»Ich muß wieder hinauf«, sagte sie. »Ich habe meinen Dolch verloren.«

»Was bedeutet schon ein Dolch, Cathérine?! Ihr seid verrückt! Die Wachen werden Euch festnehmen.«

»Na und? Sollen sie mich nur festnehmen, wenn sie wollen! Auf jeden Fall habe ich nicht mehr die Absicht, mich zu verstecken. Laut und in aller Öffentlichkeit werde ich vom König unsere Rehabilitierung verlangen. Königin Yolande hat sie mir versprochen. Benachrichtigt sie, wenn ich ergriffen werde. Und was den Dolch betrifft, so ist es der, der meinen Gatten nie verlassen hat … Ich hänge an ihm und werde in holen!«

Sie stürmte von neuem dem Schloßturm zu, vor dessen Pforte sich ein Häuflein unentschlossener Bewaffneter drängte, die nicht wußten, was sie tun sollten. Sie warf sich in ihre Mitte, Pierre de Brézé auf den Fersen, und wäre ohne Zweifel verhaftet worden, wenn nicht in eben diesem Moment Raoul de Gaueort vom königlichen Quartier zurückgekehrt wäre. Brézé rief ihn an und erklärte ihm mit einigen Worten, was sich zutrug. Er trieb seine Soldaten mit einer Bewegung seines blanken Degens auseinander.

»Laßt diese … diesen Jungen in Ruhe«, sagte er rauh. »Ich kenne ihn … Geht in eure Quartiere zurück!«

Gehorsam, wenn auch zögernd, setzten sich die Bewaffneten in Bewegung wie Leute, die jäh aus tiefem Schlaf gerissen wurden. Am Fuß des Schloßturms blieben nur noch Brézé, Cathérine und Gaucourt zurück.

Das Gesicht des Gouverneurs wirkte ernst und verschlossen. Pierre schloß daraus, daß es nicht gut stand, und fragte:

»Der König? Weiß er's jetzt? Was tut er?«

Gaucourt hob mit einem dürren Lächeln die Schultern.

»Der König? Er ist wieder eingeschlafen! Die Königin hat ihm versichert, daß der Tumult, der ihn geweckt habe, nur zu seinem Besten gewesen sei, und er hat ihr ohne weitere Erklärungen geglaubt. Er hat nur gefragt, ob der Konnetabel da sei. Man hat es verneint. Das gibt uns für die Erklärungen Zeit bis zum Tagesanbruch … Er reagierte genau, wie er auf den Tod Giacs reagiert hat.«

»Der seltsame König!« murmelte Pierre. »Die Männer, die seine besondere Gunst genießen, seine unentbehrlichen Favoriten, vergißt er in einer Minute …«

Aber Cathérine war nicht da, um zu philosophieren. Sie fand, daß sie noch einiges zu tun habe, ließ die beiden Männer bei ihrem Gespräch und wandte sich der Turmpforte zu. Gaucourt hielt sie zurück.

»Augenblick! Wohin geht Ihr?«

»Nach oben, den Dolch meines Gemahls suchen.«

»Das überlaßt mir. Ich habe ohnehin noch einiges bei La Trémoille zu tun«, warf der Gouverneur trocken ein.

»Dann gehe ich mit Euch. Was hätte ich zu fürchten? La Trémoille ist schon auf dem Weg nach Montrésor. Wenn man mich verhaftet, werdet Ihr mich befreien!«

»La Trémoille ist weg, das stimmt! Aber seine Frau ist noch hier. Sie ist durch den Lärm geweckt worden. Wer übrigens nicht? Als ich aus den Gemächern des Königs kam, sah ich sie wie eine Verrückte halbnackt durch die Korridore des Schlosses rennen. Ich wollte hinter ihr her, aber sie hatte zuviel Vorsprung. Ich habe sie auf der kleinen Brücke die Wassergräben des Schloßturms überqueren sehen. Sie ist da oben …«

»Und Ihr wollt mich hindern hinaufzugehen?« rief Cathérine. »Verrechnet Euch nicht, Herr Gouverneur!«

Ihren Arm gewaltsam aus Gaucourts Griff lösend, lief sie der schmalen Steintreppe zu. Mehrere Stufen auf einmal nehmend, sprang sie mit der Wendigkeit einer Katze hinauf. Ihr Haß gab ihr Flügel. In ihrer Freude, ihrer Feindin endlich mit gleichen Chancen gegenübertreten zu können, dachte sie kaum daran, daß sie waffenlos war. Auch die andere würde zweifellos keine Waffe haben … Die Glocken des Triumphes läuteten in ihren Ohren und hoben sie über sich selbst hinaus. Sie hörte nur noch den Gesang des Sieges.

