»Aber sie braucht Pflege!« rief Sara.
»Sie wird sie später bekommen. Zunächst müssen wir das Weite suchen. Steigt bei zweien meiner Männer hinten auf, Ihr, die Dienerin, und Ihr, der Mönch. Und nun vorwärts!«
Zwei kräftige Schotten beluden sich mit Sara und Bruder Etienne, dann entfernte sich Ian McLarens Trupp, Bogen und Armbrüste über den Rücken, von Aurillac, von den Verwünschungen der herausströmenden Bewaffneten verfolgt. Einige Pfeile und Bolzen umschwirrten sie, trafen aber niemand. Das Lachen des schottischen Leutnants schallte wie ein Donnerschlag.
»Mönchssoldaten, das taugt nicht mehr als Nonnen mit Helmen! Die können besser das Paternoster herunterleiern und die Mädchen aufs Kreuz legen als einen Bogen spannen!«
Cathérines Verwundung war nicht ernst. Eine dünne Klinge war ihr einen Zoll tief in die Schulter gedrungen. Sie hatte ziemlich kräftig geblutet, aber die Wunde schmerzte nicht sehr. Ihre Schulter und ihr Arm waren steif und schwer wie Blei, doch hatte sie im Wind des schnellen Rittes das Bewußtsein rasch wiedererlangt. Sobald MacLaren schätzte, daß sie weit genug entfernt waren, hatte er Halt befohlen. Während seine Leute einen Becher tranken und ein paar Bissen aßen, hatte Sara die junge Frau zur Seite genommen, um sich um ihre Verwundung zu kümmern. Ihre geschickten Hände hatten schnell einen Verband aus einem zerrissenen Hemd aus dem Kleiderballen und ein wenig Balsam aus Hammelfett und Wacholder gemacht, der einem der Schotten gehörte. Dann hatten sie, auch Cathérine, etwas Brot und Käse gegessen und ein paar Schluck Wein getrunken, bis MacLaren wieder das Signal zum Aufbruch gab. Cathérine fühlte sich matt. Die Anstrengungen des nächtlichen Marsches zwischen Vezac und Aurillac zusammen mit dem Schock des kürzlichen Kampfes hatten sie erschöpft. Eine unbändige Schläfrigkeit überfiel sie, und sie hatte unendliche Mühe, die Augen offenzuhalten.
Diesmal stieg sie hinter dem Führer der Eskorte auf. Trotz der wütenden Einwände Gauthiers hatte Ian MacLaren entschieden, daß er sich persönlich um sie kümmern werde.
»Dein Pferd hat an dir schon genug zu tragen«, erklärte er ihm trocken. »Es braucht nicht noch überlastet zu werden!«
»Sie wird sich nicht hinter Euch halten können«, gab der Normanne zurück. »Seht Ihr nicht, daß ihr die Augen zufallen?«
»Ich werde sie festbinden. Im übrigen führe ich hier das Kommando!«
Wohl oder übel mußte Gauthier nachgeben, aber Cathérine hatte flüchtig den zorngeladenen Blick aufgefangen, den er dem jungen Schotten zuwarf und den dieser gar nicht zu bemerken schien. MacLaren gehörte anscheinend zu der Sorte Menschen, denen nie Zweifel über den einzuschlagenden Weg kommen, die sich mit Entschlossenheit für etwas einsetzen und niemals wieder von vorn anfangen, was auch immer die Konsequenzen sein mögen. Nachdem er sie mittels eines Sattelgurtes fest an sich gebunden hatte, ritt er an die Spitze des Zuges.
Die Schotten und die vier Flüchtlinge drangen in das wilde und furchtbare Gebirgsmassiv des Cantal ein.
