»Trotzdem«, rief Cathérine, »muß er ihn hinbringen! Gibt es denn niemand, der Einfluß auf ihn hat? Es handelt sich doch nur um eine gefühlsmäßige Abneigung, die man überwinden könnte. Jeder Mensch, mich inbegriffen, hat seinen schwachen Punkt, den man nur geschickt auszunutzen braucht. Welches ist der schwache Punkt des Großkämmerers?«
Diesmal kam die Antwort von Ambroise de Lore, einem rothaarigen Mann aus Anjou, der niemals lächelte.
»Er hat zwei: das Gold und die Frauen!« stieß er hervor. »Seinem Durst nach Gold kommt nur noch sein unersättliches Verlangen nach den letzteren gleich. Wenn sich ein schönes Mädchen fände, das sein Blut in Wallung brächte, würde er vielleicht eine Dummheit begehen!«
Während Lore sprach, musterte er Cathérine mit brüsker Unverschämtheit von oben bis unten, so daß ihr das Blut in die Wangen stieg. Sein Vorhaben war so klar, daß plötzliche Empörung der jungen Frau den Atem benahm. Für wen hielt er sie eigentlich, dieser zynische Grandseigneur? Dachte er daran, die Frau Arnaud de Montsalvys La Trémoille ins Bett zu legen? Doch sie enthielt sich der Erwiderung, die ihr schon auf der Zunge lag … Vielleicht war da nach allem doch eine brauchbare Idee? Es war noch immer ein Unterschied, ob man einen Mann betörte oder ob man sich ihm hingab, und wer konnte wissen, ob …
Mit einem wütenden Ausruf schnitt Pierre de Brézé ihr plötzlich den Gedankenfaden ab. Auch er, wie übrigens alle anderen, hatte den Sinn von Lores Worten wohl begriffen und fuhr ihn nun, weiß vor Zorn, an.
»Bist du wahnsinnig? Woran denkst du? Das Unglück einer edlen Dame, so schön sie auch sei, müßte sie gegen gewisse Gedanken in Schutz nehmen. Du verdientest es, daß ich dir deine Unverschämtheit heimzahlte, obgleich du mein Freund bist, denn ich werde nie zulassen …«
»Ruhe, Messire de Brézé!« unterbrach die Königin. »Schließlich hat unser Freund Lore nichts gesagt, worüber Madame de Montsalvy sich gekränkt fühlen könnte. Nur sein Blick war wenig taktvoll. Vergessen wir ihn!«
»Auf jeden Fall«, brummte Richemont, »mißtraut La Trémoille den großen Damen. Sie haben zu flinke Augen, eine zu scharfe Zunge, und außerdem bietet ihr gesellschaftlicher Rang ihnen Vergleichsmöglichkeiten, die nicht zu seinem Vorteil ausfallen. Was er liebt, sind die unzüchtigen Frauen, die mannstollen Mädchen, die vielerlei Liebesspiele gewohnt sind, oder auch schöne Bäuerinnen, die er ganz nach Belieben erniedrigen und quälen kann!«
»Ihr vergeßt die jungen Pagen, Monseigneur«, warf Tristan l'Hermite spöttisch ein, »und noch einiges andere, woran unser Kämmerer sich delektiert. Seit etwa einem Monat hat sich ein Trupp Ägypter oder Zigeuner in den Gräben von Amboise eingerichtet, vom Winter und von der Verwüstung des Landes genötigt, die Nähe der Städte zu suchen. Die Bürger haben Angst vor ihnen, weil sie stehlen, die Zukunft weissagen und die Leute behexen können, aber aus diesem Grunde zeigen sie sich auch großzügig. Die Männer sind Schmiede oder Musiker. Die Mädchen tanzen. Einige sind schön, und La Trémoille hat Geschmack an ihrer dunkelbraunen Haut gefunden. Es kommt nicht selten vor, daß er sie aufs Schloß holt, um sich mit ihnen zu vergnügen, und ich glaube, es ist eher sein Wille als die Hungersnot, die den Stamm in Amboise zurückhält.«
Cathérine folgte der kleinen Rede des Flamen mit tiefem Interesse, um so mehr, als er sich besonders an sie zu wenden schien. Sie spürte eine gewisse Absicht dabei, war sich aber noch nicht ganz klar, welche. Er schien sie einzuladen, ihm zu folgen. Jedenfalls verbarg sich hinter seiner Erwähnung der Zigeuner ein ernsthafter Grund.
