Angélique versuchte sich die lange Galerie vorzustellen, in der sie sich schwarzgekleidet unter den spitzen, spöttischen Blicken der Höflinge dem sie stehend und mit jener einschüchternd-majestätischen Miene erwartenden König nähern würde, die seinem marmornen Antlitz, seinen düsteren Augen so natürlich war. Der Kniefall, die Worte des Vasalleneides, der Kuß der Unterwerfung . Danach, wenn sie allein vor ihm stehen und er ihr wie einer Feindin begegnen würde - was hatte sie ihm in diesem Duell entgegenzusetzen, das mit allen Mitteln zu gewinnen er entschlossen war?
Sie würde nicht einmal mehr den dummen Stolz der Jugend besitzen, jene aus Unwissenheit geschmiedete Rüstung, die zuweilen gegen den Angriff der Sinne Schutz zu bieten vermag.
Sie hatte zu viele fleischliche Erfahrungen hinter sich, um nicht die geheimen Übereinstimmungen im erotischen Bereich mit allen Abwandlungen zu kennen, und sie wußte, daß sie dem schwebenden Einklang erliegen würde, der die nach dem Joch der Unterwerfung verlangende Frau dem Mann, der sie besiegt, in die Arme treibt.
Zahllose Männerzärtlichkeiten, zahllose Wünsche und Kämpfe um ihren schönen Körper hatten sie bis ins Mark zum Weibe gemacht.
In einem Maße, das sie befähigte, selbst eine köstliche Demütigung zu genießen.
Ludwig XIV., dieser Taktiker des Geistes, mußte sich darüber im klaren sein. Um seine glanzvolle Rebellin an sich zu fesseln, würde er sie mit seinem glühenden Siegel zeichnen, wie man den Parias des Königreichs die königliche Linie einbrannte.
Aus Scham verschwieg sie Molines die Visionen, die sie bedrängten.
»Der König ist kein Dummkopf«, sagte sie mit einem ernüchternden Lachen. »Es läßt sich nur schwer erklären, Molines. Aber ich kann dem König nicht begegnen, ohne daß etwas zwischen uns geschähe ... und das darf nicht sein. Ihr wißt, warum, Molines ... Der Mann, den ich liebte, der mich als Dame seines Herzens erwählte, war der, für den ich bestimmt war. An seiner Seite wäre mein Leben keine Folge von Tagen des Schmerzes und der vergeblichen Erwartung, der an der Wurzel vernichteten Freude, der Angst und schließlich, nach einer kindischen und gefährlichen Illusion, der bitteren Erkenntnis gewesen, daß es Dinge gibt, die sich nicht mehr wiedergutmachen lassen. Ob er tot ist oder lebt - er hat eine andere Straße als die meine eingeschlagen. Er hat andere Frauen geliebt, wie ich andere Männer geliebt habe. Wir haben uns verraten. Unser gemeinsames Leben, kaum begonnen, wurde auf immer zerstört
- durch die Hand des Königs, Ich kann nicht verzeihen. Ich kann nicht vergessen . Ich darf nicht, es wäre der schlimmste Verrat, der mir auch die letzten Hoffnungen nähme.«
»Welche Hoffnungen?« fragte er schneidend.
Sie fuhr sich verwirrt mit der Hand über die Stirn.
