»Ich spreche nur ein Gebet, dann bin ich bereit.«

Schnell murmelte er auf den Knien vor dem leblosen Körper ein Totengebet, machte hastig das Zeichen des Kreuzes über ihm und krempelte sich dann die Ärmel hoch.

»Das beste ist, ich gehe aufs Dach hinaus. Ihr reicht mir die Leiche, und ich lade sie mir auf und steige hinunter.«

»Aber er ist groß und schwer trotz seiner Magerkeit«, wandte Cathérine ein.

»Ich habe mehr Kraft, als Ihr glaubt, meine Tochter. Genug der Worte, ans Werk!«

Er half Cathérine und Sara, die Leiche ans Fenster zu tragen, und schwang sich hinaus. Die Kälte schien schärfer geworden zu sein, und die Nacht war still. In der Gaststube unten schliefen die Schotten sicherlich, zweifellos gebührend gesättigt und voll des süßen Weines, denn man hörte kein Geräusch mehr.

Die Leiche des unglücklichen MacLaren war bereits steif und schwer zu handhaben. Cathérine und Sara mußten alle ihre Kräfte anspannen, um ihn zum Fenster hinaufzuheben. Trotz der Kälte spürten sie, wie der Schweiß an ihnen herunterrann, und sie mußten die Zähne zusammenbeißen, um ihre Angst nicht zu verraten. Wenn sie jemand überraschte, dann wußte nur Gott allein, was ihnen passierte! Zweifellos würden die rasenden Schotten sie ohne viel Federlesens zum nächstbesten Baum schleppen … Aber nein, niemand zeigte sich, kein Geräusch war zu hören. Auf dem Dach packte Bruder Etienne fest die Leiche und ließ sie bis zum Rand hinuntergleiten.

»Wenn eine von Euch bis hierher käme, um ihn zu halten, während ich hinunterklettere«, flüsterte er.

Ohne Zögern sprang Cathérine durchs Fenster und stieg vorsichtig zu dem Mönch hinunter. Das vom Schnee schlüpfrige Schindeldach war schwierig zu begehen, aber die junge Frau gelangte ungefährdet an den Rand der Schräge und hielt die Leiche, während Bruder Etienne sich mit unerwarteter Gelenkigkeit zu Boden gleiten ließ.

»Da bin ich! Laßt ihn jetzt herunter, vorsichtig, sehr vorsichtig! Da, ich halte ihn! Kehrt in Eure Kammer zurück, das übrige erledige ich.«

»Wie kommt Ihr zurück?«

»Durch die Tür, ganz einfach. Das Kleid, das ich trage, gestattet mir, zu kommen und zu gehen, wie ich will, ohne Verdacht zu erregen. Es ist nicht das erstemal, daß ich diese Erfahrung gemacht habe. Manchmal frage ich mich sogar, ob das nicht der Grund ist, weshalb ich ins Kloster eingetreten bin.«

Cathérine erriet sein Lächeln, erwiderte aber nichts. Nachdem die Leiche ihr nun aus den Augen entschwunden war, spürte sie die Nachwirkung der Nervenanspannung, die sie auszuhalten gehabt hatte. Einen Augenblick verharrte sie noch am Dachrand, schloß die Augen, um gegen einen plötzlichen Schwindelanfall anzukämpfen, versuchte, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, das sie verließ. Der Himmel und das Dach führten einen wirren Rundtanz um sie auf …

»Geht's nicht?« flüsterte Saras besorgte Stimme. »Willst du, daß ich dich hereinhole?«

»Nein … nein, das hat keinen Zweck … Und außerdem kämst du nicht durchs Fenster!«

Langsam kroch Cathérine auf Händen und Füßen hinauf. Das Schwindelgefühl schwand. Saras Hände griffen nach ihr, zogen sie ins Zimmer, wo inzwischen eine Hundekälte herrschte. Mit Saras Hilfe setzte sich die junge Frau auf eine Ecke des Bettes und fuhr sich mit zitternder Hand über die feuchte Stirn. Ihre Zähne klapperten.

