«Tut mir Leid. «Und sie meinte es ehrlich.

«Um das Thema zu wechseln, Chris, was ist dein Hauptfach?«Frank lächelte sie an.

«Gute Frage, Mr. Savedge. Ich habe dreimal gewechselt. Vielleicht versuch ich's mal mit Englisch. «Sie lachte, dann sagte sie:»Was war Ihr Hauptfach?«

«Geschichte.«

«Daddy war auf der Princeton-Uni. Kaum sieht er die UniFarben Schwarz und Orange, schon wird ihm ganz schwummerig vor Nostalgie. «Mignon suchte ihn zu besänftigen.

«Mein Dad war in Colgate.«

«Gute Uni«, erwiderte Frank.

«Aber nichts gegen Princeton«, sagten Vic und Mignon wie aus einem Munde.

«Ein Familienscherz«, klärte Jinx Chris auf, die das bereits vermutet hatte.

«Hast du deine Mutter angerufen?«R. J. griff in ihre Tasche, zog ein kleines rundes Bohnensäckchen heraus und warf es Jinx zu.

Das reizte Piper, die sich zumindest für den Augenblick von dem abgekehrt hatte, was auch immer sich unter dem Tabakschuppen befinden mochte.

Jinx warf Chris das Bohnensäckchen zu, die es Vic zuwarf. Das Säckchen flog hin und her.

«Ich hab sie angerufen. Sie ist sauer auf mich. Sie will, daß ich nach Hause komme, und ich hab gesagt, ich schau morgen vorbei. «Jinx schnappte sich das Bohnensäckchen aus der Luft.

«Hey«, sagte Mignon.

«Wer pennt, verliert. «Jinx streckte den Arm und warf das Säckchen über den Kopf zu Vic hinüber.

Trotz seiner finanziellen Schwierigkeiten war Frank im Glanz des Sonnenuntergangs total entspannt; er beobachtete die kleinen Boote und größeren Schiffe, die ihren schmucken Häfen zustrebten. Das Geräusch des ans Ufer plätschernden Wassers beruhigte ihn.

Wie so viele blendend aussehende Männer war er sich seiner Wirkung auf andere nur schwach bewußt. Breitschultrig, groß, mit kräftiger, ebenmäßiger Kinnpartie — wer ihn sah, mußte unwillkürlich lächeln. Er konnte sich ungezwungen mit Männern oder Frauen unterhalten. Und er würde sich gleich mit Sissy Wallace unterhalten müssen, weil sie die Zufahrt so schnell hochgesaust kam, daß ihre Reifen einen Abrieb hinterließen.

R. J. stand auf.>Sissy Wallace, mit Vollgas.<

Mignon beugte sich zu Chris vor.»Total von der Rolle. Die Wallaces sind alle.«

«Mignon, du sollst kein Urteil abgeben. «Frank packte sie an der Schulter und drückte sie fest, als er sich erhob.

«Jawohl, Dad. «Sie zwinkerte Chris zu.

Jinx stand auf, dann Vic, dann Chris.»Bin gespannt, was sie diesmal angestellt hat.«

Sissy verfehlte knapp einen Laternenpfahl am Ende der Zufahrt. Sie trat auf die Bremse, daß es quietschte, stellte den Motor ab und knallte die Tür zu.»Ich hab Poppy erschossen!«

Chris erstarrte, unschlüssig, ob sie weitergehen oder wie angewurzelt stehen bleiben sollte. Wenn diese Frau verrückt war, dann war sie womöglich bewaffnet?

Vic nahm ihre Hand, merkte, wie kalt sie war.»Eine Art periodische Gewalt — so sind sie eben. Vorigen Monat ist ihrer Schwester Georgia ein Packen Schindeln vom Dach gefallen, der Edward, ihren Vater, der soeben nach draußen gegangen war, knapp verfehlt hat. Sie sagte, sie sei mit dem Fuß ausgerutscht, als sie das Dach reparierte, aber das erklärt nicht, wieso der ganze Packen über Bord ging.«

«Er bewegt sich flink für einen alten Mann. «Jinx unterdrückte ein Lachen, weil Sissy direkt zu ihr hinsah und winkte.

