»Das ist genau das, was ich Euch vorwerfe«, sagte Sara ernst. »Aber Ihr könnt nicht begreifen! Gute Nacht, Seigneur. Ich werde Euch hinausgeleiten!«

Cathérine ergriff die Hand des jungen Mannes.

»Verzeiht ihr dieses Übermaß an Ergebenheit, Pierre! Sie wacht ein wenig zu eifersüchtig über mich. Aber Ihr habt mir noch nichts von meiner Schwiegermutter erzählt? Wie geht es ihr?«

Brézé runzelte die Stirn. Er antwortete nicht sofort, und sein Zögern fiel Cathérine auf und beunruhigte sie.

»Sie ist doch nicht etwa krank? Was ist?«

»Nichts, auf Ehre! Gewiß, sie wirkte nicht sehr rüstig, jedoch ihre Gesundheit schien mir gut! Aber welche Schwermut! Es scheint, daß ein inneres Leid an ihrem Herzen nagt … Oh!« beeilte er sich hinzuzufügen, als er sah, daß Cathérines Augen sich mit Tränen füllten. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Vielleicht habe ich mich auch getäuscht.«

»Nein«, entgegnete Cathérine traurig. »Ihr habt Euch nicht getäuscht. Ein Leid nagt an ihr … und ich kenne dieses Leid. Gute Nacht, Pierre … und vielen Dank! Wir werden uns morgen wiedersehen.«

Die Lippen des jungen Mannes preßten sich auf ihre Hände, aber sie blieb kalt unter ihrer Liebkosung. Es war, als wäre die Dame de Montsalvy plötzlich ins Zimmer getreten, als sähe sie ihr Antlitz vor sich, jenen schmerzerfüllten Ausdruck, den es seit dem Tage, an dem Arnaud fortgegangen war, nicht mehr verloren hatte. Sara, die dem Gang der Gedanken auf dem wandelbaren Gesicht Cathérines folgte, zog Brézé mit sich fort.

Er ging ohne ein Wort, doch schweren Herzens, suchte noch einen Blick von ihr zu erhaschen, aber ohne Erfolg. Cathérine merkte nicht einmal, daß er gegangen war. Erst als Sara zurückkam, begriff sie, daß er nicht mehr da war, und warf der alten Freundin einen schlafwandlerischen Blick zu.

»Ist er gegangen?« Und als Sara nickte, fügte sie bissig hinzu: »Bist du jetzt zufrieden?«

»Jawohl, ich bin zufrieden! Vor allem, weil schon der bloße Name Dame Isabelles genügte, um dich abzulenken. Ich flehe dich an, Cathérine, um deinet- und unser aller willen, laß dir durch diesen jungen und verführerischen Burschen nicht den Kopf verdrehen. Glaubst du vielleicht, du könntest dich am Feuer dieser Liebe wärmen? Du wirst daran verbrennen, wenn du nicht aufpaßt …«

Aber Cathérine hatte keine Lust, sich zu streiten. Sie zuckte mit den Schultern und lehnte sich ans Fenster, um in die Nacht hinauszublicken. Worte schienen ihr leer und völlig unnütz! Sie hallten in ihrem Kopf wider wie Glockenschläge. Plötzlich hatte sie das Gefühl, Luft und Raum zu brauchen. Der Anblick der zu ihren Füßen friedlich schlummernden Stadt, des sanften blauen Landes, der vom Fluß heraufdringende Ruch nach Wasser und feuchter Erde weckten unversehens eine Art schmerzenden Hungers in ihr, ein Gefühl von Leere und Enttäuschung …

Der Triumph des Abends ließ ihr einen bitteren Nachgeschmack zurück. Gewiß, La Trémoille war geschlagen, hart bestraft, und seine Frau nicht minder. Gewiß, die Montsalvys siegten auf der ganzen Linie. Aber wo war ihr, Cathérines, Sieg? Sie war einsamer denn je, und es nützte ihr nichts, daß der König ihr Rang und Vermögen wiedergegeben hatte. In Kürze würde sie in ihre wilde Auvergne zurückreisen, um dort zum Ruhme der Montsalvys zu wirken! Von neuem in der Einsamkeit!

