»Oh, wirklich!« sagte sie sarkastisch. »Um so besser. Dann werdet Ihr den schlimmen Streich, den ich Euch in Kandia spielte, nicht mehr bedauern - falls Ihr es jemals getan habt.«
Gegen die Tür gelehnt, betrachtete sie mit gesenkter Stirn und blitzenden Augen den maskierten Mann und stellte fest, daß er ihr keine Angst einflößte. Sie hatte beschlossen, daß er sie retten müsse, da er und sein Schiff ihre einzige und letzte Chance waren. Also mußte sie ihn umgarnen, mußte sie sein Mitgefühl zu wecken suchen. Er schien ihr unerreichbar und verschlossen, schrecklich fern, nicht wirklich, eine Erscheinung auf halbem Wege zwischen Alptraum und Wachtraum. Ihr Eindruck vertiefte sich noch während des folgenden Schweigens.
Sie wünschte, daß er von neuem spräche. Der Klang seiner Stimme würde ihr helfen, sich dem Zwang seines magnetischen Blicks zu entziehen.
»Es fehlt Euch nicht an Kühnheit, da Ihr mich an jene Dinge erinnert«, sagte er endlich. »Wie ist es Euch gelungen, mich zu finden?«
»Ich bemerkte Euch vor kurzem, als ich durch die Heide ging. Ihr standet am Rand der Klippe und beobachtetet die Stadt.«
Sie sah ihn erbeben, wie in einem wunden Punkt berührt.
»Zweifellos macht sich das Schicksal über uns lustig«, rief er. »Wieder einmal seid Ihr nicht weit von mir entfernt gewesen, und ich habe Euch nicht gesehen.«
»Ich versteckte mich in den Gebüschen.«
»Ich hätte Euch dennoch sehen müssen«, erklärte er in einer Art von Zorn. »Welches Genie hilft Euch, zu erscheinen und zu verschwinden, mir zwischen den Fingern zu entwischen?« Er begann auf und ab zu gehen. Sie zog die Bewegung seiner feindseligen Reglosigkeit vor.
»Ich werde meine Leute zu ihrer Art, Wache zu halten, nicht gerade beglückwünschen«, nahm er das Gespräch wieder auf. »Habt Ihr zu irgend jemand von Eurer Beobachtung, von unserer Anwesenheit hier gesprochen?«
Sie schüttelte verneinend den Kopf.
»Da habt Ihr Glück gehabt ... Als Ihr mich also bemerktet, seid Ihr wieder einmal geflüchtet, um Euch sodann um Mitternacht bei mir vorzustellen . Warum? Warum seid Ihr gekommen?«
»Um Euch zu bitten, Personen an Bord Eures Schiffes zu nehmen, die La Rochelle spätestens mor-gen abend verlassen haben müssen und sich zu den amerikanischen Inseln begeben wollen.«
»Passagiere?«
Der Rescator wandte sich ihr zu. Er bewegte sich trotz des ununterbrochenen Wogens der See mit außerordentlicher Sicherheit. Angélique erinnerte sich seiner Silhouette auf dem Bugspriet der Schebecke, als er das Tau geworfen hatte, das die Galeere Dauphine retten sollte. Während sie hier stand, gegenwärtig in diesem Salon, fuhr ein Teil ihres Geistes fort, der Vergangenheit entrissene Bilder zu wecken. Es war wie eine heimliche, unterirdische Suche, deren Zielpunkt immer nur dieser schwarze, faszinierende Mann war. Wie damals, als er sich ihr im Verkaufssaal des Batistans zum erstenmal genähert hatte, forderte er unversehens alle ihre Kräfte, beanspruchte er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
Die vertraulichen Einflüsterungen der jungen griechischen Sklavin Ellis flatterten durch ihre Erinnerung wie Schmetterlinge: »Alle Frauen! ... Er verführt sie alle . keine vermag sich ihm zu entziehen, meine Freundin .« Trotzdem hörte sie deutlich ihre eigene Stimme antworten: »Ja, Passagiere. Sie werden Euch gut bezahlen.«
»Welcher Art mögen wohl diese eigentümlichen Passagiere sein, die Bedürfnis nach einem Korsarenschiff verspüren? Sicherlich, um aus La Rochelle zu fliehen .«
»Fliehen ist das richtige Wort, Monseigneur. Es handelt sich um Familien, die der reformierten Religion angehören. Der König von Frankreich duldet keine Ketzer mehr in seinem Königreich. Diejenigen, die nicht bereit sind, sich zu bekehren, haben keine andere Wahl, als ihre Heimat zu verlassen, wenn sie dem Gefängnis entgehen wollen. Aber die Küsten werden überwacht, und es ist schwierig, heimlich aus den Häfen zu gelangen.«
»Familien, sagtet Ihr? Sind auch Frauen dabei?«
»Ja, ja .«
»Und Kinder?«
»Ja ... Kinder vor allem«, erwiderte Angélique mit klangloser Stimme.
