Er beugte sich vor.
»Ihr werdet Montadour hängen lassen und Monsieur de Marillac in Ungnade stürzen. Ihr werdet den König vom Einfluß der starrsinnigen Frömmler befreien ... und die Ruhe wird in die Provinz zurückkehren, die Gerechtigkeit, die friedliche Arbeit .«
»Molines«, stöhnte sie, »Ihr belastet mich mit einer furchtbaren Versuchung! Der schlimmsten .«
Sie sah ihn an wie damals, als er sie überzeugt hatte, daß es notwendig sei, zur Rettung der Familie einen unbekannten Edelmann zu heiraten, der ein Krüppel und mit teuflischen Fähigkeiten begabt sein sollte.
»Ihr werdet allmächtig sein«, wiederholte er eindringlich. »Denkt an die Stunde, die Eurer Unterwerfung folgen wird. Die Worte des Königs ... Ihr wißt, daß sie nicht grausam sein werden.«
Bagatellchen, mein unausstehliches, mein unvergeßliches Kind ...
Im Dämmerlicht eines Tagesanbruchs über Versailles, am Ende einer Nacht, in der ihre Lippen sich über den Schreien der Rebellion verschließen würden - vielleicht auch würden sie ihr entschlüpfen, schrill und schneidend wie die der Verbrecherin unter dem rotglühenden Eisen, das sie für immer zeichnet -, würde der König sich über sie neigen.
Sie würde noch schlummern, der gesättigte Körper
- ah, wie sie diesen feigen, wundersamen Zustand unendlicher, süßer Schwäche kannte! - vielleicht sogar in der Tiefe des Schlafs genußvoll erfüllt vom Luxus und dem neu eroberten Glanz. Unter seiner Zärtlichkeit würde sie halb erwachen, sich in den Spitzen dehnen, wollüstig, und plötzlich ihre Augen ganz weit dem Widerschein des Waldes öffnen. Sie würde ihn sehen und aufhören, sich zu wehren, und sie würde ihn endlich hören, nach so vielen Jahren der Flucht gefangen, gebändigt ... seine Stimme, gedämpft, doch wie ein Befehl, wie ein triumphierender Anruf: »Angélique ... wir beide zusammen sind un-besieglich!«
Sie schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Es ist schrecklich«, murmelte sie. »Als ob Ihr von mir verlangtet zu sterben, die letzte Hoffnung aufzugeben.«
Es schien ihr, als habe sie diese Szene mit Molines schon einmal durchlebt. Damals hatte Osman Ferradji sie zu überreden versucht, sich Moulay Ismaël hinzugeben. Aber sie hatte es nicht getan. Und man hatte alle Juden der Mellah ermordet und die Sklaven gepfählt ... Also gab es überall tyrannische Herren und unterjochte, von deren Launen gepeinigte Völker, es war das unerschütterliche Gesetz . Draußen fiel leichter Regen auf das raschelnde Laub, und plötzlich waren die Rufe Florimonds und Charles-Henris zu vernehmen, die vor dem Guß flüchteten.
Der Intendant ging zum Schreibsekretär, nahm ein Blatt Papier, eine Feder und das Tintenfaß, kehrte zurück und breitete die Utensilien vor Angélique aus.
»Schreibt ... schreibt an den König. Ich reise heute abend ab. Ich werde den Brief mitnehmen.«
»Was soll ich schreiben?«
»Die Wahrheit. Daß Ihr kommen wollt, um Euch zu unterwerfen. Nicht, weil Ihr bedauert, was Ihr getan habt, oder weil Euer Gewissen Euch drängt, sondern weil um Euch herum seine getreuesten Untertanen schuldlos gefoltert würden. Daß Ihr nicht glauben könnt, daß es auf seinen Befehl geschehe. Daß Ihr Euch erst dann nach Versailles begebt, wenn die Dragoner Monsieur de Marillacs aus dem Lande entfernt und die des Ministers Louvois zurückbeordert seien. Daß Ihr Euch aber demütig und unter den von Seiner Majestät gewünschten Bedingungen unterwerfen werdet, weil Ihr seine Gerechtigkeit, seine Güte, seine Geduld zu würdigen wißt .«
Fieberhaft begann sie zu schreiben, ganz erfüllt von ihrer Anklage gegen die Peiniger des Poitou. Sie schilderte die drückenden, grausamen Maßnahmen, die man ergriffen, beschrieb, wie ein betrunkener Landsknecht ihre Leute unter ihrem Dach gefoltert hatte, sie nannte Montadour, de Marillac, de Solignac und Louvois, gab Einzelheiten über die gegenwärtigen Standorte der königlichen Regimenter, sprach von der wachsenden und unvermeidlichen Rebellion der Bauern, forderte Mitleid für sie, und während sie schrieb, stand ihr das Gesicht des jungen Königs vor Augen, ernst und aufmerksam in der nächtlichen Stille seines Arbeitskabinetts.
»Er kann es nicht gewollt haben«, sagte sie zu Molines.
»Er kann es wollen, ohne es zu wissen. Die Bekehrung der Protestanten liegt ihm als Ausgleich für seine Sünden am Herzen. Er verschließt Augen und Ohren. Ihr werdet ihn zwingen, sie zu öffnen ... Eure Aufgabe ist wichtig.«
Als sie zu Ende gekommen war, fühlte sie sich wie zerbrochen, aber ruhig. Molines bestreute die Botschaft mit Sand und schloß sie mit Wachs.
Angélique begleitete ihn bis zu seinem Haus. Sie wußte nicht mehr, woran sie war. Das Schweigen der Felder hatte etwas Verdächtiges. Zuweilen trieb der Wind den Geruch von Rauch herüber.
»Wieder brennende oder schon zu Asche gewordene Ernten«, sagte Molines, während er sich im Sattel zurechtsetzte. »Montadour und seine Leute haben sich in die Gegend von Secondigny zurückgezogen und alles auf ihrem Wege verbrannt. Lancelot de La Morinière hält sie in Schach, aber wenn seine Truppen weichen ... Der Patriarch hat sich in die Gâtine werfen müssen, um Louvois’ Truppen aufzuhalten.«
»Werdet Ihr gefahrlos durchkommen, Molines?«
»Ich habe eine Waffe mitgenommen«, erwiderte er, den Kolben einer Pistole unter seinem Mantel enthüllend.
Sein alter Diener begleitete ihn auf einem Maultier. Sie ritten davon.
Vor dem Schloß stieß Florimond, auf einem Bein hüpfend, Kiesel vor sich her. Als er sie sah, unterbrach er sein Spiel, lief ihr entgegen und verkündete ihr mit lebhafter Miene, wie sie freudige Neuigkeiten begleitet: »Mutter, wir werden abreisen müssen.«
»Abreisen? Wohin?«
»Weit, sehr weit«, sagte der Junge mit einer unbestimmten Geste zum Horizont, »in ein anderes Land. Wir können nicht hierbleiben. Die Soldaten kommen vielleicht zurück, und wir haben nichts, um uns zu verteidigen. Ich habe die alten Feldschlangen auf den Wällen untersucht. Sie taugen kaum noch als Spielzeuge, und verrostet sind sie auch. Man kann nicht die kleinste Kugel mit ihnen schießen. Ich habe versucht, sie wieder in Ordnung zu bringen, und wäre um ein Haar in die Luft geflogen. Ihr seht also, daß wir abreisen müssen.«
»Du bist verrückt. Woher hast du solche Ideen?«
»Nun ... ich sehe mich um«, sagte das Kind und zuckte die Schultern. »Es ist eben Krieg, und ich glaube, er fängt erst an.«
»Hast du Angst vor dem Krieg?«
Er errötete, und sie entdeckte in seinen schwarzen Augen einen erstaunten und verächtlichen Ausdruck.
»Ich habe keine Angst, mich zu schlagen, wenn es das ist, was Ihr sagen wollt, Mutter. Aber ich weiß nicht, gegen wen ich mich schlagen soll. Gegen die Protestanten, die dem König nicht gehorchen und sich nicht bekehren lassen wollen? Oder gegen die Soldaten des Königs, die Euch auf Eurem eigenen Besitz beleidigen? Ich weiß es nicht. Es ist kein guter Krieg. Deshalb will ich fort von hier.«
Seit seiner Rückkehr hatte er nicht so lange mit ihr gesprochen. Sie hatte ihn unbekümmert geglaubt.
»Sei unbesorgt, Florimond«, sagte sie. »Ich denke, daß alles sich wieder einrenken wird. Würde -«, sie suchte nach Worten, »- würde es dir gefallen, wieder an den Hof zurückzukehren?«
»Bei Gott, nein!« rief das Kind spontan aus. »Es gab dort zu viele, die mir Avancen machten oder mir etwas antun wollten, weil der König Euch liebte. Und jetzt will man mir etwas antun, weil er Euch nicht mehr liebt. Ich habe genug davon! Ich möchte lieber fort. Außerdem langweile ich mich in diesem Land. Ich liebe es nicht. Ich liebe nichts hier. Ich liebe nur Charles-Henri .«
»Und ich?« hätte sie, von Schmerz ergriffen, fast aufgeschrien.
Er hatte sich für die Verletzung gerächt, die sie ihm eben zugefügt hatte, und unbewußt auch dafür, daß er von ihr auf einen Weg ohne Hoffnung geführt wor-den war.
»Gott weiß, daß ich für meine Söhne gekämpft und mich für sie geopfert habe. Eben noch habe ich mich wieder für sie geopfert.«
Ohne ein Wort zu sagen, ging sie der Freitreppe zu. Die Überwindung, die der Brief an den König sie gekostet hatte, klang noch in ihren Nerven nach. Sie hatte nicht den Mut, ihre Erregung zu mildern, um ihren Sohn wieder aufzuheitern. »Merkwürdig, wie die Kinder einem entgleiten«, dachte sie. »Man glaubt, sie endlich zu kennen, ihre Freundschaft errungen zu haben ... Aber eine Abwesenheit genügt .«
Vor Angéliques Flucht zum Mittelmeer hätte er nicht so reagiert, hätte er nicht an ihr gezweifelt. Aber er hatte nun das Alter erreicht, in dem man beginnt, sich über sein Schicksal Fragen zu stellen. Wenn die Erfahrung des Islams Angélique so tief hatte zeichnen können, war es sehr gut möglich, daß auch das vergangene, bei den Jesuiten verbrachte Jahr Florimond verändert hatte. Die Seele hat ihre Kreuzwege ... Man kann ihre Entwicklung nicht zurückdrehen.
Sie hörte Florimonds eilige Schritte hinter sich. Er legte eine Hand auf ihren Arm und wiederholte dringlich:
»Ich muß fort, Mutter!«
»Wohin willst du, mein Kind?«
»Es gibt genug Orte, wohin man gehen kann. Ich habe mit Nathanaël schon alles verabredet. Ich werde Charles-Henri mitnehmen.«
»Nathanaël de Cambourg?«
»Ja, er ist mein Freund. Wir sind immer zusammen gewesen, damals, als ich in Plessis wohnte, bevor ich meinen Dienst bei Hof antrat.«
»Du hast mir niemals etwas davon gesagt.«
Seine Augenbrauen hoben sich in einem vieldeutigen Ausdruck. Es gab noch genug andere Dinge, von denen er ihr nie erzählt hatte.
»Wenn Ihr uns nicht begleiten wollt, um so schlimmer. Aber Charles-Henri nehme ich mit.«
»Du faselst, Florimond. Charles-Henri kann diesen Besitz nicht verlassen, dessen Erbe er ist. Das Schloß, der Park, die Wälder, die Ländereien gehören ihm. Sobald er majorenn ist, fallen sie ihm zu.«
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