An diesem glänzenden, fröhlichen Hofe, wo jeder nur damit beschäftigt schien, den flüchtigen Augenblick zu ergreifen und zu genießen, predigte man ihr Strenge, harte Pflicht. Jung und schön, wurde ihr die Liebe verboten … und das in dem Augenblick, in dem sie ihrer am meisten bedurfte, im Augenblick, in dem der Rachedurst, der sie beseelt und bisher aufrecht gehalten hatte, endlich abgeklungen war.

Sich brüsk umdrehend, sah sie Sara ins Gesicht und rief zornig:

»Und wenn ich Lust zu leben hätte? Wenn ich Lust hätte zu lieben, nicht mehr eine lebende Leiche zu sein, Gegenstand des Respekts und der Verehrung, sondern bebendes Fleisch, schlagendes Herz, rinnendes Blut! Wenn ich also leben wollte?«

Die schwarzen Augen Saras hielten Cathérines Blick wortlos stand, aber das Mitleid darin erregte den Zorn der jungen Frau nur noch mehr. Sie rief:

»Also? Was hast du darauf zu antworten?«

»Nichts!« entgegnete Sara tonlos. »Niemand wird dich daran hindern, nicht einmal ich!«

»Gut, daß ich das höre! Gute Nacht! Laß mich allein! Ich will allein sein, denn das ist alles, was man mir erlaubt!«

Zum erstenmal seit langem schlief Sara in dieser Nacht nicht im Zimmer Cathérines, sondern in der benachbarten Kleiderkammer.

In den folgenden Tagen wich Pierre de Brézé nicht von Cathérines Seite. Er trug ihr das Gebetbuch, wenn sie zur Kapelle ging, setzte sich bei Tisch neben sie, begleitete sie auf Spaziergängen und plauderte abends in einer Fensternische lange mit ihr, während die Musikanten des Königs spielten und die anderen tanzten. Es wurde vieldeutig gelächelt, wenn sie vorbeigingen, und selbst die Königin Marie hatte zu Cathérine gesagt, die neben ihr an einem Gobelin arbeitete:

»Pierre de Brézé ist ein sehr charmanter Junge, nicht wahr, meine Teure?«

»Charmant, Madame … Euer Majestät haben völlig recht.«

»Er ist auch ein tapferer Mann. Er wird es weit bringen, und ich glaube, daß die, die ihn sich zum Gatten wählt, keine schlechte Wahl treffen wird.«

Cathérine war errötet und hatte den Kopf auf ihre Arbeit gesenkt, aber ihre Verlegenheit war nicht von langer Dauer. Es war um sie eine Art Verschwörung. Die Menschen und Dinge schienen sich verschworen zu haben, sie Pierre in die Arme zu treiben und ihnen immer wieder Gelegenheit zu geben, einige Augenblicke allein zu sein. Nur Bernard hätte sich zwischen die beiden jungen Leute stellen können, aber wie durch ein Wunder war der Graf de Pardiac verschwunden. Er hatte sich nach Montrésor zu Jean de Bueil begeben. Was Sara betraf, so wahrte sie bei Cathérine die reservierte Haltung einer gut geschulten Kammerzofe und richtete nur das Wort an sie, wenn unerläßliche Dinge zu besprechen waren. Keine endlosen Plaudereien bei der Toilette mehr, keine Ermahnungen oder Ratschläge! Saras Gesicht war merkwürdig ausdruckslos geworden. Es schien starr, doch manchmal, am Morgen, entdeckte Cathérine in ihm die Spuren von Tränen, die einen Augenblick Gewissensbisse in ihr weckten. Aber das hielt nicht lange an. Pierre erschien wieder mit seinem Lächeln, seinen vor Liebe strahlenden Augen, und die junge Frau schob alles beiseite, was ihr neues Hochgefühl trüben konnte, und wandte sich begierig dieser Quelle der Jugend und Sorglosigkeit zu, die er für sie geworden war. Nachts, in der Stille ihres Zimmers, gestand sie sich ein, daß es ihr immer schwerer fiel, sich gegen das drängende Werben Pierres zu wehren, gegen seine Liebesworte, gegen die Liebkosung seiner Lippen auf ihrer Hand, gegen seine Blicke, die unaufhörlich mehr verlangten. Es war wie ein sacht abschüssiger, glitschiger Grashang, der so üppig mit Blumen bewachsen war, daß man sich gerne gehenließ. Und für das wunde Herz Cathérines hatte diese Sommerliebe die Frische eines wohltuenden Taus, unter dem es von neuem erblühen konnte.