An MacLarens Rücken gelehnt, überließ sich Cathérine den Schritten des Pferdes. Das einsame Gebirge, seine erloschenen, von Wäldern bedeckten Vulkane und tiefen Felstäler hüllten sie bald mit ihrer Stille ein, die der Winter noch tiefer machte. Die Häuser der seltenen Weiler, die einsamen Sennhütten, die sie sichteten, blieben hermetisch geschlossen, um die Wärme von Mensch und Tier zu bewahren. Allein die dünnen grauen Rauchfahnen, deren flüchtige Arabesken sich gegen das Weiß des Schnees abzeichneten, deuteten an, daß hier Leben war. In den Häuschen aus schwarzer Lava drängten sich die Bauern um ihre kleinen rötlichen, struppigen Kühe, die, wenn der Sommer kam, auf das dichte grüne Gras der Wiesen die roten Farbkleckse ihres Fells setzen würden … Cathérine dachte, daß dieses rauhe Land schön sei, selbst unter dem Schnee, der seine harten Akzente unterstrich.
Ein seltsames Wohlbefinden befiel sie trotz des dumpfen Schmerzes in ihrer Schulter, trotz des Fieberanflugs, der in ihren Adern aufstieg. Der Mann, an den sie gebunden war, teilte ihr seine Wärme mit. Sein kräftiger Körper bot einen festen Schutz gegen den schneidenden Wind. Sie ließ den Kopf gegen seinen Rücken sinken und schloß die Augen. Der seltsame Eindruck überkam sie, als binde sie etwas viel Engeres als der Sattelgurt an diesen Unbekannten … und doch hatte sie MacLaren noch nie wirklich angesehen. Vergraben in ihren hochmütigen Schmerz, in ihre schwarzen Schleier fester eingeschlossen als in ein Kloster, verschwammen die Männer, die Carlat bewachten, und besonders diese von weit her gekommenen Fremden vor ihren Augen, die nur noch das Unsichtbare sahen. Paradoxerweise fand sie unter ihrem Aufputz als junger Bursche zu ihrer wahren weiblichen Natur zurück. Und trotz der verzweifelten, unwiederbringlichen Liebe, die in ihrem Herzen wohnte, hatte sie nicht umhingekonnt, die fremdartige Schönheit MacLarens zu bemerken.
Von hohem Wuchs, grenzte seine Schlankheit an Magerkeit, aber dieser lange Körper hatte die nervöse Biegsamkeit einer Degenklinge. Das hagere Gesicht bot das arrogante Profil eines Raubvogels, ein schmaler Mund und die eckigen Kiefer ließen auf ungeheuren Starrsinn schließen. Die gletscherblauen Augen blickten spöttisch, ohne Zärtlichkeit, waren tief unter den dichten hellen Brauen eingesunken. Das ziemlich lange Haar war von matter Blondheit, fast silbrig, und wenn MacLaren lächelte, hoben sich seine Lippen nur auf einer Seite, ein drolliges Lächeln im Mundwinkel, unverschämt und kurz, das nicht bis zu den Augen vordrang.
Als er eben Cathérine um die Taille gefaßt hatte, um sie auf sein Pferd zu setzen, hatte er sie tief angeblickt. Ein Blick, der sie wie ein Dolch durchbohrte. Und dann hatte er gelächelt, ohne ein Wort zu sagen. Aber vor diesem Unbekannten und seinem kaum merklichen Spott hatte sie sich seltsam entwaffnet gefühlt. Der Blick schien zu bedeuten, daß die Dame Cathérine ohne ihre Trauerschleier eben auch nur eine Frau wie andere Frauen war, eine Frau, die man schließlich erobern konnte. Und Cathérine konnte sich nicht schlüssig werden, ob dieser Eindruck angenehm war oder nicht.
Als man, nachdem es Abend geworden war, in der Scheune eines verschreckten Bauern Rast machte, der das Schwarzbrot und das Stück Ziegenkäse nicht zu verweigern wagte, überkam die junge Frau dasselbe Gefühl. Sara hatte sich so weit wie möglich von den Männern niedergelassen, aber um von dem zwischen drei Steinen angezündeten Feuer Vorteil ziehen zu können, war dieser Abstand nicht sehr groß. Cathérine war erstarrt, todmüde, und die durch den Ritt gereizte Wunde machte ihr zu schaffen. Das Blut klopfte schwer in ihrem Arm und in den Schläfen, doch trotz allem wollte sie versuchen zu schlafen, als MacLaren zu ihr trat.
