»Werden diese Geschäfte nicht Verdacht erregen?«
»Wir werden vorsichtig vorgehen. Die Katholiken, mit denen wir es zu tun haben, wissen, daß die Protestanten zum Verkauf ihrer Güter gezwungen sind, um der doppelten Besteuerung nachkommen zu können.«
Angélique stellte die Frage, die ihr auf den Lippen brannte.
»Wann werden wir uns einschiffen?«
»In zwei oder drei Wochen.«
»Drei Wochen!« rief sie aus. »O Gott, wie lange das noch ist!«
Der Kaufmann erbebte und schien von einem jähen Groll gegen sie erfaßt.
»Es scheint mir sehr kurz, wenn es sich darum handelt, die eigenen Wurzeln aus dem Land seiner Väter zu reißen«, sagte er dumpf.
Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Verflucht seien die, die uns dazu zwingen!«
Sie hätte ihn gern um Verzeihung gebeten, aber aus Furcht, ihn noch mehr zu reizen, sagte sie nichts.
Sie selbst, die schon alles verloren hatte, begriff nur schwer, was die Protestanten an ihr klägliches, durch Verbote und Ungerechtigkeiten ersticktes Leben hier fesselte.
Aber wie der Bauer selbst dem undankbaren Boden verbunden ist, um dessen Früchte er ringt, und ohne Neid das ihm fremde fruchtbare Tal betrachtet, klammerten sich die Protestanten noch immer an ihr gefährdetes Geschick. Der bloße Gedanke an jene amerikanischen Inseln, jene Sonne, jene Freiheit, die man ihnen versprach, machte sie traurig.
Die Gewohnheit, sich inmitten eines aufgewühlten Meers zu behaupten, ein Hindernis nach dem andern zu bezwingen, sich abzuschirmen, hatte aus ihnen eine allen Stürmen widerstehende, hartnäckig an ihren Besitz sich klammernde Rasse gemacht. Seit zwei Jahrhunderten schon war die Verfolgung ihre Lebenssphäre. Ihre Stadt und deren Umgebung zu verlassen, schien ihnen nun viel unerträglicher als der geheime, unerbittliche Kampf, an den sie gewöhnt waren.
Nicht mehr unter dem immergrünen Himmel La Rochelles zu leben!
Zu denken, daß ihre Kinder die vertraute, von den Gerüchen des Meers erfüllte Luft nicht mehr atmen, ihre Füße nicht mehr in die Spuren ihrer Väter setzen würden!
Generationen kleiner Rochelleser waren barfüßig über den Sand des Strandes gelaufen, hatten Muscheln mit ihren Taschenmessern aufspringen lassen, hatten Austern geöffnet und im Schatten des Laternenturms deren frisches, bitteres Wasser getrunken, während die Flut in den Hafen zurückströmte und hier und da die hohen weißen Segel der großen Kauffahrteischiffe tanzen ließ.
All das zu verlassen .
»Drei Wochen sind kurz«, seufzte der Kaufmann, »und dennoch weiß auch ich, daß die Gefahr drängt. Aber wir müssen versuchen, alle Chancen auf unsere Seite zu bringen, und deshalb sind diese drei Wochen des Wartens durchaus das Risiko, das wir eingehen, wert. Denn in längsten drei Wochen wird die holländische Handelsflotte La Rochelle anlaufen. Ihr wißt wie ich, daß diese Leute nicht gern einzeln segeln, wie die Franzosen es tun. Sie schließen sich zusammen, und zweimal jährlich verlassen unter dem Schutz von Kriegsgaleeren wahre Flotten von Handelsschiffen Amsterdam oder Antwerpen. Nun ist Manigault in Holland versichert, was ihm gewisse Vorteile verschafft, unter anderem den, sich diesen Konvois anschließen und von ihrem Schutz profitieren zu können. Wir müssen also die Ankunft der Flotte abwarten, zumal sie im Hafen Unruhe und Unordnung schaffen wird, die unser Vorhaben begünstigen. Wenn wir inmitten dieser Herde die Segel hissen, werden wir ganz zwangsläufig der Kontrolle der königlichen Marine entgehen, die wahrhaftig viel zu tun hätte, wenn sie alle Welt ausfragen wollte. Auf diese Weise werden wir um die Prüfungen des letzten Augenblicks herumkommen. Sobald wir einmal den Hafen hinter uns haben - und ich wette, daß sich die Zivildeligierten der Admiralität an diesem Tage nicht kleinlich zeigen werden -, sind wir vor ihren Nachstellungen sicher.«
Angélique nickte zustimmend. Der Plan schien ihr vernünftig und geschickt. Dennoch ließ sie die Furcht nicht los. Die Wochen des Aufschubs schienen sich ihr endlos hinzuziehen. Was mochte inzwischen der Sire Baumier im Schatten anzetteln? Er war nicht der Mann, der seine Beute fahren ließ. Würde er nicht von der Abwesenheit Nicolas de Bardagnes profitieren, um Entscheidungen zu treffen, von denen er wußte, daß sie sein Vorgesetzter nicht guthieß? ...
Ein Schraubstock umklammerte Angéliques Herz, doch sie hob mutig den Kopf.
»Möge Gott Euch hören, Maître Gabriel.«
Der Küstenweg schlängelte sich durch trockenes, salzverkrustetes Gras. Er folgte der vielfach gekrümmten Uferlinie und führte von La Rochelle an steilen Einschnitten, Buchten und zackigen Felsvorsprüngen vorbei zu dem kleinen Weiler La Palice unmittelbar gegenüber der Ile de Ré. Grauer Sand machte das Vorankommen schwierig. Angélique kam nur langsam vorwärts.
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