»Ich weiß nicht ... Eine Hoffnung trotz allem, die nicht sterben will. Übrigens .«
Lebhaft fuhr sie fort: ». übrigens habt Ihr von meinem Vorteil gesprochen ... Glaubt Ihr, er bestehe darin, zurückzukehren und meinen Becher den Giften der Montespan hinzuhalten? Ihr wißt doch, daß sie versuchte, mich und auch Florimond ermorden zu lassen?«
»Ihr seid stark und geschickt genug, Madame, um ihr Trotz zu bieten. Man sagt bereits, daß ihr Einfluß erschüttert sei. Der König ist ihrer Boshaftigkeit müde. Man hört, daß er sich in langen Unterhaltungen mit Madame Scarron, einer anderen gefährlichen Intrigantin, gefällt, leider einer einstigen Reformierten. Mit dem Eifer des Konvertiten ermuntert sie ihn, einen dummen und fruchtlosen Kampf gegen ihre einstigen Glaubensgenossen zu führen.«
»Madame Scarron?« rief Angélique verdutzt. »Ist sie nicht die Erzieherin seiner Kinder?«
»Gewiß. Der König interessiert sich nichtsdestoweniger für ihre Unterhaltung, die ihre Reize haben muß.«
Angélique zuckte die Schultern. Dann erinnerte sie sich, daß die arme Françoise zur angesehenen Familie der Aubigne gehörte und daß die vornehmen Herren, die vergebens auf ihre Not spekuliert hatten, um ihre Gunst zu erlangen, sie mit einer Mischung aus Bewunderung und Groll »die schöne Indianerin« nannten ... Sie erinnerte sich auch, daß sie Maître Molines selten bei leerem Geschwätz erwischt hatte. Mit Nachdruck fügte er hinzu:
»Ich sage das, um Euch begreiflich zu machen, daß Madame de Montespan nicht mehr so fest im Sattel sitzt, wie man glauben könnte. Ihr hieltet sie schon in Schach, als sie in ihrem Zenit stand. Sie gänzlich zu stürzen, wäre heute ein Kinderspiel .«
»Sich verkaufen«, murmelte Angélique, »kaufen, jenen unerbittlichen, unterirdischen Kampf führen, den ich nur allzugut kenne . Ah, ich ziehe einen anderen vor«, rief sie, während es in ihren Augen plötzlich zu funkeln begann. »Wenn es unbedingt nötig ist zu kämpfen, dann am hellen Tag, auf meinem Land . Nur dieses eine scheint mir wirklich in all dem Chaos: hier zu sein. Es tut mir wohl und weh zugleich. Weh, weil ich daran ermessen kann, daß ich gescheitert bin. Wohl, weil ich mich unendlich danach gesehnt habe, meine Heimat wiederzusehen.
Ja, ich habe sie wiedersehen müssen. Es ist seltsam, aber mir scheint, daß es mir schon an dem Tage, an dem ich zum erstenmal Monteloup verließ - Ihr erinnert Euch, Molines, ich war siebzehn, und die Wagen des Grafen de Peyrac entführten mich gen Süden -, bestimmt war, nach einem langen Umweg ins Land meiner Kindheit zurückzukehren, um dort meine letzte Karte auszuspielen .«
Die Worte, die sie ausgesprochen hatte, ließen sie von neuem bestürzt und unruhig innehalten, und sie verließ Molines, um langsam die Treppe zum Turm hinaufzusteigen, von dessen Höhe sich ihr Blick im Dunst des Horizonts verlieren konnte, während sie ihre Pläne überdachte. Bildete der dickwanstige Montadour, dessen schwerfällige Gestalt sie unten auf dem sandigen Vorplatz bemerkte, sich etwa ein, daß sie während des Frühlings und Sommers hinter den Schloßmauern bleiben und geduldig auf den Herbst und die Leute des Königs warten würde, die sie verhaften und in ein anderes Gefängnis schaffen sollten?
Wenn sie es heute nicht wagte, in ihren eigenen Garten hinabzusteigen, dann nur, weil sie wußte, daß sie zu gegebener Zeit nach ihrem Belieben in den Wald laufen konnte, ohne daß der dicke Wächter mit dem feuerfarbenen Schnurrbart jemals davon erfahren würde. Er würde weiter wichtigtuerisch über das verzauberte Schloß herrschen, aus dem die Prinzessin entflohen war.
Dummkopf, der nichts vom Leben der Felder kannte und der nicht wußte, daß ein Dachsbau immer zwei Ausgänge hatte. Wenn der Tag gekommen war und kein anderer Ausweg blieb, würde sie sich in die Wildnis flüchten.
Aber bevor sie sich in eine Verfolgte verwandelte, die sich mit Laub tarnte, um sich den Augen des Jägers zu verbergen, würde sie alles in die Waagschale werfen müssen.
