In ihrer Jugend hatten sich Angélique und ihre Schwestern oft über den mageren, ungeschickten Jungen mit dem vorstehenden Adamsapfel mokiert, dem sie bei Dorfversammlungen oder auf den Märkten der umliegenden Städtchen begegneten. Mit den Jahren hatte sich der Baron de Cambourg einen langen, trübseligen Schnurrbart, eine immer schwangere Frau und einen Schwarm kleiner, blasser, an seinen Rockschößen hängender Hugenotten angeschafft. Im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Glaubensgenossen war er sehr arm. Die Leute der Gegend sagten, auf seiner Familie laste seit neun Generationen ein Fluch, weil ein Ritter seines Hauses in einem Schloß am Ufer der Sèvre eine schlafende Fee zu umarmen versucht habe. Der Fluch hatte sich, wie zu erwarten war, noch verschärft, als die Cambourgs die Religion Calvins annahmen. Isaac, der letzte dieses Namens, vegetierte im Schatten seines von Efeu überwucherten Turms, und sein einziges Talent wie seine einzige Aufgabe bestand darin, das Horn zu blasen. Es war erstaunlich, welche Atemkraft dieser magere Körper barg. Die ganze Umgebung lud ihn zur Teilnahme an Jagden ein, bei denen er mit seinen weitklingenden, kraftvollen Signalen Jäger, Meute und Wild in Angst und Schrecken zu versetzen wußte.
Seit dem letzten Jahr jedoch waren solche Gelegenheiten selten geworden. Katholische wie protestantische Krautjunker verkrochen sich in ihre Winkel, das Ende der von den Soldaten verursachten Unruhen erwartend. Der Baron de Cambourg hatte der Aufforderung des Herzogs de La Morinière nachkommen müssen. Es war schwierig, dessen Wünschen zu widerstehen.
Angélique begriff es, als sie den Anführer der Hugenotten auf sich zukommen sah, von seinem windgeblähten, schwarzen Mantel umflattert. Hier, gegen den blaugoldenen Hintergrund des Himmels, wirkte er noch eindrucksvoller als in der Düsternis des Schlundes des Riesen. Seine Brüder begleiteten ihn.
An der Grenze des Waldes, auf der Höhe einer jäh abfallenden Felswand gelegen, beherrschte der Ort ihrer Begegnung die Landschaft. Auf diesem mit Ginster bestandenen Stück Erde hatte sich einstmals ein römisches Lager befunden. Der kleine, halb zerfallene, von Asphodelen überblühte Venustempel erinnerte noch daran.
Hatten die zwischen Meer und gallischem Wald kampierenden Römer die Göttin um Erhaltung ihrer Männlichkeit gebeten, da ihre Gegner, die wilden Pikten, im Rufe standen, ihren eigenen Göttern schreckliche Trophäen darzubieten? Nur die Ruinen waren geblieben, ein steinernes, auf zwei Säulen ruhendes Deckenstück, dessen Gesims mit lateinischen Inschriften bedeckt war. In seinem Schatten ließ Angélique sich nieder.
Der Herzog nahm vor ihr auf einem viereckig behauenen Steinblock Platz. Die beiden Brüder hielten sich abseits. Das römische Lager war einer ihrer Treffpunkte. Die hugenottischen Bauern pflegten im Tempel Lebensmittel und Waffen für die Verfolgten zu verstecken. Von hier aus konnte man die Landschaft überblicken und brauchte keinen Angriff zu befürchten.
Der Herzog begann zu sprechen. Er dankte ihr noch einmal für das, was sie für den Genfer Pastor getan hatte. Ihre Geste beweise, daß die Barriere der Glaubensunterschiede durchbrochen werden könne, wenn sich durch Ungerechtigkeit beleidigte Geister verbündeten, um die Macht tyrannischer Herrscher in Schach zu halten. Er wisse, daß sie durch den König viel gelitten habe. Ließ man sie nicht wie eine Gefangene bewachen? Wie war es Madame du Plessis gelungen, sich zu ihnen zu schlagen? Sie erklärte, daß sie einen unterirdischen Gang benutze. Montadour hege keinen Verdacht.
