»Sollte ich Euch der schwärzesten Sünden verdächtigen, Maître Gabriel, nur weil auch Ihr es an Kaltblütigkeit habt fehlen lassen?«
Er senkte den Kopf wie ein Schuldbeladener. Und er war glücklich, es zu sein.
»Vergessen wir’s, wenn Ihr wollt«, sagte sie sanft. »Wir müssen es übrigens vergessen. Wir waren nicht wir selbst, weder Ihr noch ich ... Ein furchtbarer Schock hatte uns aufgewühlt. Jetzt müssen wir werden, wie wir vorher waren.«
Aber sie wußte sehr gut, daß es unmöglich war. Zwischen ihnen würde es immer die sie zweifach verbindende Gemeinsamkeit im Verbrechen und im Augenblick der Hingabe geben.
Sie beharrte nichtsdestoweniger:
»Wir müssen all unsere Kräfte für unseren Kampf und unsere Rettung sammeln. Laßt mich mit Monsieur de Bardagne sprechen. Ich kann Euch versichern, daß ich ihm niemals etwas zugestanden habe.«
Er glaubte, sie mit leisem Spott hinzufügen zu hören:
»Weniger als Euch.«
»Es ist gut«, sagte er. »Geht. Aber haltet Euch nicht lange auf.«
Angélique kehrte zu der kleinen Pforte zurück, hinter der Monsieur de Bardagne, Stellvertreter des Königs, vor Ungeduld von einem Fuß auf den andern trat.
Sie öffnete ihm und fühlte sich von zwei besitzgierigen Händen an den Armen gepackt.
»Da seid Ihr endlich! Ihr macht Euch über mich lustig. Was habt Ihr ihm erzählt?«
»Er ist argwöhnisch und .«
»Er ist Euer Liebhaber, nicht wahr? Es gibt keinen Zweifel . Ihr schenkt ihm jede Nacht, die Ihr mir verweigert.«
»Ihr beleidigt mich, Monsieur.«
»Wen wollt Ihr das Gegenteil glauben lassen? Er ist Witwer. Ihr lebt seit mehreren Monaten unter seinem Dach. Er sieht Euch unablässig gehen und kommen, sprechen, lachen, singen, was weiß ich! Es ist unmöglich, daß er nicht in Euch vernarrt ist. Es ist im höchsten Maße unerträglich und schlägt jeder Moral ins Gesicht. Es ist ein Skandal!«
»Meint Ihr, es sei weniger skandalös, hierherzukommen und mir in einer mondlosen Nacht den Hof zu machen?«
»Das ist nicht dasselbe. Ich . ich liebe Euch.«
Und er zog sie in einen Mauerwinkel, versuchte, sie an sich zu drücken. Die Nacht hinderte Angélique daran, seine Züge zu unterscheiden. Sie roch den Fliederduft des Puders, den er für sein Haar benutzte. Seine ganze Person strahlte Kultiviertheit und Sicherheit aus. Er war unter den Gerechten. Er hatte nichts zu fürchten. Er befand sich auf der anderen Seite der Schranke, hinter der die Verurteilten litten.
Bargen die Falten ihrer Kleidung nicht noch immer den bitteren Geruch von Salz und Blut?
Ihre aufgerissenen Hände taten ihr weh, und sie wagte es nicht, sie den seinen zu entziehen.
»Eure Gegenwart macht mich toll«, murmelte Monsieur de Bardagne. »Mir scheint, wenn ich in dieser Finsternis wagemutiger wäre, würdet Ihr weniger grausam sein. Wollt Ihr mir nicht endlich einen Kuß erlauben?«
Seine Stimme klang demütig. Angélique glaubte, sich nachgiebig zeigen zu müssen. Man brachte einen königlichen Beamten nicht in eine solche Lage, ohne wenigstens gelegentlich ein kleines Pflaster auf seine verletzte Eigenliebe zu legen.
Es war ein Tag der Erfahrungen. Zeigte sich die Natur, nachdem sie Angélique ihrer besten Waffen beraubt hatte, dazu bereit, ihr den Gebrauch in gewissem Ausmaß zurückzuerstatten?
