Rochat genehmigte sich einen Schluck Wein.
»Hm! Ich nehme an, Ihr werdet mir heute nicht mehr allzu böse sein, wenn Ihr erfahrt, daß ich es für richtig hielt, Monseigneur Le Rescator über diesen Punkt ins Bild zu setzen . Schließlich hatte ich ihm gegenüber trotz allem Verpflichtungen. Er ist überaus großzügig, da ihn das Geld nichts kostet. Und überdies war er immerhin Euer Herr, und es ist durchaus normal, daß man einem Besitzer beisteht, seinen Besitz wiederzuerlangen . Warum lächelt Ihr? . Weil Ihr mich orientalischer als die Orientalen findet? Nun ja, ich habe ihn also orientiert. Als er sich jedoch nach Malta einschiffen wollte, erschien der Bote Mezzo Mortes . Warum scheint Ihr plötzlich so niedergeschlagen?«
»Wenn Ihr den Ruf Mezzo Mortes kennt, müßte Euch klar sein, daß sein Name nicht eben angenehme Erinnerungen in mir weckt«, antwortete Angélique, die immer mehr aus der Fassung geriet, ohne es hindern zu können.
»Der Rescator brach also nach Algier auf. Was sich dort tat, erfuhren wir nicht. Wenn ich sage >wir<, spreche ich von allem, was sich dort unten handelnd und räubernd herumtreibt - vom ganzen Mittelmeer sozusagen. Allmählich sickerten jedoch Einzelheiten durch. Es hat den Anschein, als ob Mezzo Morte eine Art von Erpressung spielt: entweder den Rescator niemals erfahren lassen, was aus Euch geworden sei, ihm Euren Aufenthaltsort im Austausch gegen den Schwur verraten, für immer aus dem Mittelmeer zu verschwinden und ihn, den Admiral von Algier, allein über dieses Gewässer regieren zu lassen ... Viele sagten, es sei völlig unsinnig anzunehmen, daß der Rescator seine unermeßliche Macht, sein noch unermeßlicheres Vermögen, seine einzigartige Situation als Geldhändler für eine einfache Sklavin, und sei sie noch so schön, aufs Spiel setzen würde ... Aber man darf überzeugt sein, daß Mezzo Morte wußte, was er tat, denn der Rescator, der stolze, unbesiegbare Rescator, hat diese ungeheuerliche Demütigung auf sich genommen.«
»Er hat eingewilligt?« flüsterte Angélique atemlos.
»Ja!«
Die ein wenig kurzsichtigen Augen des einstigen Kolonialbeamten nahmen einen träumerischen Ausdruck an.
»Eine unverzeihliche Torheit . Kein Mensch ist daraus schlau geworden. Ihr müßt ihm mehr als Verlangen, Ihr müßt ihm Liebe eingeflößt haben. Kann man’s wissen?«
Angélique hatte mit stockendem Atem zugehört.
»Und dann?«
»Dann? . Was soll ich Euch sagen? Zweifellos hat Mezzo Morte ihm gesagt, daß er Euch an den Sultan von Marokko verkauft habe, und vermutlich erfuhr der Rescator, dieser habe Euch umgebracht . Andere erzählten auch, daß es Euch gelungen sei, ihm zu entkommen, daß Ihr aber unterwegs gestorben seid. Ich sehe nun, daß weder die eine noch die andere Version zutrifft, da Ihr Euch recht lebendig im Königreich Frankreich aufhaltet.«
In seinen Augen glitzerte es auf.
»Was für eine hübsche Geschichte kann ich erzählen, wenn ich erst in Kandia bin! Niemand hat mit einer solchen Pointe gerechnet. Eine Frau entflieht dem Harem Moulay Ismaëls . eine Gefangene, die wieder den Boden Frankreichs erreicht! Ich werde der einzige sein, der davon berichten kann . ich habe Euch gesehen!«
»Habt Ihr mir nicht versprochen, unsere Begegnung geheimzuhalten, Monsieur?«
»Allerdings«, murmelte Rochat enttäuscht.
Er verlor sich für einen Moment in mißmutige Überlegungen, während er sein Glas leerte. Er würde schon einen Weg finden, ohne La Rochelle zu nennen noch sonst irgendwelche Details anzugeben.
»Der Rescator«, schloß er, »hat also das Mittelmeer verlassen. Obwohl er Euch nicht zurückbekommen hat, war er es sich schuldig, das Mezzo Morte gegebene Versprechen zu erfüllen, da dieser das seine gehalten hatte. Wölfe unter sich halten auf Anstand. Aber zuvor hat er noch Mezzo Morte zum Duell gefordert. Der Admiral von Algier ist bis in eine Oase der Sahara geflüchtet, um ihm zu entgehen und das Lichten seiner Anker abzuwarten. Und der Rescator passierte die Meerenge von Gibraltar. Er ist auf den Atlantik entschwunden, und niemand weiß, was aus ihm geworden ist«, endete Rochat mit Trauerstimme. »Was für eine düstere Geschichte! Es ist zum Verzweifeln!«
Angélique erhob sich.
»Ich muß gehen, Monsieur. Kann ich sicher sein, daß Ihr mich nicht verraten und zu niemand über unsere Begegnung sprechen werdet, wenigstens solange Ihr in Frankreich und in La Rochelle seid?«
»Ihr könnt dessen sicher sein«, versprach er. »Mit wem sollte ich hier auch schon sprechen? Die Ro-chelleser sind kalt wie Marmor .«
Auf der Schwelle küßte er ihr die Hand. Er war kein Beamter mehr. Er begann ein neues Leben. Und seine bisher in eine zu enge Hülle gezwängte, unsichere, doch auf noch unbestimmte Weise poetische, abenteuerliche Persönlichkeit begann sich sacht zu entfalten.
»Schöne Gefangene mit den grünen Augen, möge der Gott der Winde Euer Schifflein weit von einem so trübseligen Geschick wie dem, das Ihr gegenwärtig erduldet, fortführen. Obwohl Eure Reize, die einstmals ganz Kandia blendeten, heute im verborgenen blühen, läßt sich dennoch erkennen, daß sie solche Verdunkelung nicht verdienen. Wißt Ihr, was ich Euch wünsche? Daß der Rescator vor La Rochelle Anker wirft und Euch von neuem entführt.«
Sie hätte ihn für diese Worte umarmen mögen. Statt dessen protestierte sie schwach.
»Großer Gott, nein! Ich müßte fürchten, daß er mich den Verdruß allzu teuer bezahlen ließe, den ich ihm verursacht habe. Er muß mich verfluchen bis zum heutigen Tag .«
Um Zeit zu gewinnen, schlug sie den Weg über die Wälle ein. Man würde sich über ihre lange Abwesenheit bereits wundern. Die Abendsuppe würde nicht rechtzeitig fertig werden. Die Sonne war schon untergegangen, und der kalte Wind schnitt in ihre halbnackten Arme, denn sie war an diesem milden Herbstnachmittag ohne Mantel ausgegangen. Unter dem gelben, klaren Himmel hatte das Meer eine graue, stumpfe Tönung. Friedlich verliefen sich die Wogen auf dem mit Tang bedeckten Strand. Von Zeit zu Zeit brach sich eine stärkere Welle am Fuß der Mauern, und der Wind zerstäubte die Gischt.
Die Augen zum Horizont gerichtet, glaubte Angé-lique dort ein Schiff auftauchen zu sehen, wie schon so viele andere erschienen waren. »Er ist auf den Atlantik entschwunden .«
War es närrisch, wie ein junges Mädchen zu träumen, dessen Herz zu schlagen beginnt, weil ein mysteriöser Fürst der Meere sie erwählt hatte und bereit war, alles für sie zu opfern?
War sie denn keine um ihre Illusionen gebrachte Frau, hatte sie nicht schon genug gelebt? Hatte die Brutalität der Männer sie nicht für immer verwundet?
Wann wohl hörte die Phantasie der Frauen auf, in Herzensdingen sich ins Uferlose zu schwingen? Ihr Träumen vom Wunder, vom Unerreichbaren schien erst mit ihnen zu sterben.
»Es ist der Zauber dieser Geschichte, der mich fasziniert«, dachte sie.
Wie sollte sie die Sanftheit jenes schweren Mantels aus schwarzem Samt vergessen, der sie eingehüllt hatte, die tiefe, ein wenig geborstene Stimme?
». Bei mir gibt es Rosen ... Bei mir werdet Ihr schlafen .«
Sie war so in Gedanken versunken, daß sie gegen den Soldaten Anselme Camisot stieß, der ihr mit seiner Hellebarde den Weg versperrte.
»Da Ihr Euch auf meinem Territorium befindet, schöne Dame, schuldet Ihr mir einen Kuß.«
»Ich bitte Euch, Monsieur Camisot!« rief Angélique freundlich, doch entschieden.
»Ah, wie könnt’ ich mich nicht beugen, ich, ein armer Wachtposten, wenn die Königin mich darum bittet?«
Er trat beiseite, um sie passieren zu lassen. Auf seine Hellebarde gestützt, folgte er mit dem melancholischen Blick eines traurigen Hundes ihrer trotz des armseligen Kleides in fürstlicher Haltung sich entfernenden Erscheinung, aus tiefster Seele ihre runde Taille, die sanfte Linie der Schultern, den geraden Nacken und das dem Meer zugewandte weiße Profil bewundernd.
Eines Morgens fand man Onkel Lazare friedlich entschlafen in seinem Bett. Madame Anna und Abigaël kleideten ihn in ein Totenhemd und betteten ihn in weiße, prunkende Laken. Der Pastor Beaucaire war bereits mit seinem Neffen erschienen. Wenig später traf der Papierhändler ein, danach die Nachbarn in immer größerer Zahl. Um die Mitte des Vormittags wurde am Portal geläutet. Angélique lief hinunter, um zu Öffnen, und ließ einen Herrn den Hof betreten, dessen strenges Äußere - schwarzer Überrock, weißer Spitzenkragen - ihr zunächst keinerlei Mißtrauen einflößte und der sich als Sieur Baumier, Präsident der königlichen Kommission für religiöse Angelegenheiten und Beigeordneter des Monsieur Nicolas de Bardagne, vorstellte.
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