Angélique war es geglückt, die Pforte zu öffnen, Honorine hineinzuschieben und den Korb in den Hof zu stellen. Sie wünschte die Unterhaltung zu beenden.

»Versprecht mir, daß Ihr über meine Vorschläge nachdenken werdet«, beharrte der Statthalter des Königs, sie am Arm zurückhaltend. »Ich stehe zu allen. Ihr werdet den auswählen, der Euch am besten gefällt .«

»Ich danke Euch, Herr Graf. Ich werde es mir überlegen.«

»Sagt mir wenigstens, von welcher Farbe Euer Haar ist!« bat er noch.

»Weiß«, sagte sie und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Angélique war von Maître Gabriel beauftragt worden, dem Reeder Jean Manigault eine Botschaft zu überbringen. Sie befand sich schon auf dem Rückweg durch ein an den Wällen entlangführendes Gäßchen, als sie zwei Männer bemerkte, die ihr folgten.

In ihre Gedanken versunken, hatte sie bis dahin nicht auf sie geachtet. Aber die verlassene Gasse, in die sie eingebogen war, ließ das Geräusch der sich immer im gleichen Abstand hinter ihr haltenden Schritte zu ihren Ohren dringen.

Sie warf einen Blick über ihre Schulter und bemerkte zwei Individuen, deren Aussehen ihr nicht gefiel. Es waren weder umherstreifende Matrosen noch Schiffer aus dem Hafen. Ihre bürgerliche Kleidung schien fast elegant, stach aber auffallend gegen die unrasierten, verschlagenen Physiognomien ab. Sie wirkten wie verkleidet.

Ein aus früheren Erfahrungen gewonnener Spürsinn ließ sie denken:

»Polizisten«, und sie beschleunigte ihren Gang.

Alsbald näherten sich die Schritte, und einer der beiden Männer rief sie an:

»He, Hübsche . lauft uns nicht davon!«

Sie ging noch schneller, doch sie hatten sie schon erreicht und rahmten sie auf beiden Seiten ein. Einer von ihnen packte ihren Arm.

»Ich bitte Euch, Messieurs, laßt mich!« sagte sie, sich losreißend.

»He, warum denn? Ihr seht nicht allzu lustig aus. Man könnte Euch doch ein wenig Gesellschaft leisten.«

Ihr tückisches Lächeln ließ sie das Schlimmste befürchten. Wenn sie genötigt war, die aufdringlichen Burschen zu ohrfeigen, machte sie sich auffälliger, als ihr lieb sein konnte. Waren es reiche Bürgersöhne, würden sie ihr Mißgeschick vielleicht hinnehmen. Aber ohne recht zu wissen, warum, fürchtete sie, daß sich hinter ihrer eleganten Außenseite etwas Verhängnisvolles verstecken könnte.

Ihre Augen suchten längs der verschlossenen Häuserfronten nach Hilfe. Aber es war die Stunde nach der Mittagsmahlzeit, und La Rochelle pflegte nach der Gewohnheit der Mittelmeerländer die Fenster mit Läden zu verdunkeln. Die Sonne schien strahlend und warm für die Jahreszeit und lud zur Mittagsruhe ein. Niemand am Fenster, niemand auf der Türschwelle. Zum Glück befand sich Angélique nicht weit von den Lagerhäusern Maître Bernes.

Es war besser, sich in ihren Schutz zu flüchten, als den Versuch zu wagen, das noch ferne Haus zu erreichen, und auf dem Wege dorthin diese reichlich unerfreuliche Begleitung dulden zu müssen. Sie wußte, daß Maître Gabriel sich dort aufhielt, und war überzeugt, daß er die Burschen in ihre Schranken verweisen würde.

Sie fuhren fort, ihr Komplimente und abgeschmackte Albernheiten zu sagen. Vielleicht waren es doch nur leicht angetrunkene Müßiggänger auf der Suche nach irgendwelchen Vergnügungen.

Sie überquerte die Gasse und entdeckte zu ihrer Erleichterung am Ende einer langen, blinden Mauer die Einfahrt, vor der am Abend ihrer Ankunft in La Rochelle Maître Gabriel zum erstenmal angehalten hatte, um seine Kornkarren in den Hof zu dirigieren. Sie war nur noch wenige Schritte davon entfernt, als einer der Männer, der größere, der unter dem Tuch seines taubenblauen Rocks recht muskulös schien, ihre Hand ergriff und einen Arm um ihre Taille legte.

»Genug, meine Hübsche! Ihr werdet zwei netten Jungs wie uns, die nichts weiter möchten als ein Lächeln und ein schnuckliches Schmätzchen, doch kein schiefes Maul ziehen. Man hat uns erzählt, daß die Mädchen von La Rochelle den Fremden freundlich entgegenkämen. Beweist uns das!«

Während er sprach, beugte er sich über sie und versuchte, seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen.

Sie warf sich zurück und gab ihm mit aller Kraft eine schallende Ohrfeige. Er ließ sie los und hielt seine schmerzende Wange. Sie machte einen Satz zur Tür, aber schon hatte sie der andere umschlungen. Ein böses, triumphierendes Lächeln verzog die Lippen des Geohrfeigten.

»Gib’s ihr, Jeannot!« rief er. »Halt sie fest. Wir werden ihr ein bißchen die Röcke lüpfen . Was für ein Happen! Ein wahrer Glückstag ist das für uns!«

Gemeinsam gelang es ihnen, sie zu bändigen. Ein brutaler Fußtritt in die Kniekehlen ließ sie taumeln. Sie schrie auf. Schläge trafen ihren Mund. Grobe Hände rissen an den Schnürbändern ihrer Korsage.

Sie glaubte, ohnmächtig zu werden, doch sie faßte sich wieder und wehrte sich wie eine Rasende mit Fäusten und Zähnen.

Von neuem gelang es ihr zu entkommen, und verzweifelt lief sie der Einfahrt zu. Ein Stein ließ sie stolpern, sie stürzte auf die Knie, schleppte sich weiter. Sie schrie:

»Zu Hilfe, Maître Gabriel! ... Zu Hilfe!«

Schon wieder waren sie über ihr. Sie schlug um sich wie in einem Alptraum, wie sie gegen die Dragoner Montadours gekämpft hatte, mit dem gleichen Gefühl der Ohnmacht, dem gleichen lähmenden Entsetzen.

Plötzlich schienen ihre Widersacher davonzufliegen. Einer von ihnen prallte gegen die Mauer, von einer schier unmenschlichen Kraft geschleudert. Seine Augen wurden glasig. Er schwankte und fiel, schlaff wie ein Hampelmann, über Angélique. Rotes Blut schoß stoßweise aus einer Schläfenwunde. Erschrocken bemühte sie sich, die Last von sich zu stoßen. Das Blut sprudelte wie eine Quelle. Es gelang ihr nicht, sich von dem Körper zu befreien, der mit der zähen Trägheit eines Leblosen über ihr lag, obwohl sie wie wahnwitzig gegen ihn ankämpfte. Endlich brachte sie es fertig, ihn beiseite zu schieben. Vor ihr hatte es der Mann im blauen Rock mit Maître Gabriel zu tun. Der Kaufmann war seinem Gegner an Kraft und Körperbau weit überlegen. Seine Fäuste schlugen hart auf ihn ein. Der Mann bat schon um Gnade. Zweimal war er zu Boden gegangen. Seine Kleidung war zerknittert und staubbedeckt, sein Gesicht bekam einen verstörten Ausdruck. Die Perücke war in den Rinnstein gefallen, und das zum Vorschein gekommene fettige, schmutzige Haar fiel ihm über die Augen.

»Genug!« stammelte er atemlos. »Hört auf! .«

Ein schwerer Schlag in den Magen ließ ihn taumeln. Mit schwindelndem Kopf lehnte er sich gegen die Mauer.

»Hört auf, sage ich . Laßt mich .«

Maître Gabriel näherte sich ihm langsam. Der andere schien in seinen Zügen etwas Furchtbares zu lesen, denn plötzlich weiteten sich seine Augen.

»Nein«, sagte er mit erstickter Stimme. »Nein . Habt Mitleid!«

Ein weiterer Schlag schleuderte ihn auf die Knie.

»Nein . das dürft Ihr nicht! . Erbarmen!«

Der Kaufmann beugte sich unerbittlich über ihn. Er schlug noch einmal zu, dann umspannte er mit beiden Händen des anderen Kehle.

»Nein .«, röchelte der Mann.

Seine fahlen, kraftlosen Hände versuchten sich zu heben und die knotigen, eisenharten Arme abzuwehren, die sich seiner bemächtigt hatten. Sie zuckten krampfhaft und fielen zurück. Unartikulierte Laute entquollen dem weit aufgerissenen Mund des Blau-berockten.

Die Daumen Maître Gabriels bohrten sich in dieses Fleisch wie in Ton. Es schien, als ob sie sich nie mehr losen würden.

Versteinert vor Schrecken starrte Angélique auf die Hände des Kaufmanns, deren Muskeln spielten, während sie den Hals gleich einer Zange immer enger umschlossen. Ein Röcheln stieg in die grausige Stille.

Angélique biß sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Es mußte ein Ende nehmen, und zwar schnell. Das Gesicht des Mannes färbte sich violett. Doch es nahm kein Ende .

Endlich verstummte das Röcheln. Mit zurückgebogenem Kopf und vorquellenden Augen lag der Elende auf den runden Steinen des Pflasters, Maître Bernemusterte ihn aufmerksam, bevor er ihn losließ und sich langsam aufrichtete.

Seine klaren Augen wirkten seltsam durchsichtig in dem von der Anstrengung geröteten Gesicht. Er trat zu dem anderen Individuum, drehte es um, schüttelte es und ließ es wieder in die Blutlache zurückfallen. Dabei murmelte er:

»Er ist tot. Er muß gegen diesen Mauerhaken gefallen sein. Um so besser! Das erspart es mir, mit ihm Schluß zu machen ... Dame Angélique .«

Er hob die Augen und hielt in der Bewegung inne, die ihn zu ihr geführt hätte. Eine unerklärliche Verwirrung überwältigte ihn. Die junge Frau hatte sich erhoben und stützte sich, am Ende ihrer Kräfte angelangt, gegen die Mauer, in der gleichen ergebenen Haltung, die vor kurzem der Mann im blauen Rock eingenommen hatte, als er blitzartig begriff, daß der Kaufmann ihn töten würde. Er erkannte sie nicht ...

Nicht ganz.

Angéliques entsetzte Augen glitten von einem der beiden leblosen Körper zum anderen. Angesichts der Tragödie, die sich soeben hier abgespielt hatte und deren Ursache sie gewesen war, stieg die panische Angst der Verfolgten wieder in ihr auf und durchdrang sie ganz, verwandelte den Ausdruck ihrer sonst ruhigen und stolzen Züge. Ihre Miene war die eines zu Tode erschreckten Kindes ...

Ganz an ihr Entsetzen verloren, bemerkte sie den Zustand nicht, in den sie die beiden Elenden versetzt hatten. Ihre Korsage war geöffnet, ihr Hemd zerrissen. Aus der verschobenen Haube lief das Haar auf ihre Schultern und halbnackten Brüste. Von einem Streifen Sonnenlicht getroffen, gewannen die langen, blaßgoldenen Locken einen kostbaren Glanz, den ihre weiße Haut noch betonte, auf der das Blut Spuren zurückgelassen hatte. Blut, das nun schwarz zu werden begann, befleckte auch ihren Barchentrock ...