Das Autohaus, gut anderthalb Kilometer außerhalb von Surry gelegen, war beeindruckend. In den riesigen Fenstern des Hauptgebäudes aus Stahl und Glas spiegelten sich der Himmel und die Kumuluswolken. Drinnen war ein erhöhter runder Empfangsbereich auf einem Podest. Hojo Haines, die hübsche, etwa zwanzigjährige Empfangsdame, residierte dort in der Kommandozentrale.

Mehrere kleinere Nebengebäude waren eher traditionell gehalten und mit sauberen weißen Schindeln verkleidet.

Der edle, blank polierte Terrazzofußboden des Hauptgebäudes wurde beherrscht von drei neuen Modellen, zwei Personen- und einem Lieferwagen; ein jeder wurde angestrahlt.

Wenn Kunden zum Haupteingang hereinkamen, begrüßte sie Hojo, die für Bunnys Geschmack etwas zu hübsch und ein bißchen zu jung war, und rief einen Verkäufer. Aber sie war vernünftig genug, sie sich einfach nur umschauen zu lassen, wenn sie das wünschten. Hojo trug mit Vorliebe hautenge Hosen, Blusen in leuchtenden Farben, hohe Absätze, große Ohrringe und extravagant lackierte Fingernägel. Sie behandelte die Kundschaft mit unfehlbarer Freundlichkeit.

Just in diesem Augenblick stand Hojo vor dem schönen Hauptgebäude und unterhielt sich mit niemand anderem als Nora Schonfeld. Noras Sohn, ein Klassenkamerad von Mignon, war bei seiner Mutter.

«Dieses Miststück. «Bunny konnte es sich nicht verkneifen.

Jinx beugte sich zu Chris hinüber und flüsterte ihr die Geschichte von Nora und Don ins Ohr.

Mignon machte große Augen. Dies konnte sich als ein hochinteressanter Ausflug erweisen. Tante Bunny war für ihre spontanen Reaktionen bekannt, im Gegensatz zu R. J. die sich immer unter Kontrolle hatte.

«Tante Bunny. «Vic überlegte rasch und warf einen Blick auf den Wartungsbereich.»Nora ist hier, weil ihr Transporter beim Kundendienst ist.«

Richtig. Nora Schonfelds Dodge Ram, ein nagelneues 1980er Modell, stand auf dem Kundendienst-Parkplatz.

«Miststück«, murmelte Bunny erneut, als Vic vor dem Schalter der Reparaturannahme anhielt.

Die Frau in der Kabine winkte Vic zu. Alle in der Firma kannten und mochten die schöne junge Frau. Welchen Job auch immer sie im Sommer angepackt hatte, sie hatte ihn kompetent und klaglos erledigt. Sie war sogar mit aufs Dach gestiegen, um Blinklichter auswechseln zu helfen, die nicht ordentlich montiert gewesen waren.

Als Bunny zum Schalter ging, um ihren Schlüssel zu holen, wandte sich Vic an Mignon.»Lauf hin und sieh zu, daß du Buzz und Nora in den Ausstellungsraum lotst. Mach schnell, Mignon, bevor es eine Szene gibt!«

So sehr Mignon eine Szene herbeiwünschte, gab sie sich doch damit zufrieden, eine wichtige Rolle in dem Drama zu spielen. Sie stürmte hinaus, lief zu Buzz und schaffte es, Hojo, Nora und Buzz in das Gebäude zu lotsen. Jinx sagte leise:»Die nächste Autohandlung ist in Williamsburg.«

«Ja, ein dummer Zufall, daß sie ausgerechnet hier ist, wenn Tante Bunny ihren Wagen abholen kommt.«

«Ist deine Tante nicht oft hier?«, fragte Chris.

«Doch, aber Onkel Don kann die Dinge meistens deichseln. Er hat jede Menge Erfahrung«, erwiderte Vic bitter.

«Ja, aber mit Nora war's anders. «Jinx verstummte rasch, als Bunny zurückkam.

«Danke, Mädels. Wir sehen uns morgen nach meinem Sieg.«

Bunny hatte sich so weit gefangen, daß sie zu ihrem Auto gehen konnte, ohne sich Don vorzuknöpfen. Sie wollte ihn später zur Rede stellen. Chris fiel auf, daß Bunny sich mit demselben energischen Gang bewegte, den alle Savedge-Frauen hatten; sie gingen mit einem leichten Wippen. Bunny sah sehr gut aus. Ihre Haarfarbe war ein natürliches intensives Kastanienbraun, ihre Schultern waren breit und ihre Hüften nicht zu ausladend. Sie trug ein paar Pfunde zu viel mit sich herum, aber es war unmöglich, von Bunny Savedge McKenna nicht gefesselt zu sein.

Was Chris von Nora erspäht hatte, genügte, um eine kurvenreiche Frau Anfang dreißig mit langen Haaren zu erkennen. Sie strahlte jenes unbeschreibliche gewisse Etwas aus das Männer bemerkten und mochten, Frauen jedoch bemerkten und ablehnten — gekünstelte Weiblichkeit.

Bunny war hübsch, Nora sexy.

Chris sah Vic an, die beides in Hülle und Fülle hatte. Was sie selbst betraf, war Chris sich nicht sicher, was sie hatte — aber sie wußte, daß es ihr nie an männlicher Beachtung fehlte.

Mignon kam zurückgesprintet.

«Gut gemacht«, lobte Vic.

«Hat Tante Bun keine Handgranate geworfen?«

«Noch nicht«, sagte Jinx, dann wandte sie sich Chris zu.»Willkommen in Surry County.«

Chris lachte.»Mir gefällt's hier.«

«Okay, Vic. «Mignon stieg vorne ein.

«Nicht okay. Chris, du sitzt vorne. Du bist der Gast.«

Dagegen konnte Mignon nichts einwenden, drum stieg sie zu Jinx auf den Rücksitz.

«Gehst du mit mir heute Abend zu dem Footballspiel? Wir spielen gegen Smithfield.«

«Nein. «Vic fuhr vom Parkplatz und winkte dabei den Leuten zum Abschied.»Hast du keine Verabredung?«

«Nein. «Mignon verzog das Gesicht.

«Was hast du gegen Buzz Schonfeld?«Jinx lächelte; sie wußte, wenn Mignon mit Buzz ginge, würde Bunny in Ohnmacht fallen.

«Sehr komisch. «Eine Pause.»Ich bin bei den Jungs nicht sehr gefragt. «Sie setzte sich aufrecht.»Chris, dich mögen sie bestimmt. Du bist schön.«

Chris wurde rot.»Danke.«

«Geh doch mit Lisa hin«, schlug Jinx vor. Lisa war ihre jüngere Schwester, auf die sie nicht allzu gut zu sprechen war.

«Vielleicht«, sagte Mignon ohne Überzeugung.

«Na komm, Mignon. Tu nicht so hilflos. Wenn du mit jemand zu dem Spiel gehen wolltest, würdest du gehen.«

Mignon zuckte mit den Achseln. Sie war ein beliebtes Mädchen, aber sie hatte mit den Hormonschüben in ihr und anderen zu kämpfen und wurde manchmal von der Ungehobeltheit ihrer Mitschüler im zweiten Highschooljahr überrumpelt.

«Kurskorrektur«, trällerte Jinx.»Heiß. Eis. Uns ist heiß.«

«.wir wollen Eis«, fielen die anderen ein.

Vic fuhr in die Stadt und steuerte die Eisdiele an. Die langen schrägen Sonnenstrahlen färbten sie alle bronzebraun, und der Wind blies Chris' Bluse auf, die sie wegen der Hitze ohnehin schon weit aufgeknöpft hatte.

Vic bemerkte das Sonnenlicht auf Chris' Brüsten, und unvermittelt schoß eine Flamme wie eine Eidechsenzunge durch sie hindurch.

