Ich ließ meine Satteltasche an der Türschwelle fallen. Manche Dinge änderten sich offenbar nie. Selbst am Hof hausten die jungen Dudleys noch wie im Schweinestall.

Aus dem Bett dröhnte ein Schnarchen. Vorsichtig trat ich näher. Unter meinen Sohlen knirschten Knochen, die sich in den Strohmatten festgetreten hatten. Einer Lache von Erbrochenem ausweichend, zog ich den Vorhang beiseite. Die Ringe klirrten an der Stange. Ich sprang zurück, halb darauf gefasst, die ganze Dudley-Sippe johlend und die Fäuste schwingend über mich herfallen zu sehen, genau wie in meiner Kindheit.

Stattdessen lag nur eine einzige Gestalt mit ausgebreiteten Gliedern auf dem Bett, Hose und Hemd zerknittert, das verfilzte Haar von der gleichen Farbe wie verschmutztes Getreide, dazu die unverkennbare Ausdünstung von billigem Bier. Guilford, das Nesthäkchen der Meute, ganze siebzehn Jahre alt und in trunkener Betäubung niedergestreckt.

Ich kniff in seine über den Bettrand baumelnde Hand. Als dies nur ein weiteres röchelndes Schnarchen hervorrief, rüttelte ich ihn an der Schulter.

Er ruderte mit den Armen und hob sein verquollenes Gesicht, in das sich die Kissenfalten geprägt hatten. »Hol dich der Teufel«, lallte er.

»Euch ebenfalls einen guten Abend, Mylord Guilford«, erwiderte ich. Zur Sicherheit trat ich noch einen Schritt zurück. Obwohl er der jüngste der fünf Dudley-Sprösslinge war, gegen den ich öfter gesiegt als verloren hatte, wollte ich in meiner ersten Stunde am Hof nicht gleich eine Tracht Prügel riskieren.

Er glotzte mich an, während sein benebeltes Hirn mein Gesicht zu identifizieren suchte. Als ihm das gelang, lachte Guilford hämisch. »Ach, der elternlose Bastard. Was machst du denn …« Plötzlich würgte er, beugte sich vor und spie auf den Boden. Stöhnend fiel er aufs Bett zurück. »Ich hasse sie. Das wird sie mir büßen, die elende Hexe.«

»Hat sie Euch das Bier vergällt?«, fragte ich unschuldig.

Er funkelte mich an und hievte sich mühsam aus dem Bett. Groß und kräftig wie alle Dudleys, hätte er mich sicher wie ein wütendes Raubtier angefallen, wäre er nicht so besoffen gewesen. Instinktiv tastete ich nach meinem Dolch. Nicht dass ich es hätte wagen dürfen blankzuziehen. Ein Gemeiner musste mit der Todesstrafe rechnen, wenn er einen Adeligen auch nur mit Worten bedrohte. Doch das Gefühl des abgewetzten Griffs zwischen meinen Fingern wirkte beruhigend.

»Ja, vergällt hat sie es mir.« Guilford schwankte. »Bloß weil sie mit dem König verwandt ist, bildet sie sich ein, sie kann mich von oben herab behandeln. Aber ich werde ihr schon zeigen, wer hier der Herr und Meister ist. Sobald wir verheiratet sind, schlage ich sie grün und blau, diese erbärmliche …«

»Halt dein Drecksmaul, Guilford!«, peitschte eine Stimme durch den Raum.

Guilford erbleichte. Ich fuhr herum.

In der Tür stand kein anderer als mein neuer Dienstherr, Lord Robert Dudley.