»Ihr seid krank«, sagte er, ihr seinen hellen, unerträglichen Blick zuwerfend. »Diese Wunde muß anders behandelt werden, als es geschehen ist. Zeigt sie mir.«
»Ich habe alles getan, was zu tun war«, bockte Sara. »Man kann nichts anderes mehr versuchen. Man kann nur auf die Heilung warten.«
»Man sieht, daß Ihr noch nie Verwundungen behandelt habt, die von Bärentatzen herrühren«, entgegnete der Schotte mit seinem kurzen, dünnlippigen Lächeln. »Ich sagte, zeigt mir das!«
»Laßt sie in Ruhe«, sagte hinter ihm die dunkle Stimme Gauthiers. »Ihr werdet Dame Cathérine nicht gegen ihren Wunsch berühren.«
Zwischen dem Feuer und MacLaren erhob sich die hohe Gestalt des Normannen, und Cathérine dachte, wie sehr er einem der Bären ähnelte, von denen der Leutnant eben gesprochen hatte. Sein Gesicht trug einen drohenden Ausdruck, und seine große Hand griff nach der in seinem Gürtel steckenden Streitaxt. Cathérine merkte voll Angst, daß die beiden Männer, im Begriff waren, aufeinander loszugehen. In der Tat antwortete MacLaren verächtlich:
»Du fängst an, mich in Wut zu bringen, Freundchen! Bist du der Schildknappe Dame Cathérines oder ihre Amme? Reg dich nicht auf … Ich will sie nur heilen, sofern du nicht vorziehst, daß ihre Schulter brandig wird.«
»Es geht mir sehr schlecht, Gauthier«, warf Cathérine beschwichtigend ein. »Wenn er etwas tun kann, um mir Linderung zu verschaffen, wäre ich ihm dankbar. Hilf mir, Sara …«
Gauthier antwortete nichts. Er wandte sich auf dem Absatz um und hockte sich mit gebeugtem Rücken in die entlegenste Ecke. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein. Inzwischen hatte Cathérine, von Sara gestützt, sich erhoben und wickelte das riesige Stück Wollstoff ab, mit dem sie gleichzeitig bekleidet und drapiert war.
»Dreht euch um!« befahl Sara einigen Soldaten, die noch nicht schliefen.
Sie half ihr aus dem enganliegenden flanellenen Männerrock und dem Panzerhemd, und als Cathérine nur noch die straffen Beinkleider und das rauhe safranfarbene Hemd trug, hieß sie sie, sich wieder zu setzen, und öffnete selbst das Hemd, um die verwundete Schulter frei zu machen. Ein Knie auf dem Boden, wartete MacLaren, aber sein Blick lag unausgesetzt auf Cathérine, die darüber errötete. Die fremden Augen waren frech der Linie ihrer langen Beine, der Kurve ihrer Hüften gefolgt und wanderten hinauf zu ihrer Brust, deren Formen sich trotz des Linnenverbandes, der sie zusammenpreßte, unter dem groben Stoff abzeichneten. Aber sie sagte nichts, ließ sich den Verband abnehmen, während Sara einen angezündeten Strohwisch vom Kohlenfeuer heranbrachte. MacLaren ließ einen kleinen Pfiff hören und runzelte die Stirn. Die Verletzung sah nicht schön aus. Die Wunde war geschwollen und nahm eine fahle Färbung an, die nichts Gutes verhieß.
»Die Infektion ist nicht mehr fern«, brummte er, »aber ich werde das schon hinkriegen. Ich sage Euch gleich, daß es einen Augenblick weh tun wird, aber ich hoffe, daß Ihr tapfer seid.«
Er entfernte sich und kehrte mit einer mit Ziegenhaut umwickelten Kürbisflasche und einem Beutel zurück, dem er etwas Mull entnahm. Dann kniete er von neuem nieder, nahm seinen Dolch und schnitt blitzschnell die Wunde wieder auf. Es geschah so rasch, daß Cathérine nicht einmal Zeit hatte zu schreien. Ein dünnes Blutgerinnsel rann heraus. Darauf feuchtete der Schotte einen Tampon mit der Flüssigkeit aus der Flasche an und machte sich ohne sonderliche Zartheit daran, die Wunde zu säubern.
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