Sie schüttelte traurig den Kopf, schob mechanisch mit dem Finger den schwarzen Flor zurück, der ihre Wange gestreift hatte.

»Es ist eine furchtbare Wahrheit, Bernard, schlimmer als der Tod … Ich schulde sie Euch natürlich, und trotzdem wünschte ich, Ihr würdet mich nicht danach fragen. Sie ist so grausam. Wisset also, daß mein Gatte für die ganze Welt tot ist!«

»Für die ganze Welt, aber nicht für mich! Cathérine, mir geht es wie Euch, es sind nur einige Tage her, seit ich wieder an diesem Hof bin. Vorher habe ich nördlich der Seine Krieg geführt, mit La Hire und Xaintrailles. Auch sie weigern sich, an diesen unerklärlichen, unaufgeklärten Tod Montsalvys zu glauben.«

»Wie kommt es, daß sie nicht hier sind?« fragte Cathérine in dem Bestreben, vom Thema abzuschweifen. »Ich hoffte, sie wiederzusehen!«

Aber der Graf de Pardiac ließ sich nicht ablenken. Er antwortete kurz:

»Sie kämpfen gegen Robert Willoughby an der Oise. Wenn ich nicht bei ihnen gewesen wäre, wäre ich nach Carlat zurückgekehrt. Ich bin der Lehnsherr dort, erinnert Euch, und ich hätte den Leuten des Schlosses sehr wohl die Wahrheit entreißen können, und sei es durch die Folter.«

»Die Folter, die Folter! Ihr kennt also nichts anderes als dieses entsetzliche Mittel?« entgegnete Cathérine mit Schaudern.

»Die Mittel sind, wie sie sind«, antwortete er ruhig. »Das Wichtige ist das Ergebnis. Sprecht, Cathérine, Ihr wißt genau, daß ich es früher oder später herausbekommen werde. Und ich gebe Euch mein Wort als Edelmann, daß Euer Geheimnis bei mir wohlverwahrt ist. Ihr wißt, daß es nicht eitle Neugier ist, was mich bewegt.«

Sie musterte ihn einen Augenblick scharf. Wie sollte sie an seiner Ehrlichkeit zweifeln, nach allem, was er für sie getan hatte? Sie machte eine Bewegung des Überdrusses.

»Ich werde es Euch sagen. Ohnehin, was spielt es für eine Rolle?«

Sie brauchte nur wenige Worte, um ihm die furchtbare Wahrheit über Arnaud zu berichten. Doch als sie schwieg, war der gaskognische Edelmann leichenblaß. Er wischte sich mit seinem Ärmel aus Goldbrokat den Schweiß von der Stirn. Und plötzlich wurde er rot vor Zorn, warf der jungen Frau einen wütenden, giftigen Blick zu.

»Und Ihr habt ihn in diesem Drecknest gelassen, unter diesen Bauernlümmeln, damit er langsam verreckt? Ihn, den edelsinnigsten von uns allen?«

»Was konnte ich tun?« rief Cathérine, sofort empört. »Ich stand allein gegen die Besatzung, gegen das Dorf … Es mußte sein. Er hat es selbst so gewollt. Vergeßt Ihr, daß wir nichts mehr hatten, kein anderes Asyl als das, welches wir Euch verdanken?«

Bernard d'Armagnac wandte den Kopf ab, hob die Schultern und warf Cathérine dann einen unsicheren Blick zu.

»Das ist wahr! Verzeiht mir … aber dabei kann es nicht bleiben, Cathérine! Kann man ihn nicht in irgendeinem entlegenen Schloß unterbringen und dort von ein paar ergebenen Dienern versorgen lassen?«

»Wer würde sich dazu bereit finden, da es sich um Lepra handelt?« murmelte Cathérine. »Und dennoch glaube ich, daß es möglich wäre. Aber wo? Er will sich nicht von Montsalvy entfernen.«

»Ich werde etwas finden, ich werd's Euch dann sagen … Allmächtiger Gott! Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, ihn da zu wissen, wo er ist.«