Auf der Schwelle des Zimmers blieb sie außer Atem und von dem Bild gepackt stehen, das sich ihren Augen bot. Spärlich in ein Hemd gekleidet, das Schultern und Brust großenteils frei ließ, durchwühlte die Dame de La Trémoille ein Kästchen und nahm Juwelen heraus, die sie in ein neben ihr liegendes Seidentuch häufte. Nach der unbeschreiblichen Unordnung zu schließen, die im Zimmer herrschte und nicht nur auf das Attentat zurückzuführen sein konnte, hatte sie schon andere Kasten und Truhen durchsucht. Ein verächtliches Lächeln trat auf Cathérines Lippen … Diese Frau würde sich nie ändern! Man mochte ihren Mann töten, und doch würde sie sich stets und vor allem erst um ihr Erbe kümmern, danach erst um sein Schicksal …

Ganz in ihre Plünderung versunken, sah die andere sie nicht. Cathérine trat leise ein und ergriff den einige Schritte von ihr entfernt auf dem Boden liegenden Dolch, eine Grimasse des Ekels unterdrückend. Er war noch blutbeschmiert …

Plötzlich fuhr sie auf. Die Gräfin war reglos stehengeblieben und keuchte leise, als sei ihr plötzlich die Luft ausgegangen. Cathérine sah, wie sie etwas, das wie tausend dunkle Feuer funkelte, dicht an das noch immer brennende Nachtlicht hielt. Den schwarzen Diamanten! ihren schwarzen Diamanten, der ihr, Cathérine, gehörte! … Noch nie hatte sie auf einem menschlichen Gesicht einen Ausdruck von solcher Habsucht gesehen. Die Augen der Frau waren weit aufgerissen, die Lippen trocken: Das war es, was sie vor allem gesucht hatte! Sie zitterte vor Erregung … Die eisige Stimme Cathérines ließ sie zusammenzucken.

»Gebt mir das zurück!« sagte sie kalt. »Dieser Diamant gehört mir!«

Die andere warf ihr einen stumpf-verblüfften Blick zu, aber ihre Augen verengten sich langsam zu Schlitzen, aus denen bald Habgier und Grausamkeit blitzten.

»Euch? Wer seid Ihr?«

Cathérine lachte trocken auf und trat in die Mitte des Zimmers. Der Schein der Nachtlampe hüllte sie ein und hob ihre schmale, in die männliche Tracht gepreßte Gestalt aus dem Dunkel.

»Seht mich an! Seht mich genau an! Habt Ihr mich noch nie gesehen?«

Mißtrauisch, den Diamanten an ihre nackte Brust drückend, kam die Gräfin näher, scharf diese Züge musternd, dieses Antlitz, das die schwarze Kappe eng umrahmte. Zweifellos durch die männliche Kleidung irregeführt, schüttelte sie den Kopf.

»Man nannte mich Tchalaï …«, begann Cathérine spöttisch.

Die andere brach in Gelächter aus und wandte sich zornig ab.

»Das ist gut möglich! Dein Gesicht war mir äußerst unwichtig! Du hast das Glück gehabt, mir zu entwischen, aber jetzt raus mit dir, Mädchen, ich habe zu tun! Was diesen Diamanten betrifft …«

Das Lächeln verschwand von Cathérines Lippen. Sie packte ihre Feindin am Handgelenk, drehte es um und zwang sie, ihr ins Gesicht zu blicken:

»Hör mir gut zu, Verfluchte! Ich habe gesagt, dieser Diamant gehört mir, weil ihr ihn mir gestohlen habt, du und dein schuftiger Mann …«

»Raus!« wiederholte die Gräfin wütend. »Seit wann haben Mädchen deiner Sorte überhaupt Diamanten?«

»Ich bin keine Zigeunerin! Ich habe es nur vorgetäuscht, um deinen und deines Mannes Untergang herbeizuführen. Schau mich genauer an! Ich habe nichts mehr von einer Zigeunerin an mir … Mein Haar ist hell, auch meine Augenbrauen.«

»Wer bist du also? Sag's und geh zum Teufel … Du machst mich krank!«

Langsam setzte Cathérine die Spitze des Dolches an die weiße Kehle.

»Du wirst zum Teufel gehen! Und ich, Cathérine de Montsalvy, werde dich in die Hölle schicken!«

»Montsalvy?«

Die Gräfin hatte den Namen gestammelt, während gemeine Furcht in ihren meergrünen Augen aufglomm. Die Dolchspitze stach zu. Blut trat aus. Cathérines Finger umspannten nervös das Handgelenk der anderen, die vor Schmerz wimmerte. Die junge Frau preßte die Zähne zusammen.

»Auf die Knie!« zischte sie. »Auf die Knie! Und bitte Gott um Verzeihung für das Böse, das du begangen hast, für die Folterung meines Gatten, für die Auslieferung Jehannes, für die Ausplünderung des Königreichs, für die vielen unschuldigen Opfer …«

»Gnade!« rief die andere. »Tötet mich nicht. Ich war es nicht …«

»Und feige bist du auch noch!« sagte Cathérine angewidert. »Los, auf die Knie!«

Der Zorn verlieh ihren Fingern ungeahnte Kräfte. Langsam knickten die Knie der großen Frau ein. Sie klapperte mit den Zähnen …

Unglücklicherweise lenkte die Stimme Gaucourts hinter ihr Cathérine einen Augenblick ab.

»Ihr könnt diese Frau nicht töten, Dame Cathérine, sie gehört uns …«

So geringfügig die Ablenkung auch gewesen war, ihre Gegnerin machte sie sich zunutze. Sich mit der Geschmeidigkeit einer Natter dem Griff Cathérines entwindend, packte sie ihre Hand und entriß ihr den Dolch. Cathérine fand sich allein und entwaffnet einer wahren Furie gegenüber. Die Augen der Frau blitzten, ihre Zähne knirschten.

»Diesmal wirst du mir nicht entwischen«, zischte sie.

Die Augen fest auf die ihrer Gegnerin gerichtet, wich Cathérine einen Schritt zurück. Den Sprung der beiden Männer vorausahnend, die sich auf die Gräfin werfen wollten, hielt sie sie mit einem Wort zurück:

»Halt! Obgleich ihr anderer Meinung seid, gehört sie mir!«

Hinter sich fühlte Cathérine den Dreifuß, auf dem die Nachtlampe stand. Vor sich sah sie das verzerrte Gesicht der Dame de La Trémoille, die sich, den Dolch schon gezückt, näherte. Ihre Hand glitt nach hinten, ergriff die Lampe – und schleuderte sie mit aller Kraft ihrer Feindin ins Gesicht.

Ein grausiger Schmerzensschrei antwortete ihr. Die andere taumelte zurück, die Hände vors Gesicht geschlagen, das das kochende Öl versengte. Durch ihr Haar leckte eine Flammenzunge, eine zweite fraß sich gierig durch ihr durchsichtiges Hemd. Die Frau schrie vor Schmerz … Mit geweiteten Augen sah Cathérine, wie Gaucourt die Bettdecke herunterriß, sie über die Flammen warf und die Gräfin fest in sie hüllte. Langsam bückte sie sich und hob den Dolch auf, der der anderen entglitten war. Ihre Beine zitterten, nun da alles vorüber war. Pierre de Brézé mußte ihr aufhelfen, sonst wäre sie in die Knie gesunken. Unter der Decke waren die Schreie zu Klagen geworden. Die Verletzte winselte wie ein krankes Tier. Cathérine hob ihren leeren Blick zu Gaucourt.