»Nun, gut. Ich bin einverstanden. Küßt mich also«, sagte sie in resigniertem, für ihn nicht eben schmeichelhaftem Ton.
Nicolas de Bardagne geriet trotzdem fast außer sich vor Freude.
»Geliebte!« stammelte er. »Endlich werdet Ihr mir gehören.«
»Wir haben von einem Kuß gesprochen, Monsieur.«
»Das Paradies! . Ich verspreche Euch, daß ich mich sehr respektvoll verhalten werde.«
Es kostete ihn Mühe, sein Versprechen zu halten. Der schwer errungene Sieg verlieh ihren Lippen, die er sich weniger verschlossen gewünscht hätte, all seine Süße. Doch er brachte es zuwege, sich taktvoll mit dem Gewährten zufriedenzugeben.
»Ah, wenn Ihr mir ausgeliefert wäret«, seufzte er, während sie sich ihm entzog, »würde es mir schon gelingen, Euch aufzutauen.«
»Seid Ihr mit den Mitteilungen am Ende, die Ihr mir zu machen wünschtet, Monsieur? Ich fürchte, ich werde mich zurückziehen müssen.«
»Nein, ich bin noch nicht am Ende . Leider muß ich zu weniger erfreulichen Perspektiven zurückkehren. Meine Liebe, was mich veranlaßt hat, Euch heute abend aufzusuchen, ist, abgesehen von dem glühenden Wunsch, Euch wiederzusehen, der mit meinen Pflichten ganz und gar nicht in Einklang befindliche Drang, Euch vor dem zu warnen, was sich gegen Eure Person zusammenbraut. Euer weiteres Schicksal flößt mir Besorgnis ein. Ah, warum habt Ihr mich nur so behext! Ich habe die Hoffnung kennengelernt, danach die Angst, und nun wird mir auch noch der Schmerz zuteil. Denn Ihr habt mich belogen, Ihr habt mich wissentlich getäuscht.«
»Ich? . Ich verwahre mich dagegen.«
»Ihr habt mir gesagt, daß Ihr durch die bewußte Gesellschaft in diese Stellung gebracht worden seid. Aber das ist nicht wahr. Baumier hat Euren Fall untersucht und ohne jeden Zweifel festgestellt, daß keine der Damen vom Heiligen Sakrament sich mit Euch abgegeben hat noch Euch überhaupt kennt.«
»Was nur beweist, daß Monsieur Baumier schlecht unterrichtet ist.«
»Nein!«
In der Stimme des Statthalters schwang ein unheilkündender Unterton.
»Es beweist, daß Ihr lügt. Denn die Ratte Baumier ist im Gegenteil sehr gut informiert. Er nimmt einen hohen Rang in der geheimen Gesellschaft ein, einen viel höheren als ich. Aus diesem Grunde sehe ich mich auch häufig gezwungen, ihn mit Vorsicht zu behandeln. Es mißfällt mir, ihn mit Euch beschäftigt zu sehen, aber ich kann es nicht hindern. Durch den Bericht eines meiner Spione erfuhr ich, daß er sich sehr bemüht herauszufinden, wer Ihr eigentlich seid.«
Er näherte sich ihr noch mehr und flüsterte:
»Sagt mir, wer seid Ihr?«
Er versuchte sie wieder in seine Arme zu nehmen, aber sie machte sich steif, niedergeschmettert von dem, was sie gehört hatte.
