Die Demütigung ließ Angélique den einzigen Pfeil finden, der imstande war, die Selbstgerechtigkeit dieses Fanatikers zu durchdringen.

»Die Frauen? ... Glaubt mir, sie würden die Huldigungen Satans den Euren vorziehen!«

Sie bedauerte ihre Worte, als er sie brutal bei den Armen packte und heftig zu schütteln begann.

»Meine Huldigungen! ... Wer spricht von Huldigungen, gemeines Geschöpf der Sünde, unheilvolle Kreatur!«

Er preßte sie unbeherrscht an sich, und sein glühender Atem fegte über ihr Gesicht. Sie wußte nun, warum sie ihn immer gefürchtet hatte. Unbewußt hatte sie vorausgeahnt, daß er sie töten, daß sie von seiner Hand sterben würde. Er würde sie erwürgen oder erdolchen. Es würde ihm leichtfallen in diesem abgelegenen Winkel des Waldes, und der Opferstein war nahe.

Verzweifelt wehrte sie sich gegen seine Umarmung. Doch allmählich überwältigte sie die Kraft ihres Gegners, und ihre Furcht verlor sich in der aufquellenden Woge eines anderen Gefühls, aus dem das animalische Verlangen des Fleisches, blind und gierig, nicht ausgeschlossen war. Das erotische Fieber, das sich des Mannes bemächtigt zu haben schien, lähmte ihren Widerstand, unterminierte ihren Willen, ihm zu entkommen.

Sie lag auf dem Boden, die Kehle schmerzend vom keuchenden Atmen, die Augen vom Licht des Mondes geblendet, das voll auf ihrem Gesicht lag.

Ihre Bewegungen wurden matt und ziellos.

Sie hatte vergessen, was er war ... wer er war. Ihr Kopf sank zurück, und sie fühlte die Frische der Erde unter ihren nackten Lenden.

Aber während sie sich schon aufgab, weckte ihr jäh von wahnwitzigen Visionen heimgesuchtes Gehirn Halluzinationen in ihr, in denen sich die Hexereien des druidischen Opferplatzes und die Weissagungen der Zauberin mischten.

Sie schrie auf. Mit wildem Aufbäumen entwand sie sich seiner Umklammerung, schnellte über den Boden, sprang auf und warf sich zwischen die Büsche.

Sie lief lange, von ihrem Schrecken vorwärtsgetrieben. Ihr Instinkt ließ sie die dunklen Pfade finden, über die sie während der letzten Monate so oft gegangen war. Sie verirrte sich nicht. Manchmal hielt sie inne, um vor Erschöpfung zu weinen, die Stirn gegen einen Baumstamm gedrückt. Sie war nahe daran, den Wald zu hassen, der unerschütterlich und gleichgültig die Gebete der Mönche, den Psalmengesang der verfolgten Hugenotten, die Untaten der Wilderer, die Paarung der Wölfe und die gottlosen Riten der Zauberinnen in sich verschloß.

Sie war verwundet wie ein Kind, das keine Zuflucht mehr auf dieser Welt besitzt, verwundet durch den Schmerz des Lebens. Die Nacht war noch tief, als sie in die Nähe des Schlosses Plessis gelangte.

Sie stieß zweimal den Ruf des Käuzchens aus, ihre Hände wie selbstverständlich vor den Mund wölbend. Die Diener wachten. Die Antwort kam von der Höhe des Turms.

Malbrant Schwertstreich wartete, einen Lichtstumpf in der Hand, im Keller neben der Pforte des unterirdischen Ganges.

»Ihr könnt es nicht mehr lange so treiben, Madame«, mahnte er. »Nachts den Wald zu durchstreifen - was für ein Wahnsinn! Das nächste Mal werde ich Euch begleiten.«

Der alte Stallmeister mußte die Unordnung ihrer Kleidung und ihres Haars und die kaum verwischten Spuren der Tränen auf ihren Wangen bemerkt haben. Sie nahm sich zusammen und setzte ihr gewohntes Gesicht auf, während sie in ihrem Mantel nach einem Taschentuch suchte.

