»Ich hoffe, du hast diese schlechte Gewohnheit aufgegeben.«
»Das«, sagte Flipot, »ist eine andere Sache. Ich muß schon auf meine Hand aufpassen. Schließlich hab’ ich mein Meisterstück gemacht, und wovon hätte ich während der ganzen Reise leben sollen? ... Aber wenn man nur dieses Handwerk zum Leben hat, wird’s bald riskant. Am Hof der Wunder gab’s einen Alten, ich glaube, es war der Vater Hurlurot, der uns jeden Morgen sagte: >Denkt dran, Kinder, daß ihr geboren seid, um gehängt zu werden.< Mir hat’s nicht gefallen, und es gefällt mir noch immer nicht. Von Zeit zu Zeit ein kleiner Rückfall, das geht noch an, aber ich ziehe es vor, in Eurem Dienst zu bleiben.«
»Wenn es so ist, behalte ich dich gern, Flipot. Wir beide haben genug gemeinsame Erinnerungen .«
Am gleichen Abend noch erschien ein Hausierer im Schloß. Eine Dienerin benachrichtigte Angélique, daß ein Mann sie im Auftrag »ihres Bruders Gontran« zu sprechen wünsche. Sie fühlte sich erblassen und ließ sich den Namen mehrmals wiederholen. Der Mann kniete in der Küche vor seinem aufgeknüpften Bündel, das der Begehrlichkeit der Dienstboten seine Kramwaren darbot: Bänder, Nadeln, grellbunte Bilder, Medikamente. Er führte auch eine ganze Malerausrüstung mit sich.
»Habt Ihr wirklich gesagt, Ihr kämt im Auftrag meines Bruders Gontran?« fragte Angélique.
»Ja, Frau Marquise. Euer Bruder, der zu unserer Zunft gehört, hat mich beauftragt, Euch etwas zu bringen, was er mir anvertraute, als ich zu meiner Tour durch Frankreich aufbrach. Er sagte mir: >Wenn du ins Poitou kommst, geh zum Schloß Plessis-Bellière in der Gegend von Fontenay. Wende dich an die Schloßherrin und übergib ihr dies von ihrem Bruder Gontran.<«
»Wie lange habt Ihr meinen Bruder nicht gesehen?«
»Seit mehr als einem Jahr.«
Alles erklärte sich. Während er von seiner Rundreise durch die Landschaften der Bourgogne, der Provence, des Roussillon, von seinen langen Aufenthalten in den Pyrenäen und an den Ufern des meergrünen Ozeans erzählte, kramte er in einer ledernen Satteltasche und zog eine sorgfältig in öldurchtränkte Leinwand gewickelte Rolle heraus.
Angélique nahm sie. Sie mahnte ihre Leute, gut für den Hausierer zu sorgen, und versicherte ihm, daß er so lange, wie er nur wolle, unter ihrem Dach bleiben könne.
In ihrem Zimmer zog sie aus der Umhüllung eine Leinwand, die ihr, nachdem sie sie entrollt hatte, die wunderbar lebendigen Porträts ihrer drei Söhne zeigte. Im Vordergrund stand Cantor mit seiner Gitarre, in einem Kostüm, dessen Grün sich in seinen Augen wiederholte. Der Maler hatte deren besonderen, zugleich nachdenklichen und amüsierten Ausdruck wiederzugeben vermocht. Er war es, der verschollene Sohn, und solche Vitalität ging von seinem Wesen aus, daß man an seinen Tod nicht glauben wollte. »Ich werde immer leben«, schien er zu versichern.
Florimond war in Rot. Gontran hatte ihm - durch welche Voraussicht? - das Jünglingsgesicht gegeben, das ihm heute eignete: fein gemeißelt, intelligent, voller Leidenschaft. Sein schwarzes Haar setzte einen dunklen Ton in die Lebhaftigkeit der Farben dieses bezaubernden Werks und betonte die Grüns und Rots, die kindlich-rosigen Gesichter und das seidige Gold der Locken des kleinen Charles-Henri. Er befand sich zwischen seinen älteren Brüdern, ein Baby noch in langem, weißem Kleidchen, einem Engel ähnlich. Er streckte seine rundlichen Hände aus, um die Arme Cantors und Florimonds zu berühren, aber die beiden schienen es nicht zu bemerken. Die ein wenig starre Anordnung der Gestalten hatte etwas Symbolisches an sich, das Angéliques Herz zusammenzog, als ob der Maler - wer würde jemals von den unergründlichen Vorahnungen dieser Künstlerseele wissen? - die verschiedenen Herkünfte der Dargestellten hätte unterstreichen wollen: vorn die beiden Ältesten, die Söhne des Grafen de Peyrac, kühn und wie erhellt von einem Funken Leben, der Jüngste, Sohn des Marschalls Philippe du Plessis, ein wenig hinter ihnen, köstlich schön, aber allein.
Dieses Eindrucks wegen, der sie bedrückte, ließ Angélique ihren Blick auf dem Abbild des Kleinsten ruhen. »Ich weiß, wem er ähnelt«, dachte sie plötzlich. »Meiner Schwester Madelon!« Und dennoch war es das Porträt Charles-Henris. Feinheiten eines inspirierten Pinselstrichs, die einer unbewegten Vision die bewegenden Nuancen des Lebens verliehen. Die Hand, die diesen Pinsel gehalten hatte, war leblos zurückgesunken. Tod. Leben. Zerstörung und Dauer. Vergessen ... Wiederauferstehung ...
Vor diesem Bild glaubte Angélique wie im Drehen eines Prismas, wie im Ziehen der Wolken über das Land die wechselnden, düsteren und strahlenden Aspekte ihres Lebens zu sehen und zu ahnen, daß mancherlei ihr noch verborgen blieb.
Florimond hatte keine Fragen gestellt. Die Anwesenheit der Soldaten im Park und des Kapitäns in den Räumen seiner Mutter hatte er ohne jede Bemerkung hingenommen.
Seit der Nacht, in der die Leute von Plessis ihn bedroht hatten, war Montadours Verhalten zu einer Mischung von ohnmächtiger Wut, entfesselter Arroganz und düsterem Brüten geworden. Er verschwand ganze Tage, seinen Leutnant als Wachhabenden im Schloß zurücklassend, um nach Hugenotten zu jagen. Doch das Wild verschwand in den Wäldern, und zuweilen fand man Leichen von Dragonern längs der Wege. Dann hängte Montadour den ersten Bauern, der ihm in die Quere kam, auf, und oftmals stellte es sich heraus, daß es ein Katholik war. Wo er ging und stand, stieß er auf Drohungen.
Oft war er betrunken. Dann machten sich seine dunklen Ängste, dem ihn peinigend bedrängenden Verlangen eng verbunden, in wüsten, polternden Zornausbrüchen Luft, während er durch die Halle taumelte und wild mit seinem Degen auf den Marmor des Treppengeländers und das vergoldete Holz der Rahmen einschlug, aus denen die Vorfahren der Plessis-Bellière mit hochmütiger Bestürzung auf das Treiben des dickbäuchigen Trunkenbolds blickten. Seine Männer mieden ihn, wenn er sich in diesem Zustand befand. Er witterte hinter den Türspalten die lauernden Augen der Dienerschaft, und manchmal hörte er in seinem Delirium das perlende Lachen des kleinen Charles-Henri, dem Barbe das amüsante Schauspiel zeigte. Dann brach er in Verwünschungen aus. Man hatte ihn verlassen. Er war Dämonen und einer Hexe ausgeliefert. Er jammerte über sein Schicksal, bis sein Zorn wieder überhandnahm.
»Hure!« brüllte er, den vagen Blick zur Höhe der Treppe erhoben, deren unterste Stufen er vergeblich zu ersteigen suchte. »Ich weiß, daß du nachts durch den Wald streichst ... du suchst deinen Bock!«
Angélique war nur halb beruhigt. Woher wußte er, daß sie nachts in den Wald ging? Das Geschwätz des Kapitäns mündete in wirre Anklagen, in denen von einer Hirschkuh und von Zauberei die Rede war .
Als er eines Tages wieder durch die Halle schrie, spürte er einen heftigen Stich in die Kehrseite und gewahrte, herumfahrend, Florimond, der ihm ohne Umschweife seinen Degen in eine fleischige Körperpartie bohrte.
»Sollte es meine Mutter sein, an die Ihr Eure Worte richtet, Kapitän?« fragte er. »Wenn ja, werdet Ihr mir Rechenschaft geben müssen.«
Montadour fluchte und versuchte sich gegen den flinken Degen zu verteidigen. Sein umnebelter Blick vermochte nur eine dichte schwarze Mähne zu erkennen, die bald hier, bald dort vor ihm auftauchte. Das Junge der Wölfin! Er verspürte einen Schmerz an der Hand und ließ seine Waffe fallen, während er seine Leute zu Hilfe rief. Sie stürzten herbei.
Florimond entfloh, indem er ihnen eine Nase drehte.
Verbunden und ernüchtert, schwor Montadour, daß er sie alle ausrotten würde. Aber er mußte das Eintreffen weiterer Verstärkungen abwarten. Die Lage wurde kritisch für ihn. Er war von der Hauptmacht abgeschnitten, und seine Briefe an Monsieur de Marillac mußten abgefangen worden sein.
Von dieser Einmischung abgesehen, schien Flori-mond keine sehr klare Vorstellung von der Situation zu haben. Mit seinem Stallmeister und seinem Erzieher focht er endlose Duelle aus, jagte Eichhörnchen und verschwand stundenlang, ohne zu sagen, wohin. Mit Charles-Henri auf den Schultern galoppierte er durch die Flure. Es klang seltsam, dieses helle Gelächter. Er sattelte sein Pferd, nahm Charles-Henri in den Sattel und ritt davon, ohne sich um den Posten zu kümmern, der ihn aufzuhalten versuchte und schließlich passieren ließ, da er nicht recht wußte, was er gegen diesen jungen katholischen Herrn unternehmen sollte. Eines Tages überraschte Angélique Florimond in einem Winkel des Salons; Charles-Henri saß in der Haltung eines Fragen erwartenden Schülers vor ihm. Der Ältere schüttelte aus kleinen, etikettierten Tüten Pulver in die vor ihm stehenden Teller.
»Wie nennt sich diese gelbe Materie?«
»Schwefel.«
»Und diese graue?«
»Chilesalpeter in kristallinischer Form.«
»Ausgezeichnet, Monsieur. Ich sehe, daß Ihr aufpaßt. Und dieses schwarze Pulver?«
»Das ist Holzkohle, die du durch Seide gesiebt hast.«
»Sehr gut, aber Ihr dürft Euren Lehrer nicht duzen.«
Eines Abends, die Dunkelheit war schon hereingebrochen, war nahe der Freitreppe eine Detonation zu vernehmen, etwas Glänzendes schoß in die Nacht und fiel in einer sprühenden Garbe auf den Rasen zurück. Die Soldaten riefen »Alarm!« und stürzten zu ihren Waffen. Montadour war abwesend. Fenster öffneten sich. Man fand Florimond mit rußgeschwärztem Gesicht und Händen vor einem seltsamen Apparat eigener Herstellung und neben ihm Charles-Henri in langem Nachthemd, hochbegeistert über die Rakete, die seinem »Lehrer« so prächtig gelungen war.
Das Gelächter war allgemein, selbst die Soldaten beteiligten sich. Angélique lachte, wie sie seit langem nicht gelacht hatte; es erleichterte ihr das Herz und trieb ihr Tränen in die Augen.
»Ach, ihr Knirpse!« seufzte Barbe. »Man kommt in eurer Gesellschaft nicht zur Ruhe.«
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