»Ihr Freund«, lautete seine Antwort. »Der Einzige, der den Mut hat, sie vor sich selbst zu retten. Robert Dudley war ihr Niedergang. Jetzt wird sie vielleicht nie wieder in Versuchung geführt. Selbst wenn er Marys Zorn überlebt, was höchst unwahrscheinlich ist, hat er Elizabeth für immer verloren. Sie wird ihm nie wieder blind vertrauen. Das ist eine Belohnung, die ihr Leiden meiner Einschätzung nach mehr als wiedergutmacht.«
»Ihr seid eine Bestie!«, keuchte ich. »Habt Ihr beim Ersinnen Eures grandiosen Plans, ihr die Krone aufs Haupt zu setzen, je innegehalten und einen Gedanken daran erübrigt, dass Ihr ihren Geist brechen könntet? Oder dass Jane Grey, die nie an dieser Intrige beteiligt sein wollte, deswegen ihr Leben verlieren könnte?«
Cecils starrer Blick nagelte mich fest. »Elizabeth ist robuster, als Ihr glaubt. Und was Jane Grey betrifft, so war es nicht meine Idee, sie zur Königin zu machen. Ich wollte lediglich davon profitieren.«
Am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle stehen lassen – mitsamt seinen Dokumenten und Machenschaften. Nichts von dem, was er mir noch sagen konnte, würde mich mit etwas anderem erfüllen als mit noch mehr Abscheu und Verzweiflung.
Und doch blieb ich, wo ich war, zu keiner Bewegung fähig.
Sein Lächeln war scharf wie gesplitterter Stahl. »Habt Ihr dazu nichts zu sagen? Wir haben den Kernpunkt erreicht, den Grund Eures Besuchs. Sprecht weiter. Fragt mich. Fragt, was ich noch alles vor Euch verborgen habe. Fragt mich nach der Kräuterkundigen und dem Grund, warum Frances von Suffolk zugunsten ihrer Tochter auf ihren Anspruch auf den Thron verzichten musste.«
Er stieß ein leises Seufzen aus. »Fragt mich, Brendan Prescott, wer Ihr seid.«
28
»Ihr wisst es«, flüsterte ich. »Ihr wusstet es von Anfang an.«
»Nicht von Anfang an«, widersprach Cecil in tadelndem Ton. »Ich habe lediglich vor Jahren ein Gerücht gehört. Damals war ich jünger als Ihr heute. Eine von zahllosen Skandalgeschichten war das, die man am Hof mit einem Ohr aufschnappt. Ich hätte auch nicht weiter drauf geachtet, wäre es nicht um die geliebte Schwester von Henry dem Achten gegangen, die viele als die französische Königin kannten – die eigensinnige Prinzessin, die für einen gehörigen internationalen Aufruhr sorgte, als sie Charles Suffolk heiratete, doch deren Tod im Alter von siebenunddreißig Jahren kaum noch Wellen schlug.«
»Das war in einem Juni«, brachte ich hervor, plötzlich von Eiseskälte befallen.
»Ja, im Juni 1533, um es genau zu sagen. König Henry hatte Anne Boleyn im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft gekrönt, was beweisen sollte, dass Gott ihrer Verbindung und dem Chaos, in das sie England gestürzt hatten, zustimmte. Noch ahnten sie nicht, dass das Kind, auf dessen Ankunft sie warteten, der Beginn von Annes Sturz sein würde.«
Cecil schritt zum Fenster und starrte hinaus in den Garten. Spannungsgeladenes Schweigen senkte sich über uns. Schließlich drehte er sich wieder um und sagte leise: »Ich war damals dreizehn Jahre alt und diente einem Schreiber als Lehrling – einer von Hunderten junger Burschen mit flinken Fingern, der nach oben wollte. Ich kam herum, ich war geschickt, und ich verstand es, die Ohren offen und den Mund geschlossen zu halten. So hörte ich oft sehr viel mehr, als mein Äußeres hätte vermuten lassen.« Er lächelte mich matt an. »Ich war Euch nicht unähnlich – sorgfältig, mit guten Absichten, begierig meinen Vorteil suchend. Als ich das Gerücht vernahm, erschien es mir wie ein Zeichen der Zeit, dass die eigene Schwester des Königs ganz allein gestorben war, nach Monaten der Isolation auf ihrem Gut in Westhorpe, wo sie angeblich schreckliche Ängste ausgestanden hatte, Anne Boleyn könnte ihr Geheimnis aufdecken.«
Die Kälte kroch mir bis in die Blutbahnen. Stokes’ Worte dröhnten wieder durch meinen Kopf.