»Ja, das nächste Mal begleitet Ihr mich, Ihr oder besser La Violette, denn der Wald ist zu feucht für Eure Schmerzen. Obwohl ich nicht allzuviel Vertrauen zu ihm habe«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu. »Aber wem kann man überhaupt vertrauen?«

Aus dem Keller traten sie in die schweigenden Räume des Schlosses. Sie zwang sich zu einem leichten Lächeln.

»Schläft das andere Untier?« fragte sie mit einer Geste in Richtung der Räume, in denen Kapitän Montadour kampierte.

In ihrem Zimmer streifte sie ihre zerrissene Kleidung ab und wusch sich lange. Es schien ihr, als ob die Arme des hugenottischen Anführers noch immer auf ihrem Rücken brannten, als ob seine rauhen, heißen Hände noch immer ihre Haut berührten.

Sie nahm den Krug mit frischem Wasser und übergoß ihren nackten Körper. Dann hüllte sie sich in einen Pudermantel und kämmte die Überbleibsel des Waldbodens aus ihrem Haar.

Auch jetzt fühlte sie sich noch wie zerschlagen. Der Gedanke an das, was ihr in dieser Nacht im Wald geschehen war, verließ sie nicht. Es rief ihr die bittere Erfahrung ins Gedächtnis zurück, die sie dem hysterischen Narren Escrainville verdankte. »Ich glaubte, das Schlimmste erlebt zu haben«, sagte sie sich. Sie kehrte aus dem Waschkabinett in ihr Zimmer zurück und stellte die Kerze vor den Spiegel.

Sich zu ihm neigend, prüfte sie ihr Gesicht und las in ihm die Verwandlung, die die letzten Wochen bewirkt hatten. Ihre Wangen hatten ihr glattes Oval wiedergefunden. Ihre Augen lagen nicht mehr so tief, ihre Lippen waren rosig und frisch wie das Fleisch wilder Erdbeeren.

Nur unter den Backenknochen lag ein Schatten, den das Leid zurückgelassen hatte und der diesem Gesicht, das lange Zeit einem sehr jungen Mädchen zu gehören schien, die stolze Maske der Reife verlieh.

Nicht mehr Favoritin. Königin.

»Und wenn das Schlimmste darin bestände weiterzuleben?«

Sie wollte dämpfen, was es in seinem Ausdruck an Ungebändigtem gab. Wie würde dieses neue Gesicht unter der Schminke von Versailles aussehen?

Sie öffnete ihren Toilettentisch und entnahm ihm ihre Crèmes und Puder, die sie in Onyxtöpfchen verwahrte. Daneben stand ein Kästchen aus perlmutterverziertem Sandelholz, das sie näher zog und mechanisch öffnete, um aus den in ihm versammelten Reliquien die Phasen ihres Ungewissen Lebens wiederauferstehen zu sehen: eine Feder des Schmutzpoeten, der Dolch Rodogones des Ägypters, das Holzei des kleinen Cantor, der Halsschmuck der Frauen der Plessis-Bellière, den sie nicht tragen konnten, »ohne sofort an Krieg oder Aufruhr zu denken« ... Zwei Türkise Seite an Seite, der des Fürsten Bachtiari Bey und der Osman Ferradjis ... »Fürchte nichts, Firouzé, denn die Sterne erzählen . die schönste Geschichte der Welt .« Nur der goldene Ring ihrer ersten Ehe fehlte, den sie am Hof der Wunder verloren hatte. Vermutlich hatte der Bettler Nicolas ihn ihr eines Nachts gestohlen, während sie schlief.

Es war ein harter Weg für sie gewesen, über Höhen und durch Abgründe, seitdem der Wille des Königs sie in eine Witwe ohne Namen, ohne Recht und Zuflucht verwandelt hatte. Sie war damals erst zwanzig gewesen. Später, nach ihrer Heirat mit Philippe bis zu ihrer Abreise nach Kandia, hatte die im Strahlenglanz des Hofes verlebten Jahre eine Zeit des Friedens für sie gebracht. War es wirklich Friede gewesen? Ja, wenn man das triumphale, über das Maß hinaus erfüllte Dasein der von Fest zu Fest eilenden großen Dame betrachtete. Nein, wenn sie sich der Intrigen erinnerte, in die man sie verstrickt, der Fußangeln, die man ihr gelegt hatte. Aber damals war sie wenigstens der herkömmlichen Regel gefolgt, hatte sie zu den Mächtigen dieser Welt gehört.

Der Bruch mit dem König hatte sie in das Chaos zurückgeschleudert. Was hatte der große Magier Osman Ferradji ihr noch gesagt?

»Die Kraft, die der Schöpfer in dich gelegt hat, wird es nicht zulassen, daß du innehältst, bevor du den Ort erreicht hast, der dir bestimmt ist.«

»Welcher Ort ist es, Osman Bey?«

»Ich weiß es nicht. Aber solange du ihn nicht erreicht hast, wirst du alles auf deinem Wege verwüsten, sogar dein eigenes Leben .«

Sie würde Samuel de La Morinière wiedersehen. Es war nicht zu umgehen. Sie begann sich Vorwürfe zu machen, gereizt durch die ungesunde Verwirrung, die nicht von ihr wich und die sie in seiner Gegenwart von neuem beherrschen würde. Dieser Mensch war wenigstens zwanzig Jahre älter als sie, ein Ketzer ohne Geist, düster und grausam. Aber er bedrängte sie, und sie fragte sich neugierig, ob er wirklich jene anomale Kraft besaß, die sie so sehr erschreckt hatte. Wenn sie an gewisse Momente ihres Kampfes dachte, schnürte sich ihr die Kehle zu.

Mit den Fingerspitzen entnahm sie einem Töpfchen rosigen Crème und begann, leicht ihre Schläfen zu massieren. Der Spiegel sandte ihr, klar wie ein Waldsee, das Leuchten ihres Haars zurück. Aus ihm wuchs eine Ungewisse, schwankende Form, drohend wie ein Alptraum, in deren Mitte nach und nach ein rotes Licht aufglomm: der Schnurrbart des Kapitäns Montadour.

Er war zu ihrem Zimmer geschlichen, hatte den Knauf ihrer Tür gedreht und zu seiner Überraschung keinen Widerstand gefunden. Erschrocken nach einem ersten Aufwallen des Triumphs, ein wenig keuchend, hatte er sich vorgeneigt, um das Halbdunkel zu durchforschen, in dem nur eine einzige Kerze brannte. Er hatte Angélique vor ihrem Spiegel entdeckt.

War sie dabei, sich in eine Hirschkuh zu verwandeln?

Der durchsichtige Pudermantel enthüllte ihre vollkommenen Formen. Ihr gelöstes Haar wellte sich auf den Schultern zu einem von warmen Reflexen überspielten Gehäuse. Sie neigte ein wenig den Kopf, und ihre Finger ließen auf ihren Wangen köstliche rosige Blumen erblühen.

Er hatte sich ihr genähert.

Versteinert wandte sie sich um. »Ihr?«

»Habt Ihr nicht die Güte gehabt, Eure Tür offen zu lassen, meine Schöne?«

Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und sein um Jovialität bemühtes Lächeln ließ seine Augen fast hinter den roten Kugeln seiner Wangen verschwinden. Er roch nach Wein, und seine ausgestreckten Hände zitterten.

»Ihr habt mich doch genug schmachten lassen, meine Hübsche. Euch selbst muß ja die Zeit schon lang geworden sein, jung und schön, wie Ihr seid.

Könnten wir beide uns nicht die Zeit ein bißchen angenehm vertreiben?«