»Ich suche jetzt etwas, womit wir das Feuer wieder anzünden können«, sagte Sara, »und ich werde dir ein wenig Suppe bringen.«

Während sie noch sprach, zündete sie die Kerze wieder an und betrachtete dann angewidert die blutbefleckten Bettlaken.

»Die müssen verbrannt werden. Ich werde das diskret mit der Wirtin regeln.«

Cathérine antwortete nicht. Ihre Gedanken folgten Gauthier, wie er durch die Nacht galoppierte, zu Michel und nach Montsalvy zurück, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihr Herz. Des festen Bollwerks beraubt, das er repräsentierte, schienen ihr die kommenden Tage äußerst dunkel und weit bedrohlicher als bisher. Sollte sie denn mit ansehen, wie sich einer nach dem anderen von ihr trennte, alle die, die sie am meisten liebte? Sie fand sich von neuem allein mit ihrer alten Sara, um sich ein neues Leben aufzubauen, aber so traurig ihre Gedanken auch waren, weigerte sie sich, sich zu beklagen. Was geschehen war, war ihre eigene Schuld, ganz allein ihre Schuld! Wenn sie MacLaren fortgejagt hätte, als er sich über sie geneigt hatte, wäre nichts dergleichen passiert. Der junge Schotte würde noch leben, und Gauthier wäre nicht wieder auf die gefährlichen Wege des Abenteuers verwiesen worden.

Als Sara wieder erschien, gleichzeitig Holzscheite und eine Schale mit Suppe tragend, spiegelte ihr würdevolles braunes Gesicht große Zufriedenheit wider.

»Alles schläft da unten. Die Schotten schnarchen auf Tischen und Bänken. Gauthier wird die ganze Nacht zur Verfügung haben, um Vorsprung zu gewinnen. Alles geht gut.«

»Du bist nicht gerade anspruchsvoll! Sag lieber, daß alles so gut geht, wie es nur gehen kann, wenn man mitten im Unglück schwimmt.«

Die Dinge entwickelten sich genauso, wie Cathérine und Sara es vorausgesehen hatten. Einer der Schotten entdeckte im Morgengrauen den Leichnam MacLarens im Schnee neben dem Schafstall, und sofort befanden sich Cathérine, Sara und Bruder Etienne mitten in einem wahren Aufstand. Der Älteste der Bewaffneten, ein Soldat in den Fünfzigern, der sich Alan Scott nannte, hatte ganz natürlicherweise das Kommando über seine Kameraden übernommen, und er war es, der, ihre Wut zum Schweigen bringend, den drei Reisenden den Willen des Trupps zur Kenntnis brachte.

»Ich bin aufs tiefste betrübt, meine Dame«, sagte er zu Cathérine. »Aber den Tod unseres Anführers – den wollen wir rächen.«

»An wem, auf Grund von was? Wie könnt ihr sicher sein, daß der Mörder …«

»… Euer Knappe ist? Der Axthieb ist bezeichnend.«

»Die Männer hier benutzen auch Äxte«, erwiderte Cathérine nervös. »Sara hat euch gesagt, sie habe MacLaren mit einem Mädchen der Herberge zum Schafstall gehen sehen.«

»Dazu müßte man erst einmal wissen, wer dieses Mädchen von der Herberge war. Nein, meine Dame, unnütz, darüber zu diskutieren. Wir sind entschlossen, uns an die Verfolgung dieses Mannes zu machen. Die Spuren sind sauber im Schnee zu erkennen. Im übrigen, wäre er nicht schuldig, wäre er ja hiergeblieben.«

»Hättet ihr ihm eine Möglichkeit gegeben, sich zu verteidigen?«

»Selbstverständlich nicht! Er hat im Grunde recht gehabt zu fliehen. Aber wir, wir müssen ihn wiederfinden. Setzt Eure Reise allein fort.«

