Der Fluch schien vom Schloß zu weichen. Die Messen des Abbé de Lesdiguière trugen vielleicht ihren Teil dazu bei ...
Am folgenden Tag überflog ein Falke den Turm, und Florimond fing ihn als erfahrener Falkner. Vom Abbé begleitet, brachte er seiner Mutter die Botschaft, die er an der Fußkralle des Vogels befestigt gefunden hatte. Angélique errötete, als sie die Kapsel entgegennahm. Ein kurzer Schnitt ihres Federmessers ließ das Blatt aus seiner Hülle springen. Die steile Schrift Samuel de La Morinières bestimmte für die nächste Nacht den Stein der Feen als Treffpunkt ... Ihre Zähne preßten sich aufeinander. Am Stein der Feen. Der Unverschämte! Welche Verachtung mußte er für sie empfinden, um es zu wagen, ihr eine solche Weisung, einen solchen Befehl zu geben! Hielt er sie für eine Sklavin? ... Sie würde nicht gehen! Sie würde ihnen nicht mehr helfen ... Sie hätte es nur tun können, wenn sie dem Patriarchen ausgewichen wäre. Aber mit ihm allein zu sein, sie beide Rebellen unter dem Mantel des Waldes, der herbstlichen Gerüche, der steigenden Nebel des Flusses - das war unmöglich. Was täte sie, wenn er es wagte, sie wieder zu berühren? Würde ihre Furcht genügen, das seltsame Verlangen zu bezwingen, das jene Nacht in ihr zurückgelassen hatte? Vergeblich versuchte sie, sich ihm zu entziehen. Seine düstere Gestalt beugte sich über sie, während sie schlief, und sie erwachte stöhnend.
Sie wurde hin und her gerissen von der unter den Bäumen verborgenen Kraft, die nach ihr rief wie ein Hirsch in der Tiefe des herbstlichen Waldes, und der Versuchung, ganz still zu sein, nicht mehr zu handeln.
Der Herbst war gekommen, und sie hatte sich dem König nicht unterworfen. Aber seine Abgesandten, die sie arretieren sollten, würden den Ring aus Eisen und Feuer, den der Patriarch um die Provinz gelegt hatte, nicht mehr passieren können. Jenseits des Parks, in dem ihre Söhne spielten, gab es Frauen, die man schlug, Ernten, die verbrannten, Bauern, die, zu allem bereit, das Land durchstreiften.
Florimond und der Abbé de Lesdiguière beobachteten sie; wo immer sie auch ging, immer spürte sie die Frage dieser reinen Augen. Der König hatte gewußt, was er tat, als er ihr Florimond schickte. »Kinder komplizieren nur alles«, hatte die Hebamme gesagt. »Wenn man sie nicht liebt, weiß man nicht, was man mit ihnen anfangen soll. Wenn man sie liebt, machen sie einen schwach.«
Verletzlichkeit eines von zu vielen Schlägen getroffenen Herzens. Das Mittelmeer hatte Angélique verwundet. Nun, da sie sich wieder gehärtet glaubte, hatte die Empfindsamkeit ihres Geistes ihre Leidensfähigkeit verzehnfacht. Alles bereitete ihr jetzt Schmerz. Doch die entfesselten Kräfte zogen sie gegen ihren Willen weiter. Das Jagdhorn Isaac de Cam-bourgs rief sie im kupferfarbenen Abend, über das fahlrote Laubmeer hinweg. Sie hatten bestimmte Signale je nach der Wichtigkeit der Botschaft vereinbart. Das Halali bedeutete einen Hilferuf, Das Halali! ...
»Madame, Ihr müßt kommen!« bat La Violette atemlos; er war zum benachbarten Edelsitz und wieder zurück gelaufen. »Die Frauen ... die Frauen der protestantischen Dörfer der Gâtine ... die, die man vor kurzem auf die Straßen gejagt hat, ohne daß man ihnen helfen darf... sie haben sich zu Monsieur de Cambourg geflüchtet. Wenn Montadour es erfährt, sind sie verloren. Er bittet um Rat .«
Angélique schlüpfte durch den unterirdischen Gang. Durch den Wald gelangte sie zu den Gärten, die das Schloß Cambourg auf seinem Hügel umgaben. Im Hof, zu Füßen des Wehrturms, hockten die erschöpften Frauen auf der nackten Erde, ihre mageren Kinder an sich gedrückt. Ihre Blicke waren stumpf, die weißen Hauben staubig und zerknittert. Sie berichteten der Baronin de Cambourg von ihrem ziellosen Weg durch die Feindseligkeit der katholischen Dörfer, die von ihren Pfarrern zur Einhaltung der Verordnung aufgefordert wurden, ihnen keinerlei menschlichen Dienst zu erweisen. Sie hatten sich von nachts auf den Feldern gestohlenen Rüben genährt und die Tage unter den Gebüschen am Waldrand verbracht. Mit Hunden hatte man sie verjagt. Militärpatrouillen hatten sie beunruhigt, die in der Umgebung der Dörfer ihrer Religion die Durchführung der Verordnung überwachten. Sie waren mit ihren Kindern unter der unbarmherzig brennenden Sonne, unter peitschenden Gewittergüssen gegangen. Schließlich hatten sie beschlossen, sich nach La Rochelle durchzuschlagen, der alten Metropole der Protestanten, in der ihre Glaubensgenossen noch stark genug waren, um die Verordnung zu umgehen und sie aufzunehmen. Während einiger Tage hatten sie ein von den Banden de La Morinières beherrschtes Gebiet durchquert und sich in den Häusern der Reformierten wenigstens ausruhen können. Aber die Bauern waren verarmt, die Lebensmittel rar. Sie hatten weiterziehen müssen. An den Ufern der Vendée waren sie dann Montadours roten Dragonern begegnet. Entsetzt hatten sie von nun an die Straßen gemieden. Sie waren in diese von undurchdringlichem Wald umgebene Sackgasse gelangt und hatten erfahren, daß einer der schlimmsten Verfolger der Protestanten hier sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. In einer letzten Anstrengung hatten sie sich zum Schloß Cambourg geschleppt, das ihnen gewiesen worden war.
Die Cambourg-Kinder starrten mit offenen Mündern auf die Ankömmlinge. Angélique bemerkte an der Seite Nathanaëls, des Ältesten, Florimond. Die Unruhe ließ sie ihn hart anfahren: »Was machst du hier? Warum mischst du dich in die Angelegenheiten der Protestanten?«
Florimond lächelte. Seit seiner Schulzeit hatte er die aufreizende Gewohnheit angenommen, nicht mehr zu antworten, wenn man ihm einen Vorwurf machte. Die Baronin de Cambourg, die sich im siebenten Monat ihrer neunten Schwangerschaft befand, verteilte Brotstücke an die Frauen. Das Brot war alt und schwarz. Eine ihrer Töchter half ihr, indem sie den Korb trug.
»Was sollen wir tun, Madame?« fragte sie Angélique. »Wir können sie nicht bei uns aufnehmen und noch weniger ernähren.«
Der Baron de Cambourg erschien mit seinem Jagdhorn über der Schulter.
»Sie wieder auf die Straße schicken, wäre ihr Untergang. Bevor sie um den Wald herum nach Secondigny kämen, hätte Montadour sie erwischt.«
»Nein«, sagte Angélique, die schon nach einem Ausweg gesucht hatte. »Sie müssen sich zur Mühle der Ukeleis am Rand des Sumpfs durchschlagen. Von da aus werden sie Barken zum Besitz Monsieur d’Aubignes bringen, wo sie in Sicherheit sind. Auf den Kanälen werden sie dann bis in die Nähe von La Rochelle gelangen. Sie werden höchstens noch zwei oder drei Meilen zu gehen haben und den ganzen Weg abseits von belebten Straßen zurücklegen.«
»Aber wie erreichen sie die Mühle der Ukeleis?«
»In zwei bis drei Stunden Marsch geradewegs durch den Wald.«
Der Protestant verzog das Gesicht.
»Wer wird sie führen?«
Angéliques Blick glitt über die müden Gesichter, in denen die dunklen Augen der Frauen ihrer Provinz glühten.
»Ich«, sagte sie.
Als sie unter den Bäumen hervortraten, versanken ihre Füße in schwammigem Moos. Hier begannen die Sümpfe. Sie hatten die Farben der Wiesen, und man hatte es nicht gewagt, weiter zwischen den Erlen und Espen vorzudringen, wenn angekettete Barken am Ufer nicht die Nähe des Wassers verraten hätten, Angélique hatte drei kleine Lakeien mitgenommen, die beim Einschiffen helfen sollten. Als mit dem Land vertraute Jungen hatten sie sich skeptisch gezeigt.
»Man klettert nicht so einfach in die Boote, Frau Marquise. Bei der Mühle der Ukeleis wird das Ufer vom Müller überwacht. Er fordert Wegegeld von allen, die in die Sümpfe wollen, und macht den Reformierten Schwierigkeiten, weil er sie verabscheut. Er hat die Schlüssel zu den Barken. Selbst Leute aus den Weilern machen weite Umwege, um nicht an seiner Mühle vorbei zu müssen.«
»Wir haben keine Zeit. Es ist unser einziger Ausweg. Ich werde den Müller auf mich nehmen«, sagte Angélique.
Sie hatten sich lange vor der Dämmerung auf den Weg gemacht und Laternen mitgenommen, die sie anzünden wollten, wenn die Dunkelheit in den Wald einfallen würde. Die Kinder waren müde gewesen. Der Weg schien endlos. Als sie zur Mühle der Ukeleis gelangten, war die Sonne längst untergegangen. Die Rufe der Frösche und Wasservögel erfüllten das Dunkel. Die Kühle eines ungreifbaren Nebels stieg vom Boden auf und reizte die Kehlen, während die Linien der aus dem Wasser ragenden Bäume sich nach und nach in dem tiefer werdenden Blau verwischten.
Die Mühle war noch zur Linken zu erkennen; dunkel und massig, zeigte sie die Schaufeln ihres Rades am Rande eines schlummernden, von Seerosen überblühten Gewässers.
»Bleibt hier«, sagte Angélique zu den Frauen, die sich frierend zusammendrängten.
Die Kinder husteten und betrachteten die feuchte Umgebung mit unruhigen Augen.
Watend erreichte Angélique die Mühle. Sie fand die wurmstichige Brücke und gleich danach den vertrauten Steg über das Mühlgerinne. Ihre Hand tastete über die rauhe, von Winden überrankte Mauer.
Die Tür stand offen. Der Müller zählte seine Taler beim Schein einer Kerze. Es war ein Mann mit niedriger Stirn. Das dichte Haar, das ihm in Fransen bis auf die Brauen fiel, betonte noch den Eindruck beschränkten Starrsinns. Nach Art der Leute seines Berufs grau gekleidet, einen runden Kastorhut auf dem Kopfe, wirkte er einigermaßen wohlhabend. Er trug rote Strümpfe und Schuhe mit Stahlschnallen.
Man erzählte sich, daß er sehr reich, geizig und unduldsam sei.
Angélique ließ ihren Blick über die bäuerlichen, von dem alles durchdringenden Mehlstaub samtartig überzogenen Möbel wandern. In einer Ecke waren Säcke übereinandergeschichtet, und man atmete den Duft des Weizens. Die Unveränderlichkeit dieses Bildes ließ sie lächeln. Dann trat sie in die Tür und sagte:
»Ich bin’s, Valentin ... Guten Tag.«
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