»Gut, gut, aber das ist ja ausgezeichnet! Verkauft ihm den Diamanten.«

Jacques Coeur lachte trocken auf und hob die Schultern.

»Seid Ihr noch immer so naiv? Wenn der Kämmerer erführe, daß ich diesen Stein besitze, würde ich nicht mehr viel für meinen Kopf geben. Warum soll er ihn bezahlen, wenn er ihn sich so leicht nehmen … und mich notfalls umbringen lassen kann?«

»Das ist also der Grund, weshalb der Kastilier Villa-Andrado mich mit dem Segen La Trémoilles heiraten will. Die Liegenschaften von Montsalvy würden zweifellos dem Spanier übergeben werden, während der Diamant La Trémoille für seine Hilfe belohnte.«

»Ihr macht Euch zu klein, meine Teure. Der Kastilier ist wirklich in Euch verliebt, glaube ich. Euch will er haben, aber natürlich verschmäht er auch Eure Ländereien nicht. Der König hat sie konfisziert und würde sie ihm ohne Zweifel übereignen.«

»Auf jeden Fall«, mischte Bruder Etienne sich ein, »nehme ich an, daß der Diamant sich schon morgen mit Euch von Dame Cathérine trennen wird.«

»Nachdem der Handel hier abgeschlossen ist, reise ich nach Beaucaire weiter. Die jüdische Gemeinde da unten ist reich und mächtig. Ich kenne einen Rabbiner, Isaac Abrabanel, dessen Bruder einer der Judenältesten von Toledo ist, und die Familie ist ungeheuer reich. Ich werde bei ihm jeden Goldbetrag auf diesen Diamanten bekommen, den ich haben möchte …«

Um ihn zu warnen, daß der Wirt zurückkam, hüstelte Bruder Etienne, kreuzte die Finger, steckte die Nase in seinen Napf und begann dann fromm das Tischgebet, dem jeder andächtig lauschte, worauf man sich daranmachte, die von der Reise so schwer mitgenommenen Kräfte wieder aufzufrischen. Cathérine fühlte sich außerordentlich erleichtert, seitdem sie den schwarzen Diamanten in Jacques Coeurs Geldkatze hatte verschwinden sehen. Es war ein guter Einfall von ihr gewesen, denn dies war ein wichtiger, auf die Zukunft gezogener Wechsel. Auf jeden Fall würde Michel eines Tages reich sein, und selbst wenn seinen Eltern die königliche Begnadigung nie gewährt würde, könnte er außerhalb der Grenzen Frankreichs frei und im Überfluß leben. Aber Cathérine wollte mehr, Cathérine wollte etwas Besseres. Das Vermögen war nur ein Teil ihres Plans. Was sie dem Schicksal abtrotzen wollte, war das Ende des Großkämmerers und ihre und Arnauds Amnestierung durch den König. Der Name Montsalvy mußte wieder in seinem alten Glanz erstrahlen, oder ihr Leben hätte keinen Sinn mehr.

Das Diner, das Meister Amable mit allen Anzeichen tiefen Respekts servierte, verging ganz damit, daß sich die Tafelnden die Zukunftspläne Jacques Coeurs anhörten. Aus Diskretion hatte er Cathérine weder Fragen über ihren Gatten noch über ihr Reiseziel gestellt. Ihrem Entschluß getreu, Arnauds Namen davor zu bewahren, nur mit Entsetzen genannt zu werden, hatte Cathérine Macée seinen Tod mitgeteilt. Zweifellos wollte der Pelzhändler vermeiden, durch eine ungeschickte Frage ihren Schmerz wieder zu wecken, der vielleicht nachgelassen hatte. Und Cathérine war ihm dankbar für seinen Takt. Doch häufig kreuzte sich ihr Blick mit dem des Pelzhändlers, und sie glaubte, eine Art Frage gemischt mit Verwirrung in ihm zu lesen. Er mußte sich fragen, welche Worte er wählen sollte, um sich zu erkundigen, was sie in Zukunft vorhatte, was sie aus ihrem Leben machen wollte, ohne indiskret oder verletzend zu sein. Schließlich hatte er einen guten Einfall:

»Ich habe vorhin gesagt, daß der Orient Euch gut bekommen würde, Cathérine. Warum wagt Ihr das Abenteuer nicht mit mir?«

Sie gab ihm sein Lächeln zurück, hob aber ein wenig überdrüssig die Schultern.