»Ist das Eure Art«, sagte Cathérine hoheitsvoll, »die Befehle Hauptmann Kennedys auszuführen?«

»Wenn er wüßte, was sich hier zugetragen hat, würde Kennedy uns recht geben. Und außerdem scheint es, daß Ihr kein Glück bringt, edle Dame … und meine Männer wollen Euch nicht mehr dienen.«

Cathérine fühlte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Es war nutzlos, mit diesen beschränkten Flegeln zu streiten. Aber im Innern schauderte ihr vor dem Weg, den sie allein, oder fast allein, zurücklegen sollte. Doch ließ sie sich nicht anmerken, was sie bewegte.

»Gut«, sagte sie schroff. »Geht. Ich halte Euch nicht zurück!«

»Einen Augenblick!« warf Scott ein. »Ich brauche noch Euren Mönch. Die Hälfte meiner Leute bricht sofort auf, die anderen werden mit mir hierbleiben, um sich mit Messire MacLaren zu beschäftigen. Er braucht Leichengebete, und hier gibt es keinen Priester.«

Daß er seinem Leutnant ein christliches Begräbnis geben wollte, war nur zu natürlich, und Cathérine versuchte nicht, sich dem zu widersetzen. Ein Grab würde schnell ausgehoben und die Totenmesse schnell gelesen sein. Das würde sie kaum lange aufhalten. Ohnehin erhob sich in einiger Entfernung am Ufer des Flusses eine kleine Kapelle, um die sich einige Kreuze gruppierten.

»Euer Wunsch ist ganz natürlich«, erwiderte sie. »Wir werden also warten, bis Eure Beerdigungsfeier vorüber ist.«

»Vielleicht wird das länger dauern, als Ihr glaubt!«

In der Tat dauerte es unendlich viel länger, und Cathérine, krank vor Verdruß, erlebte den endlosesten Tag ihres ganzen Daseins.

Als sie bemerkte, daß Scott sich in Richtung der wenigen Häuser des Weilers entfernte, dachte sie, er gehe einen Schreiner suchen, um einen Sarg anfertigen zu lassen, aber sie sah ihn einige Minuten später zurückkommen, vier seiner Leute im Gefolge, die einen riesigen Kochkessel schleppten, wie man ihn zur Kräuterkäsezubereitung benutzt. Diesen Kessel stellten sie am Ufer des Flusses auf, stützten ihn mit Steinen ab, füllten ihn halb mit Wasser und gingen daran, eine große Menge Holz heranzuschaffen. Einige Bauern sahen halb beunruhigt, halb neugierig ihrem Tun zu. Aufrecht unter einem Kastanienbaum zwischen Sara und Bruder Etienne stehend, tat Cathérine dasselbe und versuchte vergebens zu begreifen, was vor sich ging.

»Was soll denn das bedeuten?« fragte sie den Mönch. »Wollen sie vor der Beerdigung eine Art Leichenschmaus vorbereiten? Offenbar ein riesiges Mahl.«

Doch Bruder Etienne schüttelte den Kopf. Er verfolgte die Vorbereitungen, ohne sonderlich überrascht zu sein.

»Das soll bedeuten, mein liebes Kind, daß dieser Scott nicht die Absicht hat, die Gebeine seines Leutnants der Erde der Auvergne zu überlassen.«

»Ich verstehe noch immer nicht.«

»Oh, das ist ganz einfach! Dieser große Kessel wird die Leiche des Leutnants aufnehmen. Man wird sie darin so lange kochen, bis sich die Gebeine ablösen lassen, die unser Schotte dann in einem Kasten oder einer Truhe leicht in sein Land transportieren kann. Das Fleisch wird hier an Ort und Stelle christlich beerdigt.«

In schöner Einmütigkeit wurden Cathérine und Sara grün im Gesicht. Die junge Frau fuhr sich mit der zitternden Hand an die Kehle, die ihr jeden Dienst zu verweigern schien, doch schließlich gelang es ihr zu stammeln: