»Das ist ja ekelhaft! Kennen diese Leute denn nicht weniger barbarische Bräuche? Warum verbrennen sie die Leiche nicht?«

»Es ist ein durchaus ehrenhafter Brauch«, erwiderte Bruder Etienne friedlich. »Man wendet ihn an, wenn die Einbalsamierung unmöglich ist oder wenn die Leiche über eine zu weite Strecke transportiert werden muß. Und ich bedauere, Euch belehren zu müssen, daß dieser Brauch keineswegs nur auf Schottland beschränkt ist. Der Großkonnetabel Du Guesclin erlitt das gleiche Schicksal, als er vor Châteauneuf-de-Randon fiel. Man hatte ihn zwar einbalsamiert, doch als der Sarg in Puy eintraf, entdeckte man, daß die Einbalsamierung ungenügend war. Man ließ ihn also kochen, wie Scott es heute tun wird. Es ist eine große Ehre, die er seinem Leutnant erweist … aber an Eurer Stelle würde ich nicht hierbleiben.«

In der Tat loderte das Feuer unter dem Kessel, und zwei der Männer waren fortgegangen, um die Leiche zu holen, die sie nun auf einer aus quer übereinandergelegten Ästen gefertigten Bahre feierlich anbrachten. Entsetzt über das, was folgen würde, nahm Cathérine Sara bei der Hand und zog sie eilends zur Herberge zurück, während Bruder Etienne, die Hände in die Ärmel schiebend, sich ruhig dem Kessel näherte. Während der ganzen Dauer dieser scheußlichen Verrichtung sprach er, am Ufer der Dordogne kniend, das Totengebet.

Die schreckliche Kocherei dauerte den ganzen Tag, und diesen Tag verbrachte Cathérine, vor dem Kamin in der Gaststube der Herberge kauernd, zu, abwesenden Blicks ins Feuer starrend, unfähig, etwas zu essen. Tiefe Stille lag über dem Weiler. Die verschreckten Bauern hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert, klapperten mit den Zähnen und flehten zweifellos den Himmel an, er möge sie vor dem Furor dieser Wilden verschonen. Die Gastwirtin wagte nicht, das Haus zu verlassen. Cathérine hatte ihr die Worte Bruder Etiennes berichtet, und sie wußte nun, daß es sich bei dem Treiben am Flußufer nicht um irgendein höllisches Hexenwerk handelte, und doch hatte sie viel zuviel Angst, um die Nase nach draußen zu stecken. Alles, was man hörte, waren dann und wann ein Befehl Scotts oder die Hammerschläge des Schreiners, der, in seinem Haus eingeschlossen, einen kleinen Kasten für die Gebeine zimmerte. Sara, die sich ebenso fürchtete wie Cathérine, murmelte mit tiefer Stimme Gebete, doch die junge Frau konnte nicht beten. Der Eindruck, einen Alptraum zu durchleben, war schärfer denn je.

Es war dunkle Nacht, als schließlich alles vorbei war. Bei Fackelschein legte man die sterblichen Überreste MacLarens neben der kleinen Kapelle zu Grabe. Cathérine überwand sich, daran teilzunehmen, ebenso wie die Bauern, die aus sicherer Entfernung zusahen. Es lag so viel Furcht in ihren Augen, daß die junge Frau fröstelte. Wenn der Mönch nicht gewesen wäre, hätten sie Scott dieses fremdartige Ritual zweifellos nicht praktizieren lassen, und die fünf Schotten wären mit Mistgabeln und Beilen bedroht worden.

Nachdem die letzte Schaufel Erde auf das zurückgefallen war, was in keiner Sprache mehr einen Namen hatte, aber vor kurzem noch ein junger, lebenslustiger Mann gewesen war, stiegen die Schotten zu Pferde, die hölzernen Gesichter zu drohender Undurchdringlichkeit erstarrt, und machten sich, ohne Cathérine und die Ihren zu grüßen, von neuem auf den Weg ins Gebirge, über den Sattelbogen Scotts war ein roh gezimmerter Kasten geschnallt.

