»Großer Gott!« rief sie, ihre Naivität übertreibend. »Was Ihr mir da erzählt, ist ja schrecklich! Ich traue meinen Ohren nicht! Ihr beschuldigt meinen Herrn, ein Mörder zu sein?«

»Ja, ein Mörder!« bestätigte Baumier grimmig.

»Aber das ist unmöglich, Monsieur! Er ist ein sehr frommer Mensch. Er liest alle Tage die Bibel.«

»Das beweist nichts, im Gegenteil. Diese Ketzer sind zu allem fähig. Ich werde dafür bezahlt, um es zu wissen, glaubt mir.«

Die Entrüstung und gespielte Arglosigkeit Angéliques schien dennoch seine Überzeugung ins Wanken gebracht zu haben.

Sie fuhr beharrlich fort:

»Er würde keiner Fliege etwas antun. Er ist ein sehr ruhiger, sehr sanfter Mensch.«

Der Inquisitor lächelte auf unangenehme Art.

»Ich zweifle nicht, daß Ihr solche Eigenschaften zu schätzen wißt, meine Schöne.«

»Mein Herr hat niemals .«

»Euer Herr! Euer Herr!« knurrte er. »Kehren wir nicht die Rollen um. Er ist viel weniger Euer Herr, als Ihr, seine Mätresse, es wahrhaben wollt.«

Angélique nahm sich die Zeit, eine beleidigte Miene aufzusetzen, bevor sie die Karte ausspielte, die sie von Anfang an in Reserve hielt, die einzige vielleicht, die ihr aus ihrer üblen Lage heraushelfen konnte. Die grobe Anspielung Baumiers gab ihr endlich Anlaß dazu.

»Monsieur«, sagte sie mit Würde, indem sie die Augen senkte, »es ist Euch sicher nicht unbekannt, daß Monsieur de Bardagne mir die Ehre erwiesen hat, mich trotz meines einfachen Standes zu bemerken. Ich bezweifle, daß ihm die zweideutigen und beleidigenden Anklagen gefallen werden, die Ihr gegen mich richtet.«

Er schien nicht übermäßig beeindruckt. Im Gegenteil: er lächelte sein süßliches Lächeln und machte eine Bewegung, die Angélique mit dumpfem Schrecken erfüllte. Er nahm einen Gänsekiel aus dem Schreibzeug und begann ihn träumerisch zwischen seinen Fingern zu drehen. Diese Bewegung weckte in ihr bis zur Übelkeit die Erinnerung an die Angst vor den Verhören, denen sie einstmals der schreckliche Polizist François Desgray unterworfen hatte. Während er sich insgeheim darauf vorbereitete, sie an den Pranger zu nageln, hatte er gleichfalls die Gewohnheit gezeigt, mit einem Federkiel zu spielen.

Angélique vermochte ihren Blick nicht von der mechanischen Bewegung des groben, von Tabak geschwärzten Daumens abzuwenden.

»Richtig«, bemerkte Baumier mit erkünstelter Sanftheit, »ich vergaß, Euch zu sagen, daß Monsieur de Bardagne nicht nach La Rochelle zurückkehren wird. Man ist höheren Orts der Ansicht, daß er es bei der ihm anvertrauten Aufgabe an der nötigen Energie hat mangeln lassen.«

Ein verächtlicher Ausdruck spielte um seine Lippen.

»Zahlen wurden gebraucht, keine Versprechungen. Nun, unter seiner allzu nachsichtigen Verwaltung hat die Arroganz der Hugenotten nur zugenommen, und es ist nicht zu leugnen, daß die wenigen Bekehrungen, die während dieser Zeitspanne erzielt werden konnten, einzig und allein meinem, geben wir es zu, schlecht belohnten Eifer zu verdanken sind.«

Er legte beide Hände offen vor sich hin und fuhr fort, plötzlich familiär, fast gutmütig: »Die Situation ist also klar, meine Kleine. Kein Monsieur de Bardagne, der Euch schützen und sich in Eure Netze einspinnen lassen wird. Von nun an werdet Ihr Euch mit mir gutstellen müssen. Ich wette .ja, ja, daß wir zwei uns verstehen werden.«

Angélique vermochte das Zittern ihrer Lippen nicht zu unterdrücken.

