«Georgia, ich hab eine Schrotladung im Arsch. Mir ist nicht flau. «Er sah R. J. über den Rand seines geleerten Glases hinweg an.»Entschuldige den Ausdruck.«
«Ich krieg hier noch viel schlimmere Sachen zu hören, Edward. Komm, laß dir nachschenken. Es ist Freitagabend, und wir müssen alle ein bißchen abschalten. «Sie stand auf, nahm das Glas und trat just in dem Moment in die Küche, als die Mädchen herauskamen.»Vic, die Lösung dieses Problems ist es, den Schnaps in den Hof rauszubringen.«
«Ja, Ma'am. «Vic gab Jinx das Tablett und ging zurück in die Küche.
R. J. legte kurz ihren Arm um Chris' Taille.»Chris, hier bei uns gibt es keinen einzigen langweiligen Augenblick.«
Mutter und Tochter suchten rasch alles für Wodka-Martini, Margarita und Scotch zusammen. Frank mochte Scotch, für ihn war somit gesorgt. Er brauchte nur einen Spritzer Sodawasser. R. J. trank kaum, außer bei besonderen Anlässen, wie etwa dem Geburtstag ihres Mannes.
«Mom, sollen wir das auf den großen Tisch stellen oder auf den Beistelltisch?«, fragte Vic.
R. J. überlegte kurz.»Beistelltisch. Ich laß sie ihre Drinks lieber nicht selber mixen, für den Fall, daß jemand mal wieder durchdreht. Du behältst Georgia im Auge. Ich Paß auf Sissy und Edward auf.«
«Das geht hier ja wie geschmiert. «Chris lachte.
«Wir haben halt Übung darin. «Lächelnd nahm R. J. das Tablett mit einem silbernen Kübel voll Eiswürfel und kleinen Schälchen mit Limonen-, Zitronen- und Orangenschalen. Vic reichte Chris die Flaschen mit Absolut Wodka und Johnnie Walker Black, sie selbst schnappte sich die übrigen Flaschen.
«Wohlan, Soldaten Christi. «Vic stieß mit dem Fuß die Tür auf, gerade als Edward im Brustton der Überzeugung sagte:»Frauen können nicht klar denken. So sehr Gott sie lieben mag, es ist ihnen nicht gegeben.«
«Ich glaube, sie sagen dasselbe über uns. «Franks Tonfall war locker.»Aber wenn wir uns hier alle zusammensetzen, kommen wir bestimmt zu einer annehmbaren Lösung.«
«Aber sicher. Wir sind Männer.«
Chris sah Vic und Jinx an, die diese sexistischen Äußerungen stoisch ertrugen. Sie fragte sich, ob die Frauen in Virginia davon überzeugt waren oder ob sie sich nur fügsam gaben, um ihren Willen durchzusetzen. Offenbar entsprachen die Mythen über die Schönen des Südens der Wahrheit. Wenn es nach ihr ginge, sie würde dem Alten die Zähne in den Rachen schlagen.
«Wenn ihr Männer so vernünftig seid, wieso verwickelt ihr uns immer in Kriege?«Georgia fragte ohne Groll.
R. J. schob sich eine glänzende schwarze Locke aus den Augen.»Da hat Georgia eine Blöße entdeckt.«
«Ja, auf ihrem Kopf«, sagte Sissy kichernd, als R. J. ihr das Glas abnahm und ihr noch einen Drink mixte.
«Sei nicht kindisch. «Georgia machte ein finsteres Gesicht, dann sah sie R. J. an.»Du hast kein einziges graues Haar auf deinem hübschen Kopf.«
«O doch. Hier draußen kann man's nicht sehen. Wenn du mich unter eine helle Lampe stellst, wirst du ein paar entdecken.«
«Georgia versteckt die Farbtöpfe. Ihre Haare sind von einem Blond, das in der Natur nicht vorkommt. «Sie sah Chris an.»Deine Farbe ist bestimmt natürlich, Schätzchen.«
«Ja, Ma'am.«
Die Spannung verebbte, die älteren Herrschaften plauderten über Ereignisse, die jüngeren Leute füllten Chips-Schälchen nach, den Eiskübel und was sonst noch nachgefüllt werden mußte.