Eines Abends, als sie zusammen unter den Bäumen des Obstgartens in der Süße der Nacht, im Schatten der dicken, mit Blattwerk und reifenden Früchten beladenen Äste promenierten, trieben die leidenschaftlichen Worte, die Pierre ihr ins Ohr flüsterte, Cathérine zu einer halben Hingabe. Sie ließ den Kopf auf die Schulter des jungen Mannes sinken, erlaubte ihm, ihre Taille zu umfassen …

Sachte drückte er sie an sich, und so standen sie einen langen Augenblick, wagten nicht, sich zu rühren, hörten ihre einander so nahen Herzen schlagen. Cathérine ließ sich von dem köstlichen Gefühl einlullen, endlich in Sicherheit zu sein, beschützt und verteidigt zu werden. Er liebte sie, er gehörte ihr ganz … Mit einem einzigen Wort könnte sie ihn fürs Leben gewinnen, und genau dieses Wort forderte er von ihr …

Sie hob den Kopf, um durch die Zweige das bestirnte Firmament zu suchen, aber ein Frösteln überkam sie: Die Lippen des jungen Mannes hatten sich der ihren bemächtigt, zuerst zart, dann mit fordernder Schärfe. Sie spürte, wie er zitterte, und klammerte sich fester an seine breiten, seidenumhüllten Schultern. Obgleich dieser Kuß noch furchtsam war, fühlte Cathérine, daß Pierre sich zwang, sie nicht in seinen Armen zu erdrücken und sie mit sich auf das duftende Gras zu ziehen … An ihrem Ohr hörte sie ihn flehen:

»Cathérine, Cathérine! Wann werdet Ihr mein sein? Ihr seht doch, daß ich vor Verlangen sterbe!«

»Habt Geduld, mein Freund … Ihr müßt mir noch ein wenig Zeit lassen.«

»Warum? Ihr werdet mir gehören, ich fühl's, ich bin dessen sicher! Ihr bebtet eben, als ich Euch umarmte, Cathérine: Wir sind beide jung, beide feurig … warum warten, warum die so schönen Stunden, die die Zeit uns schenkt, vergeuden? Bald muß ich aufbrechen. Viele meiner Kameraden sind schon in den Kampf zurückgekehrt, ich bin fast der einzige, der sich verspätet, und der Engländer hält immer noch die besten Plätze von Maine und der Normandie besetzt. Heiratet mich, Cathérine!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, Pierre … noch nicht! Es ist zu früh …«

»Dann gehört mir wenigstens an. Ich werde warten können, bis Ihr mir Eure Hand gebt. Denn Ihr werdet sie mir geben. Ihr werdet meine Frau sein, und ich werde mein ganzes Leben damit hinbringen, Euch anzubeten! Cathérine, laßt mich nicht gehen, ohne die Meine geworden zu sein … Euer Bild, das ich bewahre, dieses Bild unserer ersten Begegnung, es brennt in mir, jedesmal, wenn ich die Augen schließe.«

Cathérine spürte, daß sie errötete. Auch sie erinnerte sich an den lärmenden Eintritt Pierres in ihr Zimmer, während sie ihr Bad nahm. Er hatte sie schon ohne Kleider gesehen, und, seltsam, es brachte ihn ihr näher, als hätte er sie schon seit langem gekannt … Sie ließ sich noch widerstandsloser an seine Brust sinken. Er küßte sie wieder auf die Lippen, und sie wehrte sich nicht. Mit der einen Hand preßte er sie an sich, doch die andere, freie, löste sanft die schmalen Silberbänder ihrer Halskrause, um das strenge Dekolleté ihrer Robe zu erweitern und die Süße ihrer Haut zu suchen. Sie ließ ihn gewähren, passiv, schon glücklich, nur auf die Verwirrung achtend, die, sie überflutend, aus den geheimnisvollen Tiefen ihres Fleisches aufstieg.