Vic bat den Dekan, bis Freitag zu warten, bevor er ihre Eltern verständigte. Sie wolle nach Hause und selbst mit ihnen sprechen.

Er war einverstanden.

Vic gab ihm die Hand, ging hinaus und atmete die klare Herbstluft tief ein. Sie war voll gründlicher Entschlossenheit. Sie wußte nicht genau, warum, aber sie hatte ein gutes Gefühl.

Sie hinterließ im Wohnheim eine Nachricht für Charly und versprach, ihn am Abend anzurufen; sie werde morgen nach Hause fahren, um es ihren Eltern zu beichten.

Jinx hatte Vorlesung, darum ging Vic zu ihr nach Hause und hinterließ eine ähnliche Nachricht.

Sie spazierte über den Campus zurück und bemerkte die Symmetrie der eleganten Backsteingebäude, die von Ordnung kündete. Und Konformismus. Strenge. Ihr war, als sähe sie das William and Mary College, ihre Alma Mater, auf neue Weise und zum ersten Mal.

Chris entdeckte Vic, die im Flur vor ihrem Seminar über amerikanische Dichtkunst wartete.»Hallo.«

«Hallo.«

Schweigend gingen sie die Treppe hinunter auf den Rasen.

«Du siehst glücklich aus, Vic.«

«Bin ich auch. Ich bin ein freier Mensch«, sagte sie mit einem leisen Lächeln.

«O nein. «Chris teilte ihr Glück nicht. Sie fürchtete, daß Vic es in ein, zwei Jahren bereuen würde. Zudem hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht ebenfalls gestanden hatte.

«Ich fühl mich, rein.«

«Und ich fühl mich mies, weil ich mich nicht dazu bekannt habe.«

«Du bist aufs Examen angewiesen, ich nicht. Außerdem war's meine Idee.«

«Ich hab mitgemacht.«

«Du hörst dich genauso an wie Charly.«

«Er hat Recht. «Es versetzte Chris jedes Mal einen Stich, wenn Charlys Name fiel.

«Ich weiß, was ich tue. Und jetzt laß uns nach Hause gehen und feiern. «Sie flüsterte ihr ins Ohr:»Ich mach dich so geil, daß du mich drum anflehen wirst.«

Chris wurde rot.»Vic, dein bloßer Anblick macht mich geil.«

«Dann eben noch geiler. «Vic hätte sie gern aufs Ohr geküßt.»Wir wollen uns lieben und lieben und nochmals lieben. Dann muß ich nach Hause und es hinter mich bringen. «Sie seufzte.

«Heute Abend?«

Vic antwortete nach einer Pause:»Morgen früh. Aber du wirst mich vielleicht fesseln müssen, um mich heute Abend festzuhalten. «Sie zwinkerte.

«Woher hast du nur diese Ideen?«Chris staunte über Vics unersättliche sexuelle Energie und Fantasie.

«Keine Ahnung. Aber bevor ich dich kannte, hatte ich sie nie.«

32

Ein steifer Wind aus Südosten — einer unüblichen Richtung — setzte dem James weiße Schaumkronen auf. Kleine Fahnen zur Warnung der Boote flatterten flußauf und flußab vor Bootshäusern und Yachtclubs im Wind; die Metallstückchen an den Schnüren klackten unaufhörlich gegen die Fahnenstangen.

Für seine Verabredung mit Frank Savedge hatte Charly sich das Auto eines Freundes geliehen. Als die Jamestown-Fähre an Scotland Wharf anlegte, war er wie jedes Mal gerührt, wie ländlich Surry County noch war. Der Süden von Virginia lebte in einer anderen Zeit als der Rest des Staates. Das gefiel ihm.

