Ohne Cathérine loszulassen, wandte sie leicht den Kopf und hob die Stimme:
»Laßt uns einen Augenblick allein, Madame de Chaumont! Kommt etwas später wieder. Laßt inzwischen ein Zimmer für Madame de Montsalvy vorbereiten.«
Die Ehrendame sank schweigend in einen tiefen Hofknicks und verschwand geräuschlos. Inzwischen führte die Königin Cathérine sanft zu einer mit Samt bezogenen Bank und hieß sie sich setzen. Dort wartete sie geduldig, bis die junge Frau aufhörte zu schluchzen. Als sie sah, daß sie ruhiger geworden war, zog sie aus ihrem Almosenbeutel ein Fläschchen Duftwasser, goß ein paar Tropfen davon auf ein Taschentuch und betupfte Cathérines Gesicht damit. Der süße, prickelnde Duft belebte sie sofort wieder, und voller Scham löste sie sich von Yolande und wollte sich ihr von neuem zu Füßen werfen, doch die feste Hand der Königin hielt sie zurück.
»Unterhalten wir uns unter Frauen, wenn es Euch recht ist, Cathérine! Wenn ich Bruder Etienne zu Euch geschickt habe, so nicht, um Euch wie irgendeine Ehrendame zu behandeln und mit Euch zu weinen! Es naht die Stunde, in der wir uns von dem Mann befreien werden, dem Ihr Euer Unglück verdankt, von diesem traurigen Herrn, der mit dem einzigen gemeinen Ziel, sich zu bereichern, das Königreich dem Meistbietenden verkauft und das elende Werk der Königin Isabeau zu vollenden sucht. Ihr habt zu viel gelitten, um nicht hierzusein.«
»Wir sind wie Verbrecher gehetzt, verfolgt, geächtet, ruiniert und all unserer Güter beraubt worden. Wir wären zu dieser Stunde tot, wenn Graf Pardiac uns nicht zu Hilfe gekommen wäre. Mein Sohn hat keinen Namen mehr, kein Land … und mein Mann ist leprakrank!« sagte Cathérine düster. »Was könnte uns Schlimmeres widerfahren?«
»Es kann immer noch Schlimmeres geben«, berichtigte die Königin sanft. »Als Wichtigstes bleibt uns jetzt jedoch, dem Namen Montsalvy seine alte Geltung wiederzugeben und Eurem Sohn die Zukunft vorzubereiten, die ihm zusteht. Seht … ich liebte Euren Gatten sehr. Unter einer rauhen Schale war er ein vollkommener Edelmann und der Tapfersten einer in diesem Land. Die Opfer La Trémoilles sind zu wertvoll, um sie nicht zu rächen, wie es sich gehört. Wollt Ihr uns dabei helfen?«
»Ich bin nur dazu hergekommen!« entgegnete Cathérine leidenschaftlich. »Aber ich erwarte von Eurer Majestät, daß sie mich gnädigst führe und leite.«
Yolande wollte antworten, als ein schmetterndes Trompetensignal vor dem Schloß ertönte und sofort aufgeregtes Hin und Her in dem riesigen Gebäude auslöste. Die Herzogin-Königin hatte sich erhoben und schritt flink dem Fenster zu, das auf die Kapelle und den großen Innenhof hinausblickte. Draußen stürzten Soldaten aus den Wachstuben und liefen zum Tor, unterwegs noch in aller Hast Helme und Harnische befestigend. Aus dem herzoglichen Quartier quoll eine ganze Flut von Pagen, Knappen und Hofherren. Cathérine kam es in den Sinn, daß sie im Halbdämmer des endenden Tages ganz so aussahen, als seien sie eben geradewegs aus den großen Gobelins an den Wänden herabgestiegen. Indessen klopfte Yolande von Aragon ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.