Trotz meiner Ängste vor einer Wiederbegegnung nach zehn Jahren musste ich zugeben, dass er einen beeindruckenden Anblick bot. Schon immer hatte ich ihn heimlich beneidet. Während mein Gesicht so unauffällig war, dass man es so schnell vergaß wie einen Landregen, war Robert ein Prachtexemplar von einem Edelmann: die beeindruckende Statur, die breite Brust und die muskulösen Schenkel seines Vaters, die fein gemeißelte Nase seiner Mutter, volles schwarzes Haar und dunkle Augen, die gewiss so manche Jungfer dahinschmelzen ließen. Er besaß alles im Überfluss, was ich nicht hatte, dazu jahrelange Erfahrung am Hof. Seit König Edwards Thronbesteigung war er mit äußerst förderlichen Aufgaben betraut, was zu einem erfolgreichen, wenn auch kurzen Feldzug gegen die Schotten geführt und ihm eine junge, begüterte Dame als Gemahlin und Bettgefährtin eingebracht hatte – oder vielleicht eher ihn ihr.

Ja, Lord Robert hatte alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte. Und einer wie ich hatte allen Grund, ihn zu fürchten.

Mit dem Stiefelabsatz trat er die Tür zu. »Sieh dich nur an, vollgesoffen wie ein Pfaffe. Du ekelst mich an. Du hast ja Fusel statt Blut in den Adern!«

»Ich wollte …« Guilford war weiß wie die Wand. »Ich wollte doch nur sagen …«

»Spar’s dir.« Mich behandelte Robert wie Luft. Schließlich aber wandte er den Kopf. Seine Augen verengten sich. »Wie ich sehe, hat der Stallknecht es unversehrt hierhergeschafft.«

Ich verbeugte mich. Offenbar sollte unser Verhältnis genau dort anknüpfen, wo es unterbrochen worden war, sofern ich ihm nicht beweisen konnte, dass ich mehr zu bieten hatte als einen biegsamen Buckel, den er verprügeln konnte.

»Jawohl, Mylord«, antwortete ich in meiner vornehmsten Sprechweise. »Ich fühle mich geehrt, dass ich Euch als Junker dienen darf.«

»Tatsächlich?« Sein Grinsen ließ blendend weiße Zähne aufblitzen. »Das solltest du auch. Obwohl … meine Idee war das nicht. Mutter fand, du solltest allmählich deinen Lebensunterhalt verdienen, auch wenn ich dich viel lieber auf die Straße hinausgejagt hätte, woher du gekommen bist. Aber da du nun schon mal hier bist« – er streckte den Arm aus –, »kannst du auch gleich den Dreck hier beseitigen. Danach kannst du mich zum Bankett ankleiden.« Er hielt inne. »Ach was, beschränk dich aufs Putzen. Es sei denn, du hast in den letzten Jahren beim Stallausmisten in Worcestershire gelernt, einem Gentleman das Wams zu schnüren.« Er lachte laut, wie immer von seinem eigenen Witz begeistert. »Ich kann mich selbst ankleiden. Tu’s ja schon seit Jahren. Geh lieber Guilford zur Hand. Vater erwartet uns in einer Stunde im Thronsaal.«

Ich verbeugte mich, ohne eine Miene zu verziehen. »Mylord.«

Robert prustete. »Was für ein Gentleman aus dir geworden ist! Mit deinen feinen Manieren wirst du bestimmt die eine oder andere Dirne finden, die gewillt ist, deinen fehlenden Stammbaum zu übersehen.« Er wandte sich wieder seinem Bruder zu und stieß ihn mit seinen silbern beringten Fingern an. »Und du halt das Maul und tu, was man dir sagt. Sie ist nichts weiter als ein Eheweib. Nimm sie an die Kandare, reite sie und schick sie auf die Weide, wie ich es mit meiner gemacht habe. Und tu, um Himmels willen, was für deinen Atem!« Robert lächelte mir verkniffen zu. »Bis später dann im Festsaal, Prescott. Bring ihn besser zum Südeingang. Wir wollen doch nicht, dass er unsere erlauchten Gäste vollkotzt.«

Mit einem hämischen Lachen drehte er sich um und schritt hinaus. Guilford streckte ihm hinterrücks die Zunge heraus und übergab sich zu meinem Entsetzen erneut.

Es erforderte meine ganze Geduld, meinen ersten Auftrag in der zugemessenen Zeitspanne auszuführen. Die meisten der herumliegenden Sachen hätten gründlich in Essig eingeweicht gehört, aber da ich keine Wäscherin war, versteckte ich das schmutzige Zeug einfach und machte mich auf die Suche nach Wasser, das ich in einem Kessel am Ende des Ganges fand.

Zurück im Zimmer, hieß ich Guilford, sich seiner Kleider zu entledigen. Das Wasser rann braun von seiner Haut, deren viele feuerrote Einstiche den Schluss nahelegten, dass er sein Bett mit Flöhen und Wanzen teilte. Er stand da und starrte stumpf vor sich hin, nackt und schlotternd, allerdings auch sauberer, als er es seit seiner Ankunft am Hof wohl je gewesen war.

Ich kramte ein halbwegs fleckenloses Hemd, Hose, Wams und Damastärmel aus dem Schrank und hielt sie ihm hin. »Soll ich Mylord beim Anziehen helfen?«

Er riss mir die Sachen aus den Händen. Ich ließ ihn allein mit seinen Kleidern kämpfen und holte meine einzige Ersatzhose, mein neues graues Wollwams und die guten Schuhe aus der Satteltasche.

Unversehens überkam mich dabei die Erinnerung an Mistress Alice, wie sie Tierfett in das Schuhleder rieb. »Damit sie glänzen wie die Sterne«, hatte sie augenzwinkernd gesagt. Sie hatte mir die Schuhe von einem ihrer Ausflüge zum Jahrmarkt von Stratford mitgebracht. Zwei Nummern zu groß waren sie damals gewesen, gerade recht für einen im Wachstum befindlichen Jungen, und ich war stolz darin herumgeschlurft, bis ich sie eines dunklen Morgens nach ihrem Tod anzog und merkte, dass sie passten. Bevor ich Dudley Castle verließ, hatte ich Fett hineingerieben, so wie sie es getan hatte. Ich hatte es aus dem gleichen Topf geschöpft, mit dem gleichen Holzlöffel …

Die Kehle war mir wie zugeschnürt. Als ich noch in der Burg der Dudleys lebte, konnte ich mir einreden, sie sei noch bei mir, eine unsichtbare gute Fee. Morgens in der Küche, die ihr Reich war, nachmittags auf Cinnabar über die Felder reitend oder beim Lesen der vergessenen Dudley-Bücher in der Turmbibliothek – immer hatte es sich so angefühlt, als könnte sie mir jeden Moment auf die Schulter tippen und mich ermahnen, dass es Zeit sei, etwas zu essen.

Aber hier war sie so weit entfernt, als hätte ich die Segel in Richtung Neue Welt gesetzt. Zum ersten Mal im Leben hatte ich hier eine Stellung und die Möglichkeit, mir eine bessere Zukunft zu schaffen, und ich war so nörgelig wie ein Baby bei der Taufe.

Bei der Erinnerung an einen ihrer Lieblingssprüche fasste ich neuen Mut. Sie hatte immer gesagt, ich könnte alles erreichen, was ich mir ernsthaft vornähme. Allein schon um ihres Andenkens willen musste ich mehr tun, als nur zu überleben. Ich musste Erfolg haben. Wer konnte schließlich wissen, was die Zukunft bereithielt? So lächerlich die Vorstellung jetzt noch schien, war es doch nicht undenkbar, dass ich mir eines Tages die Freiheit von der Knechtschaft verdienen konnte. Wie Cecil so richtig bemerkt hatte, konnten im England unserer Tage sogar Findelkinder zu Ruhm und Ehren gelangen.

Schnell schlüpfte ich aus den verschmutzten Kleidern, sorgsam darauf bedacht, Guilford den Rücken zuzukehren, während ich mich mit dem Rest des Wassers wusch und dann umzog. Als ich mich zu ihm umdrehte, fand ich ihn hilflos in sein Wams verstrickt, mit schief sitzendem Hemd, die Hose um die Knie.