»Er wird nicht zurückkehren ...«, murmelte sie, ehrlich niedergeschlagen.

»Nein ... Aber - bah! - wenn dieser Liebhaber Euch auch beträchtliche Vorteile bot, wie ich zugeben muß, bleibt Maître Berne für Euch doch nichts weniger als ein sicherer Wert, eine solide Investition. Ihr habt recht gehabt, Euren Enterhaken nach diesem reichen Witwer auszuwerfen .«

»Ich erlaube Euch nicht, Monsieur .«

»Und ich erlaube Euch nicht, Euch noch länger auf meine Kosten lustig zu machen, schmutzige, kleine Heuchlerin!« brüllte Baumier, zur Abwechslung seinen heiligen Zorn vorkehrend. »Wie? ... Ihr wärt nicht seine Mätresse? ... Was habt Ihr dann an jenem berühmten 3. April in Maître Bernes Büro gemacht, als der Steuerbeamte Grommaire zur Beitreibung erschien? ... Er hat Euch gesehen! ... Eure Korsage war geöffnet, Eure Brust halb entblößt, und Euer Haar hing wirr auf die Schultern ... Und er mußte wer weiß wie lange klopfen, bevor sich dieser calvinisti-sche Lüstling zum öffnen entschloß ... Und Ihr habt die Stirn, mir ins Gesicht zu sagen, daß Ihr nicht seine Mätresse seid? ... Eine Lügnerin, eine Intrigantin, das seid Ihr!«

Erhielt atemlos inne, befriedigt, die Wangen seines Opfers von einem brennenden Rot überflutet zu sehen.

Angélique verwünschte sich dafür nicht imstande gewesen zu sein, diese Röte zurückzuhalten. Wie konnte sie es ableugnen? ... Der Steuerbeamte hatte dank dem Dämmerlicht im Magazin wenigstens nicht bemerkt, daß ihre Kleidung zerrissen und mit Blut befleckt gewesen war. Es war nur das halbe Übel, wenn er die Unordnung ihrer Erscheinung frivolem Zeitvertreib zuschrieb. Aber selbst den nachsichtigsten Augen mußte die Situation eindeutig scheinen.

»Ah, nun seid Ihr schon weniger stolz«, warf ihr Peiniger ein.

Er triumphierte, daß es ihm geglückt war, sie zum Senken ihrer Lider zu zwingen. Die Frechheit dieser Frauen überstieg jede Vorstellungskraft. Um ein weniges brachten sie einen dazu zu glauben, vom rechten Wege abgeirrt zu sein.

»Nun? Was habt Ihr mir zu sagen?«

»Monsieur, man hat gelegentlich schwache Stunden .«

Baumiers Augen wurden schmal, und seine Züge nahmen einen übertrieben freundlichen und zugleich boshaften Ausdruck an.

»Oh, gewiß! ... Schwache Stunden, wenn man eine Frau wie Ihr ist, die die Blicke der Männer auf sich zieht und weiß, daß sie an jedem Finger einen haben kann ... Ich würde fast sagen, es ist Euer Beruf. Das Gegenteil würde mich verwundern. Und daß Ihr Euer Auge auf diesen Berne werft, ist schließlich Eure Angelegenheit. Aber Ihr habt mich über diesen Punkt in unverschämter Weise belogen, und wenn Ihr nicht von mir überführt worden wäret, hättet Ihr weiterhin entrüstet Eure beleidigte Tugend verteidigt. Wenn man in einem Punkt auf solche Art lügt, kann man auch in allen anderen lügen. Ich kenne Euch jetzt, meine Schöne. Ich habe Euer Maß genommen. Ihr seid sehr stark, aber ich werde stärker als Ihr sein.«

Angélique begann sich in einer ausweglosen Lage gefangen zu fühlen. Dieser kleine, von Weihrauch und Papierstaub gebeizte Mann war besonders durchtrieben, oder hatte etwa sie ihre Geistesgegenwart von früher eingebüßt? Er jagte ihr größeren Schrecken ein als Desgray. Zwischen ihr und Desgray hatte es immer - selbst an jenem Tage, an dem er ihr die Finger zurückgebogen hatte, um sie zum Eingeständnis ihrer Teilnahme an einer Einbruchsaffäre zu zwingen - ein besonderes Fluidum gegeben, die fleischliche Anziehungskraft, die selbst ihrer wildesten Auseinandersetzung einen erregenden Beigeschmack verliehen hatte.