Cathérine stiegen die Tränen in die Augen, aber die Freude war bald verflogen, und sie stammelte:

»Und ich? Glaubt Ihr, ich könnte es ertragen? Seit Monaten quält mich dieser Gedanke! Wenn ich keinen Sohn hätte, wäre ich bei ihm geblieben, hätte ihn nie allein gelassen. Was macht es mir schon aus zu sterben, selbst an dieser entsetzlichen Krankheit, wenn es nur mit ihm wäre? Aber ich habe Michel … Und Arnaud hat mich verstoßen! Ich hatte eine Aufgabe zu bewältigen. Jetzt ist sie es, um die Wahrheit zu sagen.«

Bernard biß sich auf die schmalen Lippen und sah sie neugierig an.

»Was werdet Ihr also tun?«

Sie hatte keine Zeit zu antworten. Eine hohe, blaugekleidete Gestalt trat zu ihnen, und eine trockene Stimme fragte:

»Solltet Ihr Madame de Montsalvy Anlaß zum Weinen gegeben haben, Graf? In ihren Augen stehen Tränen.«

»Ihr habt einen scharfen Blick, wie mir scheint«, gab Bernard hochmütig und ungehalten über die Störung zurück. »Dürfte ich fragen, was Euch das angeht?«

Doch wenn die Einmischung Brézés Bernard d'Armagnac höchlichst befremdet hatte, schien Bernards Ton dem Herrn aus Angers noch viel weniger zu gefallen.

»Kein Freund Dame Cathérines sieht sie gern leiden.«

»Ich bin einer ihrer Freunde, mehr, als Ihr es je sein werdet, Messire de Brézé, und, was noch wichtiger ist, ich bin auch der Freund ihres Gatten.«

»Wart Ihr«, berichtigte Brézé. »Wißt Ihr nicht, daß der edle Arnaud de Montsalvy ruhmvoll gestorben ist?«

»Eure fürsorgliche Haltung seiner – Witwe gegenüber läßt darauf schließen, daß Euch das wenig Kummer bereitet. Was mich betrifft …«

Der Ton wurde schärfer. Cathérine, erschrocken über den Streit, den sie kommen sah, griff vermittelnd ein.

»Messeigneurs! Ich bitte Euch! Ihr werdet doch meine Rückkehr in Gnaden nicht mit einem Zank brandmarken. Was würde der König, was würden die Königinnen sagen?«

Die plötzlich aggressive Haltung Bernards erstaunte sie. Aber sie wußte schon lange, daß die alte Rivalität zwischen den Herren des Nordens und denen des Südens nach wie vor bestand. Diese beiden mußten sich hassen, wofür sie zweifellos nur einen Vorwand abgab.

Die Männer schwiegen, aber die Blicke, die sie tauschten, bewiesen, daß sie mehr als schlechter Stimmung waren. Sie standen sich schweigend gegenüber, wie Kampfhähne. Cathérine begriff, daß sie darauf brannten, ihren Streit auszutragen, und daß sie sie nicht mehr lange zurückhalten könnte. Instinktiv sah sie sich nach Unterstützung um, bemerkte Tristan l'Hermite, der sich bescheiden in eine Ecke verzogen hatte, und warf ihm einen stummen, hilfesuchenden Blick zu. Er eilte lächelnd, liebenswürdig herbei.

»Königin Yolande sucht Euch, Dame Cathérine. Darf ich Euch zu ihr führen?«

Aber ach, Pierre de Brézé war fest entschlossen, Cathérine für sich zu behalten. Er warf Tristan ein knappes Lächeln zu.

»Ich werde sie selbst hinführen!« sagte er lebhaft. Und als Cathérine sah, daß Bernard schon den Mund öffnete, begriff sie verzweifelt, daß alles wieder von vorn anfangen würde. Und dabei starb sie vor Verlangen, Pierre auszufragen. Er kam aus Montsalvy zurück, müßte ihr so vieles zu sagen haben! Aber wie konnte sie sich mit ihm unter dem verächtlichen Blick Bernards absondern, der sich zum Verteidiger der Rechte Arnauds aufgeschwungen zu haben schien? Glücklicherweise kündigten genau in diesem Augenblick Hornstöße den Beginn des Soupers an, und gleichzeitig näherte sich der Zeremonienmeister Cathérine.