Die Nacht war kalt, und als die Männer verschwunden waren, blieben Cathérine, Sara und Bruder Etienne allein inmitten der Dunkelheit neben der kleinen Kapelle. Den Fluß konnte man nicht sehen, hörte aber sein brausendes Wasser. Etwas weiter entfernt erweckten die erleuchteten Fenster der Herberge den Eindruck zweier ins Dunkel geöffneter gelber Augen. Bruder Etienne hob die im Winde Funken sprühende Fackel, die ihm einer der Schotten dagelassen hatte.

»Gehen wir zurück«, sagte er.

»Ich möchte lieber sofort aufbrechen«, bat Cathérine. »Dieser Ort flößt mir Entsetzen ein.«

»Zweifellos, aber wir müssen dennoch warten, bis es Tag ist. Wir müssen über den Fluß setzen. Er ist angeschwollen und gefährlich. Wenn wir versuchen würden, ihn in der Dunkelheit zu durchwaten, würden wir in den Tod gehen … denn ich bin nicht sicher, ob sich die Leute hier die Mühe nähmen, uns zu Hilfe zu kommen und aus dem Wasser zu ziehen.«

»Gut, erwarten wir den Anbruch des Tages im Gastzimmer der Herberge, und trennen wir uns nicht. Ich könnte in dieses schreckliche Gelaß nicht mehr zurückkehren …«

Viertes Kapitel

Die Herberge zum Schwarzen Sarazenen in Aubusson hatte schon bessere Tage gesehen – damals, als die Gegend noch reich gewesen war, während der großen Messen, zu der Zeit schließlich, als Hungersnot und die Engländer das Land noch nicht zugrunde gerichtet hatten. In dieser gesegneten Zeit strömten die Reisenden nach Limoges, wo die wunderbare Kunst der Emaillierarbeiter ganze Scharen von Kaufleuten anzog. Andere kamen, um am Umschlagplatz für Wolle Schafe von der Hochebene zu kaufen. Die Feuer knisterten unentwegt, und die Bratenwender waren praktisch den ganzen Tag in Betrieb. Das Gelächter und die Rufe der Zecher mischten sich mit dem lustigen Klappern der Holzschuhe der hübschen Serviererinnen, Geräusche, die sich bei Einbruch der Nacht noch verstärkten.

Als jedoch Cathérine, Sara und Bruder Etienne dort eintrafen, am Abend eines langen, anstrengenden Tages, den sie in den verödeten, wilden Bereichen des Plateaus von Millevaches verbracht hatten, war das einzige vernehmbare Geräusch das Knarren des Wirtshausschildes, ehemals mit lustigen Farben bemalt und jetzt rostig und verblaßt, das windschief an seinem Träger hing. Die Nachtwächter stießen ins Horn und mahnten die Leute, die Türen zu schließen, und die kleine Stadt schien sich fröstelnd mit ihren engen schwarzen Gassen in die Schlucht zu ducken, die ihr Schutz bot. Oben auf einem Felsen breitete das alte Grafenschloß seine baufälligen Fassaden aus und ähnelte einer dicken, melancholischen Katze, die, zu einer Kugel zusammengerollt, eben im Begriff ist einzuschlafen. Die Straßen waren kaum belebt. Die wenigen, hastig vorübergehenden Leute warfen den drei Reisenden unruhige Blicke zu, die alsbald gleichgültig wurden, wenn sie feststellten, daß es sich nur um zwei Frauen und einen Mönch handelte.

Dennoch erregte das Hufeklappern der Pferde die Aufmerksamkeit eines im Tor des Schwarzen Sarazenen lehnenden Mannes in weißer Schürze, dessen dicker Bauch in traurigem Gegensatz zu seinem gelben Teint und seinen dünnen Beinen stand. Er hatte die schlaffen Wangen von Leuten, die zu schnell abgenommen haben, und der Seufzer, den er beim Anblick der Reisenden ausstieß, ließ erkennen, daß bei ihm seit langem Schmalhans Küchenmeister war. Doch zog er seine Mütze und ging den Ankömmlingen entgegen, die schon aus dem Sattel stiegen.