Seit der Nacht, in der er mit Vic und Chris ins Bett gegangen war, hatte er zwanghaft an sie gedacht, wechselnd zwischen gesteigerter sexueller Begierde und Entsetzen bei der Vorstellung, wie die zwei Frauen sich geliebt hatten. Daß Frauen sich gegenseitig begehrenswert fanden, leuchtete ihm ein. Frauen waren der pure Sex, der Mittelpunkt jeglicher Begierde. Er kam nicht auf den Gedanken, daß er Vic mit Chris teilte. Er hielt die Beziehung der beiden für Freundschaft mit einem gewissen Extra.

Er überlegte, ob er mit Vic über ihre und Chris' Freundschaft sprechen sollte.

Er mochte Chris. Sie war nett und hübsch. Mit ihr zu schlafen war ihm nicht schwer gefallen, aber er konnte nicht aufrichtig sagen, daß sie ihn sexuell erregte. Vic stand bei ihm stets im Mittelpunkt. Er war wie eine Stimmgabel. Kam sie in seine Nähe, vibrierte er.

Ganz sicher erging es ihr mit ihm genauso. Ihre Küsse waren leidenschaftlich, ihr Körper wurde heiß, wenn er sie berührte, sie wollte ihn in sich haben. Sie gehörten zusammen.

Die Stadt Surry kam in Sicht. Er fuhr die Main Street entlang, bog in die Gasse hinter Franks Büro ein und parkte. Er stieg aus in den mehr als lebhaften Wind, schloß die Augen und atmete tief durch.

Gerade als er zur Eingangstür kam, öffnete Sissy Wallace sie von innen.

«Ah, ich dachte, daß Sie's sind. Wir haben uns viel zu lange nicht gesehn. «Sissy strahlte. Sie hatte Charly im Laufe des vergangenen Sommers ins Herz geschlossen.

«Hallo, Miss Wallace. Schön Sie zu sehn.«

«Kommen Sie schleunigst rein. Es gibt einen schrecklichen Sturm. Vielleicht nimmt er mir ein bißchen Arbeit beim Bäumebeschneiden ab. Ich muß die ganze Gartenarbeit machen, weil Poppy zu alt ist und Georgia sich einen von ihren kostbaren Fingernägeln abbrechen könnte. «Sie schloß die Tür hinter ihm.»Ich wollte gerade gehn. Frank ist unser Anwalt, und ich genieße es so sehr, mich mit ihm zu unterhalten, aber heute war es ein geschäftlicher Besuch, nichts Privates. Poppy hat Yolanda in die Küche gelassen. Sie wohnt in der Küche. Das geht einfach nicht. Georgia ist viel zu nachsichtig mit ihm. Sie sagt, Yolanda macht ihn glücklich. Und ich sage, sie ist eine Kuh und Poppy soll sein Glück woanders suchen.«

«Ach, das ist aber sehr bedauerlich, Miss Wallace«, erwiderte Charly, verwundert, daß Sissy eine andere Frau eine Kuh nannte. Vielleicht hatte sie schon ein paar Margarita intus.

«Wenn ich mich mit ihr abfinde, werde ich verrückt. Tue ich's nicht, streicht er mich wieder aus seinem Testament. Es ist so lästig. «Sie schob verdrossen die leuchtend rote Unterlippe vor.»'türlich, Georgia verhätschelt ihn morgens, mittags, abends. Sie rechnet damit, daß ich irgendwann die Beherrschung verliere, so daß er das Testament annulliert und mich gleich mit. Ich weiß, was sie denkt, die Schlange.«

«Es tut mir Leid, daß Sie unglücklich sind, Miss Wallace.«

Sie standen in der Eingangshalle, und Charly hoffte, Frank würde aus seinem Büro kommen. Er wußte nicht, ob die Sekretärin ihn gehört hatte, aber er wußte, wie Sissy quasseln konnte.

