Es war ein vorwiegend protestantisches Gebiet, und es war auch das Land des Salzes, Objekt eines hitzigen, fast hundertjährigen Zanks zwischen den Einwohnern und der Krone. Ein Salzschmuggler aus Les Sables, Ponce-le-Palud, zog seine Zunft auf die Seite der Aufständischen hinüber. Und von nun an gelangten Lebensmittel über unbewohnte Küsten und verborgene, schwer zu überwachende Flüßchen ins Poitou. Gold zahlte für alles. Ein Bürger aus Fontenay-le-Comte hatte seinen Mitbürger klar gemacht, daß Gold nichts nützte, wenn man Hungers starb.

Das Königreich beobachtete das Poitou. Der Winter zog eine ebenso undurchdringliche Schutzmauer um seine Grenzen wie die Rebellion. Man wartete darauf, daß Kälte und Nebel, Eis und Schnee wichen, um in diese Bastion eindringen und die Leichen zählen zu können. Aber die Leute des Poitou starben nicht.

Während all dieser frostigen Monate blieb Angélique selten lange an ein und demselben Ort. Ihre Wohnungen waren die Hütten der Bauern. Sie suchte jeden auf, der ihr nützlich schien, ließ sich ebenso am wappengeschmückten Kamin eines alten Schlosses wie vor dem Herd einer Pächterin oder im Hinterzimmer des Ladens eines in seinem Orte einflußreichen Kaufmanns nieder. Es mißfiel ihr nicht, mit den Menschen verschiedenster Klassen zu sprechen, und das Verständnis, auf das sie überall stieß, bestärkte sie in ihrer Überzeugung. Die Saat wartete nur darauf, hochschießen zu können. Man spürte, daß etwas geschehen würde.

Doch ihre wirkliche Behausung, der Ort ihrer Wahl, blieb der Hohlweg, in dem die Hufe ihres Pferdes und der ihrer Begleiter widerhallten.

Unter ihnen befand sich der Baron du Croissec. Bei ihm hatte sie gleich nach dem Drama Gastfreundschaft gesucht und gefunden. Seitdem begleitete sie der dik-ke Mann mit einigen seiner Diener auf allen Wegen.

Die Protestanten unter Angéliques Leuten hatten sich den Truppen de La Morinières angeschlossen. Die andern hatten unter der Führung des Pächters Martin Genêt eine Art Freikorps gebildet; jeder blieb bei sich zu Hause, war aber bereit, auf das leiseste Zeichen hin bewaffnet zum Treffpunkt zu eilen.

Ständig bei Angélique blieben nur die überlebenden Diener von Plessis: Alain, der Stallknecht, der Küchengehilfe Camille, der alte Antoine mit seiner Armbrust, der Pariser Gassenjunge Flipot, der nicht gewußt hatte, was er sonst in diesen Wäldern hätte anfangen sollen, und schließlich Malbrant Schwertstreich, brummend, aber glücklich, das harte Leben eines militärischen Feldzugs wiederzufinden. Der Abbé de Lesdiguière war ihr von Anfang an nicht von der Seite gewichen. Sobald er sie nicht mehr sah, machte er sich auf die Suche nach ihr. Er hatte Angst vor dem, was sich hinter diesem glatten, wie gefrorenen Gesicht und diesem starren Blick verbarg. Die Furcht, daß sie versuchen könnte, sich das Leben zu nehmen, verfolgte ihn.

Im abendlichen Quartier verfiel sie zuweilen in ein undurchdringliches Schweigen, in dem sie ihre Umgebung zu vergessen schien. Sie saß vor dem Feuer in einem großen Saal, dessen Wände Wappen und Wandteppiche schmückten. Es war das Dekor ihrer Kindheit. Draußen heulte der Wind, rüttelte an altersschwachen Läden, und Wetterfahnen kreischten auf den spitzen Dächern einiger Türmchen. Und oft fügte sich zum Prasseln des Holzes das regelmäßige, unaufhörliche Auf und Ab der Stiefel des Herzogs de La Morinière auf den Fliesen. Er war da, marschierte hin und her, und sein riesiger Schatten glitt über die Mauern und zuckte im Spiel der Flammen. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, um ein Bündel Dornenzweige in den Kamin zu werfen. Diese Frau fror, er mußte sie erwärmen. Von neuem nahm er wie ein Tier im Käfig seinen Marsch auf. Sein Blick heftete sich auf das Profil der sitzenden, völlig abwesenden Angélique und auf die schmale Silhouette des Abbé de Lesdiguière, der sich auf einem Schemel im Hintergrund hielt und dessen Kopf zuweilen vor Müdigkeit auf die Brust sank. Er knurrte Worte ohnmächtiger Wut in seinen Bart. Es war nicht sosehr der kleine Abbé, dem er seiner Anwesenheit wegen grollte.

Das Hindernis, das sich zwischen ihm und dieser Frau erhob, die er mit immer wahnwitziger Leidenschaft begehrte, war von anderer Art und weit unbezwinglicherer Kraft als die Gegenwart eines zierlichen Pagen mit Mädchenaugen. Er hätte ihn mit einer Handbewegung beiseite wischen können, wenn da nicht etwas anderes gewesen wäre, gegen das weder sein unerbittlicher Wille noch die Leidenschaft seiner Liebe etwas vermochten.

Heute entglitt sie ihm für immer.

Als er von dem Überfall auf das Schloß Plessis erfuhr, war er in Eilmärschen dorthin zurückgekehrt. Mehrere Tage hatte er nach der verschwundenen Schloßherrin gesucht. Er hatte sie wiedergefunden. In den Zorn Samuel de La Morinières über die Verbrechen der Soldaten Montadours mischte sich ein Gefühl, das ihm bis dahin unbekannt geblieben war: Schmerz. Der Gedanke, daß man diese Frau entehrt hatte, brachte ihn zur Raserei. Während er die Umgebung nach ihr durchforscht hatte, war er mehrmals versucht gewesen, sich in sein Schwert zu stürzen, um der Qual zu entgehen, die seinen Körper und seine Seele marterte. Er hatte nicht einmal mehr den Namen des Herrn auszusprechen, noch zu ihm zu beten vermocht.

Eines Abends, auf den Stufen eines Gebetskreuzes, unter einem stürmischen, von rasch ziehenden Wolken bedeckten Himmel, schien es dem grausamen Mann, als blute es aus seinem Herzen, und er spürte Tränen auf den Wangen. Er liebte. Das Antlitz Angéliques umgab sich für ihn mit dem Strahlenkranz einer nie gekannten Entdeckung: der Liebe.

Als er sie wiederfand, war er nahe daran, vor ihr auf die Knie zu sinken und den Saum ihres Kleides zu küssen. Die dunklen Ringe um ihre ruhigen Augen schienen ihr Geheimnis noch zu verstärken. Ihre ferne, durch das Leid geläuterte Schönheit brachte ihn aus der Fassung und schürte ein Fieber, das die Träume nur noch mehr erhitzten.

Sobald er sich allein mit ihr befand, wollte er sie in seine Arme nehmen. Sie erbleichte und wich mit schreckverzerrtem Gesicht zurück.

»Rührt mich nicht an . Nähert Euch nicht .«

Ihre Angst macht ihn toll. Er wollte ihre Lippen küssen, die andere beleidigt hatten, wollte deren Spuren löschen, sie besitzen, um sie zu reinigen. Ein namenloser Rausch, in dem sich Verzweiflung, eifersüchtige Liebe und das Verlangen, sich mit ihr zu vereinigen, mischten, überwältigte ihn, und er drückte sie, sich über ihre Bitte hinwegsetzend, leidenschaftlich an sich. Als er sie zuckend, weißer noch als Marmor, mit geschlossenen Augen in seinen Armen sah, beruhigte er sich. Sie war ohnmächtig geworden. Zitternd, verstört, bettete er sie auf die Fliesen.

Der Abbé de Lesdiguière lief herzu und verwandelte sich aus einem Seraph in einen rächenden Erzengel.

»Elender! Wie konntet Ihr es wagen, sie zu berühren?«

Er löste Angélique aus den harten, behaarten Händen, kämpfte gegen den Goliath ...

»Wie konntet Ihr es wagen? ... Versteht Ihr denn nicht? Sie kann es nicht mehr ertragen ... Sie kann die Berührungen der Männer nicht mehr ertragen!«

Sie brauchten fast eine Stunde, um sie wieder zu beleben.

Der Zufall brachte es in diesen Monaten des Guerillakrieges noch gelegentlich mit sich, daß sie sich bei ihren Partisanen begegneten. Das waren dann jene endlosen Abende, während derer die unbestimmt verschreckten Gastgeber den Hugenotten und die Katholikin allein ließen. Stille, Schritte, zuckende Flammen. So verstrichen die Stunden inmitten eines unausgesprochenen, herzzerreißenden Dramas.

Im Februar kehrte Angélique in die Gegend von Plessis zurück. Sie wollte die Ruinen ihres einstigen Wohnsitzes nicht sehen und stieg im Edelhof de Guéménée du Croissec ab. Der dicke Baron schien in seiner unerschütterlichen Anhänglichkeit an die Sache Angéliques eine Rechtfertigung für seine unfruchtbare Existenz als Krautjunker und Hagestolz zu finden. Er hatte sich in diesen vier Monaten häufiger und länger aus seinem Winkel gerührt als in seinem ganzen bisherigen Leben zusammen. Er fühlte sich als sicherer Freund Angéliques, auf den sie zählen konnte, was immer auch geschehen mochte, und es traf zu, daß er sie in keiner Weise bedrängte. Auch die drei La Morinière und andere Rebellenführer trafen dort zusammen, um die Lage zu besprechen. Es ließ sich voraussehen, daß die königlichen Truppen zu Beginn des Frühlings auf allen Fronten zum Generalangriff ansetzen würden. Mit den Verteidigungsmöglichkeit en im Norden war es nicht weit her. Konnte man mit den Bretagnern rechnen, die übrigens nur zur Hälfte Bretagner waren, da sie schon diesseits der Loire wohnten?

Wenig später kam es zu heftigen Kämpfen in der Umgebung. Die Gegend um Plessis blieb der Zielpunkt der königlichen Truppen, da die Bewegung von dort ihren Ausgang genommen hatte. Man schien zu wissen, daß sich die Rebellin des Poitou dort befand. Ein Preis war auf ihren Kopf gesetzt, obwohl man ihren Namen und ihre Person nicht kannte. Das Feld der Dragoner lag nahe, und die Erinnerung daran befeuerte die Soldaten auf ihren Vorstößen. Um ein Haar wäre Angélique in einen Hinterhalt geraten. Der Müller Valentin, zu dem sie sich mit dem verwundeten Abbé de Lesdiguière flüchtete, rettete sie. Um möglichen Nachforschungen zu entgehen, brachte er sie in die Sümpfe, wohin niemand sie verfolgen konnte.

Angélique verbrachte mehrere Wochen in Valentins Unterschlupf. Die niedrige, dicht am Wasser gelegene baufällige Hütte mit ihrem Dach aus schwärzlichem, mit Schilf untermischtem Stroh, das wie eine große Pelzmütze aussah, war behaglich. Ein besonderer, nur den Sumpfleuten bekannter Verputz aus bläulicher Tonerde, Stroh und Mist überzog die Innenseiten der Mauern mit einer Art Filz, der die Feuchtigkeit ansog und vor Kälte schützte. Es war lau und trocken drinnen, und wenn die Torfstücke im Kamin mit kurzen violetten Flammen brannten, vergaß man in der angenehmen Wärme fast die sumpfige, mit Wasser vollgesogene Landschaft, die sich ringsum ausbreitete.