Es war schwierig, dem Herzog nicht zu antworten, wenn er eine Frage stellte. Sein gebietender Ton ließ dem Gesprächspartner keine Möglichkeit auszuweichen. Seine tiefliegenden Augen fixierten sie aufmerksam. Ihr stechendes Funkeln begann sie zu ermüden. Sie wandte den Blick ab und dachte an die Zauberin, die diesen düsteren Diener des Herrn fürchtete.
Für diese Begegnung hatte sie sich in eine ihres Ranges würdige Robe aus dunklem, schwerem Satin gekleidet, und es war gar nicht leicht gewesen, sich mit dem die Taille einschnürenden Korsett und den schweren Falten der drei Röcke durch den engen Gang zu winden. Der Diener La Violette hatte sie begleitet, um ihren Mantel zu tragen. Er hielt sich einige Schritte entfernt, unbeweglich und respektvoll. Es lag in Angéliques Absicht, diese Begegnung mit einiger Förmlichkeit zu umgeben, um mit dem Herzog auf gleichen Fuße sprechen zu können.
Sie saß unter dem von den Jahrhunderten patinier-ten römischen Bogen, unter dem Saum des pflaumenfarbigen Kleids ein wenig vom roten Leder ihrer Schuhe zeigend, während der Wind ihr streng frisiertes Haar nach und nach sanft löste. Sie hörte seine tiefe Stimme. Sie hörte sie mit klopfendem Herzen, von ihr angezogen und dennoch beunruhigt. Es schien ihr, als öffne sich ein Abgrund zu ihren Füßen. Sie mußte mit einem Satz hinunterspringen.
»Was wollt Ihr von mir, Monsieur?«
»Daß wir ein Bündnis schließen. Ihr seid katholisch, ich bin reformiert, doch wir können uns verbünden. Ein Bündnis der Verfolgten, der freien Geister ... Montadour lebt unter Eurem Dach. Spioniert ihn aus, unterrichtet Euch ... Und dann, Eure katholischen Bauern .«
Er beugt sich vor und dämpfte seine Stimme, um sie desto besser mit seinem gebieterischen Willen durchdringen zu können.
»Macht ihnen verständlich, daß sie auf der Seite unserer Bauern stehen, im Poitou geboren wie sie, daß der Soldat des Königs, der ihre Ernten stiehlt, ihr gemeinsamer Feind ist . Erinnert sie an die Steuereinnehmer, die Sonderbesteuerung des gemeinen Mannes, das Kopfgeld. Lebten sie nicht besser unter der Gerichtsbarkeit ihrer eigenen Herren, statt für einen fernen König zu schuften, der sie belohnt, indem er ihnen Armeen von Ausländern schickt, die sie ernähren müssen?«
Seine in ledernen Handschuhen - Falknerhandschuhen - steckenden Hände stützten sich auf seine massiven Schenkel, während er vorgebeugt zu ihr sprach und ihren Blick in den seinen zwang. Er flößte ihr seinen tiefen Glauben an ein verzweifeltes Abenteuer ein, das wie das letzte Aufbäumen eines geknebelten Riesen gegen seine Fesseln war. Sie sah das große Bauernvolk, aus dem auch sie hervorgegangen war, sich in übermenschlicher Anstrengung erheben, um der tödlichen Lähmung der Unterjochung durch jenen Herrn zu entrinnen, der einstmals nur die Ile de France beherrscht hatte. Die letzten, in den Felsschründen des Forstes verborgenen Vorräte verschlungen von der Vergnügungssucht Versailles’, von endlosen Kriegen an den Grenzen Lothringens oder der Pikardie, die großen Herren des Poitou gezähmt, dem König Hemd oder Leuchter reichend, während ihre Güter unehrlichen Verwaltern überlassen blieben und andere verarmt auf ihren Ländereien lebten, die ihnen der Fiskus Stück für Stück entriß, verächtlich auf ihre Besitzer herabsehend, die es nicht verstanden, ihrem Herrn zu gefallen. Und heute der Ruin, der Hunger, lautlos gleitend wie eine Natter, bewirkt durch den gierigen Zugriff einer gegen alle Gerechtigkeit und Vernunft ins Land geschickten Armee, die diejenigen zur Verzweiflung trieb, die den Weizen wachsen ließen, über die Weiden wachten und die Frucht ernteten, die Bauern mit den schwieligen Händen und breitkrempigen, dunklen Hüten, ob sie nun hugenottisch waren oder katholisch .