»Es ist der Wunsch unserer Majestät, daß Ihr an seinem Tisch speist, Madame. Erlaubt mir, Euch hinzuführen.«

Ein Seufzer der Erleichterung drang aus Cathérines Brust. Sie warf dem Grafen von Vendôme ein dankbares Lächeln zu, entbot, die Hand des alten Edelmannes annehmend, den beiden Streithähnen einen kurzen Gruß, schenkte Tristan ein Lächeln und wandte sich dem Bankettsaal zu.

Das königliche Souper war für Cathérine gleichzeitig ein Triumph und eine Prüfung. Ein Triumph, weil sie, zur Rechten der Königin Marie sitzend, das Ziel aller Blicke war. In ihrem strengen schwarzen Flor leuchtete ihre Schönheit inmitten heller Seidenstoffe, milchweißer Dekolletés, blumenbestickter Wämser und kostbaren Schmucks, wie einst der unglückbringende schwarze Diamant unter den Edelsteinen Garins gefunkelt hatte. Wiederholt kehrte der Blick des Königs zu ihr zurück. Er ließ ihr Kostproben von seinem eigenen Teller hinübergeben, und der königliche Mundschenk servierte ihr denselben Wein wie dem Herrscher, den Landwein aus Anjou, den er über alles liebte. Aber es war auch eine Prüfung, denn sie konnte die drohenden Blicke sehen, die Bernard d'Armagnac und Pierre de Brézé über die wenigen sie trennenden Plätze hinweg einander zuwarfen. Und Cathérines Vergnügen wurde gedämpft durch die Furcht, daß nicht einmal die Anwesenheit des Königs die beiden Männer zurückhalten würde, wenn ihr Zorn sich neu entfachte. Sie hatte den unerfreulichen Eindruck, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Daher war sie zufrieden, als das Souper ein Ende nahm und man wieder in den Großen Saal zum Tanz ging. Ihre Trauer entband sie leicht von dieser Verpflichtung.

Sie bat Königin Marie und Königin Yolande, sich zurückziehen zu dürfen, was ihr sofort gestattet wurde, während zwei Fackelträger angewiesen wurden, sie in ihr neues Quartier zu geleiten. Erhobenen Hauptes verließ sie den Saal, von vielen bewundernden Blicken verfolgt.

Das ihr zugewiesene Zimmer befand sich im Schatzturm, und Sara erwartete sie bereits. Sie war zur selben Stunde wie das Gepäck angekommen. Die sorgenvolle Miene Cathérines beunruhigte sie.

»Du bist heute abend Königin gewesen. Warum diese bekümmerte Miene?«

Sie sagte es ihr, erklärte ihr ihren natürlichen Wunsch, einen Augenblick mit dem aus Montsalvy Zurückgekehrten zu plaudern, und daß der Graf d'Armagnac sie daran gehindert habe.

»Schließlich wollte ich nur wissen, wie es meinem Sohn geht!« rief sie endlich. »Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, daß es ein Duell herausfordern könnte.«

»Manchmal bist du wirklich recht unüberlegt!« entgegnete Sara. »Oder du hältst den Grafen d'Armagnac für dümmer, als er ist. Wie sollte er nicht überrascht sein, einen Grandseigneur wie Brézé Tag und Nacht, ich weiß nicht wie lange, galoppieren zu sehen, um ein altes, vergilbtes Pergament zu holen, obwohl irgendein königlicher Reiter mit einem entsprechend unterzeichneten Befehl des Kanzlers durchaus dafür genügt hätte? Es war eine Liebeserklärung, dieser Streich, und nichts anderes bedeuten die schwarzweißen Bänder, die der junge Brézé mit einem Hochmut spazierenträgt, als trüge er Unsern Herrn persönlich.«