Die Gelegenheit würde sich also von selbst ergeben müssen. Ich wartete im Schatten des Palasts, horchte gespannt auf das Wellengeplätscher. Als ich das rhythmische Klatschen von Rudern vernahm, machte ich mich bereit, aus meiner Deckung zu huschen.

Ein von einem Baldachin überdachtes Boot glitt in Sichtweite.

Die Wächter stellten sich in einer Reihe auf. Aus dem Garten tauchte eine schlanke Gestalt auf. Ich zuckte zusammen, als ich Master Cecil erkannte. Ein ganz in Schwarz gewandeter Mann gesellte sich zu ihm. Kribbelnd stellten sich mir die Nackenhaare auf. Wie viele unsichtbare Schattengestalten mochten da denn noch lauern?

Das Boot legte an. In den Schatten der Hecke geduckt, schlich ich näher. Obwohl meine Schritte furchtbar laut auf dem Kies des Weges knirschten, erreichte ich ungehindert das Flussufer.

Drei Gestalten in langen Umhängen stiegen aus dem Boot und erklommen die Stufen zum Steg. Sie selbst trat als Erste hervor, mit einem schlanken, silberfarbenen Hund an der Leine. Als ihre schmale Hand die Kapuze zurückschlug, erspähte ich feuerfarbene Flechten in einem filigranen Silbernetz, die ein kantiges Gesicht umrahmten.

Cecil und der Fremde in Schwarz verbeugten sich. Ich schlich mich näher heran, duckte mich noch tiefer in den Schatten der Hecke. Sie waren nur einen Steinwurf entfernt, und die nächtliche Stille verstärkte ihre Stimmen. Zunächst hörte ich die von Cecil. Sie hatte einen dringlichen Unterton.

»Eure Hoheit, ich muss Euch bitten, Euren Entschluss zu überdenken. Der Hof ist für Euch gegenwärtig nicht sicher.«

»Ganz meine Meinung«, mischte sich eine zweite Stimme wichtigtuerisch ein. Sie gehörte der kleineren Gestalt an der Seite der Prinzessin, einer korpulenten Person, die reichlich dreist klang. Das war wohl diese Mistress Ashley, die Robert erwähnt hatte. Die etwas größere Begleiterin hinter Elizabeth schwieg, eingehüllt in ihren goldbraunen Samtumhang.

»Noch keine Stunde ist es her, da habe ich Ihrer Hoheit genau das gesagt!«, ereiferte sich die Gouvernante. »Aber hat sie etwa auf mich gehört? Natürlich nicht! Wer bin ich denn schon? Doch nur die Frau, die sie aufgezogen hat.«

»Ash Kat«, ließ sich die Prinzessin in gereiztem Ton vernehmen, »sprich nicht von mir, als ob ich nicht da wäre.« Sie blitzte die Gouvernante ärgerlich an, die ihrem Blick erstaunlich selbstbewusst standhielt. Elizabeth wandte sich Cecil zu. »Wie ich Mistress Ashley schon habe wissen lassen, sorgt Ihr beide Euch zu sehr. Der Hof war noch nie sicher für mich, und doch bin ich immer noch lebendig genug, um durch seine Hallen zu wandeln, nicht wahr?«

»Aber natürlich«, entgegnete Cecil. »Niemand bezweifelt Eure Fähigkeit zu überleben, Mylady. Ich wünschte nur, Ihr hättet mich um Rat gefragt, bevor Ihr Hatfield verließt. Indem Ihr einfach so nach London kommt, könntet Ihr den Unmut des Herzogs erregen.«

»Wüsste nicht, warum«, erwiderte sie barsch. »Ich habe genauso das Recht, meinen Bruder zu sehen, wie meine Schwester Mary, und sie hat er wohlwollend genug empfangen.« Sie raffte ihren Umhang. »So, wenn es weiter nichts gibt, möchte ich jetzt endlich in den Thronsaal. Edward wird mich schon erwarten.«

Wieder musste ich mich hinter die Hecke ducken, um ihnen nachzuschleichen, voller Angst, mich durch das Knacken eines trockenen Zweigs zu verraten, aber zum Glück verursachten meine weichen Ledersohlen keine Geräusche auf dem Rasen. Mir war nur zu bewusst, dass ich gerade einer Unterhaltung gelauscht hatte, die nicht für meine Ohren bestimmt war, während mir die Botschaft, mit der ich betraut war, mehr und mehr wie eine Finte vorkam. Mochte Robert auch beteuern, er würde die Prinzessin nie betrügen, dem Herzog jedenfalls schien Cecil alles zuzutrauen. Was, wenn ich mit der Übergabe der Botschaft und des Rings meines Herrn mehr Unheil anrichtete, als ich mir vorstellen konnte?

»Eure Hoheit, bitte.« Cecil stolperte ihr atemlos hinterher, denn trotz ihrer Zierlichkeit schritt sie kraftvoll aus. »Ich beschwöre Euch, bedenkt doch, welcher Gefahr Ihr Euch aussetzt. Hättet Ihr denn sonst das Angebot ausgeschlagen, hier im Palast zu wohnen?«

Also hatte Robert recht gehabt! Der Herzog wusste, dass sie kommen wollte. Er hatte ihr sogar Logis angeboten. Warum nur machte er seinem eigenen Sohn etwas vor?

Elizabeth blieb stehen. »Nicht, dass ich Euch eine Erklärung schulde, aber ich habe ›das Angebot ausgeschlagen‹, wie Ihr es zu formulieren beliebt, weil sich schon zu viele Leute am Hof befinden und ich es mir bei meiner zarten Gesundheit nicht leisten kann, mich mit irgendeiner Krankheit anzustecken.« Sie hob abwehrend die Hand. »Und ich werde mich nicht umstimmen lassen. Ich habe lange genug gewartet. Ich will heute Abend meinen Bruder sehen. Keiner, nicht einmal der Herzog von Northumberland, kann mir das verwehren.«

Cecils widerstrebendes Kopfnicken zeigte, dass er sich geschlagen gab. »Lasst Euch doch wenigstens von Master Walsingham begleiten. Er ist gut geschult und wird Euch zu schützen wissen, falls …«

»Ich denke nicht daran! Ich brauche keinen Walsingham und auch sonst niemanden. Bin ich denn nicht die Schwester des Königs? Was habe ich von seiner Hofgesellschaft zu befürchten?« Ohne auf Antwort zu warten, setzte sie ihren Weg zum Palast fort, den Hund in vollkommenem Gleichschritt an ihrer Seite. Doch plötzlich blieb er stehen, wandte den Kopf zur Hecke und knurrte. Ich erstarrte; er hatte mich gewittert. Sie zog an der Leine. Der Hund rührte sich nicht, knurrte nur noch drohender.

»Wer da?«, hörte ich sie fragen und wusste, dass ich nun keine Wahl mehr hatte.

Unter dem wilden Gebell des Hundes schlüpfte ich durch eine Lücke in der Hecke, riss mir die Mütze vom Kopf und sank auf die Knie. Das Mondlicht schien mir hell ins Gesicht. Elizabeth starrte mich reglos an, während der Hund mit gebleckten Zähnen geiferte. Cecil schnippte mit den Fingern. Die Wärter stürzten sich auf mich und zogen blank. Innerhalb einer Sekunde war ich von Klingen umgeben. Wenn ich auch nur einen Finger rührte, würden sie mich aufspießen.

Der Hund zerrte aus Leibeskräften an der Leine. »Ruhig, Urian.« Seine Herrin tätschelte ihm den schmalen Kopf. »Sei still.« Der Hund ließ sich gehorsam auf die Hinterhand nieder, während seine grünlichen Augen mich unentwegt fixierten.

»Ich glaube, ich kenne diesen Jüngling, Eure Hoheit«, sagte Cecil. »Ich versichere Euch, er ist harmlos.«

Sie hob eine ihrer dünnen, rotgoldenen Brauen. »Zweifellos, zumal er offenbar glaubt, sich ausgerechnet in einer Hecke vor uns verbergen zu können. Wer ist er?«

»Robert Dudleys Junker.«

Ich sah gerade rechtzeitig auf, um den Blick aufzufangen, den Cecil in meine Richtung warf. Ich konnte nicht erkennen, ob er amüsiert war oder verärgert.

Die Prinzessin winkte die Wärter beiseite. Ich verharrte auf einem Knie.

Es gibt Momente, die über unsere ganze Existenz entscheiden, Momente, die zu Angelpunkten unseres Lebens werden, wenn wir sie denn als solche erkennen. Wie Perlen an einer Schnur werden sich solche Momente mit der Zeit zur Essenz unseres Daseins aneinanderreihen und uns Trost spenden, wenn unser Ende naht.

Für mich war die Begegnung mit Elizabeth Tudor einer dieser Momente.

Das Erste, was mir auffiel: Schön war sie nicht. Ihr Kinn war zu spitz für das Oval ihres Gesichts, ihre lange, schmale Nase hob die hohen Wangenknochen und die stolze Stirn hervor. Ihr Mund war ein wenig zu breit und die Lippen zu dünn, als fände sie Vergnügen daran, Geheimnisse zu bewahren. Und sie war zu blass und ätherisch, wie ein Fabelwesen von ungewissem Geschlecht.

Dann begegnete ich ihrem Blick. Ihre Augen waren unergründlich; übergroße Pupillen verschlangen fast die goldene Iris wie verdunkelte Zwillingssonnen. Augen wie die ihren hatte ich vor Jahren einmal gesehen, als ein Wanderzirkus uns auf Dudley Castle unterhielt. Auch damals war ich fasziniert gewesen von ihrer schwelenden Kraft.

Sie hatte die Augen einer Löwin.

»Lord Roberts Junker?«, murmelte sie, an Cecil gewandt. »Wie kann das sein? Ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Ich bin neu am Hof, Eure Hoheit«, antwortete ich. »Euer Hund ist aus dem Ausland, nicht wahr?«

Sie blitzte mich an; sie hatte mir nicht erlaubt zu sprechen. »Er ist aus Italien. Ihr kennt die Rasse?«

»Während meiner Zeit in den Stallungen der Dudleys hatte ich Gelegenheit, so manches zu lernen.«

»Ach ja?« Sie legte den Kopf schräg. »Streckt einmal die Hand aus.«

Zögernd tat ich, wie mir geheißen. Sie ließ die Leine locker. Der Hund beschnupperte meine Hand, und ich wäre fast zurückgezuckt, als ich seinen Atem auf meiner Haut spürte. Er schnüffelte. Im nächsten Moment leckte er mir zu meiner Erleichterung die Finger und zog sich zurück.

»Ihr versteht etwas von Tieren«, sagte Elizabeth. »Urian fasst selten Vertrauen zu Fremden.« Sie bedeutete mir, mich zu erheben. »Wie heißt Ihr?«

»Brendan Prescott, Eure Hoheit.«

»Ihr seid ein kühner Bursche, Brendan Prescott. Sagt, was ist Euer Begehr?«

Ich merkte plötzlich, dass ich zitterte, und platzte überstürzt heraus: »Mylord lässt Euch sein Bedauern ausrichten, dass er nicht hier sein konnte, um Eure Hoheit zu empfangen. Er wurde in einer dringenden Angelegenheit abberufen.«

Weiter wagte ich nicht zu gehen. Ich hatte versprochen, den Ring diskret zu übergeben, und hatte das Gefühl, dass sie es nicht schätzen würde, ihre Beziehung zu Robert Dudley an die Öffentlichkeit gebracht zu sehen. Der Blick, mit dem sie mich in Schach hielt, war von einer Intensität, die an ihren verstorbenen Vater erinnerte – dessen Augen, wie es hieß, so durchdringend waren, dass sie einem Menschen bis ins Herz sehen und erkennen konnten, ob es treu war oder nicht.