Er neigte den Kopf, als hätte ich ihm ein Kompliment gemacht. »Ich habe keine weiteren Geheimnisse vor Euch. Jetzt können wir gemeinsam für eine Sache arbeiten, die größer ist als wir beide – die Sache Elizabeths, die bald vor einer Herausforderung stehen wird, und die wird weit schrecklicher als jeder Dudley sein.«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich noch mit Euch zu schaffen haben will«, knurrte ich.

Er bedachte mich mit einem wissenden Lächeln. »Warum, mein lieber Junge, seid Ihr dann noch hier?«

29

Es war Spätnachmittag, als wir das Haus verließen. Ich war noch nie auf einem Ruderboot gewesen, musste jedoch zugeben, dass das in London die angenehmste Art zu reisen war, auch wenn die Oberfläche des Flusses mit Treibgut übersät war. Ich wollte nicht allzu genau hinschauen, denn davon stieg ein ätzender Geruch empor, der sich an die Kleider heftete. Trotzdem war die Themse sauberer als jede Londoner Straße, und man kam mühelos voran. Zu verdanken war das den Gezeiten, die dafür sorgten, dass der Dreck ins Meer getragen und frisches Wasser hereingespült wurde. Was mich wunderte, war die Geschwindigkeit, mit der uns der Bootsmann, den wir gemietet hatten, halb betrunken, wie er war, zu jener gewaltigen Steinbrücke beförderte, über die die Hauptstraße nach Canterbury und Dover führte.

Das tortenähnliche Gebilde thronte, verziert von einem Wärterhäuschen im Süden und überdacht von Wohngebäuden, auf zwanzig Pfeilern. Während ich es betrachtete, kommentierte Cecil: »Es gibt Menschen, die auf dieser Brücke geboren werden, leben und sterben, ohne sie je zu verlassen. Bei Flut kann man ›durch die Brücke schießen‹ – was ein ziemliches Abenteuer ist, wenn man es überlebt.«

Prompt jagte der Bootsmann den Kahn mit einem zahnlosen Grinsen und übelkeiterregender Geschwindigkeit durch einen der schmalen Bögen der Brücke. Ich klammerte mich an meiner Holzbank fest, die Lippen aufeinandergepresst. Auf der anderen Seite geriet der Kahn in einen gewaltigen Sog und richtete sich blitzartig auf. Mir stieg der Geschmack von Erbrochenem in die Kehle.

In Zukunft wollte ich mich wieder an mein Pferd halten.

Endlich erreichten wir ruhiges Wasser und glitten auf ein atemberaubend schönes, spiegelglattes Becken zu, wo vor Anker liegende Galeonen unter dem dämmrigen Himmel schaukelten. Weiter hinten wachte der Tower über die Einfahrt in die Stadt. Obwohl ich sie nicht sehen konnte, war ich mir sicher, dass Kanonen jeden Zoll seiner vom Wasser umspülten Mauern schützten. Im schwindenden Tageslicht waren die verwitterten Steine des Towers in einen rostfarbenen Ton getaucht, der an Blut gemahnte und seinen Ruf als düsteren Ort unterstrich, den man nach Möglichkeit meiden sollte.

»Ihr braucht das nicht persönlich zu tun«, meinte Cecil. »Es gibt viele Wege, einen Brief zu überbringen.«

Ich betrachtete das Hauptgebäude innerhalb der Anlage, an dessen vier Türmen Standarten hingen. »Nein, das ist das Mindeste, was sie verdient, und Ihr schuldet es mir.«

Cecil seufzte. »Scharfsinnig und starrköpfig. Hoffentlich begreift Ihr, dass wir nicht länger bleiben können, als wir willkommen sind. Ich weiß nicht, was uns erwartet, wenn ich die Befehle der Königin erst einmal übermittelt habe. Unabhängig davon wird in ein paar Stunden die Sperrstunde ausgerufen, und dann werden alle Tore geschlossen. Wer dann noch drinnen ist, bleibt drinnen.«

Unser Kahn legte an. Cecil erhob sich. »Zieht Euch die Kappe übers Gesicht. Was immer Ihr tut, sprecht nur, wenn Ihr müsst. Je weniger man von Euch sieht und hört, umso besser.«

»Soll mir recht sein«, murmelte ich.

Wir stiegen die Stufen zum Pier hinauf und marschierten über ein freies Feld zum Torhaus, wo erschreckend viele Wächter den Eingang kontrollierten. Von drinnen drang das gedämpfte Brüllen von Löwen zu mir herüber. Kurz blickte ich zu dem sich über mir auftürmenden Gemäuer. Ein mit Zinnen und Schießscharten versehener Wehrgang ragte zum Schutz des weißen Hauptgebäudes in den Himmel.

Ein Wächter trat vor. Rasch schlug Cecil seine Kapuze zurück. Der Wärter stutzte. »Sir William?«

»Guten Tag, Harry. Ich darf annehmen, dass es Eurer Frau besser geht?« Cecils Stimme war so glatt wie das unter uns schimmernde Wasserbecken. Ich indes zog meine Schultern noch höher und beobachtete den Mann unter dem Schutz meiner Kappe. Einmal wenigstens war ich dankbar für meine schmale Gestalt und bescheidene Größe. In meiner abgetragenen Reiseausstattung sah ich aus wie ein unwichtiger Diener, der seinen Herrn begleitete.

»Sie ist auf dem Wege der Besserung«, antwortete der Wärter spürbar erleichtert. »Seid bedankt für die Nachfrage. Die Kräuter, die Eure Gemahlin geschickt hat, haben uns sehr geholfen. Wir stehen tief in Eurer und Lady Mildreds Schuld. Das war sehr freundlich von Euch.«

Trotz meines Misstrauens Cecil und seinen Tücken gegenüber musste ich grinsen. Darauf konnte man sich verlassen, dass er dort, wo es darauf ankam, jemanden mit einer Gefälligkeit zu seinem Schuldner machte.

»Nicht der Rede wert«, erwiderte er. »Lady Mildred wird entzückt sein, wenn sie erfährt, dass ihr Mittel geholfen hat. Sie arbeitet ja in einem fort an ihren Rezepten. Ach, übrigens, Harry, ich habe ganz vergessen, bestimmte Dokumente mitzunehmen, als ich gestern hier war.« Er deutete auf mich, woraufhin ich mich verneigte. »Das ist ein Lehrling, den ich zum Sekretär ausbilde. Könntet Ihr uns für einen Moment durchlassen? Wir kommen gleich wieder zurück.«

Harry trat unbehaglich von einem Bein auf das andere. »Das ist leider nicht möglich, Sir William.« Er warf einen Blick über die Schulter zu seinen Gefährten, die sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben. »Die Lords Pembroke und Arundel haben strikte Anweisung erteilt, dass ohne ihre ausdrückliche Genehmigung niemand den Tower besuchen darf.« Er trat vertraulich näher, die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Heute Morgen ist ein Schreiben von Lady Mary eingetroffen. Danach sind die Lords sofort zur Residenz des Earl of Pembroke aufgebrochen. Laut Gerücht hat sie damit gedroht, sämtliche Herrschaften aufs Schafott zu schicken, wenn sie sich heute Abend nicht für sie aussprechen.«

»Ach, wirklich?«, fragte Cecil in einem Ton, als handelte es sich um eine Neuigkeit ohne besonderen Belang. »Man hört dieser Tage so viele Gerüchte, dass man kaum noch weiß, wem oder was man glauben soll.«

Harry verzog unbehaglich die Miene. »Allerdings, man kommt sich vor wie unter schnatternden Gänsen. Trotzdem: Bei all dem Gerede über eine Meuterei in Yarmouth und Fahnenflucht im Lager des Herzogs muss man genau darauf achten, was man sagt und tut, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

»Unbedingt«, versicherte Cecil ihm und ließ einen Moment lang schweigend ein Lächeln um seine Lippen spielen. Von der Stille verunsichert, platzte Harry heraus: »Bevor sie aufgebrochen sind, haben die Fürsten Lady Jane und Lord Guilford zu deren Sicherheit in ihren Gemächern einsperren lassen. Lady Dudley war außer sich. Sie hat Lord Arundel ein schreckliches Ende angedroht, sobald ihr Gemahl zurückkehrt. Mylord war bei seiner Antwort auch nicht gerade höflich zu ihr, wenn Ihr mich versteht.«

Er studierte Cecils Miene. »Manche sagen, Seine Lordschaft von Northumberland könne gar nicht gewinnen. Ich selbst halte ja nichts von Klatsch, Sir William, aber wenn das Gerede zutrifft, wäre ich dankbar für eine ehrliche Warnung. Wie Ihr wisst, habe ich eine Familie zu versorgen, und um die Wahrheit zu sagen … ich führe doch nur Befehle aus. Wer gerade auf dem Thron sitzt, kümmert mich nicht wirklich, Hauptsache, ich kann meine Frau und meine Kinder ernähren.«

»Selbstverständlich.« Cecil legte Harry eine Hand auf den Arm, eine Geste des Verständnisses für die Umstände eines Lakaien. Harry schien einen ganzen Zoll zu wachsen. »Aber vielleicht sollten wir nicht vor aller Öffentlichkeit über so etwas reden«, fuhr Cecil fort und zog Harry in den Schatten des Wärterhäuschens, wo sie ihr Gespräch außerhalb meiner Hörweite fortführten. Doch immerhin sah ich ihn Harry eines seiner allgegenwärtigen Säckchen zustecken.

Als Cecil zu mir zurückkehrte, zischte ich: »Wovon redet er? Was für ein Schreiben? Die Königin hat mir ihren Brief anvertraut, und ich habe ihn Euch vor weniger als einer Stunde übergeben.«

»Anscheinend war dies nicht das einzige Schreiben, das sie verschickt hat«, antwortete er mit einem dünnen Lächeln. »Ich musste Harry bestechen, damit er mir noch mehr Informationen verrät und uns durchlässt. Hebt Euch Eure Fragen also für später auf.«

Zügig schritt er weiter, den anderen Wächtern zunickend, und zwang mich, ihm wie der Diener, den ich darstellen sollte, hinterherzueilen. So passierten wir ein eisernes Fallgitter und gelangten in den äußeren Burghof.

Dort zögerte Cecil und tat so, als müsse er seinen Ärmel zurechtschieben. Seine Tasche hielt er dabei weiter in festem Griff. Mit gedämpfter Stimme raunte er mir zu: »Mary hat doch noch das eine oder andere gelernt. Über einen anderen Boten hat sie ein Duplikat ihrer Befehle zusammen mit der Nachricht ausgesandt, dass sie Tausende für ihre Sache hinter sich versammelt hat. Sie bereitet einen Marsch auf London vor. Die klügeren unter den Fürsten im Kronrat haben sich zurückgezogen, um zu erörtern, welchen Empfang sie ihr bereiten sollen. Suffolk ist auch dabei. Ein noch deutlicheres Zeichen ist, dass seine Frau, die Herzogin, auf dem Weg zu ihrem Landsitz ist. Anscheinend haben bis auf Lady Dudley sämtliche Beteiligten Jane und Guilford fallenlassen. Die beiden sind jetzt hier, in denselben Gemächern eingesperrt, wo sie dem Plan gemäß auf ihre Krönung warten sollten.«

Er blickte um sich und holte Luft. Und ich verstand die Welt nicht mehr. Sollten die aberwitzigen Wendungen der letzten Tage tatsächlich dazu führen, dass ich jetzt ausgerechnet dem Mann vertrauen musste, den ich noch vor wenigen Stunden als meinen Feind betrachtet hatte?