Sie sah sie mit ihren rosigen Wangen und ihren Augen voller Sterne um die Palme tanzen. Es war, als hörte sie hinter dem Tosen des Sturms das rhythmische Klappern ihrer kleinen Holzpantinen.
Aber sie wußte auch, daß ihr Eingeständnis so gut wie sicher seine Weigerung hervorrufen würde. Der Kapitän eines Frachtschiffes nimmt nur widerwillig Passagiere an Bord. Und Frauen und Kinder betrachtet er als Ware, die ihm nur Unannehmlichkeiten auf den Hals ziehen kann. Das beklagt sich, das stirbt, die Männer an Bord schlagen sich wegen der Frauen ...
Angélique hatte lange genug in einem Hafen wie La Rochelle gelebt, um die Vermessenheit ihrer Bitte zu begreifen. Wie konnte sie es wagen, mit einem Piraten über den Advokaten Carrère und seine elf Kinder zu sprechen? ... Ihre Sicherheit schwand.
»Es wird immer schöner«, spottete der Rescator.
Seine Stimme färbte sich ironisch:
»Und wie hoch beziffert sich dieses höchst uninteressante Kontingent von Psalmensängern, mit dem Ihr meinen Schiffsraum vollstopfen wollt?«
»Es sind fast ... vierzig Personen.«
Sie ließ beinah ein Dutzend unter den Tisch fallen.
»Wie? ... Ihr scheint zu scherzen, meine Schöne. Es wäre besser, wenn Ihr den Scherz nicht weitertreibt. Aber da ist etwas, was mich neugierig macht. Infolge welch seltsamer Zusammenhänge interessiert sich die Marquise du Plessis-Bellière - denn diesen Titel führtet Ihr doch, als ich Euch kaufte? - plötzlich für eine Handvoll bleicher calvinistischer Spitzköpfe? Sollte jemand aus Eurer Familie darunter sein? Ein Liebhaber? ... obwohl mir einer von dieser Sorte nicht eben inspirierend für eine ehemalige Odaliske zu sein scheint. Oder, wer weiß, vielleicht habt Ihr unter diesen Ketzern sogar einen neuen Gatten auserwählt, denn wenn ich mich recht erinnere, steht Ihr in dem Ruf, in dieser Hinsicht einen starken Konsum zu haben.«
Seine boshafte Ironie schien ihr eine seltsame Neugier zu verbergen.
»Nichts von alledem«, sagte sie.
»Warum dann?«
Wie konnte sie ihm erklären, daß ihr nichts anderes als das Heil ihrer protestantischen Freunde am Herzen lag? In den Augen eines gewiß recht ruchlosen Piraten, der noch dazu, wie sie hatte erzählen hören, spanischer Herkunft war, mußte ein solcher Grund unverzeihlich sein. In letzterem Fall käme zu seiner Ruchlosigkeit noch die Unduldsamkeit seiner Rasse.
Es war etwas Beunruhigendes in der Tatsache, daß er über manche Einzelheiten ihres Lebens auf dem laufenden zu sein schien. Er wußte zweifellos viel über sie. Gewiß, das Mittelmeer kolportierte Neuigkeiten mit einer Genauigkeit, die sich selten auf einem Fehler ertappen ließen, wenn sie auch oft genug übertrieben waren.
Er beharrte ironisch:
»Ihr seid mit einem der Ketzer verheiratet, nicht wahr? Wahrhaftig, Ihr seid tief gesunken.«
Angélique schüttelte den Kopf. Die niederträchtigen, von Bösartigkeit nicht freien Anspielungen berührten sie nicht. Ihre ganze Sorge galt der unglückseligen Wendung, die die Verhandlung genommen hatte. Wo sollte sie die Argumente hernehmen, die ihn überzeugen konnten?
»Unter ihnen sind Reeder, die auf den amerikanischen Inseln Vermögen besitzen. Sie könnten Euch entschädigen, wenn Ihr ihnen das Leben rettet.«
Mit einer Handbewegung wischte er ihren Vorschlag beiseite.
»Was sie mir auch anbieten würden, es könnte das Ärgernis ihrer Anwesenheit nicht ausgleichen. Für vierzig zusätzliche Personen habe ich keinen Platz an Bord. Ich weiß nicht einmal, ob ich unseren Ankerplatz verlassen und ohne Schwierigkeiten die Meerenge hinter mich bringen kann, da die verdammte königliche Flotte dort draußen umherstreift. Außerdem befinden sich die amerikanischen Inseln nicht auf meiner Route.«
»Wenn Ihr sie nicht aufnehmt, werden sie morgen abend alle im Gefängnis sein.«
»Bah! Das ist das Schicksal vieler in diesem charmanten Königreich.«
»Man soll von solchen Dingen nicht leichtfertig reden, Monsieur«, sagte sie, in ihrer Verzweiflung die Hände faltend. »Wenn Ihr wüßtet, was es heißt, im Gefängnis zu sein .«
»Und wer sagt Euch, daß ich es nicht weiß?«
Sie überlegte, daß er, der außerhalb des Gesetzes lebte, in der Tat in seiner Heimat Verurteilung und Ausstoßung kennengelernt haben mußte. Für welches Verbrechen? .
»In dieser Zeit werden so viele Leute ins Gefängnis gesteckt, gehen so viele Leben verloren! Ein paar mehr oder weniger, was bedeutet das schon! ... Nur die Meere sind noch frei und ein paar jungfräuliche Landstriche Amerikas . Aber Ihr habt die Frage, die ich Euch stellte, nicht beantwortet. Aus welchem Grund interessiert sich die Marquise du Plessis für diese Ketzer?« Sein Ton war gebieterisch.
»Weil ich nicht will, daß sie ins Gefängnis kommen.«
»Große Gefühle also? Bei einer Frau Eurer Moral glaube ich nicht recht daran.«
»Oh, glaubt, was Ihr wollt«, murmelte Angélique, am Ende ihrer Kraft angelangt. »Es gibt keinen anderen Grund. Ich will, daß Ihr sie alle rettet!«
Den ganzen Abgrund, der das Herz der Frauen von dem der Männer trennt, durchmaß sie an diesem Tage. Nach Baumier Desgray und der Rescator! Selbstbewußte, von ihrer Macht erfüllte Männer, gleichgültig gegen die Tränen der Frauen und das Schluchzen gepeinigter Kinder. Baumier hätte sich darüber belustigt. Desgray hatte sich nur bereit gefunden, sie zu schonen, weil er sie noch immer liebte. Da sie in den Augen des Rescators alles Verführerische verloren hatte, würde er ihr nichts mehr zugestehen.
Im übrigen hatte er sich von ihr abgewandt und auf einem breiten orientalischen Diwan niedergelassen. Seine Haltung drückte äußerste Langeweile, wenn nicht völlige Gleichgültigkeit aus. Er streckte seine langen, in Stiefeln steckenden Beine vor sich über den Teppich.
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