»Edle Damen«, sagte er höflich, »und Ihr, hochehrwürdiger Vater, womit kann der Schwarze Sarazene Euch dienen?«

»Indem du uns ein Nachtlager gibst und das Gedeck servierst, mein Sohn«, antwortete Bruder Etienne gut gelaunt. »Wir haben eine lange Reise hinter uns. Unsere Pferde sind müde … und wir auch. Können wir hier wohnen und etwas zu essen haben? Wir können bezahlen.«

»Ach, Euer Ehrwürden, Ihr könntet vor mir alles Gold der Welt ausbreiten und würdet trotzdem nichts anderes als eine Kräutersuppe und ein Stück Schwarzbrot vorgesetzt bekommen. Der Schwarze Sarazene ist leider nur noch ein Schatten dessen, was er einmal war, ach ja, und Euer Aufenthalt wird daran auch nicht viel ändern …« Ein enormer Seufzer unterstrich seine betrübliche Erklärung, und das neuerliche Hufgeklapper eines Pferdes in der Gasse ließ diesem ersten alsbald einen zweiten folgen.

»Um Himmels willen!« stieß der Wirt hervor. »Hoffentlich ist das nicht noch ein Gast!«

Unglücklicherweise für Meister Amable war es sehr wohl ein Reisender, wie der weite, staubbedeckte Mantel, in den er gehüllt war, und die schmutzigen Beine seines Pferdes bewiesen. Cathérine, die sich für die Probleme des Wirts nicht interessierte und vor allem begierig war, sich aufzuwärmen, trat bereits in den Gasthof, als die Stimme des Ankömmlings, der fragte, ob er für sich und sein Pferd Unterkunft bekommen könne, sie wieder zurückrief. Sie versuchte, das Gesicht des Reisenden im Schatten der großen grauen Kappe zu erkennen, die ihn bedeckte, aber der Wirt befreite sie schon durch seine Antwort aus ihrer Ungewißheit.

»Ach, Maître Coeur! Ihr wißt doch ganz genau, daß mein Haus, ob arm oder reich, für Euch immer geöffnet ist. Nur gebe der Himmel, daß der Tag wiederkehre, an dem der Schwarze Sarazene Euch willkommen heißen kann, wie es seiner Vergangenheit würdig ist!«

»Amen!« sagte Jacques Coeur mit gutem Humor. Er stieg aus dem Sattel, doch kaum hatten seine Stiefel den Boden berührt, als er auch schon Cathérine in den Armen hielt, die ihm vor Freude entgegengeeilt war.

»Jacques! Jacques! Ihr seid's? … Was für ein Glück!«

»Cathérine! Endlich … ich wollte sagen: Madame de Montsalvy! Was macht Ihr hier?«

»Sagt Cathérine zu mir, mein Freund! Ihr habt Euch das Recht dazu schon lange erworben. Wenn Ihr wüßtet, wie ich mich über dieses Wiedersehen freue! Wie geht es Macée und den Kindern?«

»Bestens, aber treten wir ein! Drinnen können wir uns besser unterhalten. Wenn du noch etwas hast, ein Feuer anzumachen, Meister Wirt, können wir soupieren. Du auch. Ich habe zwei Schinken in den Leinenbeuteln auf dem Sattel hinten. Auch Speck habe ich, Käse und Nüsse …«

Während sich Meister Amable, den Himmel mit Lobsprüchen überschüttend, auf die Lebensmittel stürzte, schob Jacques Coeur seinen Arm unter den Cathérines und ging mit ihr in die Herberge, Sara im Vorbeigehen mit einem freundlichen guten Tag grüßend. In dem niedrigen Saal, an dessen riesigen, geschwärzten Balken nur noch melancholische Zwiebelkränze statt des Pökelfleischs von einstmals hingen, trafen sie Bruder Etienne an, der sich, den Rücken dem Kamin zugekehrt und die Kutte bequem hochgehoben, wärmte. Cathérine wollte die beiden Männer einander vorstellen, bemerkte aber, daß sie sich schon kannten, und zwar sehr gut.