Aber beim bloßen Gedanken, ihre Reize ins Spiel bringen zu müssen, und die Bösartigkeit dieses übelriechenden Nagetiers zu beschwichtigen, glaubte sie vor Ekel in Ohnmacht zu sinken. Das überstieg bei weitem ihre Kräfte, ganz abgesehen davon, daß jeder Versuch in dieser Richtung bei Baumier unter Umständen fehlschlagen konnte. Er war, nur eine Stufe tiefer, von derselben Art wie die Solignacs. Seine Wonnegefühle fand er in der Befriedigung, erbarmungslose Pflichten zu erfüllen, im Schauspiel eines hoffnungslos in die Enge getriebenen, um Gnade winselnden Wesens, in flehenden Blicken, in dem Gefühl der Macht, die darin bestand, mit einem einzigen Federstrich ein ganzes Leben vernichten zu können.

Er hatte mit einer Geste äußersten Behagens, wie man sie vornehmlich bei den Wohlbeleibten findet, die Hände auf seinem mageren Bauch gefaltet. Bei ihm indes betonte sie eher noch die dünnblütige Magerkeit und ließ ihn einer alten Jungfer ähneln.

»Nun, meine Hübsche, seien wir gute Freunde. Warum habt Ihr Euch von diesen Ketzern locken lassen? Zu anderen Zeiten hätte dieser Berne mit seinen Talern gewisse Vorteile bieten können, ich bestreite es nicht. Aber Ihr seid schlau genug, um zu begreifen, daß heutigentags das Vermögen eines Reformierten weniger beständig ist als der Wind. Wenigstens, solange er sich nicht bekehren laßt. Das wäre dann eine andere Sache. Wenn Ihr pfiffig wärt, hättet Ihr schon längst Gabriel Berne und seine Familie zum Bekehren veranlaßt. Ihr hättet in jeder Hinsicht gewonnen, während Ihr jetzt gehörig in der Tinte sitzt: als Komplizin eines Mörders, als Beteiligte an hugenottischen Verrätereien geht Ihr des Vorteils verlustig, Katholikin zu sein. Man kann Euch anklagen, ihrer sträflichen Konfession zu huldigen, und das ist eine ernste Sache.«

Er konsultierte von neuem einen Zettel.

»Der Pfarrer der Eurem Dienstort zunächst liegenden Gemeinde Saint-Marceau behauptet, daß er Euch weder jemals am Gottesdienst habe teilnehmen sehen noch Euch die Beichte abgenommen habe. Was bedeutet das? Daß Ihr Euch vom katholischen Glauben gelöst habt?«

»Nein, gewiß nicht!« antwortete Angélique mit einem Elan, der den unverkennbaren Vorzug hatte, aufrichtig zu sein.

Baumier spürte es und zögerte enttäuscht. Die Dinge entwickelten sich nicht ganz so, wie er wollte. Er genehmigte sich eine Prise, schnupfte, nieste geräuschvoll, ohne sich zu entschuldigen, und schnäuzte sich lange mit widerlicher Sorgfalt.

Angélique konnte nicht umhin, sich des Augenblicks zu erinnern, in dem Honorine mit gerötetem Gesicht unter der grünen Mütze und vor Abscheu blitzenden Augen aufgetaucht war, ihren Knüppel gegen Baumier schwenkend und mit schrillem Stimmchen rufend: »Ich mach’ dich tot!«

Ihr Herz füllte sich mit Zuneigung für das kleine, unbezähmbare Geschöpf, das sich bereits wie sie gegen alles erhob, was ihr niedrig und hassenswert erschien.