«Auto fahren kann Sissy auch nicht«, steuerte Mignon bei.

«Das hab ich gesehen. «Chris fand ihren Besuch in Surry County noch unterhaltsamer, als sie erwartet hatte.

Frank sah auf die Uhr und flüsterte R. J. zu:»Schatz, ich rechne damit, daß Georgia und Edward uns in weniger als zehn Minuten zusammen oder getrennt mit ihrer Gegenwart beehren werden.«

«Ich frage mich, ob es eine gute Idee ist, ihnen einen Drink anzubieten.«

«Am besten einen doppelten. «Er küßte seine Frau auf die Wange und eilte sodann zu Sissy.»Sissy, jetzt setz dich erst mal hin und erzähl mir alles. «Er nahm ihren Arm und führte sie zu den Stühlen.

«Ich hab ihn erschossen. Ich hab ihn erschossen«, wehklagte sie zum hohen Himmel hinauf.

Mignon flüsterte Chris zu:»Sie schmiert ihre kahle Stelle mit Schuhcreme ein.«

«Und verwahrt einen Flachmann im Strumpf. «Vic überlegte, was sie tun sollte, um ihren Eltern beizustehen.

«Stützstrumpfhose. «Jinx lieferte genüßlich dieses Detail.

Chris fuhr sich mit der linken Hand durch die seidigen glatten Haare.»Ich glaube, da kommt noch jemand. «Sie wies mit dem Kopf zu der Abbiegung von der zweispurigen Straße in die Zufahrt.

Obwohl die Bäume die Sicht verdeckten und die Straße vierhundert Meter entfernt war, konnten sie in der Stille des Zwielichts das Dröhnen eines Motors hören.

«Ich hab ihn in den Hintern geschossen«, milderte Sissy ihre vorige Aussage ab.»Ich hab ihn gewarnt, hab über seinen Kopf gefeuert, aber.«

«Hat Poppy sein Testament wieder geändert?«

Sie nickte unter Tränen. Bevor sie dazu kam, auf einem der im Halbkreis aufgestellten Stühle Platz zu nehmen, hörte auch sie das Knattern eines großen V-8-Motors. Sie sah Chris an, stellte fest, daß sie sie nicht kannte und streckte die Hand aus.»Hallo, ich bin Sissy Wallace. Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, obwohl ich meinen Poppy mit Vogeldunst abgefüllt habe.«

Vic, die noch Chris' Hand hielt, ließ sie los. Chris gab Sissy die Hand.

«Miss Wallace, der Vogeldunst läßt sich mit der Pinzette rauszupfen. «Mignon steuerte hilfsbereit diese Kenntnis bei.

«Ich hab das Zeug besorgt, um die Krähen zu bepfeffern. Hätte ich 'nen Funken Verstand, würde ich Yolanda eine Ladung verpassen. Bei Poppy darf die Kuh den Kopf zum Küchenfenster reinstecken. Ich hasse den Kuhgestank! Poppy kümmert das nicht, er füttert sie glatt mit Möhren. «Sissy gewann ihre Selbstsicherheit zurück.»Da kommt meine Schwester. Wie kann sie es wagen, sich blicken zu lassen. Georgia ist ein Fratz — O ja, ich könnte Geschichten erzählen über meine Schwester, bei der nie ein Haar verrutscht ist — von den zweien, die sie noch hat.«

Georgia und Edward entstiegen einem dicken weißen Cadillac.

«Du hast mich nie geliebt. Du liebst Georgia«, schrie Sissy.

«Georgia schießt nicht auf mich«, erwiderte ein stämmig gebauter, gesund aussehender Mann um die achtzig gelassen. Anfeindungen wirkten sichtlich verjüngend auf Edward Wallace.