Sie war verrückt vor Angst. Sie flehte ihre Tochter an, das Geheimnis zu wahren …
»Welches Geheimnis?«, fragte ich mit fast unhörbarer Stimme.
»Dass sie schwanger war, natürlich. Ihr dürft nicht vergessen, dass viele tatsächlich glaubten, Anne Boleyn hätte den König verhext. Sie war eine Frau mit starkem Willen und festen Meinungen. Das gemeine Volk verabscheute sie; die meisten Adeligen nicht minder. Sie hatte Katharina von Aragón vernichtet und damit gedroht, Henrys leibliche Tochter, Mary, aufs Schafott zu schicken. Weil Henry so sehr in sie vernarrt war, waren einige seiner ältesten Freunde in Ungnade gefallen oder geköpft worden. Anne Boleyn hatte ihre ganze Zukunft auf den Umstand gesetzt, dass die erste Ehe des Königs ungültig gewesen sei und er keinen legitimen Erben hätte. Aber solange sie ihm keinen gebar, waren die Kinder seiner Schwester die ersten Anwärter auf den Thron.«
»Und Mary von Suffolk hasste Anne Boleyn …«, hörte ich mich sagen.
»Allerdings. Sie war über Henrys Bruch mit Rom entsetzt und blieb eine treue Verbündete von Königin Katharina, die zwar unter Hausarrest stand, aber immer noch sehr viel Lebenskraft zeigte. Mary Tudor hatte bereits zwei Söhne und zwei Töchter zur Welt gebracht. Jedes lebende Kind von ihr stellte eine Bedrohung dar, aber eines, das in diesen heiklen Monaten geboren wurde, in denen Anne ihres erwartete – nun ja, sagen wir, sie hatte gute Gründe, Annes Feindschaft zu fürchten. Das war die Ursache, warum sie sich vom Hof fernhielt. Oder die Ausrede, von der sie hoffte, dass alle sie glauben würden.«
Meine Hände hingen schlaff herab, die Dolchspitze zeigte zu Boden.
»Und dann ist sie gestorben«, sagte ich tonlos.
»Laut dem Gerücht, das ich gehört habe, ist sie kurz nach der Geburt ihres Kindes gestorben. Sie hatte ihre Schwangerschaft vor der ganzen Welt verborgen, angeblich aus Furcht, von Anne vergiftet zu werden. Ihre Beerdigung fand in aller Eile und Stille statt. Henry zeigte keine große Trauer. Er und mit ihm der ganze Hof war zu aufgeregt wegen der bevorstehenden Niederkunft der Königin. Und als Elizabeth das Licht der Welt erblickte, wusste kaum noch jemand, dass Mary von Suffolk je existiert hatte. In den nächsten drei Jahren heiratete ihr Witwer, Charles Brandon, ein Mann mit einem starken Selbsterhaltungstrieb, sein minderjähriges Mündel und zeugte zwei Söhne mit ihr, bevor er selbst verstarb. Mittlerweile hatte Anne Boleyn ihr Ende auf dem Schafott gefunden und Henry Jane Seymour, seine dritte Frau, gefunden und verloren, aber immerhin Edward, den lange ersehnten Sohn, von ihr bekommen. Danach heiratete der König natürlich noch drei weitere Male. In unserer Welt wird nichts so schnell vergessen wie die Toten.«
»Und Marys letztes Kind?«, fragte ich mit belegter Stimme. »Was ist aus ihm geworden?«
»Manche sagen, es sei eine Totgeburt gewesen, andere glauben, es sei gemäß der Bitte der sterbenden Mutter versteckt worden. Jedenfalls hat Charles Suffolk es nie erwähnt – was er sicher getan hätte, wenn er von ihm gewusst hätte. Der Sohn von Mary ist ein Jahr nach ihr gestorben. So waren da nur noch die Töchter.«
»Also wäre er über einen weiteren Sohn froh gewesen …?«