»Weil diese Art Abenteuer nichts für mich ist, Jacques. Ich habe für eine Anzahl Menschen zu sorgen und noch viel auf dieser unglücklichen Erde zu tun. Seid gewiß, daß ich den Kampf, der mich erwartet, gern gegen alle Stürme des Mittelmeers tauschen würde, wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, bis zum Ende durchzuhalten.«

Eine Bewegung Jacques', gleichermaßen diskret und entschieden, schnitt ihr das Wort ab. Sie schwieg sofort, sah den Pelzhändler an. Die scharfen Augen Jacques Coeurs durchforschten die Schatten im Hintergrund des Saals mit seltsamer Intensität, und zwar speziell dort, wo Meister Amable verschwunden war. Und als er sich Cathérine wieder zuwandte, sprach er nur noch von nebensächlichen Dingen, ließ jedes Thema, das gefährlich sein konnte, fallen. Und sobald die Mahlzeit beendet war, stand er auf, reichte Cathérine die Faust, so um die Ehre bittend, sie auf ihr Zimmer geleiten zu dürfen. Wie durch Zauberei erschien Meister Amable wieder, eine Kerze in der erhobenen Hand, und schritt ihnen zum oberen Stock voraus. Sara und Bruder Etienne bildeten den Schluß des Zuges. Die zum Umfallen müde Zigeunerin hatte die größte Mühe, die Augen offenzuhalten. Doch Cathérines Augen waren noch nicht vom Schlaf befallen. Die junge Frau hielt sie im Gegenteil weit offen, erstaunt, die hohen schwarzen Schatten, die der Widerschein der Wachskerze auf die gelbe Wand warf, beunruhigend zu finden. Warum eigentlich war das Gefühl der Erleichterung, das sie noch vor kurzem empfunden hatte, auf einmal geschwunden? Warum hatte sich eine unerklärliche Furcht in ihr Herz geschlichen? Der verwünschte Diamant hatte den Besitzer gewechselt, ihr Glück hatte mit dieser Geste begonnen, und sie hatte absolutes Vertrauen in ihr Glück. Was war es also?

Vor dem Zimmer, das Cathérine mit Sara teilen mußte, trennte man sich steif! Die beiden Frauen schlossen sich in ihr Zimmer ein, während der Pelzhändler und der Mönch zum nächsten Stock hinaufstiegen. Die Stille der Nacht hüllte bald den Schwarzen Sarazenen ein. Sara hatte sich voll angezogen in ihren Kleidern aufs Bett geworfen und schlief sofort ein. Cathérine begnügte sich, Kleid und Stiefel auszuziehen, und legte sich dann neben sie.

Leises Klopfen an der Tür riß sie aus tiefem Schlaf, in den auch sie gesunken war. Eigentlich eher ein Kratzen, ein Scharren, so daß sie sich einen Augenblick zögernd fragte, ob es nicht eine Maus war. Doch nein, es stimmte schon; jemand klopfte an die Tür …

Es war stockdunkel im Zimmer, die Kerze war bis auf den Stumpf heruntergebrannt, und Cathérine tastete sich zum Türrahmen, wo das Klopfen von neuem zu hören war, besorgt, nicht an ein Möbelstück zu stoßen und womöglich das ganze Haus aufzuwecken. Die Person, die sich so leise und diskret durch Klopfen ankündigte, konnte kein Interesse daran haben, Aufmerksamkeit zu erregen … Die Tür öffnete sich schließlich, und Cathérine sah Jacques Coeur mit einer Kerze bewaffnet auf der Schwelle stehen. Er war völlig angezogen, die Kappe auf dem Kopf und im Mantel. Den Finger eindringlich auf die Lippen legend, gebot er Cathérine Schweigen, schob sie dann sanft zurück, trat eigenmächtig über die Schwelle und schloß die Tür hinter sich. Sein Gesicht trug einen beunruhigend ernsten Ausdruck.

»Verzeiht die Störung, Cathérine, aber wenn Ihr keinen großen Wert darauf legt, bei Tagesanbruch mit dem Gefängnis der Grafschaft Bekanntschaft zu machen, dann rate ich Euch, Euch anzuziehen, Sara zu wecken und mir zu folgen. Bruder Etienne dürfte schon im Stall sein.«

»Aber … warum so früh? Wieviel Uhr ist es denn?«

»Eine Stunde nach Mitternacht. Ich gebe zu, daß es ein wenig früh ist, aber die Zeit drängt.«

»Warum?«

»Weil der Anblick eines gewissen Diamanten den Verstand eines bislang ehrlichen Mannes getrübt hat. Damit will ich sagen, daß Meister Amable soeben, nachdem er seine Herberge abschloß, zum Profos geeilt ist, um uns als gefährliche Missetäter anzuzeigen, nach denen von Monseigneur dem Großkämmerer gefahndet wird. Das exotische Aussehen Saras und die Tatsache, daß ich den Juden Abrabanel erwähnte, haben seiner Denunziation den leichten Ruch von Hexerei, von Zauberkunst hinzugefügt. Kurz, um einen Anteil an dem fabelhaften Kleinod zu bekommen, ist Meister Amable bereit, uns auf den Scheiterhaufen zu schicken.«

»Woher wißt Ihr das alles?« fragte Cathérine, zu verdutzt, um wirklich erschreckt zu sein.

»Erstens, weil ich unserem würdigen Gastgeber gefolgt bin, als er aus dem Haus ging. Sein Verhalten während des Abendessens kam mir verdächtig vor. Er wurde abwechselnd rot und blaß, seine Hände zitterten wie Blätter im Wind, und sein Blick blieb hartnäckig auf meine Geldkatze gerichtet. Ich kenne ihn schon geraume Zeit, aber ich habe gelernt, Menschen zu mißtrauen, wenn Gold im Spiel ist. Die Kammer, die ich mit Bruder Etienne teile, liegt glücklicherweise über der Herbergstür. Ich habe mich auf die Lauer gelegt, weil mich eine Vorahnung trieb, und habe unseren Gastwirt tatsächlich heimlich sich fortstehlen sehen, als er annehmen konnte, daß jedermann schliefe. Da mir die Geduld fehlte, die Treppe zu benutzen, ließ ich mich schleunigst am Fachwerk des Hauses zu Boden gleiten und machte mich auf Amables Spur. Als ich ihn die Auffahrt zum Schloß hinaufgehen sah, war mir klar, daß ich recht gehabt hatte, ihn zu überwachen.«

»Und dann?« fragte Cathérine, vor Kälte zitternd, und beeilte sich, ihr Kleid wieder überzuziehen. »Was ist dann passiert? Seid Ihr sicher, daß er uns denunziert hat?«

»Das ist eine Frage, die Ihr nicht stellen würdet, wenn Ihr ihn händereibend hättet fortgehen sehen. Außerdem konnte ich mich vergewissern, daß ich mich nicht täuschte. Bei Tagesanbruch soll eine Abteilung des Profosen uns verhaften, und zwar noch vor Öffnung der Stadttore.«

»Wer hat Euch das gesagt?«

Jacques Coeur lächelte, und Cathérine sagte sich, daß er für einen von Gefängnishaft bedrohten Mann sehr ruhig und gelassen schien.

»Zufällig habe ich zwei oder drei Freunde in dieser Stadt, was Meister Amable nicht weiß. Der Zweitälteste Sohn einer der beiden Inhaber des Fabrikationsgeheimnisses der Gobelins ist Sergeant in der Garnison. Ich bin einfach frech zum Schloß gegangen, habe mich auf der Wachstube gemeldet, ohne natürlich meinen Namen zu nennen, und habe ihn zu sprechen verlangt.«