«Also deswegen hat Hojo dir Ohrlöcher gestochen, obwohl sie genau wußte, daß Mom einen Anfall kriegen würde.«

«Ich hab sie aber nicht erpreßt. «Mignon schloß die Haustür. Die Kälte ließ sie schaudern.

«Hab vergessen, daß ich sie offen gelassen habe. «Vic fragte sich, wo sie mit ihren Gedanken war.»Es war richtig von dir, nichts zu sagen. Mom oder ich hätten nichts ändern können. Und wer möchte schon einer Frau eröffnen, daß ihr Mann mit einer anderen schläft. Du weißt, was mit dem Überbringer einer schlechten Botschaft geschah. «Sie fuhr sich mit dem Zeigefinger quer über den Hals.»Komm, wir gehn lieber wieder rein.«

Die zwei Schwestern platzten mitten in eine von Bunnys leidenschaftlichen Attacken.

Die leidgeprüfte Frau richtete ihren Blick auf Vic, als sie ins Zimmer trat.»Merk dir das. Besteh auf einem Ehevertrag. Jedes Schmuckstück, das er dir während der Ehe schenkt, gehört dir. Jegliches Vermögen, Aktien, Obligationen, alles, was von Wert ist, gehört dir zur Hälfte, weil du die Hälfte davon verdient hast. Ich weiß, daß du verliebt bist, aber mach das. Jetzt gleich. «Sie zeigte auf den großen Ring an Vics Finger.

Tränen liefen Chris übers Gesicht. Vic ging zu ihr, setzte sich auf die Sesselkante.»Ist ja gut. Komm, Chris, ist ja gut.«

Alle Gefühlsregungen des Tages hatten sich bei Chris aufgestaut.

Bestürzt setzte sich Mignon in den anderen Ohrensessel.

Bunny hielt ihre Tränen für einen Augenblick zurück.»Du auch, Chris. Merk dir das!«

Chris griff nach Vics Hand.

«Das war ein stürmischer Tag. «Vic hielt Chris' Hand.

«Was gibt's bei dir zu heulen?«Bunny dachte, daß sie mit ihrem Benehmen vielleicht Chris' Tränen ausgelöst hatte.

«Hier. «Mignon, die gern helfen wollte, hatte Chris einen Scotch eingeschenkt.

«Ich nehme an, mein Anblick macht keine Lust aufs Heiraten. «Bunny wischte sich mit dem Taschentuch, das R. J. ihr reichte, die Augen.»Du mußt die richtigen Papiere aufsetzen. Ganz egal, wie sehr du ihn im Moment liebst.«

Vic holte Luft und atmete dann langsam aus.»Mom, Tante Bunny, Mignon, ich werde Charly Harrison nicht heiraten.«

Sogar Bunny hörte zu weinen auf und starrte sie an.

R. J. nahm Bunnys Glas, trank von ihrem Scotch und reichte es dann ihrer Schwester, die fand, ein weiterer Schluck sei keine so schlechte Idee.

«Wow. «Mignon blinzelte.

«Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid«, sagte Chris und fing wieder an zu weinen.

Vic klopfte ihr auf den Rücken.»Da gibt es nichts Leid zu tun. Es ist alles beschlossen.«

Bunny stellte die nahe liegende Frage:»Himmel noch mal, was ist hier eigentlich los?«

«Ich bin schwanger«, erklärte Chris schlicht und trocknete ihre Tränen.

Die verdutzte R. J. versuchte Chris zu beschwichtigen.»So etwas kommt vor, Liebes — wir helfen dir. Aber was hat das mit Vic und Charly zu tun?«

«Charly ist der Vater«, erklärte Vic ruhig.

«Hab ich's dir nicht gesagt, Männer sind Schweine!«Bunny tobte.»Den bring ich auch um. «Dann wandte sie sich an Chris.»Wie konntest du nur deine Freundin so hintergehen? Und diese ganze Familie, die dir nur Gastfreundschaft erwiesen hat?«

«Tante Bunny, hör auf. So ist es nicht. «Vics Stimme war eiskalt.

Da sie noch nie in diesem Ton mit ihrer Tante gesprochen hatte, war Stille garantiert. Aber nur für einen Augenblick. Bunny konnte sich nicht zurückhalten.

«Wie denn sonst? Sie haben dich beide betrogen!«Bunny kreischte es geradezu.

«Nein, haben sie nicht.«

R. J. schlug ganz ruhig vor:»Vielleicht kannst du uns aufklären.«

Mignon stand von dem Ohrensessel auf und stellte sich zu Vic. Sie wußte nicht, was kam, aber sie wollte ihrer Schwester beistehen.

Vic stand ebenfalls auf, behielt aber ihre Hand auf Chris' Schulter.»Es war eine Wende des Schicksals.«

«Nach meiner begrenzten Erfahrung«, sagte Bunny sarkastisch,»wird eine Schwangerschaft nicht durch eine Wende des Schicksals verursacht.«

«In diesem Fall schon. «Vic holte wieder Luft und atmete dann aus.»Wir sind alle miteinander ins Bett gegangen. Niemand hat irgendwen betrogen.«

«Wow. «Mignons Augen wurden so groß wie die Christbaumkugeln.

«Ihr alle?«Bunny versuchte das zu verarbeiten, aber ihr Verstand war benebelt.

«Charly, Chris und ich.«

«Victoria. «R. J. griff wieder nach dem Scotch.

«Mutter, es war nichts Schlimmes. Im Gegenteil, es war schön. Es ist einfach passiert. Wir waren glücklich. Wir haben uns geliebt.«

«Geliebt?«Bunny warf ihr einen feindseligen Blick zu.»Männer schlafen nicht mit anderen Frauen, wenn sie dich lieben.«

«Das tun sie wohl«, erklärte Vic ruhig.»Ich hab es angeregt. Es ging einzig und allein um die Liebe.«

«Aha«, sagte R. J. schlicht.

«Laß das Baby wegmachen«, fauchte Bunny.»Mach nicht drei Leben kaputt.«

«Nein. «Chris hatte die Sprache wiedergefunden.

«Sie macht nicht drei Leben kaputt. Charly, Chris und ich haben es durchgesprochen. Chris und ich werden das Kind aufziehen.«

«Was?«R. J. mußte beinahe würgen, dann fing sie an zu weinen.

Vic ging zu ihrer Mutter.»Mom, ist schon gut. Nicht weinen. Bitte nicht weinen.«

«Herzchen, du tust mir ja so Leid. Ich weiß, du liebst Charly und er liebt dich. Du brauchst nicht auf ihn zu verzichten und, also, ich versteh das alles nicht.«

«Sie wird einen anderen reichen Mann finden. Mit ihrer Schönheit könnte Vic einen verflixten arabischen Scheich heiraten und die Hälfte vom Öl der Welt besitzen.«

«Tante Bunny, ich heirate nicht.«

«Das sagst du jetzt. Das gibt sich wieder.«

«Mom, möchtest du noch einen Drink?«Vic reichte ihr das Glas.

«Kommt drauf an. «R. J.s grüne Augen suchten den Blick ihrer Tochter.

«Ich hab Charly gern, aber ich liebe Chris. Ihr seht also, was wir vorhaben, ist das Richtige.«

Mignon stand reglos.

«Wovon redest du?«, fragte Bunny brummig.

«Ich bin lesbisch.«

«Dann will ich meinen Transporter zurück!«

R. J. stellte das Glas auf den Couchtisch, sammelte sich, bis sie sich wieder gefaßt hatte.»Das muß sehr schmerzlich für dich sein, für euch beide. «Sie sah Chris an.

«Himmel, R. J. schlag sie ins Gesicht. «Bunny stand auf, aber R. J. zog sie wieder herunter.»Vic, du brauchst Urlaub von dir. Dann kommst du zur Vernunft«, fuhr Bunny fort.

«Bin ich schon. Ich bin froh, daß ich es gemerkt habe, bevor ich. Ach, das spielt jetzt keine Rolle. Wir drei haben unseren Beschluß gefaßt, und er ist gut.«»Ich sehe nicht, wie es ein guter Beschluß sein kann, uns zu erzählen, daß du lesbisch bist.«

«Das hat nichts mit dem Beschluß zu tun, Tante Bunny. «Mignon trat für Vic ein.

«Halt du den Mund«, knurrte Bunny sie an.

«Nein, Vic ist Vic. Sie hat nicht beschlossen, lesbisch zu sein.«

«Das geht vorbei. «Bunny verschränkte die Arme.

«Es geht nicht vorbei. Ich liebe Chris und sie liebt mich. «Vic versagte es sich zu weinen, trotz des Klumpens in ihrer Kehle.

«So ist es«, sagte Chris.

«Hast du immer so empfunden, Liebes?«, fragte R. J. ihre Tochter.

«Ich habe getan, was von mir erwartet wurde. Hab mich angepaßt. Ich habe keine Fragen gestellt. Ich bin ja nicht mit dem Wissen aufgewachsen, daß es einen anderen Weg gibt oder daß ich diesen anderen Weg gehen würde.«

«Hm. «R. J. überlegte eine Weile.»Ihr drei habt zuerst an das Kind gedacht, und das spricht für euch. Ich kann mir vorstellen, daß das alles ungeheuer schwierig ist. «Sie sah Chris an.»Ich bin froh, daß du das Baby behalten willst. «Dann sah sie Vic wieder an.»Ich glaube, ich werde eine Weile brauchen, um mich daran zu gewöhnen. Bist du deswegen vom College geflogen?«

«Nein, das war wirklich wegen der heiligen Jungfrau Maria.«

«Vic hat die Schuld für Charly und mich auf sich genommen. «Chris griff nach einem Papiertaschentuch.

«Verstehe.«

Das Schweigen, das folgte, wurde schließlich von Bunnys Geheul unterbrochen:»Und wo bleib ich?«

Epilog

Der Mensch weiß von jeher, daß die Zeit fliegt. Die Römer sagten bekanntlichtempus fugit. Ja, das ist eine jener Erkenntnisse, die jeden erschrecken, wenn er gewahr wird, daß es sein eigenes Leben betrifft.

Das Bild von der Zeit als weißbärtiger, von den Jahren gebeugter Mann ist nicht ganz korrekt. Die Zeit ist ein Kobold, ein kleiner Teufel, der die Sanduhr mit dem Fuß umstößt. Bis man sie aufgerichtet hat, ist die Hälfte des Sandes ausgelaufen, und man kann ihn nicht wiederfinden, weil die Körner sich in alle Winde verstreut haben.

So war es auch in Surry Crossing. Der Schock über Vics Eröffnung, Chris' Schwangerschaft und Bunnys Entdeckung wich den alltäglichen Belangen. Die stärksten Stürme suchten Bunny heim. Sie beantragte die Scheidung und bekam sie durch. Eine Zeit lang behauptete sie, Vic in den neuen Betrieb aufzunehmen hieße schlicht, ihr Lesbischsein zu billigen.

Diese Behauptung ließ sie schleunigst fallen, als Chris von einem hübschen blonden Jungen entbunden wurde, den sie Vic zu Ehren Victor nannte.

So sehr Bunny über die gesellschaftliche Schande des Lesbischseins wütete, Victor konnte sie nicht widerstehen. So wenig wie alle anderen, ganz besonders Piper.

Chris' Familie ließ sie fallen. Ihre Brüder meldeten sich ab und an, aber von Mutter oder Vater hörte sie nichts mehr, und sie versuchte auch nie mit ihnen in Kontakt zu treten. Chris war der oft geäußerten Ansicht, daß die Familie aus Menschen besteht, die einen um seiner selbst willen lieben.

Weil R. J. sah, daß Vic glücklich war, akzeptierte sie die Beziehung. Aber R. J. hatte ja von jeher an die Liebe geglaubt. Sie liebte Frank trotz allem. Warum sollte Victoria ihre Chance nicht bekommen?