Cecil nickte. »Allerdings. Doch vor dem Ableben seiner Frau war er die meiste Zeit im Ausland, und wie es heißt, stand die Ehe zwischen ihm und Mary unter keinem guten Stern. Suffolk unterstützte die Bestrebungen des Königs, sich Katharinas zu entledigen und Anne zu heiraten; Mary war strikt dagegen. Trotzdem sollen sie aus Liebe geheiratet haben, und sie war noch nicht so alt, dass sie unfruchtbar gewesen wäre … Wie auch immer, sie verbarg ihre letzte Schwangerschaft vor ihm und ließ verbreiten, sie litte unter Fieber und Schwellungen. Wahrscheinlich schöpfte er nie Verdacht. Das wirft natürlich die Frage auf, was der armen Frau wohl durch den Kopf ging, dass sie ihrem eigenen Mann ein Kind vorenthielt.«
»Ihr habt gesagt, sie hätte Angst vor Anne Boleyn gehabt«, murmelte ich und bemerkte, dass er ganz allmählich dicht an mich herangetreten war, als wollte er mich umarmen. Sein Gesicht wirkte aus der Nähe alt; die Spuren der Sorgen, des unablässigen Ränkeschmiedens und der schlaflosen Nächte hatten sich in seine Haut gegraben.
»Vielleicht war Anne ja nicht der einzige Grund«, sagte er und begann, die Hand zu heben. Bevor er mich berühren konnte, wich ich zurück, auch wenn ich eher das Gefühl hatte zu taumeln, so bleiern waren meine Glieder. Um uns herum wurde der Raum, in dem das spätnachmittägliche Zwielicht lange, dunkle Schatten warf, immer enger.
»Wie habt Ihr das mit mir herausgefunden?«, fragte ich abrupt.
»Durch puren Zufall«, antwortete er in gedämpftem, doch sicherem Ton. »Wie gesagt, in seinem Testament bestimmte Henry, dass nach seinen Kindern und deren Erben die Nachkommen seiner Schwester Mary den nächsten Rang in der Thronfolge einnehmen sollten. Als ich dann erfuhr, dass die Herzogin ihren Anspruch zugunsten ihrer Tochter, Jane Grey, zurückgezogen hatte, war ich verblüfft. Freiwillig hat Frances Suffolk noch nie auf etwas verzichtet. Northumberland ließ mich wissen, sie hätte es für Jane getan, um ihr und Guilford den Weg zu ebnen, aber nicht einmal er wirkte davon überzeugt. Kurz, ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Es dauerte nicht lange, bis ich erfuhr, dass Lady Dudley Frances mit etwas sehr viel Interessanterem gedroht hatte.«
Ich brachte ein hohles Lächeln zustande. »Mit mir.«
»Ja, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich wusste, wer Ihr wart. Das dämmerte mir erst, als ich erfuhr, dass Lady Dudley Euch der Herzogin im Thronsaal vorgestellt hatte, wo sie ihr eine Bemerkung über das Zeichen der Rose zuflüsterte. Nun, das weckte meine Aufmerksamkeit ganz gewiss. ›Rose‹ war der liebevolle Spitzname Henrys für seine jüngere Schwester. Da hattet Ihr mir bei unserer ersten Begegnung natürlich schon erzählt, dass Ihr ein Findelkind seid. Und Ihr hattet auch von einer Frau gesprochen, die sich um Euch gekümmert hatte, dann aber verschwunden war. Von Fitzpatrick hatte ich wiederum erfahren, dass es eine Kräuterkundige gab, die Lady Dudley zur Behandlung von Edward an den Hof gebracht hatte, und so langsam fügte ich die Einzelteile zu einem Bild zusammen. Es dauerte noch eine Weile, bis ich alles verstand, aber die Schlussfolgerung war einfach bestechend.«
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