»Meine letzte Karte .«
Diesmal ihre Freiheit zu erobern, würde noch schwieriger sein als dem Harem Moulay Ismaëls zu entfliehen. Damals hatte ihr ihre Weiblichkeit gute Dienste geleistet. In die Schatten zu entkommen, der Nacht, der Stille Vertrauen zu schenken, die Verteidigungsmittel der wehrlosen Tiere zu übernehmen, die in ihren Verstecken mit der Farbe der Erde verschmelzen, den Beistand der Natur für sich zu fordern - das waren Listen, die diesmal nicht zum Ziel führen würden.
Eine so dicht gewobene, solide Macht wie die des Königs von Frankreich zu brechen, erforderte den Eklat, den Lärm, den Trotz der offenen Herausforderung, eine männliche, zu allem entschlossene Kraft.
Die Trompeten von Jericho würden nicht genügen. Wo in diesem einem einzigen Herrn unterworfenen Königreich war der zu finden, der das Schwert der Rebellion erhob?
Ihrer Welt, ihrem Rang, ihren Standesgenossen wiedergegeben, wurde es Madame du Plessis-Bel-lière klar, daß sie keine Freunde besaß. Keinerlei Bereitwilligkeit zur Beteiligung, die Freundschaft, Leidenschaft oder zumindest doch gemeinsamer Ehrgeiz hätte bewirken können, war zu erhoffen. Mit welcher Geschicklichkeit hatte es dieser junge König verstanden, die Ehrerbietung aller auf sich zu ziehen! Nicht einer der stolzen Herrn, der sich nicht vor ihm neigte. Sie rief sich ihre Namen wie die von Gespenstern ins Gedächtnis: Brienne, Cavois, Louvois, Saint-Aignan ... Lauzun war im Gefängnis. Er würde noch Jahre dort bleiben, würde es gealtert und freudlos verlassen .
Auf der schmalen, von einer Brüstung aus weißem Stein umrundeten Plattform stehend, befragte Angélique den Horizont.
»Wirst du mich behüten, mein Land?«
Der Schiefer der spitzen Türmchen glänzte unter der sengenden Sonne wie spiegelndes Metall. Aber der von den Sümpfen her wehende Wind trug feuchten Hauch herauf und ließ die Wetterfahnen knarren. Im reinen Himmel zog ein Falke mit weit ausgebreiteten Flügeln seine Kreise.
Der Wald begann hinter Plessis, Davor breitete sich das Grün des Parks und der Felder, und zur Linken, sehr fern, wie schwebend zwischen Himmel und Erde, halb Wolke, halb Traum, erstreckten sich die Sümpfe des Poitou.
Von ihrem Turm aus vermochte Angélique kein Lebenszeichen zu erkennen. Denn diese Wildnis mit ihren im Schatten der Baume sich verbergenden Feldern bot dem sie betrachtenden Auge den stetigen Anblick wogender, lichtglänzender Laubkronen, der auch den Wald kennzeichnete. Dort, wo das ländliche Leben sich am tätigsten regte - in den von Kastanien überwölbten Meiereien und den verlorenen Dörfern, deren Glockengeläut die dichte Wand der Bäume nicht zu durchdringen vermochte -, sah man nur eine grüne, von schwarzen Furchen durchzogene Wildnis, die die felsigen Schrunde verrieten, durch die sich die eisigen Wasser der Vienne, Vendée und Sèvre ergossen.
Steile, rosige Felswände, klaffende Wunden im Fleisch der Erde, durchzogen von Grotten, in denen das Licht der Fackeln unter der Salpeterschicht ok-kerfarbene oder schwarze Umrisse enthüllte, die, wie man sagte, von Geistern gezeichnet worden waren. Das Kind Gontran hatte sie damals gesehen. Seine Schwester Angélique, Fee dieser Zauberhöhlen, hatte sie ihm gezeigt. Aber da er sie allein betrachten wollte, verjagte er das kleine Mädchen, und Angélique hatte rachsüchtig andere Entdeckungen für sich behalten.
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