«Sie sind abhängiger als wir. Das ist meine feste Überzeugung.«

«Heirate ihn jetzt. Danach könnt ihr zusammenwachsen. Je länger du wartest, desto eigenwilliger wirst du, und dann ist es nicht leicht. «Sie atmete aus.»Gott sei Dank hast du einen gefunden, der reich ist.«

«Wenn du ihn nicht willst, nehm ich ihn«, sagte Jinx.

«Was gibst du mir für ihn?«

«Wie wär's mit dem Porsche von meinem Dad?«

«Ooh. «Vic tat so, als sei es eine schwere Entscheidung.

«Ihr seid alle schlimm, aber keine ist heute Abend so schlimm wie Mignon. «Tante Bunny, die nach der ganzen Aufregung langsam wieder zur Besinnung kam, ließ den Kopf ans Stuhlkissen sinken, während ihre Hand Pipers Rücken kraulte.

«Findest du nicht, daß ich älter aussehe?«Mignon sah ihre Tante herausfordernd an.

«Du siehst aus wie eine fünfzehnjährige aufgetakelte Fregatte.«

«Frikadelle«, witzelte Vic, um die Fregatte abzumildern.

«Boulette«, fügte Jinx an.

«Klops«, fiel Chris ein.

«Würstchen. «Mignon spielte die Überlegene.

«Hört mal, ihr Lieben, ich geh lieber nach Hause, solange ich noch kann. Ich hab bald keinen Funken Energie mehr im Leib. «Bunny setzte sich auf und griff nach ihrem Pokal.»In ein paar Jahren werden eure Kinder den Riesenpokal im Club betrachten und dort>1978, 1979, 1980 Beatrice McKenna< eingraviert sehen.«

«Was ist mit 1981 und 1982? Du hast noch viele Jahre vor dir«, sagte R. J. die sich für ihre Schwester freute.

«Hoffentlich, aber an die Spitze klettern ist leichter als oben bleiben. Ein ganzer Schwung Damen ist mir auf den Fersen.«

«Wenn du noch mal drei Jahre hintereinander gewinnst, kannst du einem zweiten Pokal zur ewigen Ruhe verhelfen. Dann ist dein Kaminsims symmetrisch, ein Pokal auf jeder Seite. «R. J. stand auf, um ihre Schwester zum Auto zu begleiten.

«Ich geh ins Bett. «Jinx strebte zum Haus.

Mignon warf sich auf die frei gewordene Liege.»Laßt uns die ganze Nacht aufbleiben und Gruselgeschichten erzählen.«

Vic wollte draußen sitzen und sich mit Chris unterhalten. Sie wollte wissen, wo sie in die Grundschule und auf die Highschool gegangen war. Was ihre Lieblingsbücher, — filme, — bands waren. Was sie nach dem Examen mit ihrem Leben anfangen wollte. Sie wußte nicht, warum sie das wissen wollte, sie wollte es einfach. Aber Mignon würde dabei stören, und sie hatte keine Lust, sich mit ihrer Schwester anzulegen.

«Erzählt ihr euch Gruselgeschichten. Ich geh auch schlafen. «Vic stand auf.

«Ich auch. «Chris erhob sich, streckte die Arme über den Kopf, so daß sich ihre Brüste hoben.

Vic konnte die Augen nicht abwenden von dieser Bewegung oder den schönen Brüsten. Sie hatte es immer ausgesprochen dämlich gefunden, daß Jungs sich auf eine einzige Körperpartie, die Brüste, konzentrierten. Sie fragte sich, wieso sie ihr früher nicht aufgefallen waren. Oder warum ein anmutiger Hals ohne Adamsapfel sie früher nie an einen Schwan erinnert hatte. Sie hatte das Gefühl, Frauen nie richtig gesehen zu haben. Sie war blind gewesen für die Schönheit der Hälfte der Menschheit. Nicht, daß sie eine schöne Frau nicht von einer unterscheiden konnte, die weniger von der Natur gesegnet war. Es war ihr nur nie bewußt geworden. Ihr war ein bißchen zumute wie damals, als sie zum ersten Mal Mozart richtig gehört hatte. Sie hatte ihn immer für einen Klimperkomponisten gehalten und konnte nicht verstehen, warum ihre Eltern seine Werke so schätzten. Eines Tages hatte sie beim Laubrechen — das Radio draußen war auf den Klassiksender eingestellt — Töne in äußerster Vollkommenheit gehört, in ihrer ganzen Harmonie, Anmut und Bewegtheit, die pure ungehemmte Freude. Das Rauschen des James war mit Mozart im Einklang gewesen.

Genauso war ihr jetzt zumute.

Jinx war schon unter der Dusche. Mignon, die herumgrummelte, daß sie richtig gruselige Geschichten erzählen könnte von gruseligen Käfern, die aus Augenhöhlen krochen, hopste hinter Vic und Chris her, als sie die lange Treppe hochgingen, deren breiter Absatz auf das Wasser hinaussah.

Oben auf dem Treppenabsatz umarmte Mignon Vic und gab ihr einen Kuß, dann umarmte sie Chris und gab auch ihr einen Kuß.

«Ich bin froh, daß ihr dabei wart, als ich die Ohrlöcher gestochen gekriegt habe.«

«Wir waren nicht dabei — genau genommen. «Vic lächelte sie an.»Und wie hast du Hojo rumgekriegt?«

Mignons Stimme wurde lebhaft.»Sie hatte gerade nichts andres zu tun.«

«Aha. «Vic schüttelte den Kopf.

«Mignon, die Ohrringe stehen dir wirklich gut. «Chris hatte die Hand auf dem Messingknauf ihrer Zimmertür.

«Echt?«Mignon klatschte in die Hände, dann breitete sie sie aus und schlang die Arme um Chris' Hals.»Du bist so was von cool. Ich bin froh, daß meine Schwester dich mit nach Hause gebracht hat.«

Chris erwiderte die Umarmung.»Ich auch. «Als Mignon Chris losließ, stellte Chris sich auf die Zehenspitzen und küßte Vic auf die Wange.»Gute Nacht, danke für den herrlichen Tag.«

Als Vic einzuschlafen versuchte, brannte ihr der Kuß auf der Wange.

10

Die unterschiedlich breiten Bodendielen, die glatt waren wie polierte Knochen, schimmerten sogar im Dunkeln. Chris versuchte zu schlafen. Die Zettel, die Mignon unentwegt unter der Tür durchschob, trugen dazu bei, daß sie nicht zur Ruhe kam. Die Erinnerung an den Glanz, den Vics Körper ausstrahlte, erledigte den Rest.

Anders als Vic wußte Chris, daß sie für die Sexualität von Frauen empfänglich war. Ihr war sogar schon in den Sinn gekommen, daß sie lesbisch sein könnte, ein Gedanke, den sie unbarmherzig in den hintersten Winkel ihres Gehirns verbannte. Eine Frau zu lieben konnte sie nicht schrecken, wohl aber die Reaktion der Leute.

Sie hatte ältere Frauen gesehen, von denen sie vermutete, daß sie lesbisch waren. Sie kamen ihr nicht gerade glücklich vor, aber wenn sie es recht bedachte, wie viele glückliche ältere Menschen kannte sie denn? Niemand, ob hetero oder homo, läßt sich gern beiseite schieben. Kein Wunder, daß Edward Wallace die Kontrolle fest in der Hand behielt. Geld verlieh ihm Bedeutung, ließ ihn am Ball bleiben, hielt ihn jung.

Chris, die erst zwanzig war, hatte keine Vorstellung davon, was die Jahre anrichten konnten. Sie schrieb jede Falte, jedes Stirnrunzeln im Gesicht eines homosexuellen Menschen dem Umstand zu, daß er oder sie homosexuell war. Sicher, Schwule und Lesben, die von den einen verachtet, von den anderen gehaßt, von wenigen toleriert wurden, erwarteten keine Gerechtigkeit vom Leben. Schmerz ist Schmerz.

Chris vermutete, es sei ein Vorteil des Homosexuellseins, auf Anhieb zu wissen, woher der Schmerz kam und wer ihn zufügte. Schmerz beschlich heterosexuelle Menschen allzu oft. Er war schuld an ihren verstörten Mienen, wenn sie Ende dreißig waren, an dem hektischen Streben nach beruflichem Erfolg, an der Suche nach dem Quell der Jugend, nach geistiger Erfüllung. Aber mit zwanzig konnte Chris nur sehen, daß ihre Möglichkeiten nach außen hin streng begrenzt sein würden, wenn sie auf ihr Herz und ihren Körper hörte. Sie wußte, sie konnte ihren Körper zu allem zwingen, was sie ihm befahl. Ihr Herz, das stand jedoch auf einem anderen Blatt.

Auch hatte sie keine Vorstellung vom Nutzen der Selbsterkenntnis und der Kenntnis der Gesellschaft, die ein homosexueller Mensch erwirbt.

Sie las Mignons letzten Zettel.»Findest du Hojos Fingernägel mit den Sternchen drauf nicht cool? Falls du sie gesehen hast.«

Chris schrieb zurück:»Schwer zu übersehen. Mit den Nägeln könnte Hojo glatt als echter Protz-Mandarin durchgehen. Ich kann mir vorstellen, daß sie ihr Essen beim Pizza-Dienst bestellt statt zu riskieren, daß beim Kochen ihre Nägel abbrechen.«

Sie hörte Mignon auf der anderen Seite der Tür kichern. Sie hatte zwei ältere Brüder, und sie mochte Mignon, mochte die Vorstellung, eine Schwester zu haben. Schwestern hingen oft sehr aneinander. Wie R. J. und Bunny. Aber dann gab es auch Schwestern wie Sissy und Georgia. Die Energie zwischen Schwestern war so ganz anders als die, die sie bei ihren Brüdern spürte — die sie aufrichtig liebte. Dies zu definieren machte sie konfus. Sie konnte es nicht in Worte fassen, konnte es nur fühlen. Sie fragte sich, ob andere Frauen auch merkten, daß weibliche Energie anders war als männliche. Und was fühlten Männer? Sagten sie ihr die Wahrheit, oder suchten sie sie zu beschützen? Nun ja, es war vielleicht nicht schlecht, beschützt zu werden.

Ein frisches Blatt Papier wurde raschelnd unter der Tür durchgeschoben. Sie und Mignon hatten das erste Blatt bereits voll geschrieben.

Auf diesem stand:»Die Leute sagen, Vic ist die schönste Frau, die sie je gesehen haben. Mom auch. Ich komm mir vor wie ein Esel neben zwei Vollblutpferden. Gib mir einen Rat. Aus dem richtigen Leben.«

Chris legte ein Buch als Unterlage auf ihre Knie. Ein leichter Wind wehte durch das offene Fenster herein. Sie schrieb in ihrer großen, adretten, nach rechts geneigten Handschrift:»Mignon, Schönheit entfaltet sich im Auge des Betrachters. Zunächst. Und du bist im Fohlenstadium. Jetzt siehst du noch nicht so gut aus. Du wirst später viel besser aussehen, wenn du auf dich achtest. Kümmere dich mehr um das, was innen ist als um das, was außen ist. So weit mein Rat. «Sie unterschrieb mit» Die Nicht-Autorität«.

Eine lange Pause folgte, während der Mignon die Antwort verdaute. Schließlich kam die Fortsetzung mit einer Zeichnung von einem Schwein.»Willst du mir sagen, daß ich abnehmen muß?«

Chris schrieb:»Ja. Wenn du klagst und stöhnst, daß Vic und deine Mutter so schön sind, willst du dann neben ihnen weniger vollkommen sein, als du sein könntest? Nun eine Frage an dich: Wie ist Charly?«