6

Scharlachrote Bänder entrollten sich auf dem James. Die Savedges liebten es, gemeinsam den Sommersonnenuntergang zu betrachten. Sie saßen im Halbkreis auf ihren Stühlen im Hof, der auf den frisch gemähten Rasen hinaussah und ihnen eine herrliche Aussicht bot, und plauderten über die Ereignisse des Tages.

Frank, herzlich, aber reserviert, sonnte sich in seiner Rolle als Hahn im Korb. Er fand Vics neue Freundin mit den aschblonden Haaren, der schlanken Figur, dem breiten Lächeln ungemein attraktiv. Seine Überzeugung, mit der wunderbarsten Frau seiner Generation verheiratet zu sein, hinderte ihn nicht daran, andere Frauen zu bewundern. Anders als Don McKenna fiel Frank nie von Bewunderung in Lüsternheit. Er hatte zu viele Männer gesehen, die sich damit ruiniert hatten. Er fand Schönheit grausam, wenngleich die Frauen, die sie besaßen, es nicht waren.

«… dicke fette Kuh«, faßte Mignon ihre Ansicht über Marjorie Solomon zusammen.

«Wenn du nichts Nettes sagen kannst, hältst du am besten den Mund. «Vic stützte ihre Beine auf einen Holzschemel, den sie sich mit ihrer Mutter teilte. Sie sahen fast wie Zwillinge aus.

«Ach, hör doch auf. «Mignon verdrehte die Augen himmelwärts.

«Sie hat Recht, Mignon. Du weißt nicht, was Marjorie Solomon fehlt. «Frank kaute auf einem Minze zweig, den er aus seinem Glas gefischt hatte.

«So?«Mignon erhoffte sich die Enthüllung einer Leidensgeschichte. Vielleicht litt Marjorie an Leukämie und würde in Kürze von dieser Erde scheiden, was hieß, daß sie nett zu ihr sein mußten. Oder vielleicht war ihr Vater ein heimlicher Säufer. Mignon ergötzte sich an Visionen von tiefstem Elend.

«Sie muß wegen einem Abszeß am Niednagel das Bett hüten«, sagte Jinx. Sie zog dabei die Wangen nach innen und machte ein so komisches Gesicht, daß Vic lachen mußte.

«Haha. «Die kleine Schwester warf den Kopf zurück und bat ihren Vater mit flehendem Blick um die wahre Geschichte.

«Herzchen, ich weiß nicht, was Marjorie Solomon fehlt, aber ich weiß, was dir fehlt, wenn du nicht hinguckst. «Er zeigte auf den Sonnenuntergang, karmesinrot, rosa und purpurrot mit goldenen Flammen.

Das prachtvolle Schauspiel zog alle in seinen Bann, bis Mignon, die ihm die allerkürzeste Aufmerksamkeit zuteil werden ließ, bemerkte:»Sie ist vermutlich voll von Hass, weil sie Jüdin ist.«

«Es reicht«, ermahnte R. J. ihre Jüngste streng.

«Mom, ist doch wahr. Die Leute haben seit Tausenden von Jahren was gegen Juden.«

«Herrgott, Mignon, jetzt haust du auch noch in diese Kerbe. «Vic schüttelte den Kopf.

«Uneinsichtige Menschen brauchen Sündenböcke. Warum nicht diejenigen erniedrigen, die erfolgreich sind? Man lädt die eigenen Sünden auf sie ab, wird sie los und nimmt sich alles, was sie sich auf dieser Welt erworben haben«, erwiderte Frank ruhig, doch er war wütend auf Mignon.

«Dad, du hast Recht, aber Mignon hat uns wenigstens gesagt, was sie denkt«, sprang Vic Mignon bei.»Wenn sie so spricht, dann tun es die anderen in der Schule auch. Jetzt können wir wenigstens darüber reden. «Vic wandte sich Mignon zu, die sichtlich bestürzt war, weil sie ihren Vater verstimmt hatte. Sie verstanden sich alle gut darauf, in Frank zu lesen.»Marjorie mag ja 'n Miststück sein, aber nicht, weil sie Jüdin ist. Denk an Walter Rendell. Er ist der Schlimmste, dabei ist er Episkopale.«