»Wollt Ihr etwa vorschlagen«, warf Jean de Bueil hochmütig ein, »daß wir uns an eins dieser wilden Weiber hängen sollen? Das wäre ein schöner Reinfall! Wir würden für ein paar Huren an La Trémoille verkauft werden!«
»Keineswegs, Monseigneur«, erwiderte Tristan, die Augen auf Cathérine gerichtet. »Vielmehr dachte ich an eine intelligente Frau, schlau und couragiert und geschickt verkleidet …«
»Worauf genau wollt Ihr hinaus?« fragte Brézé mit argwöhnischem Unterton.
Tristan schien mit der Antwort zu zögern, aber Cathérine hatte verstanden. Dieser Gedanke, den der Stallmeister nicht näher ausführen wollte, zweifellos, weil er die heftigen Reaktionen gewisser Ritter fürchtete, hatte sie in Wahrheit, ohne daß es ihr sofort bewußt wurde, im gleichen Augenblick gepackt, in dem er von den Zigeunern gesprochen hatte. Und nun wollte sie ihn sich zu eigen machen. Sie lächelte den Flamen an, um ihn zu ermutigen, und legte die Hand beschwichtigend auf Brézés Arm.
»Ich glaube, ich verstehe den Gedanken Messire l'Hermites«, sagte sie ruhig. »Er möchte sagen, wenn ich zu allem bereit wäre, um an La Trémoille Rache zu nehmen, wäre ich voll und ganz geeignet, diese Rolle zu spielen.«
Es gab einen Heidenlärm. Alle Edelleute brüllten gleichzeitig aufeinander ein, aber die Fistelstimme des Bischofs übertönte alle. Nur Ambroise de Lore sagte nichts, doch einer seiner Mundwinkel verzog sich auf eine Art, die man, strenggenommen, für den Anflug eines Lächelns halten konnte. Die Herzogin-Königin mußte die Stimme erheben, um die Ruhe wiederherzustellen.
»Beruhigt Euch, Messeigneurs!« sagte sie kalt. »Ich verstehe Eure Aufregung angesichts eines so kühnen Vorschlags, aber es nützt nichts, deswegen zu schreien. Außerdem sehen wir uns einer so schwierigen Lage gegenüber, daß die geringsten Erfolgschancen – wie auch die verrücktesten – kaltblütig geprüft werden müssen! Was Euch betrifft, Cathérine, habt Ihr die Tragweite Eurer Worte und die Gefahren gut erwogen, denen ein solches Abenteuer Euch aussetzen würde?«
»Ich habe sie erwogen, Madame, und ich habe sie durchaus nicht für unüberwindlich gefunden. Wenn ich Euch und dem König dienen könnte, indem ich die Meinen räche, würde ich mich glücklich schätzen!«
Die blauen Augen des Konnetabels suchten die der jungen Frau und hielten sie fest.
»Ihr werdet Euer Leben in jedem Augenblick aufs Spiel setzen. Wenn La Trémoille Euch wiedererkennt, werdet Ihr den nächsten Tag nicht mehr erleben. Wißt Ihr das?«
»Ich weiß es, Monseigneur«, entgegnete sie mit einer kurzen Reverenz, »und ich nehme das Risiko auf mich. Außerdem – macht dieses Risiko nicht größer, als es ist. Der Großkämmerer kennt mich nur flüchtig. Ich war eine der Hofdamen der Königin Marie, alle fromm und ernst, die sehr selten in der Umgebung des Königs erschienen. La Trémoille hat mich zwei- oder dreimal gesehen, immer mit anderen Damen zusammen, zu selten, um mich wiederzuerkennen, besonders nicht in einer Verkleidung.«
»Für diesen Fall trifft sich das ausgezeichnet! Ihr habt auf alles eine Antwort, und ich bewundere Euren Mut.«
Er wandte sich ab, um mit Tristan l'Hermite zu sprechen, doch Jean de Bueil mischte sich ein.