«Ach, ich bin nicht maßlos unglücklich, Charly, nicht so unglücklich, daß ich mich auf die Erde schmeiße und Dreck esse. «Ihre Miene hellte sich auf.»Ein Cadillac würde meine Lebensgeister beträchtlich aufmuntern, und wissen Sie was, Bunny sagt, sie will mir helfen, einen zum Großhandelspreis zu kriegen. Ich möchte einen cremefarbenen Cadillac mit meergrüner Innenausstattung, jawohl. Ich werde einen Schal tragen, der zur Innenausstattung paßt. das betont meine Augenfarbe, aber Sie gucken ja lieber in Vics Augen. Haben die nicht das strahlendste Grün, das Sie je gesehen haben? Wie eine Katze. Vics Mutter auch. Vielleicht sind sie Katzen. Anmutig wie Katzen. Ach du liebe Zeit, da quatsche ich über mich, dabei haben Sie das großartige Footballspiel gespielt, wir waren ja alle so stolz auf Sie, Charly Harrison. Stolz wie Oskar.«

Endlich erschien Mildred, Franks Sekretärin. Sie zwinkerte Charly zu.»Mr. Savedge erwartet Sie.«

«Ich muß machen, daß ich wegkomme, bevor der Sturm loslegt. Ich werd mich wohl mit Yolanda abfinden müssen, kann sie in einem Hurrikan doch nicht an die Luft setzen. «Sissy lachte.»Vielleicht könnte ich statt ihrer Poppy an die Luft setzen. «Sie machte die Tür auf, die der Wind krachend zuschlug.

Frank kam aus seinem Büro und schüttelte Charly die Hand.»Tut mir Leid, ich wußte nicht, daß Sissy dich mit ihrer Person beehrt hat.«

Franks Büro war sauber und bescheiden eingerichtet. Ein fadenscheiniger dunkelblauer chinesischer Teppich bedeckte den Fußboden; zwei braune lederne Ohrensessel, ebenso abgewetzt wie der Teppich, standen vor dem Schreibtisch.

Frank nahm auf dem einen Sessel Platz und bot Charly den anderen an.

«Möchtest du was trinken?«

«Nein Sir, danke.«

«Ich nehme an, du hast alles über Yolanda zu hören bekommen.«

Charly lachte.»Poppy Wallace ist der Hammer. Hält sich eine Frau in der Küche.«

«Yolanda ist tatsächlich eine Kuh.«

Charly brach in Lachen aus.»Ich dachte, Sissy macht Spaß, als sie Yolanda eine Kuh nannte.«

«Nein. Yolanda ist eine richtige Kuh. Die letzte seiner ehemaligen Jersey-Herde, und Edward hat beschlossen, daß sie nicht mehr draußen leben soll. Sie darf bei schlechtem Wetter in die Küche. Er sagt, der Fußboden ist aus Linoleum, da kann sie nichts kaputtmachen.«

«Ist er. Sie wissen schon. «Charly tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

Frank lehnte sich zurück, schlug ein Bein über das andere.»Nein, ich glaube nicht. Ich denke, er ist jetzt in dem Alter, wo alles, was er noch aus seinen glorreichen Zeiten um sich hat, ihm sehr lieb ist. Yolanda ist die letzte dieser Rasse von seiner großen Herde. Von Jahr zu Jahr hat er weniger gezüchtet. In seiner Glanzzeit hat er drei erfolgreiche Geschäfte gleichzeitig betrieben. Die Milchwirtschaft war nur eins davon. Er war ungeheuer stolz darauf. «Frank rollte einen Bleistift zu seinem Telefon hin und hielt ihn dann an.»Nun, ich denke nicht, daß du hier bist, um über Rindvieh und die Wallaces zu sprechen.«

«Nein, Sir, obwohl die Wallaces einmalig sind.«

«Charly, jeder verflixte Einwohner von Surry County ist einmalig.«

«Ja, Sir. «Charly lächelte, atmete tief durch und sagte sehr selbstsicher:»Ich bin hier, um Sie um die Hand Ihrer Tochter zu bitten, Sir. Ich liebe sie. Ich werde für sie sorgen und alles tun, was in meiner Macht steht, um sie glücklich zu machen.«

Das kam für Frank nicht überraschend.»Das glaube ich dir.«

«Ich liebe sie, Mr. Savedge. Ich glaube, ich könnte ohne sie nicht leben.«