Irgendwann meinte R. J. zu Mignon:»Herzchen, ich dachte, du gehst heute Abend zu dem Footballspiel?«
«Ich bleib lieber hier bei euch. «Mignon wollte nichts verpassen, da die Wallaces imstande waren, von einer Sekunde auf die andere zu explodieren.
«Bestimmt?«
Mignon lächelte.»Ja.«
«Wenn ich deine Mädels sehe, bedaure ich es, keine Kinder zu haben«, sagte Sissy.»Du nicht, Georgia?«
Georgia nickte.»Ja, R. J. du und Frank, ihr habt zwei prächtige Mädels in die Welt gesetzt. Richtige junge Damen. Und du auch, Jinx.«
«Wo steckt dein Freund?«Sissy beugte sich vor und klopfte Vic aufs Bein.
Vic, die vorn auf der Stuhlkante saß, erwiderte:»Er hat ein Footballspiel. Freitags kriegen wir ihn hier nicht oft zu sehen.«
«Wir haben gern einen jungen Kerl um uns, was, Georgia?«Sissy seufzte.
Georgia antwortete nach kurzem Zögern:»Eine Frau, die einen stattlichen Mann nicht gerne sieht, ist tot. Das hat Momma immer gesagt.«
«Wie war das? Was hat deine Momma gesagt?«Edward hatte den Tod seiner Frau vor vierunddreißig Jahren nie richtig überwunden, infolgedessen hatte er seine Töchter zu eng an sich gebunden.
«Daß eine Frau, die einen stattlichen Mann nicht gern sieht, tot ist«, wiederholte Georgia.
«Deswegen hat sie dich geheiratet, Poppy«, säuselte Sissy.
Er gab ein ungläubiges Prusten von sich, aber er hörte es gern. Er wies mit seinem Glas auf Chris. Eine neue Zuhörerin.»Meine Frau Dorey ist am dreizehnten April 1945 von uns gegangen. Ich sage Ihnen, Schätzchen, es hat mir das Herz gebrochen. Sie war einundvierzig und bildhübsch. Ich hab die Frau geliebt und sie hat mich geliebt. Das hab ich nie verstanden. «Seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem Lächeln.
Als Frank sah, daß seine Schützlinge so weit waren, kam er schließlich zur Sache.»Ich weiß, bei dem Streit ging es um das Testament, und ich weiß auch, Edward, daß deine Geduld manchmal auf eine harte Probe gestellt wird. Aber wenn du zu deiner — und ich glaube auch Doreys — ursprünglichen Absicht zurückkehrst und euren Besitz halbehalbe aufteilst, werden beide Mädels sicher ihren Verpflichtungen gegenüber der Kirche und anderen wohltätigen Einrichtungen gewissenhaft nachkommen, nicht wahr, Mädels?«
«Ja«, trällerten sie wie aus einem Munde.
«Bring mir Montag die Papiere«, sagte Edward.
«Hast du dein früheres Testament vernichtet?«, fragte Frank.
«Verbrannt.«
«Gut. Ich komm gegen Mittag vorbei.«
Als sie die Bar leer getrunken hatten, begaben sich die Wallaces zu ihren Autos.
Sissy öffnete die Tür ihres Plymouth.»Ich wünschte, Don McKenna würde sich eine Cadillac-Lizenz besorgen. Poppy, kaufst du mir einen Cadillac?«
«Nun übertreib mal nicht. «Georgia schloß die Tür hinter ihrer Schwester und ging zu dem Cadillac.
«Hab bloß Spaß gemacht, Poppy«, sagte Sissy, die es todernst gemeint hatte.
Vom Scotch betäubt, zuckte Edward nicht zusammen, als er sich auf dem Beifahrersitz zurechtsetzte und Georgia den Motor anließ.
«Frank, sollten wir ihn nicht lieber nach Hause fahren lassen?«
«Schatz, die Autos sind allen Leuten bekannt. Sie werden an den Straßenrand ausweichen. «Frank lachte.
«Dad, ob Vic und ich uns auch so zanken werden?«
«Wir können gleich damit anfangen«, sagte Vic, als sie die leeren Gläser aufs Tablett stellte.
«Ich meine, wegen dem Testament?«Mignon konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Eltern starben, aber die Wallaces waren eine lebhafte Mahnung, daß Geschwister sich um die Beute raufen wie die Hyänen.
«Alles wird euch so vermacht, wie es heute ist«, antwortete ihr R. J. mit fester Stimme.
Franks Augen trübten sich, als er seiner Frau mit einem Nicken zustimmte.
Später, als alle zu Bett gegangen waren, hatte Chris im Gästezimmer neben Mignons Zimmer was zu lachen. Mignon schob ihr andauernd Zettel unter der Tür hindurch. Botschaften wie» Hilfe, ich werde in diesem Zimmer gefangen gehalten«. Chris antwortete mit einer Zeichnung oder sonst etwas.
Jinx schlief in Vics Zimmer, in dem zwei breite Betten standen, mit einem Nachttisch dazwischen. Die meisten Sachen, die in Vics Kleiderschrank hingen, gehörten Jinx.
«Um wie viel Uhr willst du morgen zu deiner Mutter?«Vic schüttelte die Kissen auf. Das Licht war aus.
«Darüber mach ich mir morgen Gedanken«, sagte Jinx.»Es treibt mich zum Wahnsinn, wenn ein alter Mann wie Wallace meint, daß Frauen unvernünftig sind.«
«Laß die Männer denken und sagen, was sie wollen, dann geh hin und mach was du willst. Das ist mein Wahlspruch«, erwiderte Vic.»Ich glaube nicht, daß Charly mal so wird. Ich meine, er ist jetzt nicht so. Er soll bloß nicht zu so 'nem alten Knaben werden.«
«Wer weiß? Wenn ich mir meine Mutter ansehe, kann ich sie mir nicht jung vorstellen. Die Zeit hat wirklich Macht. «Jinx setzte sich auf.»Ich hab Hunger.«
«Iß was.«
«Ich darf nicht. Es ist zu spät. Ich muß zehn Pfund abnehmen.«
«Dann denk nicht ans Essen.«
«Ich werd's versuchen.«
«Jinx, weißt du noch, wie wir über Bestimmung geredet haben?«
Sie glaubten beide an eine Art Bestimmung oder Karma, das ihr Schicksal entschied. Im Laufe der Jahre und in zahlreichen nächtlichen Gesprächen hatte sich diese Vorstellung zu dem Glauben verfestigt, daß jeder Mensch ein vorherbestimmtes Ziel hatte, es aber Hindernisse bei der Erreichung gab. Außerdem passierte auf dem Weg dahin so allerhand. Die Menschen hatten Wahlmöglichkeiten.
«Ja.«
«Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß wir trotz Bestimmung eine individuelle Verantwortung haben.«
«Da kommt die Ehre ins Spiel. «Jinx hatte eine Vision, nicht von Ehre, sondern von Schokoladentorte.»Wie begegnet man seiner Bestimmung? Man kann mutig sein oder nicht. Man kann ihr ins Gesicht sehen oder weglaufen. Daß man vielleicht nicht für das verantwortlich ist, was einem geschieht, heißt nicht, daß man nicht ehrenvoll handeln kann.«
«Ah, du hast eine tiefere Einsicht in die Dinge als ich.«
«Kann schon sein. «Jinx atmete tief ein.»Schokoladentorte.«
«Wer hat was von Schokoladentorte gesagt?«Vic war leicht verwirrt.
«Komm, wir plündern die Küche. Ich muß ein Stück von der Schokoladentorte haben.«
«Na gut. «Vic hatte keinen Hunger, aber sie war ein guter Kumpel. Sie schlüpfte aus dem Bett und warf sich ein übergroßes T-Shirt über.
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