»Angenommen, wir akzeptieren den Vorschlag Madame de Montsalvys und ließen sie diese gefährliche und zum allermindesten unangenehme Rolle spielen, dann ist noch lange nicht gesagt, daß sie sie auf überzeugende Weise spielen könnte. Diese Ägypter haben ein fremdländisches Benehmen und vor allem fremde Kleidung …«
»Eine Kleidung, die ich kenne«, unterbrach Cathérine freundlich. »Messire, meine treue Amme Sara ist Ägypterin. Sie wurde einst als Sklavin nach Venedig verkauft.«
Der nächste Einwand kam von Pierre de Chaumont.
»Werden diese Leute einverstanden sein, unsere Komplicen zu werden? Es sind Wilde, sie sind unabhängig, unbegreifbar.«
Ein kaltes Lächeln kerbte die schmalen Lippen des Flamen, ein Lächeln, das eine Drohung enthielt.
»Auch sie lieben das Gold … und fürchten den Henker! Die Drohung mit dem Strick in Verbindung mit dem Versprechen einer schönen Summe wird sie sehr einsichtig machen. Außerdem wird diese Sara, da sie eine der Ihren ist, zweifellos sehr gut aufgenommen werden … und wenn es Monseigneur dem Konnetabel genehm ist, werde ich Dame Cathérine persönlich zu den Zigeunern geleiten. Ich werde die Verbindung mit Euch, Messeigneurs, sicherstellen!«
»Es ist mir recht so«, sagte Richemont billigend, »und ich halte diesen Plan für gut. Hat jemand noch einen Einwand vorzubringen?«
»Keinen«, sagte der Bischof, »außer der Furcht angesichts der Tatsache, daß wir eine anständige und edle Dame ihre Seele … und ihren Körper in einem gefährlichen Abenteuer aufs Spiel setzen lassen. Die Tugend Madame de Montsalvys …«
»Hat nichts zu befürchten, Euer Ehrwürden«, entgegnete Cathérine ruhig. »Ich werde auf mich achtzugeben wissen.«
»Aber da ist noch ein Punkt, den ich gern klären möchte«, sagte der Prälat beharrlich. »Wenn Ihr bei La Trémoille vorgelassen werdet, wie wollt Ihr ihm dann einreden, Amboise zu verlassen und nach Chinon zu reiten? Er liebt die Zigeunerinnen, gut, aber ich glaube nicht, daß er sie nach Belieben handeln oder sich von ihnen Ratschläge geben läßt. Denn Ihr werdet in seinen Augen nichts anderes als eine der Ihren sein …«
Diesmal lächelte Cathérine, und dieses leise, süße Lächeln hellte wie durch Zauberei die harten Gesichter der Ritter auf.
»Ich habe da so meine Idee, Monseigneur, aber ich bitte um Eure Erlaubnis, sie für mich behalten zu dürfen. Zunächst nur soviel: Ich werde mich der stärksten Leidenschaft des Kämmerers bedienen, nämlich der für das Gold!«
»Dann segne und behüte Euch Gott, meine Tochter! Wir werden für Euch beten!«
Er reichte den Lippen der jungen Frau, die vor ihm niederkniete, seine mit einem riesigen Saphir geschmückte Linke, während seine rechte Hand über die schöne, dem priesterlichen Segen dargebotene Stirn strich.
Cathérines Herz klopfte wie ein Tambour, der zum Angriff trommelt. Nun würde sie sich also schlagen, sich persönlich schlagen, dem Feind die Stirn bieten, ihm in seiner Höhle gegenübertreten. In ihrem Leben hatte sie schon viele Abenteuer durchgemacht, aber diese Abenteuer waren ihr vom Schicksal auferlegt worden. Außer damals, als sie Burgund verlassen hatte, um Arnaud im belagerten Orléans zu treffen, hatte sie sich mit dem, was das Schicksal ihr brachte, abfinden müssen, indem sie das Beste daraus machte. Heute jedoch, aus wohlerwogenem, eigenem Entschluß, obwohl nichts sie dazu zwang, einfach zur Beruhigung ihres Gewissens und aus Liebe zu dem auf immer verlorenen Mann, stürzte sie sich in einen wahnwitzigen, verrückten Streich, bei dem nichts, nicht einmal ihr Name, ihr von Nutzen sein würde. Wenn man sie ergriffe, würde man sie hängen wie irgendeins der ägyptischen Mädchen, dessen Aussehen sie annehmen würde, und ihr Körper würde weit von dem Lande verfaulen, in dem Arnaud langsam dahinsiechte. Doch dieser Gedanke konnte sie in ihrem Entschluß nicht wankend machen.
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