»Was ist meiner kleinen Rebecca geschehen? Und meinem Mann? Ihr wißt etwas, nicht wahr, Madame?«
»Bleibt ruhig, ich bitte Euch! Soll ich Euch helfen, die Kinder ein wenig zur Ruhe zu bringen? Wir dürfen sie nicht aufregen.«
Mit gefalteten Händen glitt die Baronin de Cam-bourg auf die Knie.
»Laßt uns beten, Kinder. Ich weiß nun genug. Der Tag der Heimsuchung ist gekommen, von dem der Herr gesagt hat: >Ich werde die Meinen verlassen, um ihre Herzen zu prüfen. Ich werde sie dem Bösen ausliefern.««
»Madame! Die Dragoner!«
Durch ein halbgeöffnetes Fenster spähten die Diener besorgt nach draußen. Auf dem vom Licht der Fackeln rötlich beleuchteten Vorplatz war Montadours unförmige Gestalt auf dem schweren Apfelschimmel zu sehen. Der Kapitän schien Angélique noch dicker und massiver, als sie ihn in Erinnerung hatte. Acht Tage alte rote Bartstoppeln machten sein Gesicht noch gröber. Er schien aus rotem Ton zusammengefügt, aus schlecht getrockneter Ziegelerde.
Hinter ihm hielten sich einige Reiter vor dem unschlüssig zusammengedrängten Haufen des Fußvolks, die einen mit ihren Musketen, die anderen mit Hellebarden. Sie schienen sich über den weiteren Fortgang des Unternehmens nicht klar zu sein.
Das Haus war verbarrikadiert, aber hinter den bunten, mit Blei gefaßten Scheiben ahnte man auf der Lauer liegende Schatten.
»Aufgemacht da drinnen!« schrie Montadour. »Oder ich lasse die Tür einrennen.«
Niemand rührte sich. Vom Wald her, aus der Richtung von Cambourg, trafen weitere Dragoner ein und gesellten sich zu den andern. Die Erinnerung, daß sie hier fortgejagt worden waren und daß La Morinière vor weniger als einer Woche die Leichen von vier ihrer Kameraden auf diese Schwelle hatte werfen lassen, feuerte sie an.
Auf eine Handbewegung des Kapitäns näherten sich zwei mit riesigen Äxten bewaffnete Soldaten dem Portal. Die ersten dumpfen Schläge in das geschnitzte Holz erschütterten die Mauern. Eines der Kinder de Cambourg begann zu weinen, verstummte wieder, und ein gemurmeltes Gebet war zu vernehmen, das ihre Mutter sie aufzusagen hieß.
»Malbrant«, flüsterte Angélique.
Der Stallmeister hob langsam seine Waffe und schob den Lauf in die Öffnung des Fensters. Ein Schuß dröhnte. Einer der beiden Soldaten rollte auf die Fliesen vor dem Portal, Ein zweiter Schuß. Auch der andere fiel.
Die Dragoner stießen Wutschreie aus. Drei mit Musketen bewaffnete Männer stürzten mit erhobenen Kolben vor und begannen auf die Tür einzuschlagen.
Malbrant lud seine Waffe von neuem. Vom anderen Fenster aus gab La Violette einen sorgfältig gezielten Schuß ab, dem ein zweiter folgte. Zwei der Männer brachen zusammen. Malbrant erledigte den dritten.
»Zurück, Dummköpfe!« brüllte Montadour. »Wollt ihr euch einer nach dem andern abschießen lassen?«
Die Soldaten wichen wie ausgehungerte Wölfe zurück. In sicherer Entfernung zog Montadour seine Musketenschützen nach vorn. Eine Salve prasselte. Die Fensterscheiben zersplitterten und stoben in tausend vielfarbigen Funken über die Fliesen. La Violette, der sich nicht rechtzeitig gebückt hatte, fiel. Der Abbé de Lesdiguière raffte die den Händen des Dieners entglittene Waffe auf und nahm seinen Platz an der nun leeren Fensterhöhle ein. Durch die Schwaden des Pulverdampfs waren die verzerrten Gesichter der vorrückenden Dragoner zu erkennen. Ihre Offiziere schienen jedoch noch über eine andere, weniger gefährliche Angriffsmöglichkeit als die gegen das Portal zu beraten, die sie bereits fünf Männer gekostet hatte.
Angélique kroch auf den Knien zu La Violette hinüber und zerrte ihn an den Schultern in einen Winkel der Halle. Er war an der Brust verletzt, und auf seiner in den Farben der Plessis-Bellière, blau und gelb, gehaltenen Livree begann sich ein großer Blutfleck abzuzeichnen.
Die junge Frau hastete zur Küche, um Branntwein und Scharpie zu holen. Der Anblick Aurélies, der Frau des Kochs, die am Herd vor einem Zuber stand, dessen Inhalt sie aufmerksam überwachte, hielt sie auf der Schwelle fest.
»Was treibst du da? Kochst du Suppe?«
»Aber Frau Marquise! Ich bringe Öl zum Kochen, das wir ihnen wie in den guten, alten Zeiten über die Köpfe schütten werden.«
Leider war das Schloß Plessis kaum fest genug gebaut, um wie seine Ahnen aus dem Mittelalter Angriffen trotzen zu können.
Aurélie hob plötzlich den Kopf und horchte.
»Sie sind hinter den Läden! Ich hör’ sie schon kratzen!«
Wirklich hatten die Soldaten das Haus umgangen und machten sich nun an die schweren Fensterver-schläge der Küche. Gleich darauf dröhnten die ersten Axtschläge. Einer der Diener kletterte auf den Ausguß, um festzustellen, ob man sie durch eine der oberen Luken erreichen konnte. Aber es war zu schwierig.
»Lauft in den ersten Stock«, empfahl Angélique den drei kleinen Lakaien, die Malbrant mit Pistolen ausgerüstet hatte, »und schießt durch die Fenster.«
»Ich hab’ nur meine Armbrust«, meinte der alte Antoine, »aber glaubt mir, Frau Marquise, sie ist tüchtig, wenn’s drauf ankommt. Paßt auf, ich werde die Tölpel in Nadelkissen verwandeln.«
Angélique kehrte mit Verbandszeug zu La Violette zurück. Durch die Halle schwammen Schwaden dichten Rauchs, der in den Augen brannte. Schon während sie niederkniete, sah sie, daß ihre Bemühungen vergeblich sein würden. Der Diener lag im Sterben.
»Frau Marquise«, stammelte La Violette mit von Blut halb erstickter Stimme, »ich wollte Euch sagen ... daß ich Euch in meinen Armen gehalten habe, ist die schönste Erinnerung meines Lebens.«
»Was sagst du da, armer Kerl?«
Er phantasiert, dachte sie.
»Ja, ja ... Damals, als der Herr Marschall mich schickte, um Euch zu entführen. Ich mußte Euch schon in die Arme nehmen, mußte Euch sogar ein wenig den Hals zudrücken, um zu Rande zu kommen ... Hab’ Euch angesehen, während ich Euch trug ... und darum ist es meine schönste Erinnerung, weil es eine Frau . so schön . wie Ihr .«
Seine Stimme ging in ein Flüstern über. Er schloß in einem Hauchen, das seinen Worten das Gewicht des Geheimnisses lieh:
». nicht mehr gibt.«
Sein Atem war kaum noch zu spüren. Sie nahm seine Hand:
»Ich vergebe dir, was du in jener Nacht getan hast. Soll ich den Abbé de Lesdiguière holen, damit er dich mit dem Segen der Kirche versieht?«
In letzter Abwehr raffte er seine schwindenden Kräfte noch einmal zusammen:
»Nein, nein, ich will in meiner Religion sterben.«
Richtig. Sie hatte es vergessen. Er war ja Protestant.
Sie streichelte über seine runzlige Stirn.
»Armer Kerl! Armer, gequälter Mensch. Geh, geh jetzt ... Möge Gott dich in seine Gnade aufnehmen.«
La Violette war tot. In einer Ecke stöhnte eine verwundete Dienerin. Das Gesicht Malbrant Schwertstreichs war schwarz von Pulverdampf. Die kleinen Lakaien schleppten Munition in die beiden Etagen.
»Ich muß etwas tun, muß Schluß damit machen«, dachte Angélique.
Sie stieg in den ersten Stock hinauf. Entschlossen öffnete sie eins der Fenster:
»Kapitän Montadour!«
Ihre Stimme vibrierte in der von scharfen Dämpfen gesättigten Nacht. Der Kapitän der Dragoner riß unten sein Pferd zurück, um sie besser sehen zu können. Er erkannte sie mit einer Mischung aus Furcht und Triumph. Sie war da! In der Falle gefangen! Er würde seine Rache haben.
»Mit welchem Recht wagt Ihr es, Kapitän, über eine katholische Wohnung herzufallen. Ich werde mich an den König wenden!«
»Eure katholische Wohnung ist ein Hugenottennest! Gebt uns die ketzerische Wölfin und ihren Wurf heraus, und wir werden Euch und Eure Söhne in Ruhe lassen!«
»Habt Ihr es nötig, Euch mit Frauen und Kindern zu befassen? Ihr tatet besser daran, die Banden de La Morinières zu verfolgen.«
»Eures Komplizen!« brüllte Montadour. »Glaubt Ihr, daß ich mir nicht meinen Reim gemacht habe? Ihr habt uns verraten, habt Euch dem Teufel ergeben, Zauberin! Und während ich meine Haut für unsere Religion zu Markte trug, seid Ihr in den Wald gelaufen, um uns an die Banditen zu verkaufen. Ich habe einen Eurer Galane zum Plaudern gebracht .«
»Ich werde mich an den König wenden!« rief Angélique so laut sie konnte. »Er und auch Monsieur de Marillac werden über Euer Verhalten unterrichtet werden. Denkt daran ... in den Intrigen der Großen sind die eifrigsten Diener immer diejenigen, die am ersten bestraft werden!«
Montadour zögerte eine Sekunde. Es war etwas Wahres in dem, was sie sagte. Schon jetzt konnte er sich ausmalen, daß das unerwartete Resultat, zu dem der von ihm und seinen entmutigten, mürrischen, von allen Verbindungen abgeschnittenen Soldaten unternommene Bekehrungsversuch des Poitous geführt hatte, ihm kein Wohlwollen einbringen würde. Aber seine Leute brauchten Morde und Plünderungen, um wieder Vertrauen zu sich zu fassen. Und niemals würde ihm eine zweite Gelegenheit in den Schoß fallen, sie, diese Frau, zu besitzen, deren Anblick ihn seit Monaten quälte und die ihn, Montadour, wie einen gemeinen Köter an der Nase herumgeführt hatte. Später würde er schon sehen. Aber vorher wollte er sie besitzen, sollte sie um Gnade wimmern, sich demütigen.
»Räuchert mir diesen Schlupfwinkel aus«, knurrte er mit einer großen Geste.
Und in seinen Steigbügeln stehend, das Gesicht ihr zugewandt, stieß er ein wildes, rohes Gelächter aus, in dem sein Haß und sein Verlangen mitschwangen.
Sie trat vom Fenster zurück. Durch Verhandeln war nichts bei ihm zu erreichen. Ein Geruch nach Rauch, anders als der des Pulvers, wehte von draußen herein.
Die schrille Stimme Aurélies kreischte unten: »Sie haben Feuer an den Läden gelegt!« Barbes verschlafenes Gesicht erschien in einem Türspalt:
»Was bedeutet all dieser Lärm, Madame? Man wird mir noch den Kleinen wecken.«
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