«Nein, sie hätte dich fast mit Dachschindeln getötet.«

«Das war keine Absicht«, fauchte die herausgeputzte Georgia, deren Nagellack auf ihr blaßrosa Kleid abgestimmt war.»Du willst immer im Mittelpunkt stehen. Die Welt dreht sich um deinen Bauchnabel. «Georgia schob sich die Schildpattbrille auf die Nase.

«Sprich nicht mit mir, und ich sprech nicht mit dir.«

Piper, die fasziniert war von der menschlichen Unvernunft, sah schwanzwedelnd zu. Die Golden-Retriever-Hündin schnupperte in der Luft und runzelte die Augenbrauen.

R. J. kam mit einem Tablett voll starker Drinks zurück. Sie kannte jedermanns Vorliebe. Edward bevorzugte Scotch — Johnnie Walker Black mit Eis. Georgia, die vorgab, nur zur Gesellschaft mitzutrinken, hatte eine Schwäche für WodkaMartini. Sissy trank alles, was man ihr vorsetzte, aber am liebsten Margarita.

Die Wallaces ließen sich auf die Stühle sinken. Frank machte Chris mit Edward und Georgia bekannt.

«Sehr erfreut. «Georgia senkte die angenehme Stimme.»Es tut mir Leid, daß Sie uns nicht von unserer besten Seite kennen lernen. Wie Sie sehen, werden wir im Augenblick von einem Familienzwist heimgesucht.«

«Papperlapapp. «Sissy klemmte den Mund zu wie eine Schildkröte.

«Du bist die Ursache unserer Heimsuchung. «Georgias Stimme nahm einen herablassenden Ton an.

«Bin ich nicht!«

«Hab ich den Martini so gemixt, wie du ihn magst?«R. J. reichte Georgia eine Serviette. Ihre schmalen Hände bildeten einen starken Kontrast zu Georgias Wurstfingern.

«Einfach perfekt, R. J. Genau wie du, perfekt. Da ich allerdings kaum trinke, hab ich keinen richtigen Vergleich.«

«Lügnerin. Du schüttest dir auf Partys den Sprit mit 'nem Siphon die Kehle runter. «Sissy fing an, sich zu amüsieren. Die extra starke Margarita trug mit dazu bei.

«Mutter, kann ich dir irgendwie helfen?«Vic lächelte allen zu.

«Wie wär's mit Erdnüssen und oh, es ist noch was von dem Dip da für die Kartoffelchips. Edward mag meinen Spezialdip doch so gern.«

«Klaro. «Vic verschwand in der Küche, gefolgt von den anderen drei jungen Frauen.

Sie konnten alles hören, weil die Fenster offen waren.

«Was ist Vogeldunst?«, fragte Chris.

«Kleine Kügelchen. Dasselbe wie Hasenschrot, aber bei uns sagt man Vogeldunst. «Jinx holte ein großes Tablett aus der Speisekammer.»Servietten. «Sie legte einen Stapel auf das Tablett.

«Mignon, hol die Schälchen, ja? Ich kann das Zeug doch nicht in Plastiktüten anbieten.«

«Kann ich was tun?«Chris wollte sich nützlich machen.

«Dastehen und schön aussehen. «Vic lächelte sie an.

«Verdreht«, witzelte Jinx, während sie eine Tüte Chips in eine der Schalen schüttete, die Mignon auf das Tablett stellte.

«Selber«, schoß Vic gutmütig zurück.

Sie konnten Edward dröhnen hören.»Zu viele Weiber. Das ist der Haken in meinem Haus.«

«Kommt auf die Sorte Weiber an, Edward. «Frank warf ihm einen verschmitzten Blick zu, der die beabsichtigte Wirkung hatte.

Edward grunzte, lächelte und lehnte sich schwerfällig auf seinem Stuhl zurück. Er zuckte kurz zusammen, als er eins von den Kügelchen spürte, die in seinem Hinterteil steckten.

«Poppy, Poppy, ganz ruhig. Ich bring dich ins Krankenhaus, wenn dir flau wird. «Die falschen Worte.