Sein Ausruf der Verblüffung mischte sich mit dem Schreckensschrei Cathérines. Von dem so plötzlich erschienenen Mann konnten ihre aufgerissenen Augen keine Einzelheiten sehen. Sie sahen nur, daß er fast ein Riese und blond war. Mit schroffer Bewegung riß sie der Dienerin das Badetuch aus den Händen und wickelte sich darin ein, ohne sich darum zu kümmern, daß es halb ins Wasser tauchte.
»Wie könnt Ihr es wagen? Hinaus! Sofort hinaus!« rief sie.
Das Bild, das sich ihm geboten hatte, und die wütende Anrede Cathérines hatten den Eindringling in völlige Verblüffung gestürzt. Er machte große Augen und öffnete den Mund, ohne ein Wort herauszubringen, während Cathérine aufgebracht schrie:
»Nun, worauf wartet Ihr noch? Ich habe Euch gesagt, Ihr sollt gehen! Seid Ihr noch nicht draußen?«
Offenbar hatte er sich in Stein verwandelt, und als er endlich Worte fand, reichte es nur zu einem verdatterten Gestammel:
»Wer … wer seid Ihr?«
»Das geht Euch nichts an! Und was Euch betrifft, kann ich Euch sagen, was Ihr seid: ein Flegel! Verschwindet!«
»Aber …«, begann der Unglückliche.
»Nichts ›aber‹! Seid Ihr immer noch da?«
Wahnsinnig vor Wut, packte Cathérine in der Wanne einen großen Schwamm und schleuderte ihn, vollgesogen mit Wasser, nach dem Feind. Sie hatte gut gezielt. Der Schwamm landete mitten im Gesicht des Eindringlings, und das Waffenhemd aus blauer Seide, das er über seinem Panzer trug, wurde klatschnaß. Diesmal ergriff er die Flucht. Vage Entschuldigungen stotternd, entfloh der Chevalier eiligst mit klirrendem Panzer. Cathérine stieg nun mit der Würde einer beleidigten Königin aus dem Bad, aber die beiden sprachlosen Dienerinnen rührten keinen Finger, um ihr dabei behilflich zu sein.
»Nun?« fragte sie trocken.
»Weiß die edle Dame, wen sie soeben derart behandelt hat?« brachte die eine von ihnen schließlich heraus. »Das war Monseigneur Pierre de Brézé, ein treuer Anhänger der Königin, bei der er viel zu sagen hat. Außerdem …«
»Das genügt!« unterbrach Cathérine. »Wenn es der König in Person gewesen wäre, hätte ich nicht anders gehandelt. Trocknet mich ab, ich friere!«
Cathérine hatte mit einigem Humor jeden Gedanken an den indiskreten Besucher verjagt und wünschte vor allem, ihm nicht mehr zu begegnen, denn die lächerliche Lage, in die er sie gebracht hatte, war ihr durchaus bewußt. Trotzdem war er es, den sie zuerst bemerkte, als sie am anderen Morgen in den großen Schloßsaal trat, in den die Herzogin-Königin sie hatte rufen lassen; doch machte es ihr seltsamerweise weit weniger aus, als sie ursprünglich geglaubt hatte. Eine gute Nacht, ein reichhaltiges Frühstück und gepflegte Kleidung hatten Wunder bei ihr gewirkt. Sie fühlte sich als eine ganz andere Frau, bereit zu jedem Kampf.
Yolande hatte ihr wegen ihrer offensichtlichen Bedürftigkeit einige Kleider zur Auswahl geschickt. Was Cathérine schließlich angezogen hatte, war eine Robe aus schwerem schwarzem Brokat unter einem Umhang aus Silberstoff mit Zobelrand. Die hohe, spitze Haube bestand aus dem gleichen Material. Eine Woge schwarzen, silberdurchwirkten Musselins flutete von ihr herab und vervollständigte den Eindruck einer Art Trauerkleidung, die die Schönheit Cathérines gebührend unterstrich. Wenn ihr Spiegel ihr im übrigen Zweifel gelassen hätte, wäre das bewundernde Murmeln, das sie beim Eintritt in den Saal empfing, geeignet gewesen, ihr auch den letzten zu nehmen. In tiefer Stille schritt sie sodann dem Throne zu, auf dem Königin Yolande Platz genommen hatte.
Außer der Königin und ihr war nur eine kleine Anzahl von Männern anwesend, etwa sieben oder acht, deren größter Pierre de Brézé und deren imposantester der Konnetabel de Richemont waren, die aufrecht auf den Stufen des Thrones standen. Seitlich des hohen Sessels Yolandes, doch tiefer, saß in einem Kirchenstuhl ein sehr alter Mann im Priestergewand, gerade aufgerichtet trotz seiner sechsundachtzig Jahre, dessen schwache Augen eine Brille zierte: Hardouin de Bueil, Bischof von Angers.
Der Saal war riesig, und Cathérine mußte ein jäh aufwallendes Gefühl der Furcht niederkämpfen, um ihn ruhigen Schritts durchmessen zu können. Vielfarbige Banner bauschten sich sanft gegen die Steingewölbe, und die Wände verschwanden unter kolossalen, prunkvollen Gobelins, deren beherrschende Farbtöne Blau und Rot waren und die die phantastischen Szenen der Offenbarung des heiligen Johannes schilderten. Die Stille war so tief, daß das seidene Rauschen ihres Kleides Cathérine wie ein Gewittersturm in den Ohren klang, doch als sie ungefähr die Hälfte des Saals hinter sich gebracht hatte, hallte ein schneller Schritt auf den Fliesen wider: Der Konnetabel kam ihr entgegen.
Als er sie erreichte, verbeugte sich Arthur de Richemont vor ihr, bot ihrer Hand die geschlossene Faust und sagte liebenswürdig:
»Willkommen unter uns, Madame de Montsalvy! Mehr als jeder andere sind wir glücklich, Euch zu sehen, Euch, die Ihr soviel für eine Sache gelitten habt, die die unsrige ist! Euer Gemahl war noch sehr jung, als er bei Azincourt an meiner Seite kämpfte, aber sein Heldenmut zeichnete ihn bereits aus. Ich liebte ihn innig, und sein Tod hat mir das Herz zerrissen!«
Ohne Helm bot sich das Gesicht des bretonischen Grafen, von alten Narben verwüstet, doch von einem Paar klarer blauer Augen erhellt, nun im vollen Licht dar. Cathérine fand den Eindruck absoluten Vertrauens bestätigt, den er bei ihrer ersten Begegnung gelegentlich seiner Verlobung mit der Schwester Philippes von Burgund und Witwe des Dauphins von Frankreich, Louis de Guyenne, auf sie gemacht hatte. Dieser Mann hatte die Festigkeit eines Bollwerks, die Schärfe einer Degenklinge, den Wert reinen Goldes. Gegen die Tränen ankämpfend, die in ihr aufstiegen, lächelte sie ihm zu und vollführte einen tiefen Knicks, während sie die Hand auf die ihr dargebotene legte.
»Monseigneur, Euer Empfang erregt und bewegt mich, wie ich es gar nicht sagen kann. Und ich bitte Euch, über mich zu verfügen, wie Ihr über meinen vielgeliebten Gemahl verfügt hättet, wenn es Gott gefallen hätte, ihn mir zu lassen. Ich habe hier keinen anderen Wunsch, als ihn zu rächen und meinem Sohn zu geben, was ihm zusteht!«
»Es soll nach Eurem Wunsche geschehen. Kommt!«
Seite an Seite schritten sie dem Thron zu, wo Yolande sie erwartete. Sie lächelte der jungen Frau entgegen.
»Begrüßt Seine Ehrwürden, den Bischof unserer guten Stadt, dann setzt Euch hier hin«, sagte sie und wies auf ein Samtkissen auf den Thronstufen.
Nachdem Cathérine darauf Platz genommen hatte, stellte man ihr die anwesenden Herren vor. Da waren außer Pierre de Brézé, der sie unverwandt anstarrte, der Seigneur de Chaumont, Gemahl der schönen Anne, deren Bruder Jean de Bueil, Gouverneur von Sablé, Ambroise de Loré, Prégent de Coétivy, der intime Freund des Konnetabels, und schließlich, ein wenig abseits, ein Mann von bescheidenem Aussehen und verschlossener Miene, der Stallmeister Richemonts war und Tristan l'Hermite hieß … Alle waren jung, der älteste war der Konnetabel, ein guter Vierziger, und alle küßten der jungen Frau respektvoll die Hand. Nur Brézé konnte sich eines Lächelns und eines vielsagenden Blicks nicht enthalten, der Cathérine bis zu den Ohren erröten ließ. Sie verjagte diese Verlegenheit ungeduldig. Was hatte sie mit diesem Mann in dieser Minute zu schaffen, da doch so viele ernste Dinge besprochen werden sollten? Um Rache ging es hier und nicht darum, sich von dem ersten hergelaufenen Stutzer zum Flirten verleiten zu lassen! Sie warf ihm einen strengen Blick zu und wandte den Kopf ab.
Doch schon ergriff die Königin das Wort:
»Messeigneurs, wir sind jetzt vollzählig versammelt, da wir mit der Anwesenheit der Feldhauptleute La Hire und Xaintrailles, die in der Picardie Krieg führen, nicht rechnen können. Seit Eurer vorigen Versammlung letzten September in Vannes bei der Beerdigung der Herzogin der Bretagne, Madame Jeanne de Valois, habt Ihr einen Pakt zum Verderben Georges de La Trémoilles beschworen. Ich glaube, es ist unnötig, Euch an seine Missetaten zu erinnern. Nicht zufrieden damit, Jehanne von Orléans ausgeliefert zu haben, den Terror im Königreich regieren zu lassen, den König ins Elend zu stürzen, während er sich skandalös bereichert, die Besten unter uns ins Gefängnis zu werfen und zu ruinieren, wie zum Beispiel Louis d'Amboise, der mit Euch allen verwandt ist, sowie Arnaud de Montsalvy, den Engländern die Stadt Montargis, die Madame de Richemont gehört, auszuliefern, den Krieg auf unsere eigenen Ländereien zu tragen und durch seinen Henkersknecht Villa-Andrado die Auvergne, das Limousin und Languedoc verwüsten und ausplündern zu lassen, wagt es dieser Mann noch, sich den Annäherungsversuchen, die wir seit Monaten geduldig dem Herzog von Burgund gegenüber unternommen haben, zu widersetzen. Seit fast einem Jahr hält der Legat des Papstes, der Kardinal des Heiligen Kreuzes Nicolas Albergati, Konferenz um Konferenz mit den Abgesandten Burgunds, um zu einem Friedensschluß zu kommen. Und was tut La Trémoille inzwischen? Letzten Oktober versucht er, Dijon zu belagern, und organisiert zur selben Zeit einen ungeschickten Versuch zur Ermordung des Herzogs Philippe, und das genau in dem Augenblick, in dem der Tod der Herzogin von Bedford, der Schwester Philippes, ihn von der englischen Allianz abwendet. So kann das nicht weitergehen! Nie werden wir es erreichen, den Engländer zu verjagen und diesem Königreich Frieden zu geben, solange der Großkämmerer den König in den Klauen hat. Ihr habt geschworen, Messeigneurs, Frankreich von ihm zu säubern. Ich erwarte Eure Vorschläge.«
Stille folgte der Rede der Königin. Cathérine hielt den Atem an, dachte über die Neuigkeiten nach, die sie soeben gehört hatte. Sie entdeckte, wie fern sie diesen Ereignissen gestanden hatte, und auch, nicht ohne Erstaunen, daß ein Mordversuch gegen ihren einstigen Geliebten Philippe von Burgund sie gleichgültig ließ. Die Bande, die sie mit ihm verbunden hatten, waren geschwunden, ohne mehr zurückzulassen als vage Erinnerungen. Fast schien es ihr, als müsse es eine andere gewesen sein, die die leidenschaftlichen Stunden in den Armen des schönen Herzogs durchlebt hatte, als sei es für sie nur eine Geschichte, die ihr vor langer Zeit jemand abends vor dem Kaminfeuer erzählt habe …
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