenblick geglaubt, daß wir in kurzem eine Verlobung feiern würden, aber offenbar habe ich mich geirrt. Trotzdem, Dame Cathérine, würdet Ihr Eurem König erlauben, Euch einen Rat zu geben? überstürzt nichts … Brecht nicht alle Brücken ab! Ich sagte Euch, die Zeit heilt alles, die Zeit ändert die Männer und Frauen. Ihr sollt eines Tages nichts zu bereuen haben! Das wäre ungerecht!«

Mehr, als sie eingestehen wollte, durch die königliche Fürsorge bewegt, kniete Cathérine nieder, um die Hand zu küssen, die Karl ihr reichte.

Sie lächelte ihm tapfer zu.

»Ich werde nichts bereuen! Aber ich weiß Eurer Majestät für Ihre Güte tiefen Dank. Ich werde sie nie vergessen.«

Er gab ihr ihr Lächeln zurück, mit jener Schüchternheit, die ihn immer angesichts einer sehr schönen Frau befiel.

»Es kann sein, daß ich eines nahen Tages auch einmal in die Auvergne reise«, sagte er sinnend. »Geht jetzt, Gräfin de Montsalvy! Geht zu dieser Pflicht, die Ihr so gern übernommen habt. Wißt nur, daß Euer König Euch vermissen wird, daß er hofft, Euch an einem nicht zu fernen Tag wiederzusehen … und daß Ihr seine Hochachtung mitnehmt!«

Er war es, der sich entfernte und Cathérine inmitten des Großen Saals, in dem nur die unbeweglichen Posten standen, kniend zurückließ. Sie hörte seinen Schritt verhallen und erhob sich leise. Sie fühlte sich weniger traurig, eine Art Stolz erfüllte sie darüber, daß Karl mit ihr nicht wie mit einer Frau, sondern wie mit einem seiner Feldhauptleute gesprochen hatte! Wie er zweifellos mit Arnaud selbst gesprochen hatte.

Blieb noch, der Königin Yolande adieu zu sagen.

Cathérine begab sich alsbald zu ihr, darauf vorbereitet, ein drittes Mal dieselbe Erklärung abgeben zu müssen. Aber es war nicht nötig. Die Herrscherin der Vier Königreiche begnügte sich damit, sie zu umarmen.

»Ihr handelt richtig!« sagte sie zu ihr. »Ich habe nichts anderes von Euch erwartet! Der junge Brézé hätte nicht zu Euch gepaßt … weil er eben zu jung ist!«

»Wenn Ihr so dachtet, Madame und meine Königin, warum habt Ihr mir dann nichts gesagt?«

»Weil es sich um Euer Leben handelt, meine Schöne! Und weil niemand das Recht hat, das Schicksal anderer zu bestimmen. Nicht einmal … was sage ich? … schon gar nicht eine alte Königin! Geht in Eure Auvergne zurück! An Arbeit wird es nicht fehlen, denn wir müssen dieses schöne Königreich jetzt wieder zusammenflicken. Wir werden in den Provinzen Leute wie die Montsalvys brauchen. Ihr von Eurer Rasse, meine Teure, seid wie die Berge Eures Landes: Man bedient sich ihrer, aber zerstört sie nicht! Trotzdem … möchte ich Euch nicht ganz verlieren!«

Mit einer Bewegung rief Yolande Anne de Bueil zu sich, die, dem Brauch gemäß, in einer Ecke über einer Stickerei saß.

»Bringt mir meine Elfenbeinkassette!« befahl sie.

Als die junge Frau sie ihr gebracht hatte, griff sie mit ihren schlanken Fingern hinein und zog einen wunderbaren Smaragd mit ihrem eingravierten Wappen heraus, den sie der verwirrten Cathérine auf den Finger streifte.

»Der Emir Saladin hat diesen Smaragd einst einem meiner Vorfahren geschenkt, der ihn vor dem Tod errettet hatte, ohne übrigens zu wissen, wer er war. Ich habe ihn gravieren lassen … Behaltet ihn, Cathérine, als Erinnerung an mich, an meine Freundschaft und an meine Dankbarkeit. Dank Euch werden wir endlich regieren, der König und ich!«

Cathérine schloß die zitternde Hand über den wunderbaren Edelstein. Auch hier kniete sie nieder, um die Hand ihrer Monarchin zu küssen.

»Madame … Ein solches Geschenk! Wie kann ich sagen …«

»Sagt nichts! Ihr seid wie ich. Wenn Ihr tief bewegt seid, findet Ihr keine Worte, und das ist besser so. Dieser Ring wird Euch Glück bringen und Euch vielleicht auch helfen. Alle von mir Abhängigen in Frankreich wie in Spanien, in Sizilien wie auf Zypern oder in Jerusalem werden Euch beim Anblick dieses Juwels Beistand leisten. Es ist eine Art Geleitbrief, den ich Euch gebe, denn ich habe ein Vorgefühl, daß Ihr ihn brauchen könntet. Und ich rechne damit, Euch eines Tages wiederzusehen … bei bester Gesundheit!«

Die Audienz war beendet. Ein letztes Mal verneigte sich Cathérine.

»Adieu, Madame …«

»Nein, Cathérine«, lächelte die Königin. »Nicht Adieu! Auf Wiedersehen! Und Gott behüte Euch!«

Wenn Cathérine glaubte, sie habe sich nun überall verabschiedet, so täuschte sie sich. Als sie auf den großen Hof hinaustrat, um sich in die Staatskanzlei zu begeben, wo man ihr die Papiere ihrer Rehabilitierung überreichen sollte, die sie noch nicht hatte holen lassen, stieß sie auf Bernard d'Armagnac, der ungeduldig auf und ab schritt, als warte er auf jemand. Seit der Szene im Obstgarten hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen, und das Zusammentreffen bereitete ihr durchaus kein Vergnügen. Sie versuchte vorbeizugehen, indem sie so tat, als sähe sie ihn nicht, aber er stürzte sich auf sie.

»Ich erwartete Euch!« sagte er. »Man spricht in diesem Schloß nur von Eurer Abreise, und als ich hörte, daß Ihr bei der Königin Yolande seid, dachte ich mir gleich, daß Ihr bald wieder herauskommen würdet. Ihr seid nicht die Frau, die Abschiedsbesuche in die Länge zieht, und sie ist es auch nicht.«

»Ihr habt recht. Adieu, Graf«, entgegnete Cathérine kalt.

Ein reumütiges Lächeln fältelte das intelligente Gesicht des gaskognischen Edelmanns.

»Hm! Ihr zürnt mir, wie es scheint! Und da dürftet Ihr im Recht sein! Aber ich bin gekommen, Eure Verzeihung zu erbitten, Cathérine. Neulich habe ich rot gesehen. Ich hätte Euch beide töten können!«

»Aber Ihr habt nichts dergleichen getan. Seid versichert, daß ich Euch dafür sehr dankbar bin.«

Sie glaubte, daß ihre würdevolle Haltung Bernard beschämen würde. Zu ihrer großen Überraschung war er es durchaus nicht. Der Gaskogner brach in Gelächter aus.

»Gottes Blut! Cathérine, laßt diesen gespreizten Ton! Er steht Euch nicht, glaubt mir!«

»Ob er mir nun steht oder nicht, ich habe keinen anderen für Euch zur Verfügung. Dachtet Ihr etwa, ich würde Euch um den Hals fallen?«

»Ihr müßtet es eigentlich! Schließlich habe ich Euch vor einer gewaltigen Dummheit bewahrt! Wenn Ihr dem Vorhaben dieses Stutzers nachgegeben hättet, würdet Ihr's jetzt von ganzem Herzen bereuen.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Aber geht! Brézé ist nicht an meinem Degenhieb gestorben, weit entfernt davon! Wenn Ihr wirklich zu ihm gehalten hättet, wäret Ihr noch in derselben Nacht zu ihm aufs Zimmer gegangen. Aber das habt Ihr nicht getan!«

»Ich bin am anderen Tag zu ihm gegangen …«

»Und seid mit roten Augen wieder herausgekommen, mit der entschlossenen Miene eines Menschen, der eine ernste Entscheidung getroffen hat. Ihr seht, ich bin gut unterrichtet.«

»Etwas sagt mir, daß Eure Spione Euch belügen! Sie haben Euch nicht alles gesagt!« erwiderte Cathérine, gezwungen lächelnd. Aber sofort war Bernard wieder ernst geworden:

»Doch, Cathérine! Ihr habt mit ihm gebrochen, und die Erinnerung an Euren Gatten hat Euch zur Besinnung gebracht. Wenn das nicht so wäre, warum reist Ihr dann ab? Warum hat Brézé vor einer Stunde an der Spitze seiner Lanzenreiter die Zugbrücke dieses Schlosses passiert? Er bricht zur Unterstützung Lores auf, dessen Festung Saint-Ceneri die Engländer angegriffen haben.«

»Ah!« sagte die junge Frau mit ganz leiser Stimme. »Er ist fort?«

»Ja, er ist fort! Weil Ihr ihn abgewiesen habt! Ich habe mich nicht in Euch getäuscht, Cathérine, Ihr seid ganz die, die der große Montsalvy sich erwählt hat! Nur neulich nacht hab' ich mich irreführen lassen. Wollen wir nicht Frieden schließen? Ich habe den großen Wunsch, wieder Euer Freund zu werden.«