All das war ihr bekannt. Sie lauschte angespannt. Der Wind war kühler geworden. Sie zitterte, während sie eine Strähne beiseite schob, die ihr immer wieder in die Stirn wehte. La Violette trat näher und reichte ihr den Mantel. Sie hüllte sich mit einer leidenschaftlichen Bewegung in ihn. Plötzlich hob sie den Kopf und rief mit einem gequälten Blick auf Samuel de La Morinière: »Ja, ich werde Euch helfen. Aber dann ... dann muß Euer Krieg offen und schrecklich sein. Was erhofft Ihr Euch vom Beten in den Schluchten? Ihr müßt Städte erobern, Straßen sperren, Ihr müßt aus der Provinz eine Festung machen, bevor sie noch Zeit finden, Verstärkungen zu schicken. Von Süden nach Norden müßt Ihr reiten, um alle Ausgänge zu schließen. Auch die Nachbarprovinzen müssen angesteckt werden: Normandie, Bretagne, Saintonge, Berri ...
Eines Tages muß der König mit Euch wie mit einem anderen König verhandeln, Ihr müßt ihn zwingen, Eure Bedingungen anzunehmen .«
Der Herzog de La Morinière fühlte sich von ihrer Heftigkeit durchschüttelt. Er richtete sich auf. Sein Gesicht färbte sich dunkel, und seine Augen schossen Blitze. Er war es nicht gewohnt, eine Frau in diesem Ton zu ihm sprechen zu hören. Aber er bezwang sich. Er blieb einen Augenblick stumm, zerrte nur an den Spitzen seines Bartes. Er hatte soeben entdeckt, daß er auf die ungezügelte Kraft dieses Geschöpfes zählen konnte, das ihm bisher unbedeutend wie alle Frauen erschienen war. Aber er erinnerte sich der Maximen eines seiner Onkel, der in der Umgebung Richelieus gedient und mitangesehen hatte, wie raffiniert der Kardinal Frauen in den verschiedensten Angelegenheiten der Spionage und der Politik benutzte. »Die Kraft einer Frau ist doppelt so groß wie die eines Mannes, wenn es darum geht, die Fundamente einer Stadt zu unterminieren ... Auch wenn sie noch so laut beteuern, besiegt zu sein, geben sich Frauen niemals geschlagen. Man braucht feste Handschuhe, um die List einer Frau, die schneidendste aller Waffen, zu führen .« Das hatte Richelieu gesagt.
Er sog tief die Luft ein.
»Ihr habt recht, Madame. Nur um dieses Ziel geht es. Wenn wir nicht entschlossen sind, es zu erreichen, wäre es besser, die Waffen auf der Stelle niederzulegen. Habt Geduld und helft uns. Eines Tages wird es sein, wie Ihr sagt. Ich verbürge mich dafür!«
Es war wie ein Ausbruch von Gewalttaten und blutigen Überfällen, und der Haß auf die roten Dragoner verbreitete sich im Land wie die tausend Verästelungen einer Quelle im Gras einer Wiese. Es begann mit der Entdeckung vier gehängter Dragoner am Kreuzweg der drei Eulen. Jeder trug eine Tafel um den Hals, auf der zu lesen war: Brandstifter - Plünderer - Hunger
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