»Wer ich bin? Eure Frage ist gegenstandslos. Ich bin nur eine einfache .«
»Oh, nein! Ihr fahrt fort zu lügen. Haltet Ihr mich für einen Dummkopf? Im ganzen Königreich Frankreich gibt es keine einfache Dienstmagd, die einen so wohlformulierten, so schnell und sicher verfaßten Brief zu schreiben vermöchte wie den, den Ihr mir kürzlich habt überbringen lassen. Er hat mich zugleich betrübt und mit Freude erfüllt, vor allem aber hat er meinen Eindruck bestätigt, daß Ihr Eure wahre Identität unter einem angenommenen Namen und geborgten Kleidungsstücken verbergt. Vom ersten Augenblick an, in dem er Euch sah, hat Baumier den gleichen Verdacht gehegt ... Ich höre, wie Euer Herz klopft ... Ihr seid erschrocken. Könnte er Euch schaden, wenn er irgend etwas entdeckte? Seht, Ihr antwortet nicht . Warum vertraut Ihr mir nicht, mein Engel? Ich bin zu allem bereit, um Euch zu retten. Als erstes müßt Ihr diese trübseligen Hugenotten verlassen, mit denen zusammenzuleben Euch nachteilig ist. Wenn man sie verhaften wird und Euch bei ihnen findet, werdet Ihr den Nachforschungen der Polizisten nicht entgehen. Ihr dürft also in diesem Augenblick nicht mehr bei ihnen sein. Ich kann Euch und Eure Tochter auf eines meiner Besitztümer im Berry bringen. Später, wenn sich diese ReligionsAuseinandersetzungen erst wieder beruhigt haben und Baumier sich mit anderen Dingen beschäftigt, bringe ich Euch nach La Rochelle zurück . als meine Frau natürlich.«
Da er fürchtete, daß sie das ganze Ausmaß seiner Ergebenheit nicht erfaßt habe, wiederholte er würdig: »Ich weiß nicht, wer Ihr seid, aber ich werde Euch trotzdem heiraten!«
Angélique fühlte sich nicht imstande, auch nur ein einziges Wort zu äußern. Die Enthüllungen, mit denen dieser Tag endete, versetzten sie in einen Zustand dumpfer Bestürzung. Er hielt sie noch einmal zurück, als sie sich schweigend zum Gehen wandte.
»Wohin wollt Ihr. Wahrhaftig, Ihr seid eine merkwürdige Frau. Ihr habt mir nicht einmal geantwortet. Werdet Ihr meinen Vorschlag überlegen?«
»Ja, ganz gewiß.«
»Ihr habt es mir schon einmal versprochen. Aber zögert nicht zu lange. Ich muß morgen für einige Tage nach Paris reisen, wohin ich zur Sitzung des königlichen Rats berufen wurde. Wenn Ihr gleich eingewilligt hättet, mir zu folgen, hatte ich Euch auf dem Weg im Berry abgesetzt.«
»Ich kann mich nicht so schnell entschließen.«
»Kann ich mich wenigstens darauf verlassen, daß Ihr mir nach meiner Rückkehr Eure Antwort gebt?«
»Ich werde es versuchen.«
»Sie muß positiv auffallen! Baumier ist geschickt und überaus hartnäckig. Ich fürchte für Euch.«
Er versuchte sie noch einmal zu umarmen, aber sie entwand sich ihm und schloß die Pforte. Einen Augenblick blieb sie unbeweglich in der Dunkelheit des Hofes stehen, dann lief sie wie eine Gehetzte dem Hause zu.
Sie stieß auf Maître Gabriel, der sie am Arm festhielt.
»Was hat er Euch gesagt? Warum seid Ihr so lange geblieben? Er hat Euch überredet, mit ihm zu gehen, nicht wahr?«
Sie riß sich von ihm los, um zur Treppe zu flüchten. Doch er bekam sie wieder zu fassen und zwang sie mit hartem Griff stehenzubleiben.
»Antwortet!«
»Was soll ich Euch antworten? Ah, ihr alle seid verrückt! Ihr seid unvernünftiger als Kinder, ihr Männer. Und dennoch ist der Tod uns nah. Er belauert euch. Morgen schon wird er vielleicht kommen. Eure Feinde stellen schon die Fallen für euch auf. Sie werden über euch zuschnappen. Und woran denkt ihr?
. Einen Rivalen mit eurer Eifersucht zu verfolgen, eine Frau zu umarmen .«
»Er hat Euch umarmt?«
»Und wenn er mich umarmt hätte, was läge daran! Morgen werden wir alle im Gefängnis sein, morgen werden wir weniger als Leichen sein, deren Namen man auf einen Stein über ihre Gruft geschrieben hat. Wir werden lebendig Eingemauerte in einem Gefängnis sein . Ihr wißt nicht, was ein Gefängnis ist. Ich weiß es.«
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