»Warum soviel Lärm? Was bedeutet diese Aufregung? Wer mag da kommen?«
Wie als Antwort auf ihre Fragen öffnete sich die Tür, und Madame de Chaumont erschien wieder. Lächelnd verneigte sie sich:
»Madame! Es ist der Herr Konnetabel, der von seinem Besitz Parthenay kommt. Euer Majestät …«
Der Freudenausruf der Königin schnitt ihr das Wort ab:
»Richemont! Der Himmel schickt ihn uns! Ich werde ihn sofort empfangen!«
Sie wandte sich mit einer Bewegung an Cathérine, wollte sie einladen, ihr zu folgen, besann sich aber eines anderen, als sie die niedergeschlagene Miene der jungen Frau bemerkte.
»Ruht Euch erst aus, meine Liebe«, sagte sie gütig. »Madame de Chaumont wird Euch führen. Morgen werde ich Euch zu mir befehlen, und wir werden unsere Pläne machen.«
Schweigend verneigte sich Cathérine und folgte der Ehrendame, während Yolande durch eine andere Tür hinausging. Cathérine fühlte eine scheußliche Leere im Kopf und bewegte sich mechanisch wie durch Wolkenschleier.
Folgsam ließ sie sich, ohne ein Wort zu sagen, in ein Zimmer führen, das im oberen Stock lag und dessen zwei Fenster auf den großen Hof hinausgingen. Sie hatte keine Lust zu sprechen, und Madame de Chaumont respektierte ihr Schweigen. Sie war eine reizende blonde junge Frau mit rundem Gesicht und braunen, lebhaften und lustigen Augen, die die größte Mühe zu haben schien, ihre außerordentliche Vitalität zu bändigen. Sehr jung, noch nicht einmal zwanzig, war Anne de Bueil trotzdem seit fünf Jahren mit Pierre d'Amboise, Herrn von Chaumont, verheiratet und hatte zwei Kinder, was man ihr nicht ansah. Ohne Zweifel strengte sie sich unablässig an, ihre überschwengliche Natur dem einigermaßen zeremoniös-abgezirkelten Leben eines königlichen Hofes anzupassen. Auch jetzt hatte sie ganz offensichtlich große Lust zu schwatzen, aber nicht weniger offensichtlich brauchte Cathérine vor allem Schlaf und Ruhe. Die kleine Madame de Chaumont gab sich daher damit zufrieden, ihr ein strahlendes Lächeln zuzuwerfen.
»Hier seid Ihr nun, Madame de Montsalvy. Ich werde Euch zuerst Eure Zofe und dann zwei Kammerfrauen schicken, die Euch behilflich sein werden, Euch einzurichten. Würdet Ihr gern ein Bad nehmen?«
Cathérines Augen blitzten bei der Erwähnung dieser vergessenen Köstlichkeit auf. Ein Bad! Seit Monaten hatte sie keins genommen! Seit dem Herbst war es in den primitiven Schwitzbädern von Carlat zu kalt gewesen, und seitdem sie die Auvergne verlassen hatte, hatte ihre Reise ihr einen solchen Komfort nie geboten.
»Oh, wie gern!« sagte sie, die junge Frau anlächelnd. »Mir scheint, daß ich den ganzen Schmutz des Königreichs an mir habe!«
»Es ist nur eine Frage von wenigen Minuten!«
Und Anne de Chaumont verschwand in einem raschelnden Wirbel von rotem Samt und grauer Seide. Allein geblieben, hätte Cathérine sich am liebsten aufs Bett fallen lassen, aber der Lärm, der vom Hof heraufdrang, zog sie ans Fenster. So viele Fackeln, so viele Feuertöpfe brannten in ihren Drahtgittern in der Tiefe, daß man wie am hellichten Tage sehen konnte und der tanzende Widerschein all dieser Flammen an der Decke von Cathérines Zimmer den Sieg über die Kerzen und das Geflacker des kegelförmigen Kamins davontrug, die dem Zimmer Licht und Wärme gaben.
Unten umdrängte ein wahres Heer von livrierten Dienern, von Pagen und Knappen, von Soldaten, Damen und Edelleuten eine Gruppe eisengepanzerter Reiter, eine eindrucksvolle graue Mauer, die von den weißen Wappenröcken der Bretagne kaum aufgehellt wurde. Diese Ritter scharten sich um eine große weiße Fahne, die ein Wildschwein vor einer kleinen grünen Eiche und, auf ein rotes Spruchband gestickt, die Devise ›Que qui le veuille!‹ zeigte. Einige Schritte vor dieser Gruppe stieg ein Mann, dessen Helm als Schmuck einen gekrönten goldenen Löwen trug, mit Hilfe eines Knappen aus dem Sattel. Das spitze Visier des Helms war hochgeklappt, und Cathérine erkannte das narbige Gesicht des Konnetabels. Außerdem schlug das große, mit Lilien gezierte Schwert Frankreichs an die linke Seite des furchtbaren Bretonen.
Cathérine sah die Königin Yolande flink die Stufen der Freitreppe hinuntersteigen und, beide Hände ausgestreckt und ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, dem Ankömmling entgegeneilen. Sie sah, wie Richemonts hartes Gesicht sich glättete, während er niederkniete, um die ihm dargebotene schöne Hand zu küssen. Von ihrem Platz aus konnte Cathérine nicht hören, was gesprochen wurde, bemerkte jedoch, daß zwischen der Herzogin-Königin und dem Oberkommandierenden des Krieges völliges und absolutes Einvernehmen zu herrschen schien, woraus sie einen tiefen Trost zog. Sie erinnerte sich an die Sympathie, die Richemont Arnaud stets bezeigt hatte, und an die Zähigkeit, mit der dieser Mann aus Eisen seine Angelegenheiten verfolgte. Yolande, Richemont – das waren die beiden unzerstörbaren Pfeiler, auf die sie die Zukunft ihres kleinen Michel bauen wollte.
Eine halbe Stunde später hatte sie, in einer Wanne voll heißen, parfümierten Wassers liegend, sowohl das Elend der letzten Tage als auch ihre Müdigkeit fast vergessen. Die Augen geschlossen, den Nacken auf den mit Tüchern belegten Rand der Wanne gestützt, ließ Cathérine sich gehen, entspannte Körper, Muskeln und Nerven. Das heiße Wasser drang durch jede Fiber ihres Wesens und bewirkte eine wohltuende Erschlaffung. Sie hatte das tröstliche Gefühl, auf dem Grunde dieses von balsamischen Kräutern duftenden Bades mit dem Schmutz auch alles andere hinter sich zu lassen, die Angst, ihre Leiden und selbst zehn Jahre ihres Lebens. Ihr Kopf war wieder klar, ihr Blut zirkulierte besser. Von neuem wußte sie, daß sie jung und stark war und daß ihre weiblichen Waffen intakt geblieben waren. Dies hatte sie in den bewundernden Augen der beiden Dienerinnen gelesen, die ihr beim Einsteigen ins Bad geholfen hatten und jetzt damit beschäftigt waren, Truhen und Laden zu öffnen, Linnen und Tücher herauszunehmen und ihr Nachtlager zu bereiten, während sie ausruhte. Jawohl, sie war immer noch schön, und es war gut, es zu wissen!
Sara schlief in dem Verschlag, in den man sie mehr getragen als geführt hatte. Sie hatte auf dem Weg dorthin kaum einmal die Augen geöffnet, aber dies eine Mal konnte Cathérine auf sie verzichten.
Jetzt war das Bett gemacht, das Badewasser war mit gräulichen Lachen bedeckt, die deutlich machten, wieviel Schmutz Cathérine aus der Auvergne mitgebracht hatte, und eine der Kammerfrauen hielt schon ein am Feuer gewärmtes Badetuch bereit, um die Badende einzuhüllen. Diese erhob sich, blieb einen Augenblick aufrecht in der Wanne stehen und streifte mit beiden Handflächen die über ihre Schenkel rollenden Tröpfchen ab. Im selben Augenblick hallten die Fliesen des schmalen Ganges draußen von dem schnellen Schritt von Eisenschuhen wider, die Tür öffnete sich unter dem Druck einer herrischen Hand, und ein Mann trat ins Zimmer.
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