Zum großen Erstaunen Cathérines schnitt Pierre de Brézé eine fürchterliche Grimasse und gestand höchst ungern:

»Eine Dame, nein! Ich habe eine Verlobte, Jeanne du Bec-Crespin … aber sie ist von einer Häßlichkeit, an die ich mich nie gewöhnen werde!«

Plötzlich brach Cathérine in Gelächter aus, und die Atmosphäre entspannte sich merklich. Ihr Lachen klang so hell, so jung, daß Pierre, gegen seinen Willen davon fortgerissen, einstimmen mußte. Mit einer spontanen Bewegung streckte sie ihm beide Hände entgegen, und er vergrub sein Gesicht darin.

»Behaltet Eure Verlobte, Messire Pierre!« sagte sie wieder in ernstem Ton. »Und was mich betrifft, so schenkt mir nur Eure Freundschaft. Ihrer bedarf ich nämlich am allermeisten.«

Er warf ihr einen hoffnungsvollen Blick zu.

»Ich dürfte über Euch wachen, Eure Farben tragen, Euch verteidigen?«

»Aber ja! Doch immer unter der Bedingung, daß Ihr nichts tut, was der Ausführung meiner Pläne hinderlich wäre. Versprecht Ihr das?«

»Ich verspreche es«, erwiderte er ohne Begeisterung. »Aber ich werde während der ganzen Zeit, die Ihr in Amboise seid, auch dort sein, Dame Cathérine, und wenn Euch etwas zustoßen sollte …«

Das Gesicht Cathérines wurde plötzlich ernst. Sie zog ihre Hände zurück, die der junge Mann festgehalten hatte, und schob sie in ihre weiten Ärmel. Ein Schatten verdüsterte ihre Augen, und ihre Lippen wurden entschlossen und hart.

»Wenn ich bei dieser Aufgabe ums Leben kommen sollte, Messire, und Ihr mich wirklich liebt, gut, dann würde ich akzeptieren, was Ihr mir eben törichterweise angeboten habt. Wenn ich sterbe, tötet zu meinem Gedächtnis den Großkämmerer! Werdet Ihr das tun?«

Pierre de Brézé zog seinen Degen, pflanzte ihn vor ihr auf und legte die Hand auf den Knauf.

»Bei den heiligen Reliquien, die dieser Degen umschließt, schwöre ich's.«

Cathérine lächelte und entfernte sich im seidenen Rauschen ihrer langen schwarzen Schleppe mit einer letzten Handbewegung des Abschieds. Immer noch auf den Knien, sah Pierre de Brézé ihr nach, bis sie verschwunden war.

Sechstes Kapitel

Als sie ihr Zimmer betrat, traf Cathérine zu ihrer Überraschung Sara in heftigem Wortwechsel mit Tristan l'Hermite an. Die laute Stimme der Zigeunerin war bis auf die Treppe hinaus zu hören, während der Flame sich bemühte, ihr in viel gemäßigterem Ton zu antworten. Erst der Eintritt der jungen Frau beruhigte die Streithähne, über Saras zornrotem Gesicht war die Haube verrutscht, und Tristan lehnte mit verschränkten Armen und einem aufreizenden halben Lächeln um die Lippen am Kamin.

»Darf ich erfahren, was hier vorgeht?« erkundigte sich Cathérine ruhig. »Man hört euch bis zur Galerie brüllen!«

»Man hört Madame brüllen!« berichtigte Tristan friedfertig. »Was mich betrifft, dürfte ich die Stimme kaum gehoben haben.«

»Das erklärt mir noch nicht, weshalb ihr euch streitet, übrigens, ich wußte gar nicht, daß ihr euch kennt.«

»Wir haben soeben Bekanntschaft geschlossen«, entgegnete der Flame säuerlich. »Um es Euch gleich zu sagen, gnädige Dame, Eure treue Dienerin billigt unsere Pläne nicht.«

Die wenigen Worte genügten, um Saras Zorn von neuem anzufachen, der sich diesmal allerdings gegen Cathérine richtete.

»Bist du wahnsinnig? Du willst dich als Zigeunerin verkleiden und dich so diesem miserablen Kämmerer nähern? Wozu, wenn ich fragen darf? Um vor ihm zu tanzen wie Salome vor König Herodes?«

»Sehr richtig!« gab die junge Frau trocken zurück. »Nur mit dem Unterschied, daß ich nicht den Kopf eines anderen verlangen werde, sondern seinen eigenen! Außerdem erstaunst du mich, Sara. Ich dachte, du wärest glücklich, ein Weilchen unter deinen eigenen Leuten leben zu können!«

»Fragt sich noch, ob es meine eigenen Leute sind. Ich bin nicht mit allen Wanderstämmen verwandt. Ich gehöre zum mächtigen Stamm der Kaldéras, der einst den Horden Dschingis-Khans gefolgt ist, und nichts beweist, daß die unter den Mauern von Amboise kampierenden Leute von demselben Stamm sind wie ich. Vielleicht sind es nur gewöhnliche Djâts und …«

»Die beste Methode, es festzustellen, ist, hinzugehen und sich selbst zu überzeugen!« unterbrach Tristan.

»Ihr wißt nicht, was Ihr da sagt. Die Djâts würden mich nicht gut aufnehmen. Augenblicklich herrscht Rivalität zwischen den beiden Stämmen. Ich möchte nicht riskieren …«

Diesmal schnitt Cathérine ihr ungeduldig das Wort ab.

»Genug! Ich werde mit Messire l'Hermite zu diesen Zigeunern gehen. Es bleibt dir überlassen, mitzukommen oder nicht. Welcher Stamm es immer sei, er wird mich aufnehmen. Wann brechen wir auf, Messire?«

»Morgen, in der Nacht.«

»Warum nicht heute nacht?«

»Weil wir heute nacht anderes zu tun haben werden. Dürfte ich Euch bitten, Euer Haar herunterzulassen?«

»Und warum nicht ihr Kleid?« brummte Sara verärgert, weil sie von Cathérine heruntergeputzt worden war. »Mit den Toilettenangelegenheiten einer Dame hat ein Mann nichts zu scharfen!«

»Ich habe nicht die Absicht, in Eure Rechte einzugreifen, holde Dame«, erwiderte der Flame mit spöttischem Lächeln. »Ich möchte mir nur über etwas klarwerden.«

Gehorsam hatte Cathérine schon die Nadeln herausgezogen, die ihre Haube festhielten. Das befreite Haar fiel in rotgoldenen Wellen bis zum Ansatz ihrer Schultern herab.

»Eure Haare sind nicht länger?« fragte Tristan erstaunt. »Das wird merkwürdig aussehen. Diese höllischen Zigeunerinnen haben alle Strähnen schwarzen Haars, die bis zur Taille herunterreichen.«

Cathérine konnte Sara gerade noch zur rechten Zeit zurückhalten, die sich auf Tristan stürzen wollte und ihn anschrie, auch sie sei eine ›höllische Zigeunerin‹ und sie werde ihm zeigen, wozu sie fähig sei!

»Beruhige dich schon! Messire l'Hermite wollte dich nicht beleidigen. Er hat unüberlegt gesprochen. Nicht wahr, Messire?«

»Na ja!« brummte Tristan in wenig überzeugendem Ton. »Es war mir so herausgerutscht, das ist alles! Aber nun zurück zu Eurem Haar, Dame Cathérine.«

»Ich habe es mir fast genau vor einem Jahr schneiden lassen müssen. Ist das ein großes Hindernis?«

»N … ein! Aber es wird uns nicht mehr viel Zeit bleiben. Dürfte ich Euch bitten, mich heute abend nach Sonnenuntergang auf einen Gang in die Stadt zu begleiten, Dame Cathérine?«

»Wo sie hingeht, gehe auch ich hin!« versicherte Sara. »Und den möchte ich sehen, der mich daran hindert!«

Der Flame ließ einen elegischen Seufzer hören und warf Sara einen schiefen Blick zu.

»Wenn Ihr wollt? Ich hab' nichts dagegen, da Ihr anscheinend Eure Zunge im Zaum halten könnt. Werdet Ihr mitkommen, Dame Cathérine?«

»Selbstverständlich. Holt uns ab, wann Ihr es für richtig haltet. Wir erwarten Euch. Aber wo gehen wir hin?«

»Ich bitte Euch, mir keine Fragen zu stellen. Versucht, mir Vertrauen zu schenken!«

Das hinterhältige Kompliment Tristans schien Sara beruhigt zu haben, die, immer noch schimpfend, sich daranmachte, ihre Herrin neu zu frisieren. Einen Augenblick betrachtete der Flame sinnend die geschickten Hände der Zigeunerin, die hurtig mit dem zarten Silberstoff und dem schwarzen Musselin umgingen. Als spräche er mit sich selbst, murmelte er:

»Wirklich sehr hübsch! Aber heute abend müssen wir etwas weniger Auffallendes auf die Beine stellen! Und morgen werden Männerkleider die beste Lösung sein, um ans Ziel zu kommen.«

Sofort ließ Sara Kamm und Haarnadeln fallen und pflanzte sich vor dem Flamen auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Die Nase so weit vorschiebend, daß sie fast die ihres Feindes berührte, sagte sie scharf:

»Aber nicht mit mir, mein Junge! Beschafft Männerkleidung für Dame Cathérine, wenn's ihr gefällt (übrigens bin ich überzeugt, daß sie es gern hat), aber mich wird keine Macht der Welt mehr in diese lächerlichen Röhren zwingen, die ihr Hosen nennt, und auch nicht in diese ebenso lächerlichen kurzen Röcke, die ihr als Wams oder Überhang bezeichnet. Wenn Ihr wollt, daß ich mich wie ein Mann anziehe, dann bringt mir eine Mönchskutte. Da drin habe ich wenigstens Platz!«

Tristan öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, besann sich aber eines Besseren, warf der majestätischen Dame Sara einen anerkennenden Blick zu und lächelte schließlich sein gedehntes Lächeln, das die Zähne nicht sehen ließ. Dann seufzte er und hob die Schultern.

»Im Grunde wäre das gar keine so schlechte Idee. Auf heute abend, Dame Cathérine. Erwartet mich etwa zur Stunde der Abendandacht!«

Das Abendläuten war schon lange vorüber, als Cathérine, Tristan und Sara das Schloß durch das Ausfalltor des großen Portals verließen und den Weg ins Viertel der Händler einschlugen, das die Kathedrale Saint-Maurice umgab. Der vorgeschrittenen Stunde wegen waren vor allen Geschäften schon die dicken, mit Eisen beschlagenen Läden angebracht worden, aber durch die Ritzen konnte man den Widerschein der brennenden Kerzen und Öllampen sehen. Die von den schlanken Türmen ihrer Kathedrale beherrschte Stadt würde sich bald zur Ruhe begeben. Hinter den stummen Fassaden konnte man sich die Hausfrauen mit dem Geschirr oder den letzten Aufräumungsarbeiten beschäftigt vorstellen, während der Gatte den Reinverdienst des Tages zählte oder mit einem Nachbarn die neuesten Nachrichten aus der Provinz besprach.

Die drei Spaziergänger hasteten eilig durch die schmalen Gassen. Die dicken dunklen Mäntel der Frauen, die ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten, so daß sie zwei flüchtigen Schatten glichen, hoben sich kaum von den schwärzlichen Mauern ab. Was Tristan betraf, so hatte er die Klappen seiner großen Kappe über die Augen heruntergeschlagen, denn ein feiner Regen, einer jener Nieselregen, die gut in die Erde dringen und die Saat zum Wachsen bringen, hatte gleichzeitig mit dem Einfall der Dunkelheit eingesetzt. Das Wasser des Himmels machte die großen, runden Kieselsteine schlüpfrig, mit denen die Gasse gepflastert war, durch die Cathérine und ihre Gefährten gingen, eine Gasse, in deren Mitte eine Abflußrinne verlief, der ein scharfer Geruch nach Fisch entstieg, und das so aufdringlich, daß Cathérine ihr mit Lilienparfüm betupftes Taschentuch herauszog und an die Nase hielt. Sara schimpfte lediglich: