»Florimond!« sagte Angélique.

Sie wiederholte versteinert:

». Florimond! Der Abbé de Lesdiguière!«

Sie näherten sich ihr lächelnd.

Florimond beugte das Knie und küßte die Hand seiner Mutter. Der Abbé folgte seinem Beispiel.

»Aber wieso .? Wer .? Wie ist das möglich? Dein Onkel hatte mir geschrieben .«

Fragen drängten sich auf ihren Lippen. Ihrer Überraschung folgte Betroffenheit.

Der Abbé erklärte, daß er von der Rückkehr Madame du Plessis’ nach Frankreich zu spät erfahren habe. Er habe noch einige Verpflichtungen gegen den Marschall de la Force zu erfüllen gehabt, bei dem er nach ihrer Abreise als Hilfs-Almosenier in Dienst getreten sei. Sobald als möglich habe er sich dann auf den Weg gemacht und seine Reise in Clermond unterbrochen, um in der Jesuitenschule nach Florimond zu sehen. Pater Raymond de Sancé habe sich beeilt, ihm den einstigen Schüler erneut anzuvertrauen, glücklich, wie er sagte, für seinen Neffen einen Reisebegleiter gefunden zu haben, da dieser eben im Begriff gewesen sei, allein ins Poitou zurückzukehren.

»Aber wieso ... wieso?« wiederholte Angélique. »Mein Bruder hatte mir geschrieben, daß .«

Der Abbé de Lesdiguière senkte verwirrt seine langen Wimpern.

»Ich glaubte zu verstehen, daß Florimonds Eifer nicht befriedigt hat«, murmelte er, »daß man ihn zurückschicken wollte.«

Angéliques Blick glitt von dem liebenswürdigen Gesicht des jungen Abbé zu dem ihres Sohns.

Sie hatte Mühe, ihn wiederzuerkennen.

Dennoch war er es. Aber in die Höhe geschossen und unter der schwarzen Jacke des Kollegienschülers mager wie ein Nagel. Seine Taille, von einem Gürtel umschlossen, an dem ein Tintenhorn und ein Federetui hingen, war zierlich wie die einer Frau. Zwölf Jahre! Er würde ihr bald bis zur Schulter reichen. Die Bewegung, mit der er eine Locke seines langen Haars zurückwarf, die ihn störte - eine ungezwungene Bewegung, die keinerlei Zerknirschung verriet -, ließ sie begreifen, weshalb sie sein Anblick aus der Fassung brachte: er begann mehr und mehr seinem Vater zu ähneln. Seine kindlichen Züge ließen schon das klare Profil erkennen, die Linien der leicht eingefallenen Wangen, die vollen, spöttischen Lippen - das Gesicht Joffrey de Peyracs ohne das verunstaltende Mal der Narbe. Auch schien Florimond dichtes, tiefschwarzes Haar noch an Fülle gewonnen zu haben, und in seinen Augen glitzerte eine muntere Ironie, die seine gesittete Haltung widerlegte.

Was war geschehen? Sie hatte ihn nicht umarmt, hatte ihn nicht an ihr Herz gedrückt. Aber auch er war ihr nicht wie früher um den Hals gefallen.

»Ihr seid noch staubig von der Reise«, sagte sie. »Ihr müßt müde sein.«

»Sagen wir: erschöpft«, erwiderte der Abbé. »Wir haben uns verirrt und mußten wenigstens zwanzig Meilen mehr zurücklegen. Wir wollten den bewaffneten Banden aus dem Wege gehen, die das Land durchstreifen. In der Gegend von Champdeniers wurden wir von Hugenotten angehalten. Mein geistliches Gewand gefiel ihnen nicht. Florimond beruhigte sie, indem er Euren Namen nannte, worauf sie uns passieren ließen. Danach fielen Barfüßler über uns her, die es ganz schlicht auf unsere Börsen abgesehen hatten. Zum Glück hatte ich meinen Degen zur Hand ...

- Die Provinz schien mir sehr unruhig .«

»Kommt zum Essen«, mahnte sie, ein wenig ihre Fassung zurückgewinnend.

Die Diener beeilten sich, glücklich, den Jungen, der mit seinem Bruder Cantor so lange in Plessis gewohnt hatte, wieder in ihrer Mitte zu wissen. Früchte und Milchspeisen wurden gebracht.

»Vielleicht seid Ihr erstaunt, mich den Degen tragen zu sehen«, nahm der Abbé, dessen gepflegte, sanfte Stimme ihr fast ein wenig unwirklich schien, das Gespräch wieder auf, »aber Monsieur de la Force konnte es nicht ertragen, einen Edelmann, auch wenn er Priester war, ohne Degen zu sehen. Er erhielt vom Erzbischof von Paris das Recht, seine adligen Almoseniere den Degen tragen zu lassen.«

Auf feine Manier mit dem Löffel aus vergoldetem Silber hantierend, berichtete er weiter, daß der Marschall auch während der Feldzüge täglich die Messe mit dem gleichen Pomp wie in seiner Schloßkapelle habe hören wollen. Das habe zuweilen pittoreske Situationen ergeben, wenn der Almosenier unter den Mauern einer belagerten Stadt Gottesdienst hielt und die Weihrauchwolken sich mit dem Pulverdampf der ersten Kanonenschüsse mischten. »Die Bundeslade unter den Mauern Jerichos«, pflegte der Marschall entzückt zu sagen. Das also war der Herr gewesen, dem der Abbé de Lesdiguière in Abwesenheit derjenigen gedient hatte, von der er sich für immer getrennt glaubte und die er nun mit einem Glücksgefühl, das er nicht auszudrücken vermochte, wiederfand.

Während die beiden Ankömmlinge sich stärkten, trat Angélique in die Fensternische, um die Botschaft Pater de Sancés zu lesen, die ihr der Erzieher ihres Sohns überbracht hatte. Der Jesuit schrieb in ihr von Florimond. Der Junge sei auf ihre Bemühungen nicht eingegangen, behauptete er. Geistige Arbeit liebe er nicht, und ihm fehle es im Grunde vielleicht an der nötigen Intelligenz. Er habe die beklagenswerte Gewohnheit gezeigt, sich während der Fechtstunden zu verstecken, um sich mit Globen und astronomischen Instrumenten zu beschäftigen, oder zu Pferd zu verschwinden, wenn der Mathematiklehrer in der Klasse erschienen sei. Kurz, er habe die elementarste schulische Disziplin vermissen lassen und scheine, was das Entmutigendste sei, nicht einmal davon berührt. Die Botschaft endete ohne weitere Erklärungen mit dieser pessimistischen Feststellung. Angélique dachte: »Ich weiß, was es besagen soll«, und die Augen hebend, bemerkte sie, daß das Laub des Parks sich zu verfärben begann und ein Dickicht von Vogelkirschen in wenigen Tagen den dunklen Ton des Blutes angenommen hatte.

Der Herbst war da.

Alle diese Worte dienten nur einem Vorwand. Ohne Erlaubnis des Königs hätte Florimond die Jesuitenschule nicht verlassen dürfen.

Fiebrig vor Erregung, kehrte sie zu ihnen zurück.

»Ihr müßt sofort wieder abreisen«, sagte sie zum Abbé. »Ihr hättet niemals kommen noch Florimond hierherbringen dürfen.«

Die Ankunft Malbrant Schwertstreichs unterbrach den bestürzten Protest des kleinen Geistlichen.

»Nun, Florimond, was habt Ihr mit Eurem guten Degen angefangen? Seid Ihr ebenso eingerostet wie er, während Ihr albernes Zeug habt lernen müssen? Aber wir werden schon wieder in Übung kommen. Hier habe ich drei der schönsten Klingen. Ich habe sie für Euch instand gesetzt. Mir schwante, daß Ihr kommen würdet.«

»Was sagt Ihr da, Madame«, murmelte der Abbé. »Habt Ihr keine Verwendung für meine Fähigkeiten? Ich könnte Florimond Lateinstunden geben und Eurem jüngsten Sohn das Alphabet beibringen. Ich habe die Weihen empfangen und werde jeden Tag in Eurer Kapelle die Messe lesen und Euren Dienern die Beichte abnehmen .«

Er war erschreckend in seiner Ahnungslosigkeit. Die sanften Augen sprachen von der Bewunderung, die er für sie hegte, von den Tränen, die er heimlich vergossen hatte, als er sie für immer verloren glaubte, von der überwältigenden Freude, sie wiedergefunden zu haben.

Sah er nicht, wie sehr sie sich verändert hatte? Daß sie eine Gezeichnete war, vom kalten Hauch der Ungnade umweht?

Spürte er nicht die Drohung der Unruhen, die Spannung des Landes? Entging ihm die Atmosphäre der Sinnlichkeit, des Hasses, des Blutes hier im Schlosse selbst?

»Die Messe? Ihr seid verrückt! Soldaten beschmutzen meine Wohnung. Ich bin gefangen, gedemütigt ... ich bin verflucht!«

Sie hatte mit leiser Stimme gesprochen, fast ohne es zu wissen, ein wenig verstört, den Blick auf die Augen des jungen Mannes mit dem Kindergesicht gerichtet, als wolle sie sich in seine Arglosigkeit flüchten. Eine ernste Leidenschaft leuchtete auf den zarten Zügen des Abbé de Lesdiguière.

»Um so mehr Grund, die Messe zu lesen«, sagte er sanft.

Er nahm eine Hand Angéliques und drückte sie mit Inbrunst, während unendliche Nachsicht seine schönen Augen füllte.

Plötzlich schwach, wandte sie ihren Blick ab und schüttelte mehrere Male den Kopf, wie um sich aus bedrängenden Schleiern zu befreien, dann gab sie nach:

»Nun gut! Bleibt ... und lest Eure Messe, mein kleiner Abbé. Sicher wird es uns allen gut tun.«

Es war die Zeit der Rückkehrer. Zwei Tage später kam Flipot aus Italien, wo er dem Sohn des italienischen Edelmannes, von dem er in Livorno gekauft worden war, die Anfangsgründe des Gassenjargons beigebracht hatte. Auf einem Maultier reitend, hatte er sechs Monate gebraucht, um die Strecke zurückzulegen. Von seinem Dienst in einem prächtigen Palast an der adriatischen Küste brachte er die übertriebenen, geschwätzigen Allüren eines Dieners aus der Komödie mit. Und von seiner Pilgerfahrt über verschneite Alpenpässe und die staubigen Straßen der französischen Provinzen waren ihm eine sonnenverbrannte Haut und breitere Schultern geblieben. Er war ein hübscher, redegewandter Bursche mit spöttischer, verschlagener Miene geworden, der unter den Bettlern des Pont-Neuf an seinem Platze gewesen wäre.

»Wärst du nicht am liebsten nach Paris zurückgekehrt?« fragte ihn Angélique.

»Ich bin dort gewesen, um mich nach Euch zu erkundigen. Als man mir sagte, daß Ihr auf Euren Ländereien wärt, habe ich mich wieder auf die Strümpfe gemacht.«

»Warum bist du nicht in Paris geblieben?« beharrte sie. »Gewitzt, wie du bist, hättest du eine gute Stelle finden können.«

»Ich bin lieber bei Euch, Frau Marquise.«

»Bei mir ist nichts mehr sicher, Flipot. Der König hält mich in Ungnade. Du bist ein Pariser Kind, du wärst dort besser aufgehoben.«

»Wo sollte ich schon hingehen, Frau Marquise?« meinte der einstige Lehrling des Hofs der Wunder mit bekümmerter Miene. »Ihr seid meine ganze Familie. Ihr seid sozusagen meine Mutter gewesen, seitdem Ihr mich in der Tour de Nesle verteidigt habt, wenn sie mich verprügeln wollten. Ich kenne mich. Wenn ich zum Pont-Neuf zurückgehe, werde ich